Antrag des Landes Niedersachsen
Entschließung des Bundesrates für eine Erhöhung der Flexibilität im Stromsystem durch eine Reform der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Nutzung von Stromspeichern

Niedersächsischer Ministerpräsident Hannover, 1. September 2020

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Dietmar Woidke

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Niedersächsische Landesregierung hat beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates für eine Erhöhung der Flexibilität im Stromsystem durch eine Reform der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Nutzung von Stromspeichern zuzuleiten.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der 993. Sitzung des Bundesrates am 18. September 2020 aufzunehmen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Stephan Weil

Entschließung des Bundesrates für eine Erhöhung der Flexibilität im Stromsystem durch eine Reform der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Nutzung von Stromspeichern

Der Bundesrat möge beschließen:

Begründung:

Stromspeicher haben ein großes, derzeit jedoch oftmals noch ungenutztes Potential für die Energiewende. Durch ihre Fähigkeit, Strom in Phasen hoher Erzeugung einzuspeichern und später bedarfsabhängig wieder abzugeben, sorgen sie für eine Entkopplung von Erzeugung und Verbrauch und können somit einen wichtigen Beitrag leisten, die volatile Einspeisung aus erneuerbaren Erzeugungsanlagen auszugleichen. Je größer der Anteil der Erneuerbaren Energien im Versorgungssystem wird, umso wichtiger werden solche Flexibilitätsoptionen für den ständigen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage. Zudem können Flexibilitäten auch netzdienlich eingesetzt werden und helfen, im Zuge des Ausbaus der Erneuerbaren Energien auftretende Netzengpässe zu vermeiden.

Ein Blick in die Praxis zeigt jedoch, dass sowohl der systemdienliche als auch der netzdienliche Einsatz von Stromspeichern bislang eher selten ist. Beide Formen der Nutzung sind aus Sicht von Speicherbetreibern derzeit meist nicht wirtschaftlich, hinzu kommen insbesondere im Bereich der netzdienlichen Nutzung fehlende rechtliche und regulatorische Rahmenbedingungen. Um den rechtzeitigen Ausbau der Flexibilitäten im Stromsystem zu gewährleisten und damit die Stabilität des Versorgungsystems zu sichern, ist es daher erforderlich, zusätzliche Anreize für die Errichtung von Stromspeichern und für ihren system- oder netzdienlichen Einsatz zu schaffen. Zudem müssen bereits vorhandene Flexibilitäten konsequenter erschlossen und zur Stabilisierung des Gesamtsystems genutzt werden.

Ein wichtiges Hemmnis für den wirtschaftlichen Betrieb von Stromspeichern ist derzeit die Belastung mit Steuern, Abgaben und Umlagen. Da es bislang keine eigenständige energierechtliche Definition von Stromspeichern gibt, wird die Aufnahme von Strom rechtlich als Letztverbrauch und das anschließende Ausspeichern als Erzeugung betrachtet. Dementsprechend können sowohl beim Einspeichern als auch beim Verbrauch des ausgespeicherten Stroms Letztverbraucherabgaben anfallen. Zwar gibt es bereits heute eine Reihe von Ausnahmen und Sonderregelungen, um eine Doppelbelastung zu vermeiden, allerdings sind diese zum Teil zeitlich befristet, sehr komplex oder mit einem hohen administrativen Aufwand verbunden. Um die Rechtssicherheit zu erhöhen und somit dauerhafte Investitionssicherheit zu schaffen, ist es daher erforderlich, die bisherige rechtliche Einstufung zu überarbeiten und durch eine eigenständige Speicherdefinition zu ersetzen.

Zugleich bietet eine solche Präzisierung und Ausdifferenzierung des Speicherbegriffs auch einen guten Ansatzpunkt, um Stromspeichern die Nutzung verschiedener Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Viele private Stromspeicher zur Optimierung des Eigenverbrauchs werden bei der Einspeisung ins Netz derzeit über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gefördert. Voraussetzung für einen Zahlungsanspruch gemäß Paragraph 19 Absatz 3 i.V.m. Absatz 1 EEG ist, dass ausschließlich Strom aus Erneuerbaren Energien vor der Einspeisung zwischengespeichert wird. Nicht eindeutig geklärt ist, inwieweit die Aufnahme von Graustrom aus dem Netz in den Speicher den Vergütungsanspruch des Anlagenbetreibers vollständig entfallen lässt oder ob eine anteilige Vergütung für den Strom aus Erneuerbaren Energien gezahlt werden kann. Eine wichtige Voraussetzung, um bereits vorhandene Speicher für den system- oder netzdienlichen Einsatz zu erschließen, ist daher, dass verschiedene Nutzungsmöglichkeiten rechtssicher und verlässlich aufeinander abgestimmt werden und die Wirtschaftlichkeit des Speicherbetriebs somit künftig auch im Fall eines variierenden Einsatzes gewährleistet ist.

Speziell mit Blick auf die netzdienliche Nutzung von Stromspeichern ist zudem festzuhalten, dass es bislang an einem klaren rechtlichen und regulatorischen Rahmen fehlt, der festlegt, wie der Einsatz der Speicher im Detail ausgestaltet ist und wie das dafür erforderliche Zusammenspiel zwischen Netzen, Netzbetreibern, Speichern und Speicherbetreibern organisiert werden soll. Damit sich die Betreiber eines Speichers entscheiden, diesen netzdienlich steuern zu lassen, muss dies mit einem klaren Anreiz verbunden sein. Ein solches Anreizsystem ist im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) im Grundsatz bereits angelegt: Laut Paragraph 14a EnWG müssen Betreiber von Niederspannungsnetzen Verbrauchern ein reduziertes Netzentgelt anbieten, wenn diese ihre Verbrauchseinrichtungen netzdienlich steuern lassen. Die Regelung ist bislang jedoch noch nicht weiter ausgestaltet oder konkretisiert; Details sollen laut EnWG in einer ergänzenden Verordnung geregelt werden. Wie ein von der Bundesregierung beauftragtes und veröffentlichtes Gutachten zeigt, konzentrieren sich die derzeitigen Überlegungen zur Ausgestaltung von Paragraph 14a insbesondere auf die Elektrifizierung der Sektoren Wärme und Verkehr und sehen vor, dass Verbrauchsgeräte wie Wärmepumpen oder Elektrofahrzeuge ihre Entnahmeleistung aus dem Netz in Zeiten hoher Nachfrage künftig reduzieren sollen. Um auch das netzdienliche Potential der in vielen Haushalten bereits vorhandenen Stromspeicher zu erschließen, ist es jedoch erforderlich, dass auch Speicher ausdrücklich in die Verordnung aufgenommen werden. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass Speicher anders als andere Verbrauchseinrichtungen nicht nur in der Lage sind, ihren Verbrauch zu reduzieren, sondern das Netz darüber hinaus auch durch das gezielte Ein- und Ausspeichern von Strom stützen können.

Ein weiterer Bereich, in dem eine Ergänzung der bestehenden Rahmenbedingungen sinnvoll erscheint, ist das Regelenergiesystem. Da Stromspeicher innerhalb von wenigen Sekunden auf Frequenzschwankungen reagieren können, sind sie technisch sehr gut für die Bereitstellung von Regelleistung geeignet. Allerdings kommen sie auf dem Markt für Regelenergie derzeit nur selten zum Einsatz, da der Bedarf überwiegend durch konventionelle Kraftwerke gedeckt wird. Eine vergleichbare Situation existiert bei der sogenannten Momentanreserve, die ebenfalls zur Stabilisierung des Stromsystems genutzt und bislang durch die Generatoren konventioneller Kraftwerke erbracht wird. Durch die Trägheit ihrer rotierenden Massen sind Generatoren in der Lage, die Frequenz des Stromnetzes sehr kurzfristig zu stützen und somit die Zeit bis zum Abruf von Primärregelleistung zu überbrücken. Da konventionelle Kraftwerke mit dem fortschreitenden Umbau des Versorgungssystems jedoch zunehmend an Bedeutung verlieren werden, müssen sowohl Regelleistung als auch Momentanreserve in Zukunft zunehmend von anderen Technologien erbracht werden. Daher ist es erforderlich, den bestehenden Rahmen für Systemdienstleistungen weiterzuentwickeln und die Einführung eines neuen, noch kurzfristiger verfügbaren Regelenergieprodukts zu prüfen. Aufgrund der hohen technischen Anforderungen an die Reaktionszeit sollte sich dieses Produkt gezielt an Stromspeicher richten. Auf diese Weise kann nicht nur sichergestellt werden, dass weiterhin eine sekundenschnelle Stabilisierung des Stromsystems möglich ist, sondern es wird auch frühzeitig ein Anreiz für den perspektivisch auch für andere System- und Netzdienstleistungen erforderlichen Ausbau der Speicherkapazitäten geschaffen.

Wie groß das Potential von Stromspeichern für die Entwicklung des Versorgungssystems ist, wird auch in der im vergangenen Jahr in Kraft getretenen EU-Strommarktrichtlinie hervorgehoben (Richtlinie 2019/944 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019). So werden Energiespeicher in der Richtlinie beispielsweise explizit als Möglichkeit zur Erbringung von Systemdienstleistungen aufgeführt und die netzdienliche Nutzung von Speichern als Alternative zum Netzausbau beschrieben. Zudem benennt die Richtlinie auch eine Reihe von Punkten, die mit den oben beschriebenen Maßnahmen und Handlungsfeldern korrespondieren, beispielsweise die Schaffung eines Regelungsrahmens für die Nutzung von Flexibilität im Verteilnetz sowie eine Entlastung von Speichern im Bereich der Letztverbraucherabgaben. Die bis Ende 2020 erforderliche Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht bietet somit einen idealen Anknüpfungspunkt, um die Rahmenbedingungen für die Nutzung von Stromspeichern zeitnah zu verbessern und die beschriebenen Hemmnisse für den netz- und systemdienlichen Einsatz abzubauen. Von besonderer Bedeutung wird dabei sein, dass sich die Änderungen nicht nur auf das europarechtlich erforderliche Mindestmaß beschränken, sondern die Vorgaben der EU konsequent mit den oben dargestellten Maßnahmen und Erfordernissen verknüpft werden und somit ein ganzheitlicher Weg zur Stärkung der Stromspeicher eingeschlagen wird.