Der Bundesrat hat in seiner 964. Sitzung am 2. Februar 2018 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Allgemeines
- 1. Die drei europäischen Finanzaufsichtsbehörden (ESAs - nämlich EBA, ESMA und EIOPA) leisten seit nunmehr sieben Jahren im Rahmen des Europäischen Systems der Finanzaufsicht (ESFS) ihren Beitrag zur Sicherstellung einer wirksamen, konsistenten und kohärenten Aufsicht über die europäischen Finanzmärkte. Der Bundesrat teilt daher die Einschätzung der Kommission, dass es nun an der Zeit sei, im Lichte der Rechts- und Marktentwicklung sowie der praktischen Erfahrungen den Rechtsrahmen der ESAs zu überprüfen und bedarfsgerecht nachzujustieren.
Zur Vorlage allgemein
- 2. Der Bundesrat stimmt mit der Kommission überein, dass die ESAs über angemessene Befugnisse sowie über angemessene Governance-Strukturen und Finanzmittel verfügen müssen, um ihre Aufgaben wahrnehmen zu können.
- 3. Der Bundesrat unterstreicht dabei die Bedeutung der mehrstufigen Aufsichtsstruktur des ESFS aus EU- und nationalen Aufsichtsbehörden in der EU. Die nationalen Aufsichtsbehörden in ihrer heutigen Funktion sind Garant für eine - mit den Besonderheiten der regionalen Märkte und Rechtsrahmen vertraute - adäquate Aufsicht vor Ort.
- 4. In diesem System aus EU- und nationalen Aufsichtsbehörden haben die EU-Aufsichtsbehörden - vielfach ohne spezifischen Auftrag des EU-Gesetzgebers - gerade in den letzten Jahren eine Vielzahl von sehr detailgenau ausgestalteten Level-3-Regelungen für die Aufsichtspraxis geschaffen. Diese Level-3-Maßnahmen haben sich für viele kleine und mittlere regional orientierte Marktteilnehmer zu einem kaum noch zu bewältigenden und vollkommen unverhältnismäßigen Regulierungsrahmen entwickelt. Dabei bleiben die regionalen Besonderheiten und eine für diese Marktteilnehmer nach Größe und Geschäftsmodell angemessene Regulierung auf der Strecke.
- 5. Auch und gerade vor diesem Hintergrund lehnt der Bundesrat den vorgesehenen Ausbau der ESAs im System der europäischen Finanzaufsicht zum jetzigen Zeitpunkt zu einer Aufsicht über die Aufsicht ab. Für eine Fach- und Rechtsaufsicht über die nationalen Aufsichtsbehörden ist nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre im europäischen Aufsichtsrahmen weder ein Bedürfnis noch ein sonstiger Grund ersichtlich.
- 6. Die europäischen Behörden müssen - wie von Anfang an konzipiert - mitgliedergetragene Institutionen bleiben.
- 7. Der mitgliedstaatliche Einfluss muss darüber hinaus sogar gestärkt werden. Dies gewährleistet, dass die Tätigkeit der ESAs im Bereich der Level-2- und Level-3-Normsetzung die nationalen Besonderheiten angemessen berücksichtigt.
- 8. Die Vorschläge der Kommission zielen darauf ab, die Befugnisse der ESAs in der Aufsichtspraxis erheblich zu erweitern und die Governance- und Finanzierungsstrukturen radikal zu ändern. Damit begegnet die Vorlage auch Bedenken im Hinblick auf die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit. Der Bundesrat fordert daher die Bundesregierung auf, sich konsequent für eine Ausgestaltung der Vorlage einzusetzen, die die mitgliedstaatlichen Einflussmöglichkeiten bei den Maßnahmen der ESAs kräftigt und den ESAs nur insoweit mehr Befugnisse zugesteht, als es unbedingt erforderlich ist.
Zur Vorlage im Einzelnen
9. Angemessene allgemeine Befugnisse
a) Nachhaltigkeit
Der Bundesrat begrüßt, dass sich die Tätigkeit der ESAs nach dem Vorschlag der Kommission auch auf das Thema Nachhaltigkeit ausrichten soll. Er sieht diese Ausrichtung auch vor dem Hintergrund der finanziellen Risiken durch den Klimawandel.
b) Fintechs
Auch die Verankerung des Themas Finanzinnovationen in den ESA-Verordnungen wird begrüßt. Der technologische Wandel durch Fintechs ist geeignet, ein breiteres Angebot in der EU auch im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher zu gewährleisten.
c) Neue Konvergenzbefugnisse
Der Bundesrat lehnt entschieden die Einführung der geplanten, strategischen Aufsichtspläne ab. Mit ihrer faktisch verbindlichen Wirkung würden diese strategischen Aufsichtspläne für das - vom Rat der Aufseher unabhängige - Direktorium in den ESAs ein Instrument darstellen, mit dem dieses den Mitgliedstaaten ihre Aufsichtstätigkeit weitestgehend diktieren könnte. Derart gravierende Mängel in der aufsichtlichen Konvergenz, die diese Form einer "direkten Aufsicht über die Hintertür" rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Weiterhin hat die Kommission auch nicht dargelegt, wieso die darüber hinaus geplante Ausdehnung des Instruments "Aufsichtshandbuch" von der Bankenaufsicht auf die anderen beiden Sektoren und auf die Bankenabwicklung erforderlich ist.
d) Level-2- und -3-Normierungen
Level-3-Normierungen (insbesondere Leitlinien, Empfehlungen) der ESAs stellen in der Aufsichtspraxis faktisch verbindliches Recht dar. Gleichzeitig beruht diese - mittlerweile sehr umfangreiche - Rechtsetzung häufig auf dem Prinzip der Selbstmandatierung der ESAs, wenn diese nicht auf Grundlage eines regelungsspezifischen Mandats des EU-Gesetzgebers tätig werden, sondern lediglich auf der Basis ihres allgemeinen Auftrags, für Aufsichtskonvergenz in der EU zu sorgen. Das Demokratieprinzip und die Wesentlichkeitstheorie, aber auch konkurrierende Mandate für die ESAs zur Rechtsetzung auf Level 2 erfordern daher Beschränkungen und Kontrollmöglichkeiten für die Tätigkeit der ESAs auf Level 3 entsprechend folgender Vorgaben:
- aa) Es bedarf unbedingt wirksamerer Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten des Rates der EU und des Europäischen Parlaments bei Level-3-Maßnahmen der ESAs.
- bb) Eine Eigenmandatierung zu Level-3-Maßnahmen muss verhindert werden, wenn diese zu Lasten von konkreten Mandaten für Level-2-Maßnahmen geht. Für die beaufsichtigten Institute schaffen insbesondere die Level-2-Maßnahmen Rechtssicherheit für die Implementierung von Verordnungen oder Richtlinien. Von daher müssen erst die Level-2-Maßnahmen abgeschlossen sein, bevor Level-3-Maßnahmen angegangen werden. Das Projekt "MiFid II" hat deutlich gemacht, dass bei künftigen Legislativvorschlägen auf Level 1 darauf zu achten ist, deren Inkrafttreten von der Erstellung notwendiger Level-2-Maßnahmen abhängig zu machen.
- cc) Weiterhin sollten die Einflussmöglichkeiten des Rates der EU sowie des Europäischen Parlaments bei Erlass technischer Regulierungsstandards der ESAs (Level 2) im Gesetzgebungsverfahren so ausgestaltet werden, dass die europäischen Gesetzgebungsorgane die Vorschläge der ESAs bzw. der Kommission auch mit Änderungen oder Ergänzungen annehmen können.
Schließlich sollte darüber nachgedacht werden, wie das Verfahren der BaFin bei Level-3-Maßnahmen transparenter gestaltet werden kann, beispielsweise durch Information von Deutschem Bundestag und Bundesrat oder durch die Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle des "Board of Supervisors".
Dass die ESAs im Bereich von Drittstaatenkonstellationen eine stärkere Rolle übernehmen, hält der Bundesrat insbesondere im Zusammenhang mit dem "Brexit" für durchaus nachvollziehbar. Insbesondere vor diesem Hintergrund haben Gleichwertigkeitsentscheidungen und deren laufende Überwachung - auch im Interesse stabiler Finanzmärkte in der EU - an Bedeutung gewonnen. Es spricht viel dafür, dass die Kommission hier durch die ESAs unterstützt wird. Bei der Frage der Zulässigkeit der Auslagerung von Funktionen und Risiken in ein Drittland kann eine koordinierende Funktion der ESAs wichtig sein, um Standortwettbewerbe innerhalb der EU mittels Fehlanreizen zu vermeiden.
- e) Direkte Informationsersuchen der ESAs an Finanzmarktakteure müssen auf Ausnahmefälle wie zum Beispiel Kriseninterventionen begrenzt bleiben.
10. Direkte Aufsichtsbefugnisse
- a) Hierzu betont der Bundesrat, dass die Nähe der nationalen Aufsichtsbehörden zum Markt sowie der Gleichlauf von Aufsicht und Haftung bei der Übertragung direkter Aufsichtsbefugnisse zu beachten sind und das Subsidiaritätsprinzip gewahrt bleiben muss.
- b) Insbesondere die Übertragung der Zuständigkeit (Genehmigung und Aufsicht) für die europäischen Fonds EuVECA (Risikokapitalfonds), EuSEF (Fonds für soziales Unternehmertum) und ELTIF (europäische langfristige Investmentfonds) berücksichtigt nicht, dass diese Fonds von ihrer Organisation und Gesellschaftsform her national geprägt sind. Die von der Kommission vermutete Kostenersparnis, auch zugunsten der Anlegerinnen und Anleger, ist aufgrund der nach wie vor notwendigen Einbindung der nationalen Aufsichtsbehörde nicht ausreichend belegt.
- c) Die im Kommissionsentwurf vorgesehene Einbindung (Delegationsmög-lichkeiten/Berichtspflichten/Unterstützung bei Prüfungen) der nationalen Aufsichtsbehörden lässt erkennen, dass die Kommission sehr wohl um die Notwendigkeit der Expertise der nationalen Behörden weiß. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich gegen die zu erwartende Schaffung von Doppelstrukturen in der Aufsicht durch die ESAs einzusetzen.
11. Angemessene Governance-Strukturen
Der Bundesrat lehnt die Einrichtung eines Direktoriums zu Lasten mitgliedergetragener Entscheidungsgremien ab. Der über die mitgliedergetragenen Gremien gewährleistete Austausch, der Ausgleich und die gegenseitige Kontrolle der nationalen Aufseher waren bisher geeignet, eine wirksame, kohärente und angemessene Aufsicht sicherzustellen. Es ist kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigt, diese funktionierende Struktur zu verändern.
12. Angemessene Finanzierungsstruktur
- a) Der Bundesrat befürwortet die Beibehaltung der derzeitigen Finanzierungsstruktur der ESAs. Die Abschaffung des Finanzierungsanteils durch die nationalen Aufseher zu Gunsten einer direkten Finanzierung über die Finanzwirtschaft birgt die Gefahr, dass die ESAs ohne das Korrektiv der nationalen Aufseher wachsen und damit mehr Kompetenzen wahrnehmen können, als in dem bewährten Zusammenspiel beider Ebenen bisher vorgesehen ist.
- b) Er weist darauf hin, dass die vorgesehene verstärkte Finanzierung der ESA-Budgets durch die Erhebung von Gebühren von direkt und indirekt beaufsichtigten Marktteilnehmern wenig geeignet erscheint, um die Budgetdisziplin der ESAs zu fördern. Vielmehr ist zu befürchten, dass es zu höheren Belastungen der Marktteilnehmenden kommt. Je nach Ausgestaltung könnte dies über einen dadurch erhöhten Konsolidierungsdruck auch negative Auswirkungen auf den Wettbewerb auf den Finanzmärkten nach sich ziehen. Zumindest besteht die Gefahr einer überproportionalen Belastung kleiner und mittelständischer Institute, Versicherungsunternehmen und anderer Marktteilnehmender.
- c) Der Bundesrat spricht sich für eine grundsätzliche Beibehaltung des bisherigen Finanzierungsmodells aus, um eine angemessene finanzielle Ausstattung der ESAs zu gewährleisten und gleichzeitig auch weiterhin die notwendige Kontrolle und Einflussmöglichkeiten der nationalen Aufsichtsbehörden und des Europäischen Parlaments zu sichern. Bereits im Rahmen der von der Kommission im Vorfeld vorgenommenen Konsultation plädierte eine deutliche Mehrheit der Konsultationsteilnehmerinnen und -teilnehmer gegen eine Überarbeitung des aktuellen Finanzierungsrahmens und eine Ersetzung der Beiträge der nationalen zuständigen Behörden durch Beiträge der Industrie.
Direktzuleitung an die Kommission
- 13. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.