COM (2019) 22 final
Der Bundesrat hat in seiner 976. Sitzung am 12. April 2019 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Allgemeines
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Vorlage des Reflexionspapiers zur Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (VN), den sogenannten 17 Zielen für eine bessere Welt, ferner den ausführlichen und kohärenten Ansatz der Analyse sowie die aufgezeigten Handlungserfordernisse, differenziert nach den verschiedenen Umsetzungsebenen. Damit wird der Weg zu einer übergreifenden europäischen Umsetzungsstrategie für eine nachhaltige Entwicklung in der EU geebnet.
- 2. Er begrüßt insbesondere die von der Kommission mit dem Reflexionspapier angestoßene Debatte darüber, wie die EU und die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen nachkommen können, die aus Artikel 3 Absatz 3 EUV und aus der Agenda 2030 erwachsen. Er unterstützt dabei insbesondere die Entwicklung einer auf die Nachhaltigkeitsziele der VN (Sustainable Development Goals (SDGs)) ausgerichteten Gesamtstrategie der EU und ihrer Mitgliedstaaten, um eine gerechte Nachhaltigkeitswende zu erreichen.
- 3. Der Bundesrat teilt die Einschätzung der Kommission, dass ein entschlossenes, deutlich verstärktes Engagement auf allen Ebenen erforderlich ist, um der Weltgemeinschaft eine nachhaltige Zukunft sichern und die SDGs bis 2030 und darüber hinaus verwirklichen zu können. Er stimmt der Kommission zu, dass Maßnahmen zur Förderung der Nachhaltigkeit zwar eine europäische Dimension erfordern, aber letztlich nur ein globaler Ansatz tatsächlich erfolgversprechend ist.
- 4. Der Bundesrat stellt fest, dass die 17 SDGs sämtliche gesellschaftlichen Bereiche sowie das interne als auch das auswärtige Handeln der EU umfassen.
- 5. Die Strategie Europa 2020, die zu einem intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstum führen sollte, läuft im kommenden Jahr aus. Daher ist aus Sicht des Bundesrates die zeitnahe Festlegung einer langfristigen Nachhaltigkeitsstrategie für die EU dringend erforderlich.
- 6. Er verweist darauf, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten sich verpflichtet haben, alle SDGs und alle Zielvorgaben vollständig umzusetzen. Er hat sich bereits deutlich für einen europäischen Nachhaltigkeitsrahmen, für die Festlegung von ambitionierten strategischen Zielen zur Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele bis zum Jahr 2030, für die Vereinbarung eines Indikatorensystems und für einen wirksamen Umsetzungsmechanismus ausgesprochen (Stellungnahmen des Bundesrates vom 10. Februar 2017 (BR-Drucksache 701/16(B) ) und vom 12. Mai 2017 (BR-Drucksache 015/17(B) )).
- 7. Der Bundesrat betont, dass die Umsetzungsstrategie, damit sie bis 2030 erfolgreich ist, neben den europäischen Mitgliedstaaten insbesondere mit den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften sowie der Zivilgesellschaft entwickelt und umgesetzt werden sollte.
- 8. Er betont ferner, dass die gemeinsame Verpflichtung des 17. SDG (Partnerschaften zur Erreichung der Ziele) eine globale Verantwortung aller ist. Dabei haben gerade die Länder und Kommunen eine zentrale Rolle mit ihren Partnerschaften weltweit. Eine zukünftige EU-Strategie für die Agenda 2030 muss nach Auffassung des Bundesrates die Anerkennung und Unterstützung regionaler Partnerschaften und zivilgesellschaftlicher Akteure beinhalten.
- 9. Der Bundesrat hält im Rahmen der Debatte über die Zukunft Europas auf dem Sibiu-Gipfel am 9. Mai 2019 eine Berücksichtigung der aktuellen Diskussionen über das Reflexionspapier für notwendig. Er ist darüber hinaus der Auffassung, dass der Europäische Rat die nachhaltige Entwicklung seinen künftigen Diskussionen als Leitlinie zugrunde legen sollte.
- 10. Die in dem Reflexionspapier als Szenario 1 beschriebene übergreifende EU-Strategie für die Nachhaltigkeitsziele, die als Richtschnur für die EU und ihre Mitgliedstaaten dienen soll, und der darin enthaltene Grundsatz "Nachhaltigkeit zuerst" ist aus Sicht des Bundesrates der am besten geeignete Ansatz, um den Zielen der Agenda 2030 der VN gerecht werden zu können. Dabei berücksichtigt er, dass bereits alle Mitgliedstaaten der EU sowie die EU als Institution die Agenda 2030 unterzeichnet und sich uneingeschränkt zu ihrer Umsetzung verpflichtet haben.
- 11. Die Erreichung der SDGs muss handlungsleitend für alle politischen Maßnahmen der EU und der Mitgliedstaaten werden.
Zu beachten sind dabei die ökologische, die soziale und die wirtschaftliche Dimension der Nachhaltigkeit gleichermaßen.
- 12. Nur durch eine an den SDGs ausgerichtete Politikgestaltung können das Wohlergehen und der Wohlstand der Menschen in Europa gesichert werden. Die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele darf aber nicht alleine nur die innereuropäische Politik bestimmen, sondern sie muss auch bei der europäischen Handelspolitik und den übrigen, nach außen wirkenden Politikmaßnahmen der EU zum Tragen kommen.
- 13. Mit Blick auf die drei aufgezeigten Szenarien des Reflexionspapiers spricht sich der Bundesrat für einen ambitionierten und kombinierten Ansatz aus. Dieser sollte Elemente aus allen drei Szenarien umfassen, um die Umsetzung der Agenda 2030 in allen notwendigen Bezügen zu garantieren. Gleichzeitig sollte den Mitgliedstaaten im Rahmen des Mehrebenensystems der nötige Handlungsspielraum belassen werden, die Agenda 2030 in ihrem nationalen Kontext umzusetzen.
- 14. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die sich aus einer umfassenden europäischen Umsetzungsstrategie ableitenden strategischen Ziele, Indikatoren und Maßnahmen entsprechend in eine neue, auf der Europa-2020-Strategie aufbauende Europa-2030-Strategie integriert werden sollten. Durch einen solchen bereichsübergreifenden Ansatz in Verbindung mit einem Monitoring im Rahmen des Europäischen Semesters kann nach Einschätzung des Bundesrates die koordinierte Umsetzung der 17 SDGs nachdrücklich befördert und sichergestellt werden, so dass sich die Aktivitäten auf EU-Ebene sowie in den Mitgliedstaaten und Regionen gegenseitig ergänzen und verstärken.
- 15. Der Bundesrat ist zudem der Auffassung, dass Ergebnisse der eingeleiteten Debatte zur Umsetzung der Agenda 2030 sowie konkrete Maßnahmen auf EU-Ebene in die Ausarbeitung der Strategischen Agenda der EU für den Zeitraum 2019 bis 2024 und in die Prioritätensetzung der nächsten Präsidentschaft der Kommission einfließen sollten.
- 16. Er betont in diesem Zusammenhang erneut die Bedeutung der Kohäsionspolitik als wichtigste Investitionspolitik der EU. Sie verbessert die Beschäftigungschancen und Kompetenzen der Arbeitskräfte, fördert die soziale Inklusion bei gleichzeitiger Bekämpfung von Armut und Diskriminierung und trägt zu den meisten der 17 SDGs bei. Der Bundesrat macht daher nochmals deutlich, dass es auch in Zukunft einer Kohäsionspolitik für alle Regionen bedarf und auch für die Förderperiode 2021 bis 2027 eine angemessene und auskömmliche Finanzausstattung dieses Politikbereichs einschließlich Kofinanzierungssätzen, welche die Mittelabrufquote EU-weit steigern, unabdingbar ist.
Nachhaltiges Finanzwesen
- 17. Der Bundesrat begrüßt die im Reflexionspapier für ein nachhaltiges Europa wiederholte Zielsetzung der Kommission zur Schaffung eines nachhaltigeren Finanzwesens. Er bekräftigt insoweit seine bereits mehrfach vorgebrachte positive Grundhaltung (vergleiche Stellungnahmen des Bundesrates vom 27. April 2018 (BR-Drucksache 067/18(B) ) und vom 21. September 2018 (BR-Drucksache 289/18(B) und BR-Drucksache 290/18(B) )) zu den mit dem EU-Aktionsplan "Finanzierung nachhaltigen Wachstums" verfolgten Zielen.
- 18. Angesichts der zunehmenden Risiken aufgrund des Klimawandels und der voranschreitenden Ressourcenknappheit hält der Bundesrat es für notwendig, dass sich die Wirtschaft stärker an ökologischen, sozialen und der Unternehmensführung dienenden Zielen (ESG-Faktoren: "Environmental, Social, Governance") orientiert. Für die Lenkung der Kapitalströme in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten und Investitionen unterstreicht er die für die Zielerreichung wichtige Rolle der Finanzwirtschaft.
- 19. Er begrüßt grundsätzlich den Verordnungsvorschlag für die Einführung eines EU-weit einheitlichen Klassifikationssystems ("Taxonomie") und hält dieses für elementar für die weitere Umsetzung des Aktionsplans. Denn mit einer einheitlichen Bestimmung des Begriffs der "ökologischen Nachhaltigkeit" schafft die Taxonomie Klarheit und Sicherheit und damit Vertrauen der Marktteilnehmenden in nachhaltige Finanzierungen. Dies ist zur Erreichung des Ziels, Investitionen in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten - auch grenzüberschreitend - zu fördern, erforderlich.
- - Zu dem Verordnungsvorschlag zu den Offenlegungspflichten (BR-Drucksache 290/18 (PDF) ) ist eine Einigung auf europäischer Ebene erfolgt, die einen Abschluss vor den Europawahlen ermöglicht. Hinsichtlich der Taxonomie ist dies bislang leider nicht der Fall. Daher bittet der Bundesrat die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, dass die Verhandlungen hierzu vor und auch nach den Europawahlen zügig vorangebracht werden. - Auf der Grundlage der Taxonomie zur Bestimmung ökologisch nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten können dann weitere Schritte im Sinne der ESG-Faktoren folgen. Der Bundesrat spricht sich insbesondere dafür aus, dass in der weiteren Umsetzung des Aktionsplans auf jeden Fall an den bereits in der Taxonomie enthaltenen sozialen Mindestschutzvorschriften festgehalten wird.
- - Außerdem bittet er die Bundesregierung erneut darum, darauf hinzuwirken, dass der Begriff der "ökologischen Nachhaltigkeit" nach den einzelnen Umweltzielen des Kommissionsvorschlags spezifiziert und mit einer graduellen Unterscheidung definiert wird. Dadurch kann die Transparenz für die Märkte weiter erhöht werden, indem eine sachgerechte Einschätzung über die konkrete Zielrichtung und das Maß der Nachhaltigkeit einer Wirtschaftstätigkeit ermöglicht wird.
- - Der Bundesrat bittet die Bundesregierung erneut auch darum, sicherzustellen, dass alle wesentlichen Entscheidungen vom europäischen Gesetzgeber als Level-1-Maßnahmen getroffen werden und die Regelungstechnik nicht zu einem Ausschluss mitgliedstaatlicher Einflussmöglichkeiten führt. Von der Taxonomie können durchaus auch äußerst sensible Politikbereiche in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten betroffen sein, wie zum Beispiel die Frage des Ausstiegs aus der Nutzung von Atomkraft in der Energiepolitik.
- 20. Der Bundesrat befürwortet ein EU-einheitliches Kennzeichnungssystem ("green label") für nachhaltige Finanzprodukte auf der Grundlage klar definierter Kriterien, damit sowohl professionelle Investoren als auch Kleinanlegerinnen und Kleinanleger bei ihrer Investitionsentscheidung zum Beispiel Informationen zu Umweltauswirkungen und Emissionen eines Produkts besser einschätzen und bewerten können. Dadurch wird mehr Transparenz und Vergleichbarkeit geschaffen und die Gefahr der sogenannten Grünfärberei ("greenwashing") von vermeintlich nachhaltigen Finanzprodukten reduziert.
- 21. Der Bundesrat spricht sich auch weiterhin für Transparenz und Offenlegungspflichten hinsichtlich der Nachhaltigkeitsfaktoren aus, damit Anlegerinnen und Anleger fundierte Entscheidungen auf einer belastbaren Informationsgrundlage mit EU-weiter Vergleichbarkeit treffen können. Er bekräftigt dabei jedoch seine Bitte an die Bundesregierung, bei den von der Kommission geplanten Maßnahmen auf eine verhältnismäßige und proportionale Umsetzung hinzuwirken, damit insbesondere die besonderen Belange von kleinen und mittleren Instituten und anderen Finanzmarktteilnehmenden von Anfang an angemessen berücksichtigt werden.
- 22. Hinsichtlich der Einführung eines "green supporting factor" nimmt der Bundesrat die Antwort der Kommission vom 1. Oktober 2018 zu seiner Stellungnahme vom 27. April 2018 (vergleiche BR-Drucksache 067/18(B) ) zur Kenntnis (vergleiche zu BR-Drucksache 067/18(B) ). Die Kommission teilt darin mit, sie teile die Ansicht des Bundesrates, wonach jegliche Änderung der Eigenkapitalanforderungen zur Berücksichtigung von Klima-, Umwelt- oder Nachhaltigkeitsfaktoren auf messbaren und nachweisbaren Investitionsrisiken beruhen muss. Der Bundesrat unterstreicht erneut, dass bei der Überprüfung angemessener Eigenkapitalanforderungen die bestehende Aufgabe der Regulierung, einen funktionsfähigen Kapitalmarkt aufrechtzuerhalten und Finanzstabilität im Binnenmarkt zu gewährleisten, die allein ausschlaggebende Erwägung bleiben muss. Die Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien darf nicht pauschal zu Eigenkapitalerleichterungen führen, da Nachhaltigkeit nicht mit (wirtschaftlicher) Risikofreiheit gleichzusetzen ist. Eigenkapitalanforderungen müssen sich weiterhin allein am messbaren Risikogehalt orientieren.