Der Bundesrat hat in seiner 821. Sitzung am 7. April 2006 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt den Vorschlag der Kommission zur Novellierung der Abfallrahmenrichtlinie. Bereits in seinem Beschluss vom 7. November 2003 zur damaligen Mitteilung zur Abfallstrategie hat er die Notwendigkeit einer Präzisierung des rechtlichen Rahmens betont (BR-Drucksache 436/03(Beschluss) ). Der Vorschlag kann die Basis für die Fortentwicklung und Konkretisierung des europäischen Abfallrechts, die von den Ländern seit langem gefordert wird, sowie für eine effizientere Nutzung der in Abfällen enthaltenen Ressourcen bilden. Die Einbeziehung der gefährlichen Abfälle und des Altöls in die Abfallrahmenrichtlinie ist ein wichtiger Schritt zur Vereinfachung und Vereinheitlichung des Abfallrechts. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, bei der bevorstehenden Novelle die zentralen abfallrechtlichen Begriffe klar zu bestimmen, um damit Rechtssicherheit, Investitions- und Entsorgungssicherheit sowie mehr Umweltschutz zu erreichen.
- 2. Der Bundesrat stimmt der Zielrichtung des Vorschlags grundsätzlich zu, hält aber eine Reihe von Korrekturen für notwendig, damit die Umweltziele mit gesamtwirtschaftlich vertretbaren Kosten und sozialverträglich erreicht werden können. Der Vorschlag ist insbesondere in den nachfolgend aufgeführten Punkten noch verbesserungsbedürftig. Der Bundesrat verweist insoweit auch auf seinen Beschluss vom 7. November 2003 zur Mitteilung der Kommission (BR-Drucksache 436/03(Beschluss) ). Er bittet die Bundesregierung, sich bei den weiteren Beratungen zur Abfallrahmenrichtlinie insbesondere für folgende Punkte einzusetzen:
- 3. In Artikel 1 der Richtlinie sollte die "energetische Verwertung" den aufgezählten Verwertungsarten ausdrücklich hinzugefügt werden. Damit würde auch die Gleichwertigkeit der stofflichen und energetischen Verwertung bei der Bewirtschaftung von Abfällen unter dem Gesichtspunkt des Ressourcenschutzes durch eine ganzheitliche Bewertung ihres Nutzens zum Ausdruck gebracht werden.
- 4. Vom Anwendungsbereich nach Artikel 2 sollten nicht nur solche Abfallkategorien ausgenommen werden, die bereits unter andere Gemeinschaftsvorschriften fallen. Vielmehr müssen wie bisher auch andere nationale Vorschriften ausreichen, den Anwendungsbereich der Abfallrahmenrichtlinie einzuschränken, solange eine Gemeinschaftsregelung nicht vorliegt.
- 5. Der Abfallbegriff des Artikels 3 sollte auf bewegliche Sachen beschränkt werden. Die durch die EuGH-Entscheidung vom 7. September 2004 (Rechtssache C-1/03 - van de Walle -) erfolgte Ausdehnung des Abfallbegriffs auf unausgehobenes, kontaminiertes Erdreich führt zu erheblichen Rechtsproblemen und widerspricht der ursprünglich intendierten Reichweite des Abfallbegriffs.
Die Herausnahme des verseuchten Bodens aus dem Anwendungsbereich der Abfallrahmenrichtlinie reicht nicht aus, um die Rechtsunsicherheit zu beseitigen, die aufgrund dieses Urteils entstanden ist. Hinzu kommt, dass nach dem Vorschlag der Kommission auch dieser Ausschluss nur gelten soll, sofern der kontaminierte Boden bereits anderem Gemeinschaftsrecht unterfällt.
Der Vorschlag, nicht entfernten, verseuchten Boden in die Ausnahmeregelung unter Artikel 2 Abs. 1 aufzunehmen, ist nicht ausreichend, da nicht absehbar ist, wann für kontaminierte Böden andere Gemeinschaftsvorschriften in Kraft treten werden.
- 6. Bereits im Kontext mit der Abfalldefinition in Artikel 3 ist es notwendig, eine Regelung zur Abgrenzung zwischen Abfall und Nebenprodukt, zu den Voraussetzungen für die Anerkennung von Verwertung, insbesondere energetischer Verwertung, in Abgrenzung zur Beseitigung sowie eine materiellrechtliche Regelung zu Dauer und dem Ende der Abfalleigenschaft einzuführen. Hierbei ist insbesondere klar herauszustellen, dass mit dem Ende der Abfalleigenschaft in Verwertungsprozessen kein Abfallrecht, sondern Stoffrecht gilt. Die hierfür wesentlichen Festlegungen müssen in der Abfallrahmenrichtlinie erfolgen.
- 7. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, dafür einzutreten, dass die Begriffe der Verwertung und der Beseitigung unter Einbeziehung des Hauptzweckkriteriums in der Abfallrahmenrichtlinie selbst konkretisiert werden. Hierbei ist insbesondere auf Ressourceneffizienz und Vollzugstauglichkeit zu achten. Da die Abgrenzung von Verwertung und Beseitigung von entscheidender Bedeutung für die Anwendung des Grundsatzes der Warenverkehrsfreiheit und die Prinzipien der Beseitigungsautarkie und der Nähe ist, sind die bisherigen Vorgaben für die Verwertung in den Artikeln 3 und 5 nicht ausreichend, um Auslegungsproblemen, Abgrenzungsschwierigkeiten und einem Standarddumping entgegenzuwirken. Die Konkretisierung der Begriffe muss zunächst durch die Vorgabe klarer Kriterien in der Richtlinie selbst erfolgen. Die weitere Ausgestaltung kann danach im Komitologieverfahren vorgenommen werden.
- 8. Ergänzend zur Konkretisierung der Begriffe in der Abfallrahmenrichtlinie sollten verstärkt Umweltstandards für die Verwertungsverfahren (beste verfügbare Technik, Getrennthaltungsgebote) und Qualitätsstandards für die gewonnenen Stoffe eingeführt werden.
- 9. In Artikel 5 ist klarzustellen, dass die Verwertungspflicht unter dem Vorbehalt der technischen Machbarkeit und der wirtschaftlichen Zumutbarkeit steht.
Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich den Vorschlag in Anhang II, für die Einstufung als energetische Verwertung eine Effizienzformel zu verwenden. Allerdings können deren Auswirkungen auf die deutschen Hausmüllverbrennungsanlagen noch nicht abgeschätzt werden. Die Effizienzformel bedarf daher im Hinblick auf den Leistungsstandard der vorhandenen Müllverbrennungsanlagen noch einer vertieften Prüfung.
Die in Anhang II vorgenommene Konkretisierung der Verwertungsverfahren, insbesondere die Neubestimmung des Verfahrens R1, bedarf insgesamt noch einer vertieften Prüfung und Diskussion. Dies betrifft sowohl die Rechtsfolgen für den Binnenmarkt sowie den Stand und die Entwicklung der Entsorgungsstrukturen als auch die technischen, wirtschaftlichen und administrativen Aspekte. Dabei kommt der Einbeziehung der Referenzdokumente zu den besten verfügbaren Techniken (BREFs) eine besondere Bedeutung zu.
- 10. Der Bundesrat hält zur widerspruchsfreien Abgrenzung der Verwertung von Abfällen (Artikel 5 i. V. m. Anhang II) und der Beseitigung von Abfällen (Artikel 6 i. V. m. Anhang I) die Klarstellung in Anhang II unter R1 für erforderlich, dass alle Müllverbrennungsanlagen, nicht nur diejenigen für Siedlungsabfälle, im Falle des Nachweises einer angemessenen Energieeffizienz als Abfallverwertungsanlagen gelten können. Diese Klarstellung kann erreicht werden, wenn die Wörter "fester Siedlungsabfälle" durch die Wörter "von Abfällen" ersetzt werden.
- 11. Bei der Neuregelung der Auflagen in Artikel 7 ist darauf zu achten, dass das geltende Recht nicht verschärft wird. So ist ein völliger Ausschluss von Geruchs- und Geräuschbelästigungen realitätsfern und daher abzulehnen. Es ist klarzustellen, dass nur "erhebliche" Belästigungen auszuschließen sind, die zu Gesundheitsgefährdungen oder Umweltschäden führen. Gleiches gilt für Beeinträchtigungen der Landschaft bzw. des hier wohl gemeinten "Landschaftsbildes".
- 12. In Artikel 7 sollte jedoch das Vorsorgeprinzip Niederschlag finden, dem bei der Verwertung und Beseitigung von Abfällen stärker Rechnung getragen werden muss. Daher sollte ausdrücklich klargestellt werden, dass bei der Verwertung und Beseitigung von Abfällen Vorsorge gegen das Entstehen von Gefahren für die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu treffen ist.
- 13. Das mit Artikel 11 verfolgte Anliegen, Sekundärprodukte, -werkstoffe und -stoffe von der Abfalleigenschaft auszunehmen, wird generell unterstützt.
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung deshalb, gegenüber der Kommission darauf hinzuwirken, die Abgrenzung Abfall/Produkt und das Ende der Abfalleigenschaft in der Richtlinie zu konkretisieren und nicht ausschließlich dem Komitologieverfahren zu überlassen (vgl. Artikel 11). Zur Gewährleistung von Rechtssicherheit ist es von grundlegender Bedeutung, dass für die Rechtsprechung, für den nationalen Gesetzgeber und auch für das anschließende Komitologieverfahren in der Richtlinie klargestellt wird, wie Abfall und (Neben-)Produkt abzugrenzen sind und wann die Abfalleigenschaft von Stoffen und Gegenständen endet. Hierfür sind Kriterien (z.B. Qualität, Markt) in der Richtlinie selbst vorzugeben. Letztlich geht es hierbei jedoch nur um die Festlegung des Endes der Abfalleigenschaft, wie in Ziffer 6 gefordert. Hierzu ist ein Kriterienkatalog festzulegen, der die Entscheidung über das Ende der Abfalleigenschaft ermöglicht. Der Artikel 11 ist entsprechend neu zu fassen.
- 14. Die Bezeichnung als "Sekundärprodukte, -werkstoffe und -stoffe" in Artikel 11 sollte unterbleiben, da sie in Teilbereichen (z.B. bei Recyclingpapieren) zur Diskriminierung am Markt führen könnte. In der Bezeichnung muss sich nicht widerspiegeln, dass ein Stoff zuvor einmal Abfall war.
- 15. Die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und Nähe in Artikel 10, die bisher nur für Beseitigungsabfälle gelten, sollten auf gemischte Siedlungsabfälle aus privaten Haushaltungen erweitert werden, da die Verbringung gemischter Siedlungsabfälle nicht zu einer Stimulation hochwertiger Verwertungstechniken in der Gemeinschaft beitragen kann. Damit würde die kommunale Entsorgungsverantwortung als Teil der Daseinsvorsorge deutlich gemacht; ferner würden Vollzugs- und Abgrenzungsprobleme verhindert. Eine vergleichbare Regelung enthält bereits die künftige EG-Abfallverbringungsverordnung.
- 16. In Artikel 18 sollte bestimmt werden, dass Altöle weiterhin getrennt von anderen Abfällen und Materialien zu sammeln sind, um eine optimale Aufbereitung zu gewährleisten. Die getrennte Sammlung betrifft auch die Trennung von Altölkategorien im Hinblick auf eine hochwertige Aufbereitung. Gleichzeitig sollte in der Begriffsbestimmung (Artikel 3) klargestellt werden, dass auch synthetische Altöle erfasst sind.
- 17. Der Bundesrat hält es für erforderlich, dass der Genehmigungsvorbehalt für Unternehmen und Einrichtungen, die Abfälle verwerten oder beseitigen, von der Umweltrelevanz der Tätigkeit abhängig sein sollte. Dabei sollte den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt werden, bestimmte Mengenschwellen für den Genehmigungsvorbehalt einzuführen.
- 18. Die in Artikel 21 eingeräumte Festlegung von genehmigungsrechtlichen Anforderungen durch die Kommission in einem langwierigen Komitologieverfahren nach den Artikeln 5, 7 und 8 des Beschlusses 1999/468/EG ist kritisch zu beurteilen und steht im Widerspruch zu den Zielen der Kommission für eine einfachere und bessere Rechtsetzung. Der Artikel ist daher zu streichen.
- 19. Die in Artikel 26 vorgesehene Ausweitung des Umfangs und Detaillierungsgrads von Abfallwirtschaftsplänen ist mit den Zielen der Deregulierung und Verwaltungsvereinfachung nicht vereinbar und deshalb abzulehnen. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher, dafür einzutreten, dass die Abfallbewirtschaftungspläne nach Artikel 26 nur die für die Steuerung der Abfallströme unabdingbar notwendigen Angaben enthalten müssen und allein diejenigen Abfälle zu berücksichtigen haben, auf die die Mitgliedstaaten planerisch Einfluss nehmen können (Abfälle zur Beseitigung, Siedlungsabfälle aus privaten Haushaltungen). (Auch dies setzt eine zweifelsfreie Abgrenzung im Sinne der Ziffer 7 dieser Stellungnahme voraus.) Wie nach der geltenden Richtlinie sollten sich die Abfallwirtschaftspläne insgesamt lediglich auf Maßnahmen zur Beseitigung von Abfällen beziehen, da auch nur insoweit eine Planung möglich ist. Für die Verwertung von Abfällen gelten die Grundsätze des freien Warenverkehrs.
- 20. Die Vorschläge in den Artikeln 29 bis 31 zu Programmen zur Abfallvermeidung, die weit über die bisherigen Regelungen hinausgehen, sind abzulehnen. Zum einen wären die vorgeschlagenen Programme mit hohen bürokratischen und administrativen Verpflichtungen verbunden, die unter Verhältnismäßigkeitsaspekten nicht zu rechtfertigen sind. Zum anderen widersprechen quantitative Abfallvermeidungsziele und die damit verbundenen steuernden Eingriffe in Angebot und Nachfrage nach Produkten sowie in betriebliche Abläufe und unternehmerische Entscheidungen dem Ansatz der Freiwilligkeit und Selbstverantwortung sowie den Prinzipien der Kooperation, die sich z.B. bei der Integrierten Produktpolitik (IPP) als zielführend erwiesen haben.
- 21. Die Anhänge I und II der Richtlinie bedürfen einer Überarbeitung unter Einbeziehung der betroffenen Wirtschaftskreise und unter Berücksichtigung der Referenzdokumente zu den besten verfügbaren Techniken (BREFs) entsprechend den Ausführungen in der Ziffer 9. Insbesondere ist in Bezug auf den von der Kommission bei der energetischen Verwertung geforderten "hohen Grad an Energieeffizienz" (Artikel 19 Abs. 4) auch der technischen Machbarkeit und der wirtschaftlichen Zumutbarkeit Rechnung zu tragen.
- 22. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung sich dafür einzusetzen, dass zusätzlicher Aufwand (Aufzeichnungen und Berichte) und Anforderungen an Planungen der Mitgliedstaaten im Sinne der Deregulierung und Verwaltungsvereinfachung unterbleiben.
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher, bei den anstehenden Beratungen im Europäischen Rat und gegenüber der Kommission darauf hinzuwirken, dass vor dem Hintergrund der gemeinsamen Deregulierungs- und Entbürokratisierungsbemühungen keine gegenüber der heute gültigen Fassung der Abfallrahmenrichtlinie erweiterten Pflichten zur Aufstellung von Plänen und Abgabe von Berichten oder anderweitigen Verpflichtungen, die höheren Verwaltungsaufwand bzw. Aufwand der Wirtschaft beinhalten, in die Neufassung aufgenommen werden.