Unterrichtung durch die Bundesregierung
Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über ein EU-Konzept zur Verwaltung der Wirtschaftsmigration




1. Einführung

Ziel dieses Grünbuchs ist eine eingehende Diskussion, unter Einbeziehung der EU-Institutionen, der Mitgliedstaaten und der Zivilgeselleschaft, über die geeignetste Form von Gemeinschaftsregeln für die Zulassung von Wirtschaftsmigranten und über den zusätzlichen Nutzen, der sich aus der Festlegung eines solchen gemeinsamen Rahmens ergibt. Auf einer öffentlichen Anhörung in 2005 wird die Kommission allen Beteiligten Gelegenheit zu einer Auseinandersetzung über diesen Fragenkomplex geben.

Dieses Grünbuch betrifft Aufnahmeverfahren von Drittstaatsangehörigen im Bereich der wirtschaftlichen Zuwanderung und betrifft nicht den freien Personenverkehr von EU-Bürgern innerhalb der EU. Die Diskussion zur Vollendung des gemeinschaftlichen Arbeitsmarktes wird in anderem Zusammenhang geführt.

Gemäß Artikel 63 Absatz 3 EG-Vertrag beschließt der Rat "einwanderungspolitische Maßnahmen in folgenden Bereichen: a) Einreise- und Aufenthaltsvoraussetzungen sowie Normen für die Verfahren zur Erteilung von Visa für einen langfristigen Aufenthalt und Aufenthaltstiteln". Seit dem Europäischen Rat in Tampere vom Oktober 1999 betrieb die Kommission bereits eine intensive Diskussion und ein strategisches Projekt zur Wirtschaftsmigration. Im Jahr 2001 billigte die Kommission den Vorschlag für eine Richtlinie "über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer unselbstständigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit" 1. Die europäischen Institutionen gaben positive Stellungnahmen zu dem Entwurf ab, die Beratungen im Rat gingen dagegen nicht über eine erste Lesung hinaus.

Angesichts der Entwicklungen, die sich im Bereich der Einwanderung in den letzten drei Jahren vollzogen haben, müsste dieses Thema nach Ansicht der Kommission jetzt wieder aufgegriffen werden. Auf politischer Ebene betonte der Europäische Rat in Thessaloniki vom 19./20. Juli 2003 "dass es notwendig ist, legale Wege für die Einwanderung von Drittstaatsangehörigen in die Union zu sondieren, wobei der Aufnahmekapazität der Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen ist." Der auf dem Europäischen Rat in Brüssel vom 17./18. Juni 2004 gebilligte Vertrag über eine Verfassung für Europa schreibt in diesem Zusammenhang Folgendes fest: "Die Union entwickelt eine gemeinsame Einwanderungspolitik, die in allen Phasen eine wirksame Steuerung der Migrationsströme gewährleisten soll.

Nachdem die wirtschaftlichen Folgen des Bevölkerungsrückgangs und der Überalterung der Gesellschaft nicht mehr zu übersehen sind, müssten die längerfristig angelegten einwanderungspolitischen Maßnahmen nach Ansicht der Kommission überarbeitet werden. Dies sollte insbesondere im Lichte der Auswirkungen geschehen, die die Wirtschaftsmigrationsstrategie für die Wettbewerbsfähigkeit und damit das Erreichen der Lissabonner Ziele hätte. Dieser Trend in der Gesellschaft hat die Zuwanderungsdebatte in der EU beflügelt, ohne dabei in die Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten, über die ZahI der zuzulassenden Einwanderer zu entscheiden, einzugreifen. In der Tat, selbst wenn die Lissabonner Beschäftigungsziele bis 2010 erreicht werden, wird der demografische Wandel

ein Absinken des Beschäftigungsniveaus nach sich ziehen. Legt man die gegenwärtigen Einwandererzahlen zugrunde, wird aufgrund des Rückgangs der ZahI der Personen im erwerbsfähigen Alter in der EU-25 zwischen 2010 und 2030 die Beschäftigtenzahl um rund 20 Millionen abnehmen. Derartige Entwicklungen werden starke Auswirkungen auf das allgemeine Wirtschaftswachstum, das Funktionieren des Binnenmarktes und die Wettbewerbsfähigkeit von EU-Unternehmen haben.

Vor diesem Hintergrund könnte der Bedarf des EU-Arbeitsmarkts künftig - und in steigendem Maße - nur durch eine kontinuierlichere Einwanderung gedeckt werden, die im Übrigen nicht das Problem der Überalterung Iöst. Eine regelmäßige Einwanderung ist zunehmend auch zur Sicherung des Wohlstands in Europa vonnöten. Darüber hinaus wirkt sich die Immigration immer stärker auf die unternehmerische Tätigkeit aus. Und schließlich muss die EU auch dem Umstand Rechnung tragen, dass bereits heute die wichtigsten Weltregionen um Migranten konkurrieren, die den Bedarf ihrer Volkswirtschaften decken sollen. Dies unterstreicht die Bedeutung einer EU-Politik zur wirtschaftlichen Zuwanderung, die einen sicheren Rechtsstatus liefert und eine Reihe von Rechten garantiert, um die Integration der Zugelassenen zu unterstützen.

Darüber hinaus wird die Notwendigkeit einer europäischen strategischen Initiative dadurch verstärkt, dass mangels einer solchen die Migrationsströme zunehmend die nationalen Regelungen und Gesetze umgehen werden können. Wenn es keine gemeinsamen Regelungen zur Wirtschaftsmigration gibt, wird die Anzahl der Drittstaatsbürger, die illegal und ohne Garantie eines deklarierten Berufs - und damit auch ohne Garantie einer Integrationsperspektive in unsere Gesellschaften - in die EU einreisen, steigen.

In diesem Zusammenhang ist sich die Kommission bewusst, dass Entscheidungen über die Zahl zuzulassender wirtschaftlicher Zuwanderer zum Zwecke der Arbeitsuche eine Angelegenheit der Mitgliedstaaten ist. Im Entwurf des Verfassungsvertrags heißt es: "Dieser Artikel I-267 berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten, festzulegen, wie viele Drittstaatsangehörige aus Drittländern in ihr Hoheitsgebiet einreisen dürfen, um dort als Arbeitnehmer oder Selbtständig e Arbeit zu suchen." Beschließt ein Mitgliedstaat, solche Drittstaatsangehörigen zuzulassen, hat dies allerdings Auswirkungen auf die anderen Mitgliedstaaten (Reisefreiheit im Schengen-Raum, Dienstleistungsfreiheit in anderen Mitgliedstaaten, das Recht, nach Erlangen der Daueraufenthaltsgenehmigung seinen Wohnsitz in andere Mitgliedstaaten zu verlegen, Auswirkungen auf den EU-Arbeitsmarkt); außerdem hat die EU internationale Verpflichtungen gegenüber einigen Gruppen von Wirtschaftsmigranten. Es spricht daher viel für die Vereinbarung transparenter und auf EU-Ebene stärker vereinheitlichter gemeinsamer Regeln und Kriterien für die Zulassung von Wirtschaftsmigranten.

Jedes Tätigwerden in diesem Bereich muss von den geschilderten Umständen ausgehen und sich auf Überlegungen über den zusätzlichen Nutzen von Maßnahmen auf EU-Ebene stützen. Außerdem sollte der Verwaltungsaufwand für die Mitgliedstaaten wie für die Drittstaatsangehörigen durch etwaige angenommene Maßnahmen verringert werden.

Dieses Grünbuch dient folglich weder zur Beschreibung der politischen Maßnahmen in der EU-25 noch zum Vergleich mit Maßnahmen in anderen Gegenden der Welt. Vielmehr soll geklärt werden, welches die Probleme sind und welche Optionen für einen legislativen Rahmen der EU im Bereich der Wirtschaftsmigration bestehen. Die Kommission hat dabei die Vorbehalte und Bedenken berücksichtigt, die die Mitgliedstaaten bei den Beratungen über den Richtlinienvorschlag von 2001 zum Ausdruck gebracht haben, und schlägt alternative Lösungsmöglichkeiten vor.

Schließlich betonte der Europäische Rat vom 4.-5. November 2004 im Haager Programm die Bedeutung der Debatte über das Grünbuch, die - gemeinsam mit best practices in Mitgliedstaaten und deren Relevanz für die Durchführung der Lissabonner Strategie - als

Basis für "einen politischen Plan zur legalen Einwanderung einschließlich Zulassungsverfahren" genommen werden sollte, "der fähig ist, prompt auf den fluktuierenden Bedarf an Wirtschaftsmigranten im Arbeitsmarkt zu reagieren"5 . Die Kommission wird einen solchen Plan vor Ende des Jahres 2005 vorlegen.

2. Entwicklung eines Eu-Konzepts für Arbeitsmigration

Nach Auffassung der Kommission sollten die Diskussionen über eine künftige EU-Politik für Wirtschaftsmigration sich auf einige Schlüsselthemen konzentrieren, die nicht erschöpfend, aber interdependent sind. Die vorgeschlagenen Optionen könnten je nach dem angestrebten Ergebnis in unterschiedlicher Weise kombiniert werden.

2.1. Wieviel Vereinheitlichung sollte die EU anstreben?

Der Zugang von Drittstaatsangehörigen zum Arbeitsmarkt ist ein überaus kompliziertes Thema. Nach Auffassung der Kommission kann daher eine diesbezügliche Gemeinschaftspolitik, die Aussicht auf Erfolg haben soll, nur schrittweise eingeführt werden. Dies würde einen allmählichen, reibungslosen Übergang von innerstaatlichen Regeln zu Gemeinschaftsregeln erleichtern. Die EU-Vorschriften zur Zulassung von Wirtschaftsmigranten wären daher als Vorschriften für eine erste Phase zu konzipieren und sollten einige gemeinsame Definitionen, Kriterien und Verfahren beinhalten, es andererseits aber den Mitgliedstaaten überlassen, die besonderen Erfordernisse ihrer Arbeitsmärkte zu berücksichtigen. So schreibt der Verfassungsvertrag fest, dass die Entscheidung über die Anzahl der von den Mitgliedstaaten zuzulassenden Arbeitsuchenden in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt wird. Ungeachtet dessen könnte ein Koordinierungsverfahren, in dessen Rahmen die nationale Quoten anwendenden Mitgliedstaaten die Kommission über die Durchführung und die Ergebnisse dieser Maßnahmen informieren, bei der Einschätzung des EU-Arbeitsmarktbedarfs insgesamt hilfreich sein und im Interesse der Mitgliedstaaten und der betroffenen Personen zur Ausgestaltung einer gemeinsamen, auf EU-Recht gestützten Migrationspolitik und zu einem besser koordinierten Verfahren beitragen.

Was die Tragweite etwaiger künftiger EU-Rechtsvorschriften anbetrifft, sieht die Kommission mehrere Optionen. Erstens könnte ein horizontales Vorgehen entsprechend dem ursprünglichen Vorschlag beschlossen werden, der auf die Bedingungen der Einreise und des Aufenthalts von Drittstaatsangehörigen abstellt, die mehr als drei Monate im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einer selbstständigen oder unselbstständigen Erwerbstätigkeit nachgehen oder sonstige wirtschaftliche Aktivitäten ausüben. Besondere Bestimmungen könnten mit Blick auf die spezifischen Bedürfnisse bestimmter Gruppen, wie Saisonarbeitnehmer und innerbetrieblich versetzte Arbeitnehmer (ICT), festgelegt werden. So könnte ein globaler, ein hohes Maß an Flexibilität bietender gemeinsamer Rahmen für die Wirtschaftsmigration beschlossen werden.

Entsprechend den Vorschlägen für eine Richtlinie des Rates über die Zulassung von Studenten oder Forschern könnten alternativ dazu eine Reihe von sektorbezogenen Legislativvorschlägen ins Auge gefasst werden. Diese Vorschriften könnten auf Saisonarbeitnehmer, innerbetrieblich versetzte Arbeitnehmer, Migranten mit besonderen Qualifikationen (nicht unbedingt nur hochqualifizierte Migranten), Personen, die vertraglich vereinbarte Dienstleistungen erbringen und/oder andere Gruppen abstellen; die Erarbeitung

eines globalen gemeinsamen Rahmens für die Zulassung von Arbeitnehmern aus Drittstaaten könnte erst einmal zurückgestellt werden. Außerdem wäre die Annahme derartiger gemeinsamer Vorschriften leichter.

Daneben könnten auch andere Vorgehensweisen geprüft werden, beispielsweise die Einführung eines gemeinsamen Eilverfahrens, das die Zulassung von Migranten im Falle eines Mangels an Arbeitskräften oder an Arbeitskräften mit besonderen Fertigkeiten erlaubt und das in Gang gesetzt würde, wenn der Rat dies einer gegebenen Anzahl von Mitgliedstaaten in einem Schnellverfahren gestattet. Damit würde ein unnötiger und potentiell schädlicher Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten um bestimmte Gruppen von Arbeitskräften vermieden.

2.2. Zulassungsverfahren im Falle der unselbstständigen Erwerbstätigkeit

Im Allgemeinen muss vor der Zulassung eines Arbeitnehmers aus einem Drittstaat den Mitgliedstaaten gegenüber nachgewiesen werden, dass die betreffende Stelle nicht mit einer einheimischen Arbeitskraft besetzt werden kann (Prüfung der wirtschaftlichen Notwendigkeit). Einige Mitgliedstaaten praktizieren Sonderregelungen, wie Eilverfahren, "green cards" usw., um besondere Gruppen von Arbeitnehmern - z.B. hoch qualifizierte Personen oder Arbeitskräfte in Wirtschafts- bzw. Berufszweigen, in denen bereits ein Mangel herrscht, zuzulassen. Solche Regelungen könnten auf EU-Ebene geprüft werden. Die EU sollte sich die Erfahrungen anderer Weltregionen zu Nutze machen.

2.2.1 Präferenz für den einheimischen Arbeitsmarkt.

Der Grundsatz der "Gemeinschaftspräferenz" ist wie folgt definiert: "Die Mitgliedstaaten berücksichtigen Anträge auf Einreise in ihr Hoheitsgebiet zur Ausübung einer Beschäftigung nur, wenn die in einem Mitgliedstaat angebotenen Stellen nicht mit Arbeitskräften des eigenen Landes und anderer Mitgliedstaaten oder mit Arbeitskräften aus Nichtmitgliedstaaten, die auf Dauer und legal ihren Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat haben und dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates bereits angehören, besetzt werden können"9. Zahlreiche

Mitgliedstaaten nehmen einige Gruppen von Wirtschaftsmigranten (innerbetrieblich versetzte Führungskräfte, international bekannte Künstler usw.) jedoch von dieser Vorschrift aus.

Die Frage ist vor allem, ob eine solche Präferenz Arbeitskräften aus Drittstaaten, die sich bereits in einem Mitgliedstaat aufhalten, vor neu ankommenden Drittstaatsangehörigen gewährt werden sollte. Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass daueraufenthaltsberechtigte Personen ab 2006 Vorrang vor in dem Wohnsitzmitgliedstaat ankommenden Migranten erhalten und sich zum Zwecke des Studiums, der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder zu anderen Zwecken in einen zweiten Mitgliedstaat begeben können. Sollte diese Präferenz im Übrigen nicht nur auf Daueraufenthaltsberechtigte, sondern auch auf Drittstaatsangehörige ausgedehnt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnhaft sind als dem, in dem ein Arbeitskräftemangel auftritt? Dies würde das Recht des zweiten Mitgliedstaats, über die zuzulassenden Personen selbst zu entscheiden, nicht beschränken, würde aber die Anwerbung erleichtern und dazu beitragen, dass einem Mangel an Arbeitskräften oder Fertigkeiten schneller und wirksamer abgeholfen werden kann. Die EU könnte dann auf einen "festen Bestand" an Arbeitskräften zählen, die bereits begonnen haben, sich zu integrieren. Die Präferenz könnte auch auf diejenigen ausgedehnt werden, die vor der zeitweiligen Rückkehr in ihr Herkunftsland bereits einige Jahre in der EU erwerbstätig gewesen sind. Auf diese Weise könnte ein regelrechtes "brain circulation" in Gang gesetzt werden: Arbeitskräften wird der Versuch zur Reintegration in ihrem Land ermöglicht, sie wissen aber, dass sie, wenn sie später erneut in der EU erwerbstätig sein wollen, unter günstigere Bedingungen für eine Wiederzulassung fallen.

2.2.2 Zulassungssysteme.

Wird die Zulassung von einem spezifischen Stellenangebot (Prüfung der wirtschaftlichen Notwendigkeit) abhängig gemacht und geht man von einem horizontalen EU-Ansatz für die Wirtschaftsmigration aus, könnte zum Beispiel das Verfahren der "Einzelfallbewertung" angewandt werden: Danach dürften Arbeitgeber einen Arbeitnehmer aus einem Drittland einstellen, wenn sie die freie Stelle während einer Mindestzeit ausgeschrieben haben und darauf keine annehmbare Bewerbung von einem Arbeitsuchenden des EU-Arbeitsmarkts eingegangen ist. Bei diesem System, das zur EU-weiten Verbreitung von Informationen über freie Stellen von einem Instrument wie EURES abhängt, ließen sich die Einstellungen bis zu einem gewissen Grad überwachen und der Missbrauch begrenzen. Zu klären wäre ferner, ob diese Prüfung bei Ablauf eines Kurzzeitvertrags, den der Arbeitgeber verlängern würde, wiederholt werden sollte.

Verschiedene Alternativen bieten gegebenenfalls mehr Flexibilität: So könnte ein Mitgliedstaat ab einem bestimmten Jahreseinkommen und/oder Qualifikationsniveau auf die Prüfung der wirtschaftlichen Notwendigkeit und/oder auf den Nachweis eines Arbeitskräftemangels für bestimmte, von ihm festzulegende Sektoren oder Regionen verzichten ("green cards"). Dieses Vorgehen könnte auch mit Blick auf eine Quotierung von Arbeitskräften geeignet sein; so könnten die Mitgliedstaaten ihre internationalen Verpflichtungen gegenüber Drittstaaten einhalten.

Vor allem auf lange Sicht könnte zur Deckung des Bedarfs an bestimmten Qualifikationen ein EU-Auswahlsystem angewandt werden. Auf EU-Ebene könnte ein gemeinsamer Rahmen entwickelt werden (z.B. Arbeitserfahrung, Bildung, Sprachkenntnisse, Vorliegen eines Stellenangebots, Arbeitskräftemangel, Familienangehörige im Mitgliedstaat); jeder Mitgliedstaat könnte darüber entscheiden, ob er den Rahmen anwendet und ihn gegebenenfalls an die Erfordernisse seines Arbeitsmarktes anpasst. Denkbar wären aber auch verschiedene Systeme, z.B. eines für gering Qualifizierte (das Hauptkriterium könnte hier die Dauer der Tätigkeit in einem bestimmten Sektor sein) und eins für Arbeitskräfte mit mittlerer bis hoher Qualifikation (wichtigstes Kriterium: Bildung, an zweiter Stelle: Erfahrung), zwischen denen die Mitgliedstaaten wählen könnten. Dieses System könnte parallel zur "Einzelfallbewertung" und zu den "green cards" bestehen. Schließlich stünde es den Mitgliedstaaten frei, für bestimmte Qualifikationen, Sektoren usw. "Genehmigungen für Arbeitsuchende" einzuführen.

Vor diesem Hintergrund wäre ein beispielsweise auf die Dienstleistungen von EURES gestütztes "Clearinghouse"-System denkbar, das dem Arbeitgeber, der eine Arbeitskraft aus einem Drittland benötigt, EU-weit die Einsicht in die Lebensläufe aller Bewerber ermöglicht. Findet sich ein geeigneter Bewerber aus einem Drittstaat, kann er über die Webseite des Mitgliedstaats prüfen, ob er den Kriterien entspricht, und die Verfahren zur Erlangung der Genehmigungen einleiten.

2.3. Zulassungsverfahren im Falle der selbstständigen Erwerbstätigkeit

Auf EU-Ebene könnten auch einheitliche Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen zum Zwecke der selbstständigen Erwerbstätigkeit eingeführt werden. Diese Bedingungen würden sich von denen in Abschnitt 2.2 beispielsweise wie folgt unterscheiden: Ein Drittstaatsangehöriger könnte aufgefordert werden, einen detaillierten und finanziell machbaren Geschäftsplan sowie einen Nachweis über seine finanziellen Mittel vorzulegen und den Nutzen der vorgesehenen Tätigkeiten für die Beschäftigungslage oder die Wirtschaftsentwicklung des betreffenden Mitgliedstaats nachzuweisen. Verschiedene Flexibilitätsstufen könnten eingeführt werden, sodass die Mitgliedstaaten bestimmte Sektoren ausschließen oder fördern könnten usw.

2.4. Anträge auf Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung(en)

Ein einziges einzelstaatliches Antragsverfahren zur Erteilung einer kombinierten Aufenthalts - und Arbeitsgenehmigung ("one stopshop procedure") könnte die geltenden Verfahren vereinfachen. Ist zur Einreise ein Visum erforderlich, könnten die Mitgliedstaaten weiterhin das Visum zur Ersteinreise verlangen oder den von ihren Konsulaten ausgestellten kombinierten Titel als ausreichend anerkennen.

Der Titel stünde weder den internen Gepflogenheiten der nationalen Verwaltungen noch den Zulassungsbedingungen entgegen. In den meisten Mitgliedstaaten benötigen Drittstaatsangehörige eine Arbeitsgenehmigung, bevor ihr Antrag auf einen Aufenthaltstitel geprüft werden kann: Es könnte folglich der - von der Kommission nicht beabsichtigte - Eindruck entstehen, dass ein Aufenthaltstitel, der aufgrund anderer Kriterien als derjenigen für eine Arbeitsgenehmigung erteilt wird, bei dem kombinierten Verfahren praktisch automatisch gewährt würde.

Die Alternative bestünde darin, diesen Sachverhalt nicht auf EU-Ebene zu regeln. Einen Kompromiss könnte folgendes Verfahren darstellen: Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung werden gleichzeitig beantragt, jedoch werden zwei getrennte Genehmigungen gemäß den innerstaatlichen Vorschriften erteilt.

2.5. Möglichkeit des Wechsels des Arbeitgebers/Sektors

Die Möglichkeit, während des ersten Arbeitsaufenthalts in der EU den Arbeitgeber und/oder Sektor zu wechseln, hängt eng damit zusammen, wer der Inhaber der Genehmigung ist und unter welchen Bedingungen der Arbeitnehmer zugelassen wurde (Abschnitt 2.2). Wurde ein Drittstaatsangehöriger im Rahmen einer bestimmten Regelung zugelassen, so könnte seine Mobilität vorübergehend begrenzt werden, um den Missbrauch der Aufnahmebedingungen zu vermeiden. Dagegen wäre es für die Wirtschaft des Aufnahmelandes nicht problematisch, wenn der Arbeitnehmer außerhalb solcher Regelungen zugelassen worden ist und er ein interessanteres Stellenangebot erhält (gegebenenfalls vorbehaltlich der Prüfung der wirtschaftlichen Notwendigkeit). Was die Erlaubnis betrifft, so könnte, wenn der Erlaubnisinhaber der Arbeitgeber ist, der Arbeitnehmer dem Risiko ausgesetzt sein, übermäßig vom zukünftigen EU Arbeitgeber kontrolliert und sogar "besessen" zu werden.

2.6. Rechte

Die Rechtsstellung der Arbeitsmigranten muss gesichert sein, unabhängig davon, ob sie in ihr Herkunftsland zurückkehren wollen oder einen dauerhafteren Status anstreben. Bevor Arbeitnehmern aus Drittländern der Status als Daueraufenthaltsberechtigte zuerkannt wird, sollten sie insbesondere in Bezug auf einige grundlegende wirtschaftliche und soziale Rechte EU-Bürgern rechtlich gleichgestellt werden. Der Status als Daueraufenthaltsberechtigte impliziert, gemäß dem Grundsatz der Abstufung der Rechte je nach Aufenthaltsdauer, mehr Rechte.

2.7. Flankierende Maßnahmen: Integration, Rückkehr und Zusammenarbeit mit Drittländern

Wie die Kommission in mehreren Mitteilungen13 und in den Ratsschlussfolgerungen zur Migration und Entwicklung vom 19. Mai 2003 herausgestellt hat, kann die Politik der EU zur Wirtschaftsmigration nur dann Erfolg haben, wenn die Migrationsströme in Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern gesteuert und die Gegebenheiten und Bedürfnisse dieser Länder in Betracht gezogen werden. Die Maßnahmen müssen durch engagierte Integrationsbemühungen ergänzt werden.

Im Zuge der Zusammenarbeit mit Drittstaaten zur Erleichterung der legalen, sozialen und wirtschaftlichen Integration potenzieller Migranten sind folglich mehrere Fragen zu behandeln, beispielsweise der "brain drain", der Umstand, dass die Herkunftsländer in die Ausbildung von Personen investieren, die dann die Heimatwirtschaft und Gesellschaft verlassen, und die Schwierigkeit von Migranten, soziale und kulturelle Bindungen aufrecht zu erhalten. Der Umgang mit diesen Themen bedarf einer sorgfältigen Reflexion. Überlegungen müssen ferner darüber angestellt werden, wie die Rückkehr von Personen mit befristetem Arbeitsvertrag bei Vertragsende erleichtert und was zu ihrer gesellschaftlichen Wiedereingliederung im Herkunftsland unternommen werden kann. Allen Beteiligten könnten beispielsweise folgende Maßnahmen dienen und/oder möglicherweise eintretende negative Auswirkungen kompensieren: Bereitstellung aktueller Informationen über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt in der EU; in den Herkunftsländern Einrichtung von Einstellungs- und Ausbildungszentren, in denen die auf EU-Ebene benötigten Fertigkeiten vermittelt sowie Kultur- und Sprachkurse angeboten werden; Aufbau von Datenbanken nach Qualifikationen, Berufen, Tätigkeitsbereichen potenzieller Migranten (Kompetenz-Portfolio);

Erleichterung der Überweisung von Einkünften; Erstattung der Ausbildungskosten von Migranten, die in die EU abwandern, an die Drittländer. Zu prüfen wäre auch, ob bestimmten Drittländern Vorzugsbedingungen für die Zulassung ihrer Bürger im Rahmen von Abkommen zur verstärkten Zusammenarbeit gewährt werden könnten.

Schließlich muss die EU - wie im Ersten Jahresbericht über Migration und Integration betont wird - ihre Anstrengungen zur Förderung der Integration der heutigen und der künftigen Migranten in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft des Wohnsitzstaates allgemein fortsetzen. Alle Mitgliedstaaten messen mittlerweile Einführungsprogrammen für neue Einwanderer - hauptsächlich Sprachkurse, staatsbürgerliche Schulungen und Informationen über die grundlegenden Normen und Werte des Aufnahmelandes - mehr Bedeutung bei.

3. Schlussfolgerung

Nach Auffassung der Kommission ist die Zulassung von Wirtschaftsmigranten der Eckpfeiler einer jeglichen Einwanderungspolitik. Sie müsste deshalb auf EU-Ebene mit Blick auf die schrittweise Entwicklung einer schlüssigen Einwanderungspolitik der Gemeinschaft angegangen werden. Im vorliegenden Grünbuch versucht die Kommission, die wichtigsten Fragen zu umreißen, und schlägt eine Reihe von Optionen vor, die in einen gemeinsamen EU-Rahmen eingehen könnten. Dieses System sollte transparent, unbürokratisch und gänzlich praktikabel sein. Es sollte den Interessen aller Beteiligten - Migranten, Herkunftsländer und Aufnahmeländer - dienen. Eine Intensivierung der Politik zur Anwerbung von Wirtschaftsmigranten und zur Erleichterung ihrer Aufnahme verlangt, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten sehr aufmerksam beobachten, ob starke Abwanderungsströme negative Folgen für das Herkunftsland haben.

Mit dem Grünbuch sollen in erster Linie Stellungnahmen eingeholt und eine breite Debatte unter allen Beteiligten eingeleitet werden. Die Kommission bittet um Beiträge vom Rat, vom Europäischen Parlament, vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, vom Ausschuss der Regionen, von nationalen, regionalen und kommunalen Behörden, den Sozialpartnern (einschließlich Arbeitgeber- und Arbeitnehmervereinigungen), Nichtregierungsorganisationen, den Kandidatenländern, Drittlandspartnern, der Wissenschaft und sonstigen Organisationen der Zivilgesellschaft sowie von Einzelpersonen. Nach Abschluss dieses umfassenden Konsultationsprozesses wird die Kommission bis Ende 2005, wie im Haager Programm vorgesehen, einen politischen Plan zur legalen Einwanderung, einschließlich Zulassungsverfahren, vorlegen.

Die Kommission sieht für 2005 eine öffentliche Anhörung über Wirtschaftsmigration vor. Mit Blick auf deren Vorbereitung ersucht sie alle interessierten Parteien, ihre Beiträge (schriftlich) bis spätestens 15. ApriI 2005 an folgende Stelle zu senden:

Der Generaldirektor
Generaldirektion Justiz, Freiheit und Sicherheit
Europäische Kommission
B-1049 Brüssel
jlseconomicmigration@cec.eu.int

Anhang

Bibliography

A. Legislative instruments and proposals:

B. Commission Communications:

C. Studies: