Unterrichtung durch die Bundesregierung
Stellungnahme der Bundesregierung zu der Entschließung des Bundesrates zum Zweiten Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften

Bundesministerium für Gesundheit Berlin, 5. Februar 2015

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Volker Bouffier

Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident,
mit der oben genannten Entschließung vom 21. September 2012 bittet der Bundesrat die Bundesregierung, 24 Monate nach Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften, über die Erfahrungen mit der Preisbildung und Erstattung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen zu berichten (Drucksache 487/12(B) HTML PDF ).

Anbei übersende ich Ihnen den erbetenen Bericht der Bundesregierung.

Mit freundlichen Grüßen
Annette Widmann-Mauz
Siehe Drucksache 487/12(B) HTML PDF

Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit der Preisbildung und Erstattung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen 24 Monate nach Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften

I. Berichtsauftrag

Mit seiner Entschließung vom 21. September 2012 bittet der Bundesrat die Bundesregierung, 24 Monate nach Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften, über die Erfahrungen mit der Preisbildung und Erstattung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen zu berichten (Drucksache 487/12 (PDF) ).

II. Stand der Umsetzung und bisherige Erfahrungen

Der Bundesrat hatte die Bundesregierung bereits in seiner 874. Sitzung am 24. September 2010 mit seiner Stellungnahme zum Entwurf des AMNOG aufgefordert, 24 Monate nach Inkrafttreten des AMNOG über die Erfahrungen mit der Preisbildung und Erstattung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen zu berichten (Drucksache 484/10 ). Auf den entsprechenden Bericht der Bundesregierung wird verwiesen (Drucksache 598/13 (PDF) ).

Seit Inkrafttreten des AMNOG wurden insgesamt 108 erstattungsfähige Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen oder neuen Wirkstoffkombinationen erstmals in den deutschen Markt gebracht, bei denen die Voraussetzungen für eine Nutzenbewertung nach § 35a SGB V grundsätzlich erfüllt waren. Bei sechs dieser Arzneimittel wurde der pharmazeutische Unternehmer von der Pflicht zur Vorlage eines Dossiers für die Nutzenbewertung auf Antrag gemäß § 35a Absatz 1a SGB V freigestellt, weil zu erwarten war, dass den gesetzlichen Krankenkassen nur geringfügige Ausgaben für das Arzneimittel entstehen würden (hier und im Folgenden: Stand 15. November 2014).

Für 78 dieser Arzneimittel hat der Gemeinsame Bundesausschuss den Zusatznutzen bewertet. Zusätzlich hat er den Zusatznutzen von fünf weiteren Arzneimitteln bewertet, die bereits vor dem 1. Januar 2011 in Verkehr waren (sogenannte Bestandsmarktarzneimittel). Für 47 Arzneimittel (57 Prozent) hat der Gemeinsame Bundesausschuss einen Zusatznutzen für mindestens eine Patientengruppe festgestellt. Der Zusatznutzen reichte von gering (27 Prozent) bis beträchtlich (22 Prozent), bei 7 Arzneimitteln (8 Prozent) war der Zusatznutzen nicht quantifizierbar. Von den insgesamt 36 Arzneimitteln (43 Prozent), für die der Gemeinsame Bundesausschuss keinen Zusatznutzen feststellen konnte, wurden vier in eine Festbetragsgruppe eingeordnet. Bei einem dieser Arzneimittel hat sich der pharmazeutische Unternehmer ein halbes Jahr nach dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses entschieden, das Arzneimittel nicht mehr auf dem deutschen Markt anzubieten.

In der Rahmenvereinbarung nach § 130b Absatz 9 SGB V haben der GKV-Spitzenverband und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmer auf Bundesebene vereinbart, dass der pharmazeutische Unternehmer das Verhandlungsverfahren nicht aufnehmen oder abbrechen kann, wenn er dem GKV-Spitzenverband dies innerhalb einer Frist von vier Wochen nach Veröffentlichung des Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses über den Zusatznutzen mitteilt und erklärt, das Arzneimittel aus dem Verkehr zu nehmen; in diesem Fall wird kein Erstattungsbetrag vereinbart oder von der Schiedsstelle festgesetzt (sogenanntes "Optout"). Diese Möglichkeit wurde bislang in sechs Fällen von pharmazeutischen Unternehmern genutzt. Darunter waren ausschließlich Arzneimittel, für die der Gemeinsame Bundesausschuss keinen Zusatznutzen gegenüber der jeweiligen (nach wie vor im Markt verfügbaren) Standardtherapie festgestellt hat.

Mit Stand zum 15. November 2014 bestehen für insgesamt 61 neue Wirkstoffe oder neue Wirkstoffkombinationen Erstattungsbeträge nach § 130b Absatz 1 und 3 SGB V. In 87 Prozent der Fälle (53 Arzneimittel) wurden die Erstattungsbeträge zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem jeweiligen pharmazeutischen Unternehmer einvernehmlich vereinbart. In acht Fällen (13 Prozent) wurde der von der Schiedsstelle nach § 130b Absatz 5 SGB V Erstattungsbetrag festgesetzt. In allen diesen acht Fällen hat der Gemeinsame Bundesausschuss für das jeweilige Arzneimittel keinen Zusatznutzen festgestellt. Für 13 weitere Wirkstoffe, für die der Gemeinsame Bundesausschuss ebenfalls keinen Zusatznutzen festgestellt hat, gelang es den Vertragsparteien einen Vertragsabschluss über einen Erstattungsbetrag zu erzielen. Für 13 Arzneimittel mit abgeschlossener Nutzenbewertung steht der Abschluss der Vereinbarung bzw. der Schiedsspruch noch aus.

Nach Abschluss des Verfahrens haben sich in sechs Fällen die pharmazeutischen Unternehmer entschlossen, ihr Arzneimittel nicht mehr auf dem deutschen Markt zu vertreiben. In diesen Fällen ist der pharmazeutische Unternehmer jedoch verpflichtet, den Erstattungsbetrag für einen Übergangszeitraum, in dem sich bereits im Markt befindliche Packungen abgegeben werden können, zu melden.

III. Bewertung

Ob ein pharmazeutischer Unternehmer ein Arzneimittel in Deutschland anbietet, ist eine unternehmerische Entscheidung, die wie jedes unternehmerische Handeln von vielen verschiedenen Faktoren auf strategischer, operativer oder finanzieller Ebene beeinflusst wird. Dabei kann beispielsweise ein unerwartet niedriger Marktanteil eines neuen Arzneimittels im ersten Jahr, der nicht den Erwartungen entsprochen hat und der auch unabhängig vom Preis den zukünftigen ökonomischen Erfolg des Produktes infrage stellt, ebenso eine Rolle spielen wie antizipierte Auswirkungen auf Erstattungsentscheidungen in anderen Staaten oder Entscheidungen der Zulassungsbehörde über Veränderungen des Anwendungsgebietes oder Warnhinweise aufgrund von Sicherheitserwägungen. Ob und welche Faktoren in den konkreten Fällen tatsächlich handlungsleitend waren, ist der Bundesregierung nicht bekannt.

Maßgeblich für die Beurteilung der jeweiligen Entscheidungen ist deren Auswirkung auf die Versorgungssituation der Patientinnen und Patienten in Deutschland. Bisher wurden ausschließlich Arzneimittel vom Markt genommen, für die der Gemeinsame Bundesausschuss keinen Zusatznutzen festgestellt hat und für die entsprechende Therapiealternativen zur Verfügung stehen. In einigen Therapiegebieten handelt es sich sogar um eine breite Palette von Therapiealternativen, mit welchen die Versorgung der Patientinnen und Patienten weiterhin qualitativ hochwertig sichergestellt wird. Die Bundesregierung wird die Versorgungssituation weiterhin aufmerksam beobachten.

Durch die mit dem AMNOG eingeführten Regelungen wurden in den Jahren 2012 und 2013 zusammengenommen rund 180 Millionen Euro Einsparungen für die gesetzliche Krankenversicherung erzielt, für das Jahr 2014 werden es voraussichtlich rund 450 Millionen Euro (Schätzung GKV-Spitzenverband) sein. Der Bundesregierung liegen keine aussagekräftigen Daten zur Preisentwicklung von Arzneimitteln in anderen Ländern, die auf den deutschen Arzneimittelpreis referenzieren, vor. Insofern sind keine Rückschlüsse zur Auswirkung der Erstattungsbeträge nach § 130b SGB V bzw. ihrer Offenlegung auf die Preisbildung in anderen Ländern möglich und es können auch keine Rückschlüsse gezogen werden, ob es gar zu einer "Preiserosion" gekommen ist oder ob daraus finanzielle Belastungen der pharmazeutischen Industrie im Ausland resultieren.

Im Rahmen des im September 2014 begonnenen Pharmadialogs der Bundesregierung sollen die Rahmenbedingungen für die Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln, Aspekte der Wertschöpfung und Zukunftstrends der Branche sowie regulatorische Rahmenbedingungen erörtert werden. Dabei wird Gelegenheit bestehen, auch Aspekte der Nutzenbewertung und der Preisbildung sowie mögliche Auswirkungen auf die Versorgung zu diskutieren.