Antrag der Länder Rheinland-Pfalz, Bremen
Entschließung des Bundesrates gegen die Verdrängung oder Ersetzung von Stammbelegschaften durch die Beschäftigung von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern

Der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz Mainz, den 4. Februar 2010

An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Bürgermeister Jens Böhrnsen
Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen

Sehr geehrter Herr Präsident,

die Landesregierungen von Rheinland-Pfalz und Bremen haben beschlossen, beim Bundesrat den in der Anlage mit Begründung beigefügten Antrag für eine


einzubringen.
Ich bitte Sie, den Entschließungsantrag gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 866. Sitzung des Bundesrates am 12. Februar 2010 zu setzen.


Mit freundlichen Grüßen
Kurt Beck

Entschließung des Bundesrates gegen die Verdrängung oder Ersetzung von Stammbelegschaften durch die Beschäftigung von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern

Der Bundesrat möge beschließen:

Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, Alles zu unternehmen, die beim "Fall Schlecker" deutlich gewordenen Gesetzeslücken im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zu schließen und einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die Verdrängung und Ersetzung von Stammbelegschaften durch die Beschäftigung von deutlich schlechter bezahlten Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern unterbunden wird.

Der Gesetzentwurf soll sicherstellen, dass

Begründung

Die Leiharbeit ist seit 1972 im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geregelt. Grundlegend verändert wurde das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz mit dem ersten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt im Jahr 2003. Ziel der Reform war es, Leiharbeit stärker als bisher als Instrument für die Reintegration Arbeitsloser in den regulären Arbeitsmarkt zu nutzen. Dazu wurden einerseits die Bedingungen der Leiharbeit flexibilisiert, zum Beispiel die Streichung der Höchstüberlassungsdauer, andererseits wurde der Grundsatz Gleiche Arbeit - Gleicher Lohn (equal pay) erstmals festgeschrieben. Damit galt grundsätzlich seit 2003 der Gleichbehandlungsgrundsatz zwischen Leiharbeitnehmern und Stammbelegschaft. Eine Ausnahme von dem Grundsatz wurde zugelassen, wenn tarifvertragliche Regelungen galten.

Leiharbeit wurde durch dieses Gesetz erstmalig tariflich geregelt und sollte sich zu einer normalen Tarifbranche entwickeln. Anders als vom Gesetzgeber beabsichtigt, wurde diese Regelung aber missbraucht, um über Tarifverträge Niedriglöhne zu ermöglichen.

Nachdem die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) sehr frühzeitig einen Tarifvertrag auf niedrigem Niveau abgeschlossen hatte, schloss die Tarifgemeinschaft des DGB mit zwei der drei großen Zeitarbeitsverbände jeweils einen Tarifvertrag auf höherem Niveau ab. Der vom DGB ebenfalls abgeschlossene Mindestlohn-Tarifvertrag konnte aufgrund fehlender Allgemeinverbindlicherklärung allerdings nicht in Kraft treten. Alle tariflichen Einstiegslöhne in der Leiharbeit liegen jedoch im Niedriglohnbereich. Durch die Lohndumping-Konkurrenz steht der Gleichbehandlungsgrundsatz heute nur noch auf dem Papier. Jeder achte Leiharbeitnehmer ist trotz Vollzeittätigkeit auf ergänzende staatliche Unterstützung angewiesen.

Zunehmend gehen Unternehmen dazu über, Stammbelegschaften durch Leiharbeitnehmer zu ersetzen. Das führt zu gespaltenen Belegschaften.

So setzt zur Zeit die Firma "Schlecker" eine weitreichende Umstrukturierung ihres Filialsystems um. Kleinere Märkte sollen zugunsten so genannter XL-Filialen, die von einer eigens gegründeten Gesellschaft betrieben werden, aufgegeben werden. "Schlecker" muss sich öffentlich damit auseinandersetzen, dass die Umstrukturierung nach Angaben der Gewerkschaft ver.di und Medienberichten dazu benutzt wird, die Arbeitsbedingungen der "Schlecker"-Beschäftigten drastisch zu verschlechtern. Über die Konstruktion des XL-Konzepts werde eine offene Lohnabsenkung herbeigeführt.

Ein zentraler Baustein dieses Modells sei der Weg über Leiharbeit. "Schlecker" habe im vergangenen Jahr rund 1.000 kleinere Filialen geschlossen. Gekündigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sei über eine Zeitarbeitsfirma eine Beschäftigung in den neuen XL-Läden angeboten worden. Für die XL-Märkte habe, nach Angaben von ver.di, die Zeitarbeitsfirma "Meniar" mit Sitz in Zwickau etwa 4.300 Beschäftigte an Schlecker vermittelt. Der "Schlecker"-Partner "Meniar" Personalservice GmbH sei formal eigenständig. In der Praxis sei sie jedoch eng mit "Schlecker" verbunden und es spreche einiges dafür, dass sie konzernintern gegründet wurde, um Tarifverträge zu unterlaufen.

Die Konditionen, zu denen die XL-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter bei "Schlecker" eingestellt werden, seien deutlich schlechter als die von Angestellten der bisherigen Märkte. Die neuen "Schlecker"-XL-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter erhielten nur rund die Hälfte des Brutto-Gehalts der langjährigen "AS-Schlecker"-Beschäftigten, statt 12,67 Euro nur noch ab 6,61 Euro, Weihnachts- und Urlaubsgeld sei gestrichen worden und statt 30 hätten die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur noch 24 bezahlte Urlaubstage.

Die Vorgänge bei "Schlecker" zeigen, dass das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz in der derzeitigen Form zu einer drastischen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten durch die Unternehmen genutzt werden kann. Auch der nordrheinwestfälische Arbeitsminister Karl Josef Laumann kritisiert das Unternehmen.

Die Bundesagentur für Arbeit hat gegenüber den Medien im Hinblick auf das Verhalten des "Schlecker"-Konzerns zutreffend darauf hingewiesen, dass das Arbeitnehmer-Überlassungsgesetz so etwas nicht verbiete. Hier seien politische Entscheidungen nötig. Ein anderer Ansatzpunkt sei die Tariffähigkeit der christlichen Gewerkschaft, die mit der Zeitarbeitsfirma bisher den Tarifvertrag geschlossen habe. Solange nicht endgültig festgestellt sei, dass diese nicht tariffähig sei, habe man keine Handhabe, die Genehmigung zur Zeitarbeit zu entziehen.

Bundesarbeitsministerin Dr. Ursula von der Leyen hat im Fall Schlecker öffentlich zugesagt: "...da gucken wir sehr genau hin, ob da Missbrauch betrieben wird oder ob Gesetze umgangen werden, und wenn das der Fall ist, werden wir diese Schlupflöcher schließen." Gegebenenfalls werde die Regierung gesetzlich nachsteuern. Anlässlich der Befassung des Elften Berichts der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes im Bundeskabinett informierte sie am 12. Januar 2010 die Öffentlichkeit, dass Fachleute in ihrem Ministerium beauftragt worden seien, in den kommenden Wochen sehr genau die aktuellen Entwicklungen in der Branche unter die Lupe zu nehmen. Wenn sich dabei zeige, dass es Missbrauch gibt, Recht verletzt oder Gesetze umgangen werden, müsse nachgesteuert werden und notfalls bessere Regeln für die Zeitarbeit aufgestellt werden, um die Lücken zu schließen. In ihrer Rede zum Haushaltsgesetz 2010 vor dem Deutschen Bundestag am 21. Januar 2010 erklärte die Bundesarbeitsministerin, dass Zeitarbeit nicht zur dauernden Billigkonkurrenz für die eigene Belegschaft werden darf: "Wenn die Zeitarbeit, die ich - wenn es den richtigen Schutzrahmen gibt -für grundsätzlich richtig halte, von einzelnen Unternehmen zum Schaden der Beschäftigten missbraucht wird, dann müssen und werden wir die Gesetze ändern.

Denn das ist nicht im Sinne des Gesetzgebers gewesen."

Eine weitere Verdrängung oder Ersetzung von Stammbelegschaften durch die Beschäftigung von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern ist den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht zuzumuten. Eine schnelle Umsetzung möglicher Maßnahmen darf nicht mit dem Hinweis auf eine angeblich erforderliche Überprüfung um Monate verzögert werden. Es muss umgehend eindeutige Rechtsklarheit durch eine Gesetzesänderung im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geschaffen werden.

Die eingeforderte Gesetzesinitiative ermöglicht es, die angesprochenen negativen Auswüchse der Leiharbeit zu begrenzen und ihre wirtschaftlich positiven Wirkungen zu erhalten.