Antrag der Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz
Entschließung des Bundesrates zur Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte des Bundesrates in der Gesetzgebung

Staatssekretär und Stuttgart, den 23. März 2012
Chef der Staatskanzlei des Landes Baden-Württemberg

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Horst Seehofer

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung Baden-Württembergs hat beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung zur Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte des Bundesrates in der Gesetzgebung zuzuleiten.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der Sitzung des Bundesrates am 30. März 2012 aufzunehmen und sie anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus-Peter Murawski

Entschließung des Bundesrates zur Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte des Bundesrates in der Gesetzgebung

Der Bundesrat möge beschließen:

Das Grundgesetz sieht in Artikel 76 Abs. 2 das Recht des Bundesrates vor, innerhalb festgelegter Beratungsfristen zu Gesetzentwürfen, die von der Bundesregierung vorgelegt werden, Stellung zu nehmen, bevor diese Gesetzentwürfe dem Deutschen Bundestag zugeleitet werden. Dies ermöglicht den Ländern, sich eine umfassende fachliche und politische Meinung zu den Gesetzesinitiativen des Bundes zu bilden, und ist damit ein wesentlicher und unverzichtbarer Bestandteil der Teilhabe- und Gestaltungsmöglichkeiten für die Länder in der Bundespolitik sowie der föderalen Grundordnung in Deutschland.

Gestaltungen im Gesetzgebungsverfahren, bei denen die Möglichkeit der Stellungnahme des Bundesrates zu Gesetzentwürfen im Ersten Durchgang entfällt, beeinträchtigen die Länder in der Wahrnehmung dieser Aufgaben. Wenn der Bundesrat sich bei Gesetzesvorhaben, die ihren originären Ursprung in der Bundesregierung haben, erst nach dem Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages in einem einzigen Durchgang mit dem Gesetz befassen kann, verkürzt dies die Teilhabe- und Gestaltungsmöglichkeiten der Länder an der Bundesgesetzgebung.

Häufige Abweichungen von der Regelung in Artikel 76 Abs. 2 Grundgesetz, die zumeist mit der Dringlichkeit des Vorhabens begründet werden, erscheinen verfassungsrechtlich und -politisch bedenklich und auch sachlich oftmals nicht geboten. Die Länder haben in der Vergangenheit durch die Zustimmung zur fristverkürzten Behandlung von Gesetzesinitiativen im Bundesrat eine rechtzeitige Verabschiedung zahlreicher eiliger Gesetze ermöglicht.

Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, künftig derartige Gestaltungen soweit möglich zu vermeiden und eine ordnungsgemäße Behandlung ihrer Gesetzesvorlagen in dem vom Grundgesetz vorgesehenen und in der Staatspraxis bewährten Verfahren sicherzustellen.

Begründung:

Für die Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) hat die Bundesregierung am 29. Februar 2012 eine "Formulierungshilfe" beschlossen, die von den Regierungsfraktionen "aus der Mitte des Bundestages" eingebracht wurde. Ein Beispiel aus jüngster Zeit ist auch das Zweite Finanzmarktstabilisierungsgesetz, bei dem der Bundesrat sich in seiner Sitzung am 10. Februar 2012 abschließend mit dem Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages zu befassen hatte, ohne vorher Gelegenheit zu einer Stellungnahme gehabt zu haben. Der Bundesratspräsident hat dies bereits in der Sitzung gerügt.

Der Praxis der Verabschiedung von "Formulierungshilfen" durch die Bundesregierung zur weiteren Verwendung durch die Regierungsfraktionen begegnen erhebliche verfassungsrechtliche und -politische Bedenken. Zwar können Gesetzesvorlagen nach Artikel 76 Abs. 1 Grundgesetz auch "aus der Mitte des Bundestages" eingebracht und sofort dort beraten werden. Offensichtlich ist hier jedoch etwas anderes gemeint als die schlichte Übernahme eines nach den Regeln der Gemeinsamen Geschäftsordnung von den Ministerien erarbeiteten und der Bundesregierung beschlossenen Entwurfs.

Die mit dem gewählten Weg angestrebte Beschleunigung hätte angesichts der geübten Praxis des Bundesrates, Fristverkürzungen zu gewähren, auch im üblichen Verfahren erreicht werden können.

Politisch wird der Bundesrat durch dieses Vorgehen in eine Ratifikationssituation gedrängt. Zwar hat der Bundesrat die Möglichkeit, dem vom Deutschen Bundestag dann in 2./3. Lesung beschlossenen Gesetz die Zustimmung zu verweigern oder den Vermittlungsausschuss anzurufen. Damit käme er in der Öffentlichkeit jedoch ungerechtfertigt in den Ruf eines "Bremsers". Nicht zu übersehen sind aber auch verfassungsrechtliche Bedenken. Das Gesetzgebungsverfahren wird so im Konfliktfall aus dem öffentlichen Verhandeln von Argument und Gegenargument in den Vermittlungsausschuss verlagert, eine Entwicklung, die auch das Bundesverfassungsgericht äußerst kritisch verfolgt. Weiter könnte das Rechtsstaatsprinzip berührt sein, wenn Art. 76 Abs. 2 GG zu einem bloß unverbindlichen Verfahrensvorschlag würde. Hier könnte es auch an der Verfassungsorgantreue fehlen, dem Willen der Verfassungsorgane zur konstruktiven Zusammenarbeit im Geiste der Verfassung.