Antrag des Landes Mecklenburg-Vorpommern
Entschließung des Bundesrates zur Sicherstellung der Grundversorgung und für ein Sonderkündigungsrecht im Telekommunikationsgesetz

Die Ministerpräsidentin des Landes Mecklenburg-Vorpommern Schwerin, 24. März 2020

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Dietmar Woidke

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern hat beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates zur Sicherstellung der Grundversorgung und für ein Sonderkündigungsrecht im Telekommunikationsgesetz zuzuleiten.

Ich bitte, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Manuela Schwesig

Entschließung des Bundesrates zur Sicherstellung der Grundversorgung und für ein Sonderkündigungsrecht im Telekommunikationsgesetz

Der Bundesrat möge folgende Entschließung fassen:

Begründung:

Die Deutsche Telekom beabsichtigt seit dem Jahr 2015, die ISDN-Anschlüsse vollständig abzuschalten und auf Voice over IP-Telefonie umzustellen. Ziel der Umstellung ist es, ein einheitliches Netz zu nutzen, welches Signale nicht mehr zwischen analogem und IP-Netz umschalten muss. Die IP-Telefonie funktioniert über das Internet.

Vor diesem Hintergrund und weil in einigen Haushalten der Anschluss mit Glasfaser kurz bevorsteht, informiert die Deutsche Telekom seit einiger Zeit ihre Kunden über die geplante Abschaltung von ISDN-Anschlüssen und bietet ihnen gleichzeitig einen Vertrag für IP-Telefonie mit einer Mindestvertragslaufzeit von zwei Jahren an. Gehen die Kunden auf dieses Angebot nicht ein, wird ihr Telefonanschluss gekündigt und vollständig abgeschaltet. Das Vorgehen wird damit begründet, dass der bestehende Vertrag noch speziell auf das alte Netz abgestimmt ist, der rechtlich nicht ohne Zustimmung der Kunden geändert werden kann. Daher sei ein neuer Vertrag abzuschließen.

Die Endnutzer haben jedoch einen Anspruch auf Anschluss an ein öffentliches Telekommunikationsnetz an einem festen Standort und auf einen Zugang zu öffentlich zugänglichen Telefondiensten (Grundversorgungsleistungen), der in der Bundesrepublik Deutschland zurzeit von der Deutschen Telekom verpflichtend zu erfüllen ist. Diese Rechtsauffassung stützt die Bundesregierung auf ein entsprechendes Gutachten. Gegenüber anderen Anbietern besteht hingegen kein Anspruch auf eine entsprechende Grundversorgung.

Nach § 78 Absatz 1 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) sind solche Universaldienstleistungen (Grundversorgungsleistungen) ein Mindestangebot an Diensten für die Öffentlichkeit, für die eine bestimmte Qualität festgelegt ist und zu denen alle Endnutzer unabhängig von ihrem Wohn- oder Geschäftsort zu einem erschwinglichen Preis Zugang haben müssen. Deren Erbringung ist für die Öffentlichkeit als Grundversorgung unabdingbar geworden. In § 78 Absatz 2 Nummer 1 TKG sind die Telefonie und der Internetanschluss konkretisiert. Danach sind Universaldienstleistungen der Anschluss an ein öffentliches Telekommunikationsnetz an einem festen Standort, der Gespräche, Telefaxübertragungen und die Datenkommunikation mit Übertragungsraten ermöglicht, die für einen funktionalen Internetzugang ausreichen.

Diese Formulierung ist technologieneutral gehalten. Es ist weder eine bestimmte Übertragungsrate noch eine bestimmte Übertragungstechnik festgelegt. In den Bestandsverträgen hat die Deutsche Telekom mit den analogen Anschlüssen ihre Universaldienstverpflichtung erfüllt. Mit dem oben geschilderten Verfahren der Umstellung auf die neue Technik stellt die Deutsche Telekom ihre Bestandskunden vor die Wahl, entweder neue Verträge abzuschließen und die Technik umstellen zu lassen oder nicht in den neuen Vertragsabschluss einzuwilligen und somit ihren Anschluss ganz zu verlieren.

Die Deutsche Telekom ist nach § 43b TKG verpflichtet, einen Vertrag mit einer Mindestvertragslaufzeit von 12 Monaten anzubieten. Dies unterlässt sie jedoch überwiegend oder bietet dies nur auf konkrete Nachfrage an. Das Abschalten des Anschlusses ohne ein solches Angebot verstößt gegen ihre Universaldienstverpflichtung. Die Erfüllung der Verpflichtung gemäß § 43b TKG würde jedoch auch dann leer laufen, wenn dieser Basisdienst nur ein Minimum an Versorgung für Internet und Telefonie beinhaltet, das weit unter dem Niveau des bisherigen analogen Anschlusses liegt, weil nach § 43b TKG kein Anspruch auf eine bestimmte Qualität der Leistung besteht. Ein solches Angebot würde dem Kunden keine nutzbare Leistung liefern, weil die heutigen Bedarfe an Datenvolumina nicht gedeckt werden. Daher muss es den Kunden ermöglicht werden, ein angemessenes Angebot, das nicht unter dem seines bisherigen Anschlusses liegt, annehmen zu können, an das er aber nicht über eine Mindestvertragslaufzeit gebunden sein darf.

Nach Ablauf der Vertragslaufzeit hat auch die Deutsche Telekom (genau wie ihre Kunden) das Recht auf ordentliche Kündigung. Den Betroffenen bleibt dann nur die Möglichkeit, sich für einen neuen Tarif zu entscheiden oder zu einem anderen Anbieter zu wechseln. Letzteres geht vor allem dann einseitig zu Lasten des Kunden, wenn es - wie vielerorts - gar keinen Konkurrenzanbieter mit einem eigenen Netz gibt.

Diese Situation verändert sich gegenwärtig, weil im Zuge der Breitbandförderprogramme des Bundes und der Länder Glasfasernetze anderer Anbieter im Entstehen sind. Die Kunden, die sich aktuell durch das Vorgehen der Deutschen Telekom zu einem Vertragsabschluss über einen IP-Anschluss gezwungen sehen, hätten innerhalb der nächsten zwei Jahre nicht die Möglichkeit, das neu verlegte Glasfasernetz zu nutzen, ohne sich in einer Übergangszeit an einen weiteren Vertrag zu binden. Die Potentiale des Glasfaserausbaus bleiben ungenutzt zum Nachteil der Endkunden, die unter diesen Voraussetzungen nicht auf das leistungsstarke Netz wechseln, obwohl die IP-Telefonie bei kleineren Bandbreiten störanfälliger ist.

Folglich wird das unter Einsatz erheblicher Bundes-, Landes- und kommunaler Mittel verfolgte Förderziel der Schaffung gigabitfähiger Netze konterkariert, denn deren Potentiale können im Betrieb nicht ausgeschöpft werden, weil die Verbraucher am zeitnahen Wechsel auf die neue Infrastruktur gehindert werden. Das beeinflusst nicht zuletzt das Geschäftsmodell desjenigen Telekommunikationsunternehmens, das im Auswahlverfahren der Kommunen den Zuschlag erhalten hat und den Glasfaserausbau im Fördergebiet vornimmt. Dessen Wirtschaftlichkeitslücke vergrößert sich, die vom Maß der Kundenbindung und damit von den Einnahmen abhängt. Da die Wirtschaftlichkeitslücke mit Zuwendungen ausgeglichen wird, leidet hierunter auch die Effizienz des Einsatzes öffentlicher Fördermittel.

Somit erzeugt zusammengefasst die Deutsche Telekom für ihre Kunden eine Zwangslage, die das neue Vertragsangebot nicht mehr als adäquaten Ersatz ihrer bisherigen Grundversorgung erscheinen lässt. Zudem verschafft sich die Deutsche Telekom in Ausnutzung dieser Zwangslage einen erheblichen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Mitbewerbern.

Dieser Zwangslage könnte dadurch entgegengewirkt werden, dass in der vorliegenden Konstellation keine oder nur eine sehr kurze Mindestvertragslaufzeit angeboten werden darf. Alternativ könnte ein Sonderkündigungsrecht eingeräumt werden, um den Endnutzern die Möglichkeit einzuräumen, sich von einem Vertrag mit Mindestlaufzeit früher zu lösen, sobald eine leistungsstärkere Datenübertragungsinfrastruktur besteht.

Die Telekommunikationsunternehmen werden hierdurch in die Lage versetzt, die Endnutzer nur binden zu können, wenn sie selbst das leistungsfähigere Netz anbieten. Dies würde auch die Bemühungen der Telekommunikationsunternehmen fördern, den Eigenausbau mit gigabitfähigen Netzen voranzutreiben. Zudem würde es den Förderzweck - breitbandfähige Netze in sämtlichen Gebieten zu errichten - stützen, indem das verlegte Breitbandnetz auch für diejenigen nutzbar wird, die durch eine Mindestvertragslaufzeit an ein leistungsschwächeres Netz gebunden sind. Ferner würde auch ein Konterkarieren der Förderziele der Breitbandförderprogramme unterbunden werden.

Dem Sonderkündigungsrecht könnte sich die Deutsche Telekom dadurch entziehen, dass sie durch Anmietung bestehender Glasfaserinfrastrukturen anderer Anbieter ihrerseits ihren Kunden einen Glasfaseranschluss anbietet. Das würde unter geringerem Ressourceneinsatz den Wettbewerb insgesamt zu Gunsten der Endnutzer beflügeln, da Glasfasernetze nur einmal errichtet werden müssten und diese von mehreren Anbietern genutzt werden könnten.

Hierdurch würde auch dem Zweck des Telekommunikationsgesetzes gedient werden.

§ 1 TKG will durch technologieneutrale Regulierung den Wettbewerb im Bereich der Telekommunikation und leistungsfähige Telekommunikationsinfrastrukturen fördern sowie flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen gewährleisten. Diese bedürfen zunehmend einer gigabitfähigen Infrastruktur.