Stellungnahme des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Ausführung der Verordnung (EU) Nr. 236/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swaps
(EU-Leerverkaufs-Ausführungsgesetz)

Der Bundesrat hat in seiner 896. Sitzung am 11. Mai 2012 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

Zu Artikel 1 Nummer 5 (§ 30h Absatz 1 Satz 2 WpHG)

In Artikel 1 Nummer 5 ist in § 30h Absatz 1 der Satz 2 zu streichen.

Folgeänderungen:

Begründung:

Durch die Streichung wird die einheitliche Zuständigkeit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht begründet. Dies gewährleistet neben einer bundeseinheitlichen Entscheidungspraxis auch eine zeitlich abgestimmte Umsetzung der Maßnahmen auf unterschiedlichen deutschen Handelsplätzen.

Der Gesetzentwurf enthält eine Aufteilung der Zuständigkeit für den Erlass zeitlich befristeter Leerverkaufsverbote und Transaktionsbeschränkungen. Für Maßnahmen an den multilateralen Handelssystemen ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zuständig und für Maßnahmen an den Börsen ist die jeweilige Börsengeschäftsführung zuständig. Gegen diese Struktur bestehen sachliche und rechtliche Bedenken.

Zunächst ist der Umstand, dass in Deutschland mehrere Behörden gleichzeitig für die Umsetzung der Leerverkaufs- beziehungsweise Transaktionsbeschränkungen zuständig sein können, als problematisch anzusehen. Wird nämlich ein Finanzinstrument an einem oder mehreren multilateralen Handelssystemen und gleichzeitig an allen Börsen in Deutschland gehandelt, so ist die BaFin und die jeweilige Börsengeschäftsführung für die Maßnahmen an dem jeweiligen Handelsplatz verantwortlich. In dieser Struktur kann das in der Entwurfsbegründung mehrfach genannte Ziel einer bundeseinheitlichen Regelung nicht erreicht werden, da bei der Vielzahl beteiligter Behörden weder eine einheitliche Entscheidung noch ein einheitlicher Entscheidungszeitpunkt gewährleistet ist. Dies hat zusätzlich den Nachteil, dass bei einem Leerverkaufsverbot an einer Börse die Leerverkäufer auf die anderen Handelsplätze in Deutschland ausweichen können. Dies ist solange möglich, bis der letzte Handelsplatz ein entsprechendes Verbot verhängt hat - wenn es überhaupt einheitlich zu einem Verbot kommt. Somit wird der Zweck der Leerverkaufsverbote, die Unterbindung des Leerverkaufs, ad absurdum geführt. Auch erwähnenswert erscheint der Effizienzverlust durch die Vielzahl der potentiell beteiligten Stellen.

Die vorbeschriebenen Gefahren für die Wirksamkeit der Leerverkaufsverbote können auch nicht durch das Argument der angeblichen Sachnähe einer nach dem Entwurf zuständigen Börsengeschäftsführung aufgewogen werden. Gemäß § 4 Absatz 2 Satz 2 WpHG kann die BaFin bereits jetzt "den Handel mit einzelnen Finanzinstrumenten vorübergehend untersagen oder die Aussetzung des Handels in einzelnen oder mehreren Finanzinstrumenten ... anordnen." Vergleichbare Befugnisse enthält auch § 4a WpHG. Die BaFin hat damit die größtmögliche Sachnähe zur Entscheidung über Leerverkaufsverbote. Eine Gesamtzuständigkeit der BaFin hätte auch den großen Vorteil einer einheitlichen Entscheidungspraxis und zeitlicher Konsistenz der Maßnahmen.

Aus rechtlicher Sicht bleibt noch anzumerken, dass die Ausgestaltung der EU-Leerverkaufsverordnung eine Anordnungsbefugnis der ESMA gegenüber der zuständigen Behörde des Mitgliedstaates vorsieht. Diese Anordnungsbefugnis und deren Durchsetzbarkeit gegenüber einer Börsengeschäftsführung - als zuständige Behörde - sind rechtlich nicht geregelt.

Eine einheitliche Zuständigkeit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht für Leerverkaufsverbote ist auch durch die Börsen an die BaFin im Rahmen des § 31f Absatz 4 notwendig.

Durch die Schaffung einer einheitlichen Zuständigkeit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht für Leerverkaufsverbote sind die in Artikel 2 des Gesetzentwurfs vorgesehenen Änderungen nicht erforderlich.

Der Gesetzentwurf sieht die Einführung eines neuen Absatz 5a des § 15 BörsG vor. Dieser soll regeln, dass - entgegen der grundsätzlichen Zuständigkeit der BaFin gemäß § 30h Absatz 1 WpHG - die Börsengeschäftsführung die zuständige Behörde i.S.d. Artikel 23 Absatz 1 der EU-Verordnung ist, sofern Finanzinstrumente betroffen sind, die an einem regulierten Markt oder Freiverkehr dieser Börse gehandelt werden. Weiter soll ein neuer Absatz 3 des § 25 BörsG regeln, dass für Maßnahmen nach Artikel 23 Absatz 1 der EU-Verordnung Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 des § 25 BörsG entsprechend gelten.

Aus den vorgeschlagenen Änderungen des Börsengesetzes resultiert die neue Kompetenz und Verpflichtung der Börsengeschäftsführung zukünftig gemäß Artikel 23 Absatz 1 EU-Leerverkaufs-Verordnung, Leerverkäufe eines an dieser Börse gehandelten Finanzinstruments zu verbieten oder zu beschränken, wenn bei diesem Finanzinstrument innerhalb eines Tages ein signifikanter Kursverfall eintritt.

Zwar könnten die Geschäftsführungen der Börsen bzw. die jeweiligen Handelsüberwachungsstellen auf Grund des ihnen vorliegenden Datenmaterials das Vorliegen eines entsprechenden Kursverfalls feststellen. Es erscheint hingegen höchst zweifelhaft, ob das Aussprechen eines Leerverkaufsverbotes durch einzelne Börsen dem Anliegen des EU-Verordnungsgebers hinreichend Rechnung trägt, nämlich einen ungeordneten Kursverfall in dem betreffenden Finanzinstrument zu verhindern.

Die Geschäftsführung einer Börse hat faktisch keine Möglichkeit, die Einhaltung eines von ihr zuvor ausgesprochenen Leerverkaufsverbotes oder die Beschränkung von Leerverkäufen im Börsenhandel zu überwachen oder geeignete Vorkehrungen für deren Einhaltung zu treffen. Eine wirksame Kontrolle der Einhaltung einer solchen Maßnahme kann weder durch die Geschäftsführungen der Börsen noch durch die jeweiligen Handelsüberwachungsstellen sichergestellt werden. Denn bei einer Verkaufsorder, die ein Handelsteilnehmer in die Börsensysteme einstellt, ist für die Börsenorgane nicht erkennbar, ob sich die betreffenden Stücke im Bestand des Handelsteilnehmers befinden oder nicht. Somit könnten - trotz eines von der Börse zuvor ausgesprochenen Leerverkaufsverbotes - weiterhin Leerverkäufe von Handelsteilnehmern in den betreffenden Finanzinstrumenten getätigt werden. Eine wirksame Durchsetzung eines Leerverkaufsverbotes kann auf diese Weise nicht erreicht werden.

Faktisch müsste das Verbot von den Handelsteilnehmern in der Weise umgesetzt werden, dass diese Eigengeschäfte sowie Verkaufsaufträge ihrer Kunden ohne ausreichenden Bestand nicht ausführen. Die Überwachung der Einhaltung eines Leerverkaufsverbotes ist damit im Kern eine Überwachung der Kreditinstitute, die in Deutschland grundsätzlich der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht obliegt. Hiervon für die Überwachung von Leerverkaufsverboten eine Ausnahme zu machen, ist weder sachlich geboten noch aus den oben geschilderten Gründen effizient. Vor dem Hintergrund der angesprochenen Überprüfungsproblematik sind die vorgeschlagenen Regelungen grundlegend zu überdenken. Sowohl die Befugnis zur Anordnung eines Leerverkaufsverbots als auch dessen Überwachung sollte der BaFin als zuständige Behörde i.S.v. Artikel 23 EU-Leerverkaufs-Verordnung zugeordnet bleiben.

Aussetzung und Einstellung des Handels gemäß § 25 Börsengesetz bleiben davon im Übrigen unberührt.