Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
(Artikel 91e)

A. Problem und Ziel

B. Lösung

C. Alternativen

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand

2. Vollzugsaufwand

E. Sonstige Kosten

F. Bürokratiekosten

Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91e)

Bundesrepublik Deutschland Berlin, den 2. April 2010
Die Bundeskanzlerin

An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Bürgermeister Jens Böhrnsen
Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen

Sehr geehrter Herr Präsident,

hiermit übersende ich gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes den von der Bundesregierung beschlossenen


mit Begründung und Vorblatt.
Federführend ist das Bundesministerium des Innern.
Fristablauf: 04.06.10
Die Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gemäß § 6 Absatz 1 NKRG ist als Anlage beigefügt.


Mit freundlichen Grüßen
Dr. Angela Merkel

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91e)

Vom ...

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen;

Artikel 79 Absatz 2 des Grundgesetzes ist eingehalten:

Artikel 1
Änderung des Grundgesetzes

Nach Artikel 91d des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch das Gesetz vom ... (BGBl. I S. ...) geändert worden ist, wird folgender Artikel 91e eingefügt:

"Artikel 91e

Artikel 2
Inkrafttreten

Begründung

A. Allgemeiner Teil

Die Grundsicherung für Arbeitsuchende wird im gesetzlichen Regelfall von Arbeitsgemeinschaften durchgeführt; diese sind von den der Bundesagentur für Arbeit zugehörigen örtlichen Agenturen für Arbeit und den jeweils zuständigen kommunalen Trägern zur gemeinsamen Aufgabenwahrnehmung errichtet worden. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Dezember 2007 (BVerfGE 119, 331) handelt es sich bei den Arbeitsgemeinschaften gemäß § 44b des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) um eine vom Grundgesetz nicht zugelassene Form der Mischverwaltung. Das Bundesverfassungsgericht hat insofern § 44b SGB II für unvereinbar mit Artikel 28 Absatz 2 Satz 1 und 2 in Verbindung mit Artikel 83 des Grundgesetzes (allgemeigg_ges.htm ) erklärt. Die Norm bleibt jedoch bis zum 31. Dezember 2010 anwendbar. Dem Gesetzgeber ist aufgegeben, bis zum Ablauf der Übergangsfrist einen verfassungsgemäßen Zustand herzustellen.

Der Gesetzentwurf bezweckt die Erfüllung dieses Auftrags. Er ergänzt das Grundgesetz um einen neuen Zuständigkeitstitel für die Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Er ermöglicht dem Gesetzgeber im Bereich der für dieses Aufgabengebiet nunmehr ausdrücklich zugelassenen Verwaltungsformen (Artikel 91e Absatz 1 und 2 GG) nicht nur kompetenzielle, sondern auch materielle, in der Zusammenschau mit anderen verfassungsrechtlichen Prinzipien tragfähige Lösungen (u.a. im Dienstrecht mit Blick auf Artikel 33 GG).

Die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende in den Arbeitsgemeinschaften hat sich grundsätzlich bewährt. Die Zusammenarbeit von Arbeitsagenturen und Kommunen gewährleistet, dass die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen aus einer Hand betreut werden und Leistungen aus einer Hand erhalten. Sie soll daher als Regelfall fortgesetzt werden. Der Gesetzentwurf schafft dafür die verfassungsrechtlichen Grundlagen. Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern oder den nach Landesrecht zuständigen Gemeinden und Gemeindeverbänden wird als eine zulässige Form der Verwaltungsorganisation zur Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende ins Grundgesetz aufgenommen. Dies stellt sicher, dass die Zusammenarbeit von Arbeitsagenturen und Kommunen in gemeinsamen Einrichtungen über das Jahr 2010 hinaus weitergeführt werden kann.

Daneben sollen die als Experimentierklausel im SGB II geregelte Zulassung von einzelnen Kommunen zur alleinigen Aufgabenwahrnehmung verstetigt und die Grundsicherung für Arbeitsuchende von einer begrenzten Anzahl von Gemeinden und Gemeindeverbänden auf ihren Antrag und mit Zustimmung der obersten Landesbehörde auch künftig allein wahrgenommen werden können. Nach dem im Normtext verankerten Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen der Aufgabenwahrnehmung in gemeinsamen Einrichtungen und zur alleinigen Aufgabenwahrnehmung zugelassener kommunaler Träger (sog. Optionskommunen) soll die Zahl letzterer bezogen auf das gesamte Bundesgebiet in einem Bundesgesetz nach Absatz 3 auf höchstens ein Viertel der Aufgabenträger festgelegt werden.

Die getrennte Aufgabenwahrnehmung soll künftig nicht mehr möglich sein.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Artikel 91e)

Zu Absatz 1

Die Bestimmung regelt, dass bei der Ausführung von Bundesgesetzen auf dem Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende Bund und Länder oder die nach Landesrecht zuständigen Gemeinden und Gemeindeverbände in der Regel in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirken.

Die Regelung schafft die verfassungsrechtliche Grundlage für die Fortsetzung der Aufgabenwahrnehmung der aus den Agenturen für Arbeit und den kommunalen Trägern bestehenden Arbeitsgemeinschaften in gemeinsamen Einrichtungen. Sie enthält eine Ausnahme vom Verbot der Mischverwaltung für das Gebiet der Ausführung von Bundesgesetzen auf dem Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Das Verbot einer bundesgesetzlichen Aufgabenübertragung auf die Gemeinden und Gemeindeverbände (Artikel 84 Absatz 1 Satz 7, Artikel 85 Absatz 1 Satz 2 GG) gilt nicht. Erfasst ist daher auch ein zukünftiger Aufgabenzuwachs bei den kommunalen Trägern bei Änderungen des SGB II. Die konkrete Ausgestaltung erfolgt durch ein zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz nach Absatz 3.

Zu Absatz 2

Satz 1 regelt, dass der Bund eine begrenzte Anzahl von Gemeinden und Gemeindeverbänden auf ihren Antrag und mit Zustimmung der obersten Landesbehörde zur alleinigen Wahrnehmung der Aufgaben nach Absatz 1 zulassen kann. Nach dem Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen der Aufgabenwahrnehmung in gemeinsamen Einrichtungen und Optionskommunen soll die Zahl letzterer bezogen auf das gesamte Bundesgebiet in einem Bundesgesetz nach Absatz 3 auf höchstens ein Viertel der Aufgabenträger festgelegt werden.

Die Regelung enthält die verfassungsrechtliche Grundlage für die kommunale Option. Damit bildet sie für den Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende eine Ausnahme vom Verbot einer bundesgesetzlichen Aufgabenübertragung auf die Gemeinden und Gemeindeverbände (Artikel 84 Absatz 1 Satz 7, Artikel 85 Absatz 1 Satz 2 GG) und ermöglicht gleichzeitig eine Fortschreibung des kommunalen Optionsmodells (§§ 6a, 6b SGB II). Die Regelung erfasst auch einen zukünftigen Aufgabenzuwachs bei den kommunalen Trägern bei einer Erweiterung des Aufgabenbestandes der Bundesagentur für Arbeit. Sie ist als Kann-Regelung formuliert und enthält die aus Sicht der Länder und Kommunen essentiellen Vorgaben des Antrags der Gemeinden oder Gemeindeverbände sowie der Zustimmung der obersten Landesbehörde. Ein Bundesgesetz nach Absatz 3 soll bestimmen, dass die auf der Grundlage der Experimentierklausel bestehenden 69 Optionskommunen ihre Zulassung behalten und andere geeignete Kommunen auf Antrag zusätzlich zugelassen werden können.

Nach Satz 2 trägt der Bund die notwendigen Ausgaben einschließlich der Verwaltungsausgaben, soweit die Aufgaben bei einer Ausführung des Gesetzes nach Absatz 1 von ihm wahrzunehmen sind. Die Regelung stellt damit eine verfassungsrechtliche Finanzierungsbefugnis dar und bildet eine weitere Ausnahme von dem Verbot unmittelbarer Finanzbeziehungen zwischen Bund und Kommunen. Sie berücksichtigt den Umstand, dass nach geltendem Recht auch die Optionskommunen den "kommunalen Anteil" an den Kosten der Leistungen nach dem SGB II (u.a. Kosten der Leistungen für Unterkunft und Heizung) und die hierauf entfallenden Verwaltungsausgaben zu tragen haben. Verfassungsrechtlich festgeschrieben wird daher lediglich eine auf die notwendigen Ausgaben beschränkte Kostentragung des Bundes für den bei einer Ausführung des Gesetzes in gemeinsamen Einrichtungen auf den Bund entfallenden Aufgabenteil einschließlich der für die Aufgabenerfüllung notwendigen Verwaltungsausgaben. Die konkrete Ausgestaltung erfolgt durch zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz nach Absatz 3.

Zu Absatz 3

Absatz 3 bestimmt, dass das Nähere durch ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, geregelt wird. Der Vorbehalt einer einfachgesetzlichen Ausgestaltung gilt sowohl für Absatz 1 als auch für Absatz 2. Das erlaubt dem Gesetzgeber im Anwendungsbereich der in Absatz 1 und 2 zugelassenen Verwaltungsformen und in der Zusammenschau mit anderen verfassungsrechtlichen Prinzipien tragfähige Lösungen u.a. im Dienstrecht mit Blick auf Artikel 33 GG.

Das Bundesgesetz wird in Bezug auf Absatz 1 unter anderem Regelungen zu den Aspekten Organisation, Behördeneinrichtung, Verwaltungsverfahren, Wahrnehmung von Dienstherrnbefugnissen, Übergang und Rechtsstellung des Personals sowie Personalvertretung, Aufsicht, Zielvereinbarungen, Mittelbewirtschaftung, Finanzkontrolle, Rechnungsprüfung und Leistungsbewertung treffen. Hinsichtlich der Aufsicht über die Aufgabenwahrnehmung nach Absatz 1 ist vorgesehen, dass Bund und Länder weiterhin die Aufsicht über die jeweils ihrem Bereich zuzurechnenden Leistungsträger führen (Bund über die Bundesagentur für Arbeit und Land über den kommunalen Träger). Die Aufsicht über die gemeinsamen Einrichtungen übt der Bund grundsätzlich im Einvernehmen mit dem jeweiligen Land aus, wobei ein Konfliktlösungsmechanismus vorgesehen ist, der auch im Streitfall eine effektive Wahrnehmung der Aufsicht gewährleistet. Das Prüfungsrecht des Bundesrechnungshofes bleibt unberührt und in der bisher schon geregelten Form aufrechterhalten.

In Bezug auf Absatz 2 wird das Bundesgesetz unter anderem Regelungen zur Festlegung der Anzahl der Optionskommunen, zu den Kriterien für die Zulassung von Optionskommunen, zu Übergang und Rechtsstellung des Personals der Optionskommunen und zu Kostentragung, Aufsicht, Zielvereinbarungen, Mittelbewirtschaftung, Finanzkontrolle, Rechnungsprüfung und Leistungsbewertung sowie Übergangsbestimmungen bei Veränderung der Organisation der Gesetzesdurchführung treffen. Die Aufzählung ist nicht abschließend. Hinsichtlich der Aufsicht über die Aufgabenwahrnehmung nach Absatz 2 ist vorgesehen, dass diese sich an der bei der Gesetzesausführung durch die Länder als eigene Angelegenheit geltenden Zuständigkeitsverteilung orientiert und durch ein einheitliches und transparentes Steuerungssystem durch Zielvereinbarungen zwischen Bund und Ländern sowie entsprechende Zielvereinbarungen zwischen den jeweiligen Ländern und Optionskommunen ergänzt wird. Der Bund übt die Finanzkontrolle aus und kann im bisherigen Regelungsumfang Rückforderungen geltend machen, wenn Mittel rechtswidrig eingesetzt werden. Das Prüfungsrecht des Bundesrechnungshofes bleibt unberührt und in der schon bisher geregelten Form aufrechterhalten.

Der einfachrechtliche Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers hat sich einerseits an die zwingende Vorgaben des Grundgesetzes zu halten und andererseits zu berücksichtigen, dass im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende eine Mischverwaltung als Regelfall und die alleinige Aufgabenwahrnehmung durch Kommunen als Ausnahmefall vorgesehen ist.

Zu Artikel 2

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.

C. Gesetzesfolgen

Durch die Verfassungsänderung ergeben sich keine finanziellen Auswirkungen. Die Auswirkungen auf die Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Haushalte hängen von der einfachgesetzlichen Ausformung der Verfassungsänderung ab und sind noch nicht bezifferbar. Der Wirtschaft und insbesondere den mittelständischen Unternehmen entstehen durch dieses Gesetz keine Kosten. Auswirkungen auf die Einzelpreise, das allgemeine Preisniveau und das Verbraucherpreisniveau sind nicht zu erwarten.

Die gleichstellungspolitischen Auswirkungen der Verfassungsänderung wurden geprüft. Es ergeben sich keine Hinweise auf eine unterschiedliche Betroffenheit von Männern und Frauen.

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Anlage
Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gem. § 6 Abs. 1 NKR-Gesetz:
NKR-Nr. 1254:
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91e)

Der Nationale Normenkontrollrat hat das oben genannte Regelungsvorhaben auf Bürokratiekosten geprüft, die durch Informationspflichten begründet werden.

Mit dem Regelungsvorhaben werden für die Wirtschaft sowie für Bürgerinnen und Bürger keine Informationspflichten eingeführt, geändert oder aufgehoben. Für die Verwaltung wird eine Informationspflicht aus dem SGB II fortgeschrieben.

Der Nationale Normenkontrollrat begrüßt, dass durch die Regelung des Artikels 91e Grundgesetz eine Grundsatzentscheidung dafür getroffen wird, die bisherige Organisationsform im Wesentlichen fortzuführen. Eine Aufspaltung der Arbeitsgemeinschaften hätte zu einem deutlich höheren Bürokratieaufwand für Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die Verwaltung selbst geführt.

Dr. Ludewig Bachmaier
Vorsitzender Berichterstatter