Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen
Entwurf eines Gesetzes zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts

A. Problem und Ziel

B. Lösung

C. Alternativen

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

E. Sonstige Kosten

Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen
Entwurf eines Gesetzes zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts

Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen Düsseldorf, den 20. April 2010

An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Bürgermeister Jens Böhrnsen
Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen

Sehr geehrter Herr Präsident,

die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage mit Begründung beigefügten

Entwurf eines Gesetzes zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts


mit dem Antrag zuzuleiten, seine Einbringung beim Deutschen Bundestag zu beschließen.
Ich bitte, den Gesetzentwurf gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung auf die Tagesordnung der Bundesratssitzung am 7. Mai 2010 zu setzen und anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.


Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Rüttgers

Entwurf eines Gesetzes zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung der Strafprozessordnung

Artikel 2
Inkrafttreten

Begründung

A. Allgemeiner Teil

I.

Das Wiederaufnahmeverfahren im Strafprozess ist gekennzeichnet durch den Konflikt zwischen Rechtssicherheit - also dem Vertrauen auf den Bestand einer rechtskräftigen Entscheidung - einerseits und dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit andererseits. Die Gewährleistung einer gerechten Entscheidung und von Rechtssicherheit gehören zum Inbegriff des Rechtsstaatsprinzips. Verfassungsrechtliche Schranken ergeben sich, soweit es die Wiederaufnahme zu Ungunsten des Angeklagten betrifft, aus dem in Artikel 103 Absatz 3 GG niedergelegten Verbot der Mehrfachverfolgung.

Art. 103 Absatz 3 GG enthält ein grundrechtsgleiches Recht, mit welchem das im Rechtsstaatsprinzip angelegte Spannungsverhältnis zwischen Rechtssicherheit einerseits und materieller Gerechtigkeit andererseits zugunsten der Rechtssicherheit aufgelöst wird. Um der zentralen Bedeutung der Rechtssicherheit für die Rechtsstaatlichkeit willen muss auch die Möglichkeit einer im Einzelfall vielleicht unrichtigen Entscheidung des Gerichts hingenommen werden.1 Das strafrechtliche Wiederaufnahmeverfahren hat die Funktion, den Konflikt zwischen den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit, die sich beide gleichermaßen aus dem Rechtsstaatsgedanken ableiten lassen, zu lösen, indem es um der materiellen Gerechtigkeit willen gestattet, das Prinzip der Rechtssicherheit zu durchbrechen.2

Die Wiederaufnahmegründe zu Ungunsten des Angeklagten orientieren sich vorwiegend an Interessen der Rechtssicherheit und beschränken die Wiederaufnahme einerseits auf Fälle, in denen eine Verfälschung früherer Beweismittel oder eine strafbare Amtspflichtsverletzung der mitwirkenden Richter vorliegt, die jeweils einen für den Angeklagten günstigen - nicht hinnehmbaren - Einfluss auf das Urteil hatten, und auf Umstände, die auf eigenem Verhalten des Angeklagten nach dem Freispruch beruhen. De lege lata sieht § 362 StPO - neben den in den Nummern 1 bis 3 genannten Manipulationen und Amtspflichtverletzungen - eine Wiederaufnahme zu Ungunsten des Freigesprochenen nur dann vor, wenn der freigesprochene Angeklagte vor Gericht oder außergerichtlich ein glaubhaftes Geständnis ablegt (§ 362 Nummer 4 StPO). Dieser Wiederaufnahmegrund bildet die einzige Möglichkeit, neue Tatsachen und ein neues Beweismittel zum Nachteil des Freigesprochenen zu verwerten.

Das Bundesverfassungsgericht versteht das Rechtsstaatsprinzip als Grundentscheidung oder als leitendes Prinzip, das über die Gebote der Voraussehbarkeit, der Rechtssicherheit und der materiellen Richtigkeit oder Gerechtigkeit hinaus keine in allen Einzelheiten eindeutig bestimmte Ge- oder Verbote von Verfassungsrang enthält und welches stets "der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten" bedarf.

Das Bundesverfassungsgericht hat darauf hingewiesen, Artikel 103 Absatz 3 GG stehe einer Weiterentwicklung offen: "Zwar nimmt Art. 103 Abs. 3 GG auf die bei Inkrafttreten des Grundgesetzes geltende prozessrechtliche Lage Bezug. Dies bedeutet indessen nicht, dass das überlieferte Verständnis des Rechtssatzes "ne bis in idem" für jede auftauchende Zweifelsfrage bereits eine verbindliche Auslegung durch die Rechtsprechung bereit hielte, und es bedeutet insbesondere nicht, dass für neu auftauchende Gesichtspunkte, die sich der Prozessrechtswissenschaft und der Rechtsprechung so noch nicht gestellt hatten, eine verfassungsrechtliche Festlegung getroffen worden wäre... Zweifellos sollten Gesetzgebung und (herrschende) Auslegung nicht bis in alle Einzelheiten auf den Stand der Rechtsprechung und Prozessrechtslehre bei Inkrafttreten des Grundgesetzes festgelegt und jede weitere Veränderung im Verständnis des prozessualen Verfahrensgegenstandes und der Rechtskraftwirkung ausgeschlossen werden. Artikel 103 Abs. 3 GG steht Grenzkorrekturen nicht entgegen; er garantiert nur den Kern dessen, was als Inhalt des Satzes "ne bis in idem" in der Rechtsprechung herausgearbeitet wurde".3

Diese - in der zitierten Entscheidung auf den Begriff "derselben Tat" im Sinne des Artikel 103 Abs. 3 GG bezogenen - grundsätzlichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts machen deutlich, dass Artikel 103 Absatz 3 GG als Basisgarantie zu interpretieren ist. Für den verfassungsrechtlich festgelegten Basisgehalt des Artikels 103 Absatz 3 GG vorrangig bestimmend sind die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Grundrechte, des Verhältnismäßigkeits- und des Vertrauensprinzips sowie die Erfordernisse des seinerseits rechtsstaatlich fundierten strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes.4 Eine einseitige "täterfreundliche" Ausgestaltung oder Anwendung ist verfassungsrechtlich nicht nur nicht geboten, sondern kann angesichts der unterschiedlichen Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips unzulässig sein. Die "Austarierung" dieser Bestimmungselemente erfolgt in einer Abwägung. Dabei sind die für Artikel 103 Absatz 3 GG typischen Verschränkungen - Rechtssicherheit einerseits, materielle Gerechtigkeit andererseits - beachtlich.5

Technische Neuerungen der Beweisfindung müssen in engen Grenzen jedenfalls dann die Setzung neuer Akzente im Spannungsfeld zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit rechtfertigen, wenn und soweit mit ihrer Hilfe derart eindeutige Nachweise der Täterschaft geführt werden können, dass vor dem Hintergrund der Tat und angesichts dieser Ergebnisse der Beweisführung das Festhalten an der Rechtskraft des freisprechenden Urteils zu schlechterdings - an der materiellen Gerechtigkeit zu messenden - unerträglichen Ergebnissen führen würde.

Die Legitimation der Rechtskraftdurchbrechung ist dabei auch in Bezug zum Ausmaß des Unrechts zu setzen, das der Täter verwirklicht hat. Kann ein zu Unrecht erfolgter Freispruch im Bereich der unteren und mittleren Kriminalität als Preis des Rechtsstaats noch weitgehend hingenommen werden, so ist er bei Straftaten wie Mord und Völkermord schlechthin unerträglich. Der Schutz eines Menschenlebens nimmt in unserer Rechtsordnung den höchsten Rang ein. Morddelikte sind die schwersten Straftaten, die das Strafrecht kennt. Sie unterliegen der absoluten Strafandrohung und verjähren nicht.

Den Gedanken, dass aus Gründen materieller Gerechtigkeit eine Durchbrechung der Rechtskraft zur Beseitigung von Freisprüchen in Fällen schwerster Kriminalität auch dann möglich sein muss, wenn kriminaltechnische Neuerungen nachträglich eindeutige Beweismittel schaffen, brachte bereits die Große Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes in ihrem Gutachten zum Wiederaufnahmeverfahren zum Ausdruck, indem sie im Abschlussbericht der Sitzung vom 26. bis 28. November 2002 unter anderem feststellte: "Die Kommission sieht es als schwer erträglich an, einen Freispruch bei Mord/Völkermord nicht mehr korrigieren zu können, obwohl nachträglich sichere Beweismittel die Täterschaft einwandfrei festgestellt haben."

In der Tat ist es vor diesem Hintergrund kaum verständlich, wenn der Rechtsstaat dem Vertrauen des freigesprochenen Mörders in den Bestand des Urteils selbst dann Vorrang vor der Gerechtigkeit im Einzelfall einräumt, wenn kriminaltechnische Neuerungen wie die forensische DNA-Analyse, die in dem Urteil gar nicht berücksichtigt werden konnten, im Nachhinein die Täterschaft des Freigesprochenen belegen. Der hohe Wert eines Menschenlebens und die besondere Verwerflichkeit der Tat rechtfertigen es, dass in diesen Fällen Belange der Rechtssicherheit hinter der materiellen Gerechtigkeit zurücktreten.

Der Rechtsfrieden und das Gerechtigkeitsgefühl der Bevölkerung werden durch einen erwiesenermaßen ungerechtfertigten Freispruch wegen Mordes oder wegen eines Verbrechens nach § 6 Absatz 1 Nummer 1, § 7 Absatz 1 Nummer 1, § 8 Absatz 1 Nummer 1 VStGB in mindestens ebenso starkem Maße beeinträchtigt wie durch die Verurteilung eines unschuldigen Angeklagten. Schon der Freispruch in einem einzigen Verfahren - etwa im Falle eines Serienmörders -, der sich nachträglich aufgrund neuer technischer Ermittlungsmethoden als falsch erweist, kann den Rechtsfrieden und das Vertrauen in die Strafrechtspflege nachhaltig stören.

Schließlich dürfen auch Belange der Sicherheit nicht außer Betracht bleiben. Finden sich Beweise, die die Täterschaft des Freigesprochenen zweifelsfrei belegen, muss es - auch im Hinblick auf eine mögliche Tatwiederholung - zwangsläufig zu einer Beunruhigung der Bevölkerung führen, wenn die Justiz hieraus keine Konsequenzen zieht.

II.

Die mit dem Gesetzentwurf vorgesehene Erweiterung der Wiederaufnahmegründe in § 362 StPO ist sowohl mit Verfassungsrecht als auch dem Völker- und auch Europarecht vereinbar. Maßgeblich sind insoweit die nachstehenden Erwägungen.

Das Wiederaufnahmerecht im Strafverfahren steht im Spannungsfeld zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit, die sich beide aus dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 GG) ableiten. Einerseits sichert der Grundsatz der Rechtssicherheit den Rechtsfrieden, der durch den Eintritt der Rechtskraft garantiert ist. Andererseits ist das Gebot materieller Gerechtigkeit durch eine objektiv unrichtige Beurteilung einer Tat beeinträchtigt. Das Rechtsinstitut der Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens ist eine typische Ausprägung dieser Konfliktsituation: Um des Grundsatzes der materiellen Gerechtigkeit willen wird das Prinzip der Rechtssicherheit durchbrochen. Dieses Prinzip wirkt sich allerdings dahin aus, dass die Durchbrechung an eine eng begrenzte Anzahl besonderer Ausnahmetatbestände gebunden ist .6

Vor dem Hintergrund, dass Artikel 103 Absatz 3 GG seinem Wortlaut zufolge keine Ausnahmen zulässt, hat das Bundesverfassungsgericht schon frühzeitig klargestellt, dass das mit Aufnahme in das Grundgesetz zum Rang eines Verfassungsrechtssatzes erhobene Gebot "ne bis in idem" auf den bei Inkrafttreten des Grundgesetzes geltenden Stand des Prozessrechts und seiner Auslegung durch die herrschende Rechtsprechung Bezug nimmt. Einschränkungen des Grundsatzes durch die Rechtsprechung seien vom Verfassungsgeber gewollt und daher als immanente Schranken anzusehen.7 Bereits in dieser Entscheidung hat das Gericht zugleich auf die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes und die es beherrschenden Prinzipien der Rechtssicherheit und Gerechtigkeit abgestellt. Später hat das Bundesverfassungsgericht noch deutlicher hervorgehoben, dass die vor Geltung des Grundgesetzes entwickelten Grundsätze seit dessen Inkrafttreten inhaltlich auf die objektive Wertordnung des Grundgesetzes ausgerichtet seien.8 Dass Artikel 103 Absatz 3 GG auf die bei Inkrafttreten des Grundgesetzes geltende prozessrechtliche Lage Bezug nehme, bedeute nicht, dass für neu auftauchende Gesichtspunkte, die sich der Prozessrechtswissenschaft und der Rechtsprechung so noch nicht gestellt hätten, eine verfassungsrechtliche Festlegung getroffen worden wäre. Zweifellos sollten Gesetzgebung und Auslegung nicht bis in alle Einzelheiten auf den Stand der Rechtsprechung und Prozessrechtslehre bei Inkrafttreten des Grundgesetzes festgelegt und jede weitere Veränderung ausgeschlossen werden. Artikel 103 Absatz 3 GG stehe Grenzkorrekturen nicht entgegen; er garantiere nur den Kern dessen, was als Inhalt des Rechtssatzes in der Rechtsprechung herausgearbeitet worden sei.9

Dass es in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers ist, den häufig auftretenden Widerstreit beider Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips - der Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit - zum Ausgleich zu bringen, hat das Bundesverfassungsgericht stets betont.10 Den mithin auch insoweit anerkannten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers hat das Gericht im Bereich des Wiederaufnahmerechts dahin konkretisiert, dass zur Beseitigung von Fehlurteilen die Durchbrechung der Rechtskraft in engen Grenzen zulässig sei.11 Damit ist dem Grundsatz der Rechtssicherheit ein Vorrang eingeräumt worden, der den Handlungsspielraum bei gesetzgeberischen Überlegungen zur Ergänzung der vorhandenen Wiederaufnahmegründe schmälert. Bei der Wiederaufnahme zu Ungunsten des bereits Abgeurteilten liegt dies schon mit Blick auf das mit Verfassungsrang ausgestattete Postulat "ne bis in idem" nahe. Allerdings ist der als klassisches Freiheitsrecht konzipierte Rechtssatz in Artikel 103 Absatz 3 GG ungeachtet seines Wortlauts nicht grenzenlos gewährleistet. Er enthält im Gedanken der materiellen Gerechtigkeit wurzelnde immanente Schranken. Der Sinn und Zweck der Einschränkung einer Wiederaufnahme zu Ungunsten des Verurteilten ist darin zu sehen, dass das Bedürfnis nach wirksamer Strafverfolgung und einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Sinne der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens an irgendeiner Stelle ein Ende finden muss. Der Bürger muss sich, ebenso wie die Allgemeinheit, grundsätzlich auf die einmal rechtskräftig getroffene Entscheidung verlassen können, selbst wenn ihn diese materiell zu Unrecht begünstigt.12 Von diesem Grundsatz ist der Gesetzgeber mit den Ausnahmetatbeständen in § 362 StPO abgerückt. In jenen Fällen ist ein Festhalten an der Rechtskraft nicht mehr akzeptabel, weil dies zu unerträglichen Ergebnissen führte (sog. Unerträglichkeitsgrenze).13 In diesem Sinne ist auch der Kernbestand des Rechtssatzes "ne bis in idem" zu verstehen: Unterhalb der Unerträglichkeitsgrenze gilt er absolut. Fälle, in denen die Grenze der Erträglichkeit überschritten ist, können jedoch Anlass für gesetzliche Einschränkungen sein. Namentlich dann, wenn auf Grund "neu auftauchender Gesichtspunkte" an der Fehlerhaftigkeit eines (freisprechenden) Urteils kaum noch Zweifel bestehen können, ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, durch Erweiterung der bestehenden Wiederaufnahmegründe zumindest für die Zukunft die Aufhebung solcher Entscheidungen zu ermöglichen. Unerträglich ist die Aufrechterhaltung derartiger Fehlurteile vor allem, wenn es um Straftaten geht, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind. Der Gesetzgeber hat in § 78 Absatz 2 StGB eine Wertentscheidung für die Unverjährbarkeit von lebenslangen Freiheitsstrafen getroffen. Es besteht also ein Spannungsverhältnis zwischen der Grundaussage "Kein Rechtsfrieden bei ungesühntem Mord" und der derzeit geltenden Rechtslage in § 362 StPO "Rechtsfrieden auch für den freigesprochenen Mörder". Diesen Wertungswiderspruch will der Gesetzentwurf in besonders gelagerten Konstellationen - in denen nämlich die Unerträglichkeit des Festhaltens am Freispruch offen zu Tage tritt - zu Ungunsten des Freigesprochenen auflösen.

Der geplante neue Wiederaufnahmegrund sprengt auch nicht das System des § 362 StPO, wie von den Gegnern des Vorhabens behauptet wird. Die Wiederaufnahmegründe de lege lata werden in zwei Fallgruppen unterschieden: Die Gründe "propter falsa" (§ 362 Nummer 1 - 3 StPO) und den Grund "propter nova" (§ 362 Nummer 4 StPO).14 In den erstgenannten Fällen wäre das Festhalten an einem Urteil, das durch rechtswidriges Verhalten - zumeist des Angeklagten - erwirkt wurde, unerträglich. Gesteht der Angeklagte nach einem Freispruch die Tat, ist das Maß des Erträglichen ebenfalls überschritten. Das Geständnis unterscheidet sich von den übrigen Wiederaufnahmegründen strukturell dadurch, dass es nach geltendem Recht als einziges Novum eine Wiederaufnahme zu Ungunsten des Freigesprochenen ermöglicht. Dies beruht jedoch - anders als die Reformgegner meinen - keineswegs allein darauf, dass verhindert werden soll, dass sich der irrtümlich Freigesprochene folgenlos der Straftat berühmen kann. Vielmehr haben sämtliche Wiederaufnahmegründe, auch das Geständnis, eine längere Tradition; in vergleichbarer Form fanden sie sich vor Inkrafttreten der Strafprozessordnung bereits in den Partikulargesetzgebungen des 19. Jahrhunderts. Das Geständnis hat auch deswegen Eingang in § 362 StPO gefunden, weil ihm im gemeinrechtlichen Verfahren die größte Beweiskraft zukam. Diese wurde auch noch bei Inkrafttreten der StPO im Jahr 1877 höher eingeschätzt als diejenige der damals bekannten Indiztatsachen und Beweismittel.15 Das nachträgliche Eingeständnis der Tat erschien dem Gesetzgeber als eine so erhebliche Veränderung der Beweislage, dass eine Verurteilung nunmehr sicher erschien. Es stellt also keineswegs a priori einen Systembruch dar, neue, durch den historischen Gesetzgeber nicht voraussehbare Beweismittel, mit denen (mindestens ebenso) eindeutige Nachweise der Täterschaft geführt werden können, als Wiederaufnahmegrund zuzulassen. Namentlich die DNA-Analyse, die eine Überführung des Täters nahezu sicher macht, ist ein zuverlässigeres Beweismittel als ein Geständnis. Die Identifizierungssicherheit der DNA-Analyse wird selbst von den Reformgegnern nicht in Abrede gestellt. Ihr Einwand, es handele sich bei der DNA-Analyse nur um eine Indiztatsache, die eine Würdigung aller Beweisumstände nicht entbehrlich mache,16 enthält nur die strafprozessuale Selbstverständlichkeit, dass für die richterliche Überzeugungsbildung die Gesamtschau aller be- und entlastenden Umstände maßgebend ist.17 Die Gesamtwürdigung der Tat, in deren Rahmen ein Beweismittel nahezu zweifelsfrei einer bestimmten Person zugeordnet werden kann,18 erbringt indes gerade einen so sicheren Nachweis der Täterschaft, wie dies kein anderes Beweismittel zu gewährleisten vermag. Andere technische Ermittlungsmethoden wie die Blutgruppenbestimmung, Stimmenanalyse oder Daktyloskopie sind in ihrer Leistungsfähigkeit mit der DNA-Analyse nicht vergleichbar. Wenn trotz einer solch sicheren Untersuchungsmethode ein auf Grund des fehlenden wissenschaftlichen Erkenntnisstands erfolgter Freispruch nachträglich nur deshalb nicht korrigiert werden kann, weil sich der Freigesprochene darauf verlassen können muss, führt dies zu einem schlechthin unerträglichen Ergebnis. Dies kann der Gesetzgeber nicht hinnehmen. Der Einwand, dass es sich allenfalls um Einzelfälle handele, die eine Gesetzesänderung nicht legitimierten, ist bereits nicht belegt. Vielmehr kann die Zahl der "Altfälle" kaum eingeschätzt werden. Davon abgesehen können auch Fälle, die eher selten vorkommen, Anlass für neue rechtspolitische Ansätze sein. Sie müssen es sein, wenn sich dem Gesetzgeber Korrekturen des bestehenden Systems geradezu aufdrängen: Angesichts eines besonderen Einzelfalls, der exemplarisch für vergleichbare Fälle den konkreten Anlass für die vorliegende Gesetzesinitiative bot, soll eine als unerträglich empfundene Gerechtigkeitslücke geschlossen werden.

Auch in Ansehung des Arguments, neu sei auch ein nach einem Freispruch auftauchender traditioneller Sachbeweis, deshalb sei es unsystematisch und zugleich gleichheitswidrig, technische Neuerungen der Beweisführung als Wiederaufnahmegrund zu normieren, wird man die beabsichtigte Regelung als eine Grenzkorrektur ansehen können, die noch im geltenden System des Wiederaufnahmerechts bleibt. Bei dem Wiederaufnahmerecht geht es um die Verteilung von Risikosphären und unter diesem Aspekt auch darum, wer das Risiko einer unzureichenden oder fehlerhaften Ermittlungsarbeit trägt. Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt die gesetzgeberische Entscheidung, so führt ein Verfahrensmangel, der die richterliche Integrität oder Handlungsweise betrifft, sowohl zur Wiederaufnahme zu Gunsten des Verurteilten als auch zur Wiederaufnahme zu Ungunsten des Angeklagten. Der Gedanke der Verteilung von Risikosphären hat dazu geführt, dass eine Ausnahme gemacht wird, wenn dieser Verfahrensmangel vom Verurteilten selbst veranlasst worden ist (§ 359 Nummer 3 StPO). Beweismittelmängel (§ 359 Nummer. 1, 2 und 4, § 362 Nummer 1 und 2 StPO) wirken in gleicher Weise in die eine bzw. andere Richtung. Allein bei einem Feststellungsmangel (§ 359 Nummer 5 StPO) wirkt das Vorhandensein einer neuen Tatsache nur zu Gunsten des Verurteilten. Diese gesetzgeberische Wertung dürfte darauf beruhen, dass erwartet werden kann, dass der Staat bei der Aufklärung einer Straftat das getan hat, was möglich war. Fehler bei der Ermittlungsarbeit, d.h. die unzureichende Aufklärung des Sachverhalts, hat deshalb derjenige im Interesse der Rechtssicherheit hinzunehmen, der das Risiko für diesen Fehler trägt und daher diesen Fehler zu verantworten hat. Unter diesem Blickwinkel ist es folgerichtig, dass der Staat dieses Risiko trägt und der staatliche Strafverfolgungsanspruch zurücktritt. Eine solche Zuweisung von Risiko- und Verantwortungssphären zu Lasten des Staates ist jedoch bei dem Aufkommen von neuen Beweismethoden, die vor einer Verurteilung nicht vorhanden waren, nicht möglich. Ein solcher Fall unterscheidet sich eben von den Fällen, die von der erwähnten Kritik angeführt werden, um ein Ausbrechen aus der gesetzlichen Systematik des Wiederaufnahmerechts zu behaupten. Gibt es daher Differenzen, die sich aus der Sache heraus begründen lassen, ist auch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht vorhanden.

Demzufolge stellt der Gesetzentwurf nur eine "Grenzkorrektur" des Rechtssatzes "ne bis in idem" unter Berücksichtigung relevanter technischer Neuentwicklungen dar, keineswegs aber eine verfassungsrechtlich bedenkliche Durchbrechung einer Gesetzessystematik. Er trägt auch dem ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung.19 Hiernach muss das vom Gesetzgeber eingesetzte Mittel geeignet und erforderlich sein, um den angestrebten Zweck zu erreichen; dem Gesetzgeber steht bei der Einschätzung der Eignung und Erforderlichkeit ein Beurteilungsspielraum zu.20 Die Neuregelung ist zur Erreichung des Gesetzeszwecks geeignet. Mit ihr kann eine gerichtliche Entscheidung, die sich auf Grund neuer wissenschaftlicher Methoden als offensichtliches Fehlurteil erweist, aufgehoben werden. Dem Gebot materieller Gerechtigkeit wird damit ebenso Rechnung getragen wie den Schutzbedürfnissen der Allgemeinheit und der Angehörigen des Opfers. Für die Verfolgung des gesetzgeberischen Ziels ist die Ergänzung des § 362 StPO auch erforderlich: Als milderes Mittel zu der maßvollen Weiterentwicklung käme letztlich nur in Betracht, die geltenden Wiederaufnahmegründe unangetastet zu lassen, wie dies von den Reformgegnern befürwortet wird. Damit verbliebe es bei dem als unbefriedigend empfundenen Rechtszustand. Der Gesetzentwurf ist jedoch unter den Gesichtspunkten der Erforderlichkeit und Angemessenheit nicht zu beanstanden, weil er in mehrfacher Hinsicht begrenzt ist: Er ermöglicht eine Wiederaufnahme nur bei schwersten, mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohten Straftaten; er lässt sie nur zu, wenn die neuen wissenschaftlich anerkannten Untersuchungsmethoden bei Erlass des Urteils noch nicht zur Verfügung standen, und wenn diese geeignet sind, die Täterschaft praktisch sicher nachzuweisen.

Daraus ergibt sich zugleich, dass § 362 StPO-E hinreichend präzise ausgeformt ist und damit dem Grundsatz der Bestimmtheit genügt. Der Begriff der "neuen, wissenschaftlich anerkannten technischen Untersuchungsmethode" führt nicht zu Unklarheiten in der Rechtsanwendung. Insbesondere erfordert der Bestimmtheitsgrundsatz keine Eingrenzung beispielsweise auf den Begriff der molekulargenetischen Untersuchung. Vielmehr ist der im Entwurf verwandte Begriff durch die Rechtsprechung mittels der herkömmlichen Auslegungsmethoden ohne weiteres ausfüllbar. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung haben sich bereits als "standardisierte" Untersuchungsmethoden bezeichnete Analysen herausgebildet.21 Neben etwa der Daktyloskopie, der Blutgruppenbestimmung oder der Blutalkoholanalyse gehört die molekulargenetische DNA-Analyse inzwischen dazu. Welche weiteren wissenschaftlichen Methoden eine solche Standardisierung erreichen können und zu welchem Zeitpunkt, lässt sich gegenwärtig naturgemäß nicht absehen. Der Gesetzgeber würde sich der Berücksichtigung neuer Methoden begeben, schränkte er den Wortlaut der Norm zu sehr ein, und würde der technischen Entwicklung hinterherhinken, weil er jedes Mal ein Gesetzgebungsverfahren einleiten müsste, wollte er neue wissenschaftliche Methoden zum Gegenstand der Regelung machen.

Artikel 4 des Zusatzprotokolls Nummer 7 der EMRK steht der beabsichtigten Regelung nicht entgegen. Das Zusatzprotokoll Nummer 7 wurde am 22. November 1988 von 10 Staaten unterzeichnet. Am 1. November 1988 trat es in Kraft (erforderlich hierfür waren 7 Ratifikationen). Deutschland hat das Zusatzprotokoll zwar am 19. März 1985 unterzeichnet und eine Erklärung dazu abgegeben, eine Ratifikation ist bisher aber nicht erfolgt. Damit gilt es bisher in Deutschland nicht. Ungeachtet dessen genügt der Gesetzentwurf den Anforderungen des Artikels 4 des Zusatzprotokolls Nummer 7.

Der Grundsatz "ne bis in idem" findet sich ferner in Artikel 50 der Grundrechtecharta.

Die Grundrechtecharta ist mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon rechtlich bindend. Nach Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2 EUV-Lissabon sollen die Charta der Grundrechte und die Verträge gleichrangig sein. Nach dem jetzt geltenden Recht sind jedoch auch Einschränkungen des in Artikel 50 der Grundrechtecharta niedergelegten Grundsatzes möglich. Gemäß Artikel 52 Absatz 1 der Grundrechtecharta muss jede Einschränkung der Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten allerdings gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt der Rechte und Freiheiten achten. Ferner muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein (Satz 2 der Vorschrift). Die in Aussicht genommene Erweiterung des § 362 StPO genügt diesen Erfordernissen. Zudem dürften sich aus der Grundrechtecharta keine Anforderungen ergeben, die über diejenigen des nationalen Verfassungsrechts hinausgehen.

Daneben ist der Grundsatz "ne bis in idem" auch in Artikel 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens niedergelegt. Die Regelung verbietet die Doppelbestrafung jedoch ausschließlich bezogen auf mehrere Staaten. Auswirkungen auf die beabsichtigte Erweiterung des § 362 StPO ergeben sich aus dem Schengener Durchführungsübereinkommen daher nicht.

Schließlich hat der Grundsatz "ne bis in idem" auch außerhalb der Kodifikationen Eingang in die Rechtsprechung des EuGH und des EuG gefunden.22 Dass die Rechtsprechung diesen Grundsatz in einer Art ausgeprägt hätte, die der Neuregelung des § 362 StPO entgegenstünde, ist nicht ersichtlich.

III.

Der Gesetzentwurf befindet sich im Einklang mit der Rechtslage bzw. entsprechender Reformbestrebungen in mehreren europäischen Ländern.

Besonders weit geht die Wiederaufnahmemöglichkeit in Österreich. Dort ist eine Wiederaufnahme zu Ungunsten eines Tatverdächtigen bei allen Straftaten bis zu deren Verjährung möglich, wenn sich neue Tatsachen oder Beweismittel ergeben.

England und Wales haben im Jahr 1996 die so genannte ungünstige Wiederaufnahme eingeführt. In einem zweiten Schritt wurde 2003 die Wiederaufnahmemöglichkeit zu Ungunsten des vom Vorwurf schwerer Straftaten Freigesprochenen erheblich erweitert. Voraussetzung der Wiederaufnahme ist danach, dass die Tat nachträglich durch neue "zwingende" Beweise jeder Art nachweisbar wird (Criminal Justice Act 2003, Chapter 44, Part 10, Section 75-83).

Schottland und Irland befinden sich aktuell in einem Reformprozess, der in dieselbe Richtung geht.

Einen entsprechenden Reformprozess gibt es auch in den Niederlanden. Der dortige Gesetzentwurf ("Wet hervorming herzieningsregeling") sieht die Möglichkeit einer Wiederaufnahme zu Ungunsten eines Angeklagten vor, der vom Vorwurf einer mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohten Straftat freigesprochen wurde, wenn neue Beweismittel, die durch technische bzw. forensische Untersuchungen gewonnen wurden, vorliegen.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung der Strafprozessordnung)

Zu Nummer 1 (§ 362 Nr. 5 - neu - , Satz 2 - neu - StPO)

Die in § 362 der Strafprozessordnung geregelten Wiederaufnahmegründe zu Ungunsten des früheren Angeklagten werden um den Fall erweitert, dass aufgrund neuer, wissenschaftlich anerkannter kriminaltechnischer Untersuchungsmethoden, die in der tatrichterlichen Hauptverhandlung nicht zur Verfügung gestanden haben und daher im Urteil keine Berücksichtigung finden konnten, für die Schuldfeststellung jedoch von erheblicher und offensichtlicher Bedeutung gewesen wären, der Nachweis der Täterschaft geführt werden kann.

Es genügt, wenn die neuen Tatsachen oder die neuen Beweismittel in Verbindung mit früher erhobenen Beweisen die Überführung des Freigesprochenen ermöglichen. Es sind Fälle denkbar, in denen allein die neue Tatsache oder das neue Beweismittel die Wiederaufnahme begründet; praktisch häufiger dürfte die Fallkonstellation sein, dass dies in Verbindung mit früher erhobenen Beweismitteln der Fall ist.

Tatsachen und Beweismittel sind auch dann neu, wenn die zugrunde liegende Untersuchungsmethode zwar bekannt war, auf Grund mangelnder wissenschaftlicher Anerkennung jedoch noch nicht zu gerichtsverwertbaren Beweisen führen konnte, diese wissenschaftliche Anerkennung jedoch mittlerweile vorliegt. Gleiches gilt, wenn die Untersuchungsmethode zwar im Grundsatz bekannt war, auf Grund ihrer Verfeinerung oder Verbesserung aber erst jetzt zu verwertbaren Beweisen geführt hat. Zu denken ist hierbei insbesondere an die Verbesserung der DNA-Analyse, die mittlerweile eine Auswertung von Spuren erlaubt, die in der Vergangenheit noch nicht zu einer Identifizierung hätten genutzt werden können.

Mit Blick auf die angesichts des Eingriffs in den Grundsatz "ne bis in idem" des Artikel 103 Absatz 3 GG erforderliche Verhältnismäßigkeitsprüfung sieht der Gesetzentwurf bewusst eine Beschränkung auf den Mordtatbestand ( § 211 StGB) und die ausschließlich mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu ahndenden Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch (§ 6 Absatz 1 Nr. 1, § 7 Absatz 1 Nummer 1, § 8 Absatz 1 Nummer 1) vor, die schwersten Delikte, die das Strafgesetzbuch und das Völkerstrafgesetzbuch kennen. Diese gegen das Leben gerichteten Verbrechen hat der Gesetzgeber angesichts ihrer besonderen Verwerflichkeit mit absoluter Strafe bedroht. Zudem unterliegen diese Taten keiner Verjährung (§ 78 Absatz 2 StGB; § 5 VStGB) - ein weiterer Beleg für den absoluten Sanktionswillen des Gesetzgebers. Solange die Taten nicht gesühnt sind, kann angesichts der Tatschwere Rechtsfrieden nicht eintreten.

Erfasst werden nur vollendete Verbrechen. Der Begriff der "Begehung" begrenzt den Anwendungsbereich des Wiederaufnahmegrundes auf alle Formen der Täterschaft ( § 25 StGB). Daneben wird ausdrücklich die grundsätzlich ebenfalls mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu ahndende vollendete Anstiftung (§ 26 StGB) zu diesen Verbrechen einbezogen. Im Hinblick auf die in § 28 StGB vorgesehenen Strafmilderungen erfolgt eine Beschränkung auf diejenigen Fälle der Anstiftung, die ausschließlich mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu sanktionieren sind.

Diese Eingrenzungen stellen sicher, dass der Wiederaufnahmegrund nur bei den besonders verwerflichen, allein mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohten Verbrechen greift.

Schließlich trifft die vorgeschlagene Erweiterung - parallel zur Regelung in § 362 Nummer 4 StPO - nur den freigesprochenen Angeklagten. Eine fehlerhafte Verurteilung wegen einer minderschweren Tat genügt nicht. Selbst eine bis an die Grenzen des Erträglichen milde Strafe beeinträchtigt das Rechtsempfinden nicht so sehr wie das völlige Ausbleiben jeglicher Sanktion.

Zu Nummer 2 ( § 370 Absatz 1 StPO)

Schon de lege lata richtet sich der Umfang der nach § 370 StPO vorzunehmenden Prüfung der Begründetheit eines Wiederaufnahmeantrags zu Ungunsten des Angeklagten nach dem geltend gemachten Wiederaufnahmegrund. In den Fällen des § 362 Nummer 1 und 2 StPO kommt es, wenn eine Verurteilung ergangen ist, nur auf den ursächlichen Zusammenhang an. Andernfalls muss geprüft werden, ob die behauptete Straftat erwiesen ist; bei Zweifeln ist der Antrag unbegründet. Im Fall des § 362 Nummer 3 StPO begründet die rechtskräftige Verurteilung ohne weiteres die Wiederaufnahme. Bei § 362 Nummer 4 StPO ist zu prüfen, ob genügend bestätigt ist, dass der Angeklagte ein Geständnis abgelegt hat, und ob es glaubhaft ist. Soweit auf den gesetzlich vermuteten ursächlichen Zusammenhang abzustellen ist, ist die Wiederaufnahme anzuordnen, wenn das Gericht die Vermutung nicht mit Sicherheit widerlegen kann.

Vor dem Hintergrund, dass ein rechtskräftig Freigesprochener nur in engen Grenzen einem Wiederaufnahmeverfahren zu seinen Ungunsten ausgesetzt werden soll, und im Interesse der Rechtssicherheit sind an die Beweiskraft der neuen Tatsachen oder Beweismittel im Sinne des § 362 Satz 1 Nummer 5 StPO-E und damit an den Umfang der auf sie gestützten Begründetheitsprüfung strenge Anforderungen zu stellen. Das bedeutet, dass nur solche Umstände die Anordnung der Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens zu rechtfertigen vermögen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Überführung des Freigesprochenen in einer neuen Hauptverhandlung erwarten lassen. Das Prinzip der Rechtssicherheit wirkt insoweit fort, als ein rechtskräftiges Urteil nicht auf die bloße Vermutung seiner Unrichtigkeit hin erneut überprüft werden darf. Anders als bei der Wiederaufnahme zu Gunsten des Angeklagten vermögen erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils die Verfahrenserneuerung nicht zu rechtfertigen. Die Rechtskraft hat dadurch höheres Gewicht, dass sie nicht nur dem allgemeinen Rechtsfrieden dient, sondern auch den Einzelnen davor schützt, erneut mit einem Strafverfahren überzogen zu werden.23

In § 370 Absatz 1 StPO-E wird deshalb die Anordnung der Wiederaufnahme des Verfahrens und der Erneuerung der Hauptverhandlung davon abhängig gemacht, dass dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, der Freigesprochene werde verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist. Nicht vorausgesetzt ist hingegen, dass das Gericht bereits im Wiederaufnahmeverfahren die für eine Verurteilung oder Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB erforderliche sichere Überzeugung gewinnt. Das Aufstellen derart strenger Voraussetzungen würde dem Charakter des Wiederaufnahmeverfahrens, in dem lediglich eine summarische Prüfung stattfindet und nicht die spätere Hauptverhandlung vorweggenommen werden soll, zuwiderlaufen.

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.