Empfehlungen der Ausschüsse
Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Absprachen im Strafverfahren - Antrag des Landes Niedersachsen -

829. Sitzung des Bundesrates am 15. Dezember 2006

A.

Zu Artikel 1 Nr. 2 (§ 44 Satz 2, § 199 Abs. 2 StPO), Nr. 3 (§ 201 Abs. 1 Satz 2 StPO), Nr. 4 (§ 212 StPO), Nr. 5 (§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO), Nr. 6 (§ 243a Abs. 2 Satz 1, 3, Abs. 4 Satz 6, Abs. 5 Satz 2, 3 - neu -, Abs. 6 Satz 2, § 243b StPO), Nr. 10 (§ 337 Abs. 3 StPO)

Artikel 1 ist wie folgt zu ändern:

Folgeänderungen:

Begründung (nur für das Plenum):

Zu Buchstabe a

Eine förmliche Aufnahme von Vorstellungen der Staatsanwaltschaft über den weiteren Verfahrensablauf in Form eines "Antrags" in die Anklageschrift ist bislang nicht vorgesehen und im Hinblick auf die Dynamik des Verfahrens auch nicht sinnvoll. Es bleibt der Staatsanwaltschaft unbenommen, in geeigneten Fällen entsprechende Überlegungen in das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen aufzunehmen. Dabei sollte es auch verbleiben. Von den bisher in Artikel 1 Nr. 2 vorgesehenen Änderungen des § 199 StPO soll daher Abstand genommen werden. In der Begründung ist klarzustellen, dass in jedem Verfahrensstadium die Möglichkeiten einer Absprache - auch bilateral - erörtert werden können.

Die in Artikel 1 Nr. 1 vorgesehene Ergänzung des § 35a um einen Satz 3, der die qualifizierte Belehrung betrifft, führte dazu, dass sich die Verweisung des § 44 Satz 2 StPO auch auf den neu anzufügenden Satz 3 erstrecken würde.

Würde der Angeklagte über seine Rechtsmittelmöglichkeiten belehrt, jedoch nicht qualifiziert belehrt, dass ihm die Rechtsmittel trotz der Urteilsabsprache zustehen gälte eine Versäumung der Rechtsmittelfrist nach § 44 Satz 2 StPO als unverschuldet.

Eine Beschränkung dieser Vermutung entspricht den Vorgaben des Bundesgerichtshofs in dem Beschluss des Großen Senats für Strafsachen vom 3. März 2005 (GSSt 1/ 04, BGHSt 50, 40 ff.), nach denen § 44 Satz 2 bei fehlender Qualifikation der Belehrung gerade nicht zur Anwendung gelangt: "Bei erfolgter Rechtsmittelbelehrung, aber ohne qualifizierte Belehrung gilt für die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Rechtsmitteleinlegung:

Die gesetzliche Vermutung des § 44 Satz 2 StPO kommt für die unterbliebene qualifizierte Belehrung nicht zur Anwendung. Die Vermutung gilt nur für die unterbliebene Rechtsmittelbelehrung nach § 35a Satz 1 StPO, welcher die notwendige Kenntnis des Rechtsmittelberechtigten von der zu wahrenden Rechtsmittelfrist effektiv absichern soll. Sie etwa auf die durch Richterrecht geschaffene weitere qualifizierte Belehrung zu erstrecken, ist nach Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht geboten. Denn der Rechtsmittelverzicht eines Betroffenen nach einer Urteilsabsprache wird - und zwar selbst wenn diese unzulässigerweise die Frage eines Rechtsmittelverzichts einbezogen hätte - häufig darauf beruhen, dass der Betroffene das Ergebnis der gefundenen Verständigung als dauerhaft akzeptiert und eine Rechtsmittelüberprüfung gar nicht wünscht. Eine abweichende Lösung würde die im Interesse der Rechtssicherheit nicht hinnehmbare Gefahr bergen, Rechtsmittelmöglichkeiten ohne gebotene Fristgrenzen allzu leicht auch nach bloßem späteren Motivwechsel hinsichtlich der Rechtsmitteldurchführung zu eröffnen."

Diese Argumentation greift auch dann noch, wenn die Verständigung gesetzlich geregelt ist. Dem könnte statt mit einer Änderung des § 44 Satz 2 StPO auch dadurch Rechnung getragen werden, dass die für § 35a Satz 3 StPO-E vorgesehene Regelung Gegenstand zum Beispiel eines neuen § 35b StPO werden könnte. Dagegen spricht jedoch, dass die Aufnahme der Pflicht zur qualifizierten Belehrung in § 35a StPO zu einer Konzentration der Belehrungspflichten in jener Norm führt. z.B.chstabe b Sieht Artikel 1 Nr. 2 keine Änderungen mehr in § 199 StPO vor, so bedarf es keiner Änderung in § 201 Abs. 1 StPO.

Zu Buchstabe c Doppelbuchstabe aa

Die Forderung, sämtliche Gespräche mit dem Ziel einer Verständigung - insbesondere auch außerhalb der Hauptverhandlung - in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten zu führen, ist zwar auf den ersten Blick in optimaler Weise geeignet, die Wahrung der Belange aller Verfahrensbeteiligten und die gebotene umfassende Transparenz zu gewährleisten. Sie erscheint jedoch praxisfern. So wäre gerade bei inhaftierten Angeklagten der Aufwand einer Vorführung zu derartigen Gesprächsterminen beträchtlich. Im Übrigen liegt es häufig gerade im Interesse der Verteidiger, die Möglichkeiten einer Verständigung zunächst einmal ohne ihren Mandanten mit Gericht und Staatsanwaltschaft auszuloten.

Die vorgesehenen umfassenden Dokumentations- und Mitteilungspflichten erscheinen ausreichend um bilateralen Geheimabsprachen vorzubeugen.

Demgegenüber würde die im Gesetzesantrag vorgesehene rigide Regelung die Gefahr des Ausweichens auf "informelle" (Vor-) Gespräche erhöhen und somit dem Ziel der Herstellung umfassender Transparenz zuwiderlaufen.

Zu Buchstabe c Doppelbuchstabe bb

Anträge Verfahrensbeteiligter, die Möglichkeiten einer Urteilsabsprache gemeinsam zu erörtern, sind materiell Anregungen zur weiteren Verfahrensgestaltung.

In der Verfahrensgestaltung ist das Gericht aber frei. Es ist daher nicht notwendig über diese Anregungen durch Beschluss zu entscheiden. Von einer entsprechenden Regelung, welche das Verfahren unnötig belasten würde, sollte daher abgesehen werden. z.B.chstabe d Es ist nicht erforderlich, dass dem Vorsitzenden des Gerichts aufgegeben wird, mitzuteilen dass vor der Hauptverhandlung keine Erörterungen gemäß § 212 StPO-E stattgefunden haben. Eine entsprechende Regelung würde das Verfahren unnötig belasten. z.B.chstabe e Doppelbuchstabe aa zu Dreifachbuchstabe aaa Vierfachbuchstabe aaaa Dass Maßregeln der Besserung und Sicherung nicht Gegenstand einer Absprache sein können, ergibt sich bereits aus deren primär präventiver Zielsetzung sowie aus ihrem zumeist zwingenden Charakter. Gleichwohl erscheint insoweit eine gesetzliche Klarstellung notwendig. Die Formulierung in § 243a Abs. 2 Satz 1 StPO-E, wonach eine Verständigung über die Rechtsfolgen zulässig ist könnte sonst dahin fehlinterpretiert werden, das gelte auch für Maßregeln der Besserung und Sicherung. Eine klare gesetzliche Regelung wird insoweit dem ansonsten zweifelsohne zu erwartenden Druck entgegenwirken, sich auch über Maßregeln - insbesondere etwa die Entziehung der Fahrerlaubnis - zu verständigen. zu Dreifachbuchstabe aaa Vierfachbuchstabe bbbb In der Praxis besteht nicht selten das Bedürfnis, aus Anlass einer Hauptverhandlung zu einer "Gesamtbereinigung" der gegen den Angeklagten anhängigen Ermittlungs- und Strafverfahren zu gelangen, indem nach Verhängung einer angemessenen Strafe in dem aktuellen Verfahren weitere Ermittlungs- bzw. Strafverfahren bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nach § 154 StPO behandelt werden. Dabei liegt es im nachvollziehbaren Interesse von Angeklagtem und Verteidigung, hinsichtlich dieser Sachbehandlung in den weiteren anhängigen Verfahren im Wege der Einbeziehung in die Absprache Rechtssicherheit zu erhalten. Eine solche "Gesamtbereinigung" kann sowohl unter dem Aspekt der Wiederherstellung des Rechtsfriedens als auch im Hinblick auf die Entlastung der Justiz von hohem Stellenwert sein. Diese Möglichkeit sollte daher nicht durch eine zu enge Beschränkung des zulässigen Gegenstandes einer verfahrensbeendenden Absprache verschlossen werden. Dem will der mit dem Änderungsantrag vorgeschlagene Satz 4 des § 243a Abs. 2 StPO-E Rechnung tragen, indem er klarstellt, dass nicht nur die Beschränkung des Verfahrensstoffs nach den §§ 154 und 154a StPO in dem aktuellen Strafverfahren Gegenstand der Verständigung sein, sondern dass sich diese insoweit auch auf weitere Verfahren erstrecken kann, soweit die Zuständigkeit und damit die Entscheidungsbefugnis des konkreten Spruchkörpers bzw. der verfahrensbeteiligten Staatsanwaltschaft gegeben ist.

Zu Dreifachbuchstabe bbb

Schon aus § 273 Abs. 1 StPO ergibt sich, dass die Tatsache der Erklärung der Staatsanwaltschaft auf die Bedenken der Nebenklage im Hauptverhandlungsprotokoll zu dokumentieren ist. § 243a Abs. 4 Satz 6 StPO-E ist daher überflüssig und zu streichen.

Eine Protokollierung des Inhalts überfrachtete Hauptverhandlung und Protokoll und hätte keinen eigenständigen Wert, diente insbesondere nicht den Interessen der Nebenklage, namentlich wenn die Staatsanwaltschaft nur auf vorherige Ausführungen Bezug nimmt. Zudem wird auch der Inhalt der Erklärung der Nebenklage nicht protokolliert.

Zu Dreifachbuchstabe ccc Vierfachbuchstabe aaaa

Die in dem Gesetzesantrag vorgesehene Fassung von § 243a Abs. 5 StPO lässt die Bindung des Gerichts an den in Aussicht gestellten Strafrahmen nur entfallen, wenn nachträglich wesentliche strafmildernde oder strafschärfende Umstände auftreten die dem Gericht im Zeitpunkt der Mitteilung des Strafrahmens unbekannt waren. Diese Fassung lässt es bereits zweifelhaft erscheinen, ob - wie in der Entwurfsbegründung ausgeführt - die Bindung auch dann entfällt, wenn das Gericht relevante Umstände lediglich übersehen hat. Darüber hinausgehend muss die gerichtliche Bindung aber auch dann entfallen, wenn dem Gericht im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung eine wesentliche Fehlbewertung - bei unveränderter Erkenntnisgrundlage - bewusst wird. Von dem Gericht kann nicht erwartet werden, sehenden Auges ein als falsch erkanntes Urteil zu sprechen. Von besonderer Bedeutung ist dabei jedoch, dass ein solcher Wegfall der Bindungswirkung nur bei einer wesentlichen Bewertungsänderung eintreten kann. Andernfalls wäre die erforderliche Verlässlichkeit einer verfahrensbeendenden Absprache nicht mehr gewährleistet.

Zu Dreifachbuchstabe ccc Vierfachbuchstabe bbbb

Die vorgeschlagene Ergänzung des § 243a Abs. 5 StPO bringt die auf den jeweiligen Rechtszug beschränkte Bindungswirkung einer verfahrensbeendenden Absprache zum Ausdruck. zu Dreifachbuchstabe ddd Es handelt sich um eine Folgeänderung zu Dreifachbuchstabe ccc Vierfachbuchstabe aaaa.

Zu Buchstabe e Doppelbuchstabe bb

Von einer Zweiteilung zentraler Verfahrensregelungen für Verfahren nach allgemeinem Strafrecht vor dem Strafrichter einerseits und Verfahren vor Kollegialgerichten andererseits sollte abgesehen werden.

Jugendstrafverfahren werden im Hinblick auf den darin verfolgten erzieherischen Anspruch in der Regel für Urteilsabsprachen nicht in Betracht kommen.

Sollte dies ausnahmsweise der Fall sein, sollten die für alle übrigen Strafverfahren für erforderlich gehaltenen Regelungen zur Urteilsabsprache auch in Jugendstrafverfahren Anwendung finden. z.B.chstabe f Die Beschränkung der Anfechtbarkeit des Urteils mit der Revision in den Fällen einer verfahrensbeendenden Absprache ist nur bezüglich derjenigen Verfahrensbeteiligten sachgerecht die der Absprache zugestimmt haben. Da die Zustimmung der Nebenklage kein notwendiges Erfordernis für das Zustandekommen einer Absprache ist, können die Einschränkungen der Anfechtbarkeit mit der Revision für sie daher nur im Falle ihrer Zustimmung zu der Absprache gelten.

B.

C.

Ministerin Elisabeth Heister-Neumann (Niedersachsen) gemäß § 33 der Geschäftsordnung des Bundesrates zur Beauftragten des Bundesrates für die Beratung des Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag und seinen Ausschüssen zu bestellen.