Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: IKT-Infrastrukturen für die e-Wissenschaft KOM (2009) 108 endg.; Ratsdok. 7432/09

Übermittelt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie am 13. März 2009 gemäß § 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993 (BGBl. I S. 313), zuletzt geändert durch das Föderalismusreform-Begleitgesetz vom 5. September 2006 (BGBl. I S. 2098).

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat die Vorlage am 5. März 2009 dem Bundesrat zugeleitet.

Die Vorlage ist von der Kommission am 5. März 2009 dem Generalsekretär/Hohen Vertreter des Rates der Europäischen Union übermittelt worden.


Hinweis: vgl.
Drucksache 139/07 (PDF) = AE-Nr.

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen IKT-Infrastrukturen für die e-Wissenschaft

1. Einleitung

1.1. Zweck der Mitteilung

In dieser Mitteilung wird die strategische Rolle der IKT1-Infrastrukturen als entscheidende Stütze der europäischen Forschungs- und Innovationspolitik herausgestellt. Um den Weg für die wissenschaftlichen Entdeckungen des 21. Jahrhunderts zu ebnen, werden Mitgliedstaaten und Wissenschaftler aufgerufen, ihre Bemühungen um den Ausbau der IKT-Infrastrukturen von Weltniveau, auch "e-Infrastrukturen" genannt, in Zusammenarbeit mit der Kommission weiter zu verstärken und noch besser zu koordinieren.

1.2. Hintergrund der e-Infrastrukturen

Die Innovation ist die Grundlage der wirtschaftlichen Entwicklung. Sie hängt von schnellen wissenschaftlichen Fortschritten ab. Die Wissenschaft basiert ihrerseits immer mehr auf einer offenen, grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Forschern aus aller Welt. Darüber hinaus ist die Wissenschaft ein intensiver Nutzer von Hochleistungsrechnern für die Modellierung komplexer Systeme und die Auswertung von Versuchsergebnissen.

Mit dem Aufkommen neuer Forschungsmethoden, die modernste Rechenressourcen, Datensammlungen und wissenschaftliche Instrumente nutzen - also der "e-Wissenschaft" - zeichnet sich ein Umbruch im wissenschaftlichen Entdeckungsprozess ab - vergleichbar mit der "wissenschaftlichen Renaissance"2, die die Grundlage der modernen Wissenschaft legte.

Europa muss diesen Systemwechsel unbedingt vollziehen, wenn es seinen Wettbewerbsvorsprung behaupten und die Erwartungen der Gesellschaft erfüllen will.

Um einen zügigen Übergang zur e-Wissenschaft zu erleichtern, haben die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten bereits erhebliche Investitionen in e-Infrastrukturen getätigt, zum Beispiel in das europaweite Forschungsnetz GÉANT3, aber auch in e-Wissenschafts-Grids, Dateninfrastrukturen und Hochleistungsrechner.

Das Streben nach der Weltspitze in der e-Wissenschaft, die Schaffung von e-Infrastrukturen als tragfähige Versorgungsgrundlage und deren Einsatz zur Innovationsförderung sind die drei Vektoren einer erneuerten europäischen Strategie, die den Aufbau einer bahnbrechenden wissenschaftlichen Forschung ab 2020 unterstützen soll. Diese Strategie erfordert jedoch einen erheblichen Schritt vorwärts in Bezug auf die Art und Intensität der Investitionen, eine bessere Abstimmung der Forschungs- und Innovationspolitik und die Koordinierung nationaler und gemeinschaftlicher Strategien.

1.3. E-Infrastrukturen und das politische Umfeld

Der Rat (Wettbewerbsfähigkeit)4 forderte die Mitgliedstaaten auf, "die öffentlichen und privaten Forschungseinrichtungen dazu anzuhalten, die aufstrebenden dezentralen Formen von Forschungstätigkeiten (nämlich e-Science) umfassend zu nutzen, die sich auf die internationalen Forschungsnetze stützen, welche durch die Verfügbarkeit und das einzigartige Weltspitzenniveau der dezentralen europäischen Netzwerkinfrastrukturen wie GÉANT und "e-Science Grids" ermöglicht werden", wodurch eine politische Koordinierung noch dringlicher wird.

E-Infrastrukturen leisten einen wichtigen Beitrag zur Erfüllung der Ziele der i2010 - Strategie5 und des Europäischen Forschungsraums (EFR)6. Außerdem spielen sie eine bedeutende Rolle bei der Förderung des Aufbaus neuer Forschungseinrichtungen, deren Entwicklung mit Hilfe politischer Gremien wie ESFR17 und e-IRG8 im Dialog mit den Mitgliedstaaten gestaltet wird.
Auf der Ratstagung in Ljubljana9 wurde erneut die Unterstützung für den EFR in den Vordergrund gerückt und herausgestellt, dass die neue Vision auch den freien Wissensverkehr ("fünfte Grundfreiheit") umfassen sollte, der insbesondere durch den Zugang zu Forschungsinfrastrukturen von Weltniveau sowie den Austausch und die Nutzung von Wissen über Branchen- und Staatsgrenzen hinweg erleichtert werden sollte. Die Bedeutung der e-Infrastrukturen für die Innovation wird auch im Aho-Bericht10 vom Mai 2008 anerkannt.
i2010 (Halbzeitüberprüfung, Mai 2008)
Der Beitrag der IKT zu den Zielen von Lissabon wird durch die Entwicklung von e-Infrastrukturen (z.B. GÉANT, e-Science-Grids), mit deren Hilfe ein neues Forschungsumfeld geschaffen sowie die Produktivität und die Qualität der Forschung gesteigert werden können, noch vergrößert.
Aho-Bericht (Mai 2008)
Die erfolgreiche Entwicklung der e-Infrastrukturen hat die Bedeutung der Maßnahmen auf europäischer Ebene gezeigt.
Das e-Infrastruktur-Konzept sollte auf stärker anwendungs- und nutzerorientierte Plattformen erweitert werden, die in Bereichen wie e-Government (insbesondere Beschaffungswesen), e-Health (grenzüberschreitende Anwendungen), Logistik und Verkehr benötigt werden.

In dem Bericht wird der europäische Mehrwert von grenzübergreifenden Infrastrukturen, Interoperabilität und Normen betont. Wie die ERINA11-Studie bestätigte, haben e-Infrastrukturen über die Forschung hinaus ein sehr hohes Potenzial, um den reibungslosen Übergang zu neuartigen Technologien und Diensten auch auf dem Markt zu unterstützen.

Durch die gegenwärtige Finanzkrise geraten die nationalen Haushalte in eine schwierige Lage. Dennoch ist es - wie die Kommission erst kürzlich unterstrichen hat12 - heute wichtiger denn je, "innovative Finanzierungsformen für eine große Bandbreite von Infrastrukturprojekten (u. a. Verkehr, Energie, Hochtechnologie-Netze)" zu erkunden.

2. E-Infrastrukturen lösen eine neue Wissenschaftsrenaissance aus

2.1. Systemumstellung auf die e-Wissenschaft

Die IKT-Einführung in allen Phasen des Wissenschaftsprozesses wird den Forschern eine kostengünstige Zusammenarbeit mit ihren Kollegen in aller Welt ermöglichen und gleichzeitig durch zunehmende Nutzung von Insilicio13-Experimenten neue bahnbrechende Wege für die Zusammenarbeit Mensch-Maschine und für neue wissenschaftliche Entdeckungen eröffnen. Gemeint ist damit der Übergang vom echten Labor14 zur virtuellen Forschungsumgebung, der den sichtbarsten Teil der Systemumstellung auf die e-Wissenschaft darstellt.

Die auf Beobachtung und Experiment beruhende Systematisierung des Wissens prägte die wissenschaftliche Revolution in der Renaissance.
Angesichts der neuen, bisher ungekannten Größenordnung der Experimente, mit denen sehr kleine, sehr große und sehr komplexe Phänomene bzw. Objekte untersucht werden, stehen wir nun kurz vor einer neuen Wissenschaftsrenaissance
Beispiele:
Für die Erforschung der Klimaveränderungen werden komplexe Computersimulationen benötigt, die auf Daten in weltweit verteilten Online-Datendepots zugreifen. Die Schaffung individueller Modelle des menschlichen Körpers, die für eine individuelle Behandlung benötigt werden, ist eine Herausforderung, die eine immer ausgefeiltere Modulierung und Simulation erfordert. Zur Emulierung von Katastrophen wie nuklearen Unfällen, Pandemien oder Tsunamis müssen die Forscher ihre Experimente aus der risikoreichen Wirklichkeit immer mehr in virtuelle Welten verlegen.
Dank der "Virtualisierung" der Versuche können die Forscher weltweit über moderne Forschungsnetze und Grid-Infrastrukturen zusammenarbeiten und die Daten gemeinsam nutzen.
Beschleunigte Arzneimittelentwicklung
Während des Vogelgrippealarms 2006 setzten asiatische und europäische Labors 2000 Rechner des EGEE-Gridverbunds15 ein, um 300 000 Arzneimittelbestandteile innerhalb von 4 Wochen zu analysieren, was mit einem einzigen Computer 100 Jahre gedauert hätte. Das Insilicio-Arzneimittelscreening kann somit die Entdeckung neuartiger Wirkstoffe beschleunigen und die Anzahl der Laborversuche nach der Trialanderror-Methode verringern.
Massenproduktion wissenschaftlicher Daten
Im Large Hadron Collider des CERN16 finden 600 Millionen Teilchenkollisionen pro Sekunde statt. Die dabei entstehenden gewaltigen Datenmengen stehen 7000 Physikern in 33 Ländern über GÉANT und andere e-Wissenschafts-Infrastrukturen zur Verfügung.
Und wenn ihr Kollege ein Roboter ist?
Roboter beginnen langsam, den Laboralltag umzukrempeln und den Umfang der mühsamen manuellen Versuche in echten Labors zu verringern. Sie automatisieren und beschleunigen die Erfassung und Auswertung wissenschaftlicher Daten, die für das Verständnis komplexer Phänomene und die Gewinnung neuer Erkenntnisse unverzichtbar sind.

All diese Entwicklungen verändern die Wissenschaftsdisziplinen. Sie erweitern deren Zielsetzungen und Untersuchungsgebiete und führen zu einer fachübergreifenden Forschung. Voraussetzungen, um sich angesichts dieser neuen wissenschaftlichen Herausforderungen zu behaupten, sind die Zusammenarbeit zwischen Forscherteams und Einrichtungen in ganz Europa und der Welt, die Fähigkeit zur Nutzung und Verwaltung exponentiell wachsender Datenbestände und der Einsatz von Hochleistungsrechenanlagen für die Modellierung und Simulation. Notwendig ist daher die breite Einführung neuer Forschungsumgebungen, die auf modernsten IKT beruhen und die nie dagewesenen Anforderungen heutiger Wissenschaftler an Verbundfähigkeit, Rechenleistung und Informationszugriff erfüllen.

2.2. e-Infrastrukturen für die heutige und künftige e-Wissenschaft

e-Infrastrukturen erleichtern wissenschaftliche Entdeckungen und Innovationen und sind somit ein wichtiges Instrument zur Umsetzung der "Lissabon-Strategie" für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung.

Das von der Europäischen Kommission geleitete Rahmenprogramm für Forschung und technologische Entwicklung (7. RP) gibt beträchtliche Impulse für den Aufbau von e-Infrastrukturen, nicht nur zugunsten wissenschaftlicher Spitzenleistungen, sondern auch für die Förderung der Innovation und der industriellen Wettbewerbsfähigkeit.

GÉANT und e-Wissenschafts-Grids stellen zwar die Weltspitze dar, es muss jedoch noch mehr getan werden, um die Stellung Europas bei den Supercomputern zu verbessern und zu einem abgestimmten Vorgehen beim Zugang zu wissenschaftlichen Daten und deren Bewahrung zu gelangen.

Aus der exponentiellen Zunahme der Hardwareleistung (Verdopplung der Rechenkapazität alle 18 Monate, der Speicherkapazität alle 12 Monate und der Netzgeschwindigkeit alle 9 Monate17) sowie der wissenschaftlichen Bedürfnisse (die schon Exa-Maßstäbe erreichen18) ergeben sich neue Anforderungen und Herausforderungen für die Gestaltung der e-Infrastrukturen von 2020. Simulation technischer Großkonstruktionen
Die Computersimulation ist der Grundstein des modernen Maschinenbaus. Die Herstellung von komplexen Gebilden wie Flugzeugen, Kraftfahrzeugen oder persönlichen Geräten basiert auf komplexen Modellierungen und Simulationen und der Zusammenarbeit zwischen Forschern und Ingenieuren

E-Infrastrukturen müssen einen größeren Funktionsumfang bieten, darunter beispielsweise eine neue Generation von System- und Anwendungssoftware, virtuelle Maschinen, Dienstleistungsplattformen, Visualisierungswerkzeuge, semantikgestützte Suchmaschinen usw., damit sie multidisziplinären Teams dabei helfen können, Bits, Bytes und Flops19 in wissenschaftliche Entdeckungen und komplexe Konstruktionen zu verwandeln.

Die Weiterentwicklung der e-Infrastruktur zur strategischen Plattform, die den Führungsanspruch Europas in Wissenschaft und Innovation untermauert, ist sowohl eine Notwendigkeit als auch eine Chance. Die Mitgliedstaaten, die Europäische Kommission und die Wissenschaftler müssen dazu allerdings weitere große Anstrengungen unternehmen, damit mehr Investitionen in e-Infrastrukturen fließen und damit die nationalen und gemeinschaftlichen Strategien ausreichend koordiniert und angeglichen werden.

2.3. Eine erneuerte Strategie

Die Forschung im Jahr 2020 wird ohne intensiven Einsatz ausgeklügelter e-Infrastrukturen unvorstellbar sein. Deshalb braucht Europa eine neue Strategie, um die damit verbundenen Herausforderungen und Prioritäten in Angriff zu nehmen. Eine solche Strategie muss auf drei miteinander zusammenhängenden Vektoren beruhen: e-Wissenschaft, e-Infrastrukturen und Innovation- Der erste Vektor verlangt, dass Europa zu einem Exzellenzzentrum der e-Wissenschaft wird, das die multidisziplinäre und weltweite Zusammenarbeit ausnutzt, um sich ergänzende Fähigkeiten und Ressourcen für den Einsatz in rechenintensiven Simulationen zusammenzuführen. Europa muss daher seine Forschungskapazitäten im Bereich des Hochleistungsrechnens ausbauen.

Die Umsetzung dieser Strategie wird anhand einer Reihe konkreter Maßnahmen zu den unterschiedlichen strukturellen Bereichen der e-Infrastrukturen erfolgen. Ihre erfolgreiche Verwirklichung wird von der Koordinierung der Anstrengungen und einem verstärkten Engagement seitens nationaler und europäischer Geldgeber abhängen.

3. Europas Führungsrolle

3.1. Heutige e-Infrastrukturen

e-Infrastrukturen werden gegenwärtig in fünf miteinander verwobene Bereiche gegliedert, die zusammen eine Vielzahl von Funktionen und Diensten bieten:

- GÉANT ist das größte Multi-Gigabit-Kommunikationsnetz der Welt, das der Forschung und Bildung dient. In Europa versorgt GÉANT schon etwa 4000 Universitäten und Forschungszentren und verbindet 34 nationale Forschungs- und Bildungsnetze (NREN). Außerdem ist es an ähnliche Netze in aller Welt angebunden, mit denen es ein einziges globales Forschungsnetz bildet (Balkanländer, Schwarzmeer- und Mittelmeerraum, Asien, Südafrika und Lateinamerika). GÉANT hat seine Führungsstellung dank eines konsolidierten Verwaltungsmodells erreicht, bei dem die nationalen Forschungs- und Bildungsnetze den notwendigen Netzausbau auf nationaler Ebene sicherstellen und gemeinsam die Verwirklichung des europaweiten Netzes koordinieren, indem sie ihre strategischen und technologischen Entscheidungen miteinander abstimmen und die Finanzmittel auf nationaler und europäischer Ebene bündeln. Was ist eine e-Infrastruktur?
Eine e-Infrastruktur ist "ein Umfeld, in dem Forschungsressourcen (Hardware, Software und Inhalte) leicht gemeinsam nutzbar und zugänglich sind, wann immer dies im Interesse einer besseren und effektiveren Forschung notwendig ist". Ein solches Umfeld besteht aus Netzen, Grids und Middleware, Rechenressourcen, Versuchsanlagen, Datendepots, Werkzeugen und Instrumenten sowie den operativen Unterstützungsdiensten für eine globale virtuelle Forschungszusammenarbeit.
Was ist ein Grid?
Ein Grid ist ein Dienst zur gemeinsamen Nutzung von Rechenleistung und Datenspeicherkapazität über das Internet. Dies geht weit über die bloße Verbindung von Computern hinaus und soll letztlich das weltweite Computernetz in eine riesige Rechenressource für groß angelegte, besonders rechen- und datenintensive Anwendungen verwandeln.

3.2. e-Infrastrukturen ab 2020

Europa braucht zur Bewältigung der mit der e-Wissenschaft verbundenen langfristigen Herausforderungen ein effizienteres und besser koordiniertes Konzept für europäische Investitionen in wissenschaftliche Infrastrukturen von Weltniveau. e-Infrastrukturen ermöglichen gemeinsame Antworten auf die unterschiedlichen Anforderungen der Nutzer und spielen damit eine entscheidende Rolle bei der Förderung wissenschaftlicher Spitzenleistungen und globaler wissenschaftlicher Partnerschaften sowie bei der Heranbildung hochwertigen Humankapitals, wobei sie gleichzeitig Größeneinsparungen erlauben. E-Infrastrukturen sind ein öffentliches Gut, das für die Bildungs-, Forschungs- und Innovationspolitik von großem Nutzen ist. Unverzichtbar ist daher die aktive Beteiligung der Behörden an der Festlegung der Prioritäten und Strategien.

Die einzigartige Fähigkeit des GÉANT-Netzes, dank Hochgeschwindigkeitsanbindung und hochmoderner Dienste eine bahnbrechende Forschungszusammenarbeit zu ermöglichen, ist einer der größten Erfolge Europas. Damit Europa seiner stolzen Tradition der Innovation und wissenschaftlichen Entdeckung auch nach 2020 gerecht werden kann, muss es aufbauend auf seinen herausragenden Leistungen nun den Exa-Maßstab anstreben und seinen Beitrag zur Gestaltung des künftigen Internet leisten.

Die wirtschaftliche Tragfähigkeit von e-Wissenschafts-Grids hängt hauptsächlich von einer starken Nachfrage seitens wissenschaftlicher Anwender ab, die zusammen an Projekten arbeiten, welche im Zuge nationaler und gemeinschaftlicher Programme finanziert werden. Das hieraus erwachsende Risiko der Betriebseinstellung erweist sich zunehmend als Hemmschuh für die vollständige Ausnutzung des Potenzials der Grids. Nationale Grid-Initiativen (NGIs)
Nationale Grid-Initiativen sind Einrichtungen, die im öffentlichen Auftrag auf nationaler Ebene vorhandene Finanzierungsquellen für die Erbringung gridgestützter Dienste bündeln sollen. Sie sind der zentrale Ansprechpartner für eine ganze Reihe üblicher gridgestützter Dienste für die nationale Forschung.

Projektorientierte, kurzfristige Technologieentwicklungszyklen können die Interoperabilität von Grid-Infrastrukturen untergraben und dadurch eine fachübergreifende Zusammenarbeit sowie Größeneinsparungen behindern. Die Projekte EGEE und DEISA bemühen sich seit langem um die Zusammenführung verschiedener Disziplinen und die Koordinierung der Strategien. Im Interesse der langfristigen wirtschaftlichen Tragfähigkeit müssen diese Anstrengungen in wirklich europaweite Organisationsmodelle überführt werden, die solche gridgestützten e-Infrastrukturen für alle Wissenschaftsdisziplinen öffnen und die nationalen Finanzierungsstrategien zur Unterstützung der e-Wissenschaft ergänzen. Derzeit entstehen mehrere nationale Grid-Initiativen, die in koordinierter und kostengünstiger Weise den Bedarf der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen an Rechenkapazitäten decken sollen.

Ziel der e-Infrastrukturen für wissenschaftliche Daten ist die Entwicklung eines Systems europäischer digitaler Datendepots, das einen Mehrwert durch Kombinierung nationaler und fachlich spezialisierter Datendepots bietet, um dem Bedarf der Mitgliedstaaten an einem besseren Zugang zu wissenschaftlichen Informationen zu entsprechen. Daten, Daten, noch mehr Daten ...
Bioinformatik-Datendepots wachsen exponentiell. Bis 2012 werden die in einem einzigen Depot jährlich hinzukommenden Informationen eine Größenordnung von 4 Petabytes/Jahr erreichen, was einem 10 km hohen CD-Stapel entspräche.

Das Aufkommen der "Massendaten-Wissenschaft" hat eine weltweite Dimension24, denn es zeigt die zunehmende Bedeutung, die den Rohdaten aus Beobachtungen und Versuchen auf praktisch allen Gebieten der Wissenschaft (Geisteswissenschaften, biologische Vielfalt, Hochenergiephysik, Astronomie usw.) zukommt. Europa muss der Zugänglichkeit, Qualitätssicherung und Bewahrung wichtiger Datensammlungen besondere Beachtung schenken. So wird beispielsweise die europäische Umweltpolitik durch die INSPIRERichtlinie25 unterstützt mit der die Schaffung einer europäischen Geodateninfrastruktur für integrierte Geodateninformationsdienste angestrebt wird. Angesichts einer heterogenen Digitaldatenlandschaft, in der nur schätzungsweise 28 % der Forschungsergebnisse in digitalen Datendepots verwaltet wird26, ist es notwendig, eine neue Strategie für die Verwaltung wissenschaftlicher Informationen und die damit verbundenen politischen Aufgaben aufzustellen, und zwar auf der Grundlage der wegweisenden Vorarbeiten maßgeblicher Forschungsträger (z.B. EMBL, ESA, ECMWF, CERN27) sowie akademischer Einrichtungen und Bibliotheken.

Supercomputer sind eine der Hauptprioritäten, wenn es um die Steigerung der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit Europas geht. Diesbezüglich ist eine neue Strategie für die Beteiligung der Industrie und die Koordinierung der öffentlichen Geldgeber erforderlich28.

Durch die Behandlung von strategischen, politischen, technischen, finanziellen und Führungsfragen im Zusammenhang mit dem Hochleistungsrechnen gibt das Projekt PRACE wichtige Impulse für die Mobilisierung bedeutender nationaler Mittel für den Aufbau eines Systems aus Peta-Anlagen in Europa, damit bis 2020 eine Leistung im Exa-Maßstab erreicht wird.

Wenn Europa die e-Wissenschaft wirksam unterstützen und eine führende Rolle in den globalen virtuellen Forschungsgemeinschaften spielen will, muss es weiterhin e-Infrastrukturen von Weltniveau aufbauen, die sich für neue partizipative Arbeitsweisen eignen. Dies birgt eine einzigartige Chance, die Rolle der europäischen Forschung im sich weiterentwickelnden globalen Kontext zu stärken.

Zunächst muss jedoch eine Reihe von Problemen gelöst werden, bevor das Potenzial der weltweiten wissenschaftlichen Zusammenarbeit vollständig ausgenutzt werden kann. Zu diesen Fragen gehören der Zusammenprall der Kulturen unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen, das notwendige Überdenken der Organisationsmodelle und der Aufbau von Qualitätssicherungsmechanismen und Geschäftsmodellen.

Neue Strategien für die technologische Entwicklung von e-Infrastrukturen sind auch eine wichtige Voraussetzung für "zukunftssichere" Lösungen, die auf offenen Standards basieren, langfristig fortgeführt und weiter verbessert werden können und einen Mehrwert für Investitionen in Forschungseinrichtungen sowie Großanlagen oder einzigartige Instrumente bieten.

4. Massnahmen auf europäischer Ebene

Die erfolgreiche Verwirklichung einer erneuerten Strategie setzt voraus, dass eine ganze Reihe konkreter Maßnahmen in den verschiedenen Anwendungsbereichen europäischer e-Infrastrukturen durchgeführt und entsprechende Synergien erschlossen werden.

4.1. Festigung der weltweiten Führungsrolle von GÉANT

In enger Verbindung mit den NREN muss GÉANT weiterhin für Forscher, Lehrende und Studierende eine dauerhafte Spitzenanbindung auf einem noch weitaus höheren Leistungsniveau garantieren, um den Zugang zu verteilten Ressourcen und Einrichtungen zu erleichtern. Es muss seine globale Ausrichtung verstärken und sowohl die fortgeschrittenen als auch die sich entwickelnden Regionen einbeziehen29.

Außerdem muss GÉANT die neuesten Technologietrends aufgreifen und Versuche mit neuen Arbeitsweisen unterstützen, die den Weg zum Internet der Zukunft weisen30.

Die Mitgliedstaaten werden aufgerufen, die nationalen und europäischen Maßnahmen auf dem Gebiet der Forschungs- und Bildungsnetze enger zu koordinieren.

Die Mitgliedstaaten und die Forscherkreise werden aufgerufen, GÉANT zu unterstützen und zu nutzen, und zwar als Versuchsplattform, die den Weg zum Internet der Zukunft weist.

Die Kommission wird GÉANT weiterhin über das 7. Rahmenprogramm und die internationale Zusammenarbeit kontinuierlich unterstützen, um seine Kapazitäten weiter zu erhöhen und seine globale Ausrichtung zu stärken.

4.2. Strukturierung der Grid-Landschaft für die e-Wissenschaft

Auch künftige europäische e-Wissenschafts-Grids sollten auf den Erfolgen der derzeitigen Initiativen aufbauen, denen die gemeinsamen Bedürfnisse unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen zugrunde liegen. Sie sollten möglichst von der Industrie vorangetrieben werden.

Zur Stärkung der langfristigen Tragfähigkeit müssen sich die Verwaltungsmodelle jedoch - ausgehend von den derzeit entstehenden nationalen Grid-Initiativen - in Richtung einer europäischen Grid-Initiative (EGI) entwickeln.

Die Mitgliedstaaten werden aufgerufen, ihre nationalen Grid-Initiativen (NGI) zu festigen und weiterzuentwickeln, damit sie als Grundlage für eine erneuerte europäische Strategie dienen können.

Die Kommission wird den Übergang zu neuen Verwaltungsmodellen für europäische e-Wissenschafts-Grids unterstützen sowie deren effizienten Aufbau für eine breite Palette von Forschungsgebieten unter Gewährleistung der technologischen Interoperabilität globaler Grids vorantreiben.

4.3. Erleichterung des Zugangs zu wissenschaftlichen Informationen

Europäische und nationale e-Infrastrukturen müssen den sich abzeichnenden Herausforderungen im Zusammenhang mit der datenzentrierten Wissenschaft Rechnung tragen. Dazu muss Europa ein kohärentes und gut verwaltetes System aus Online-Datendepots (repositories) für wissenschaftliche Informationen aufbauen. In dieser Hinsicht braucht Europa eine abgestimmte Politik zur Verbesserung des Zugangs zu wissenschaftlichen Informationen (z.B. entsprechend dem ESFRI-Positionspapier über wissenschaftliche Daten, der Mitteilung über wissenschaftliche Informationen im Digitalzeitalter: Zugang, Verbreitung und Bewahrung31 und dem 2008 angelaufenen Pilotprojet des 7. RP zum offenen Zugang32).

Mitgliedstaaten und Wissenschaftskreise werden aufgerufen, stärker in wissenschaftliche Dateninfrastrukturen zu investieren und den Austausch der bewährten Praxis zu fördern.

Die Kommission wird ihre im Zuge des 7. RP als Katalysator dienenden Investitionen in wissenschaftliche Dateninfrastrukturen aufstocken, um die Zugangs- und Bewahrungspolitik zu unterstützen.

4.4. Aufbau von Hochleistungsrechenanlagen der nächsten Generation

Entsprechend dem ESFRI-Fahrplan33 muss Europa ein neues System aus Rechenressourcen aufbauen, um bis 2010 eine Leistung im Peta-Flop-Bereich zu erreichen und bis 2020 den Übergang zum Rechnen im Exa-Maßstab zu ermöglichen. Dies erfordert insbesondere die Entwicklung und Aufrüstung der Software und Simulationsmodelle, damit die Leistung der neuen Generation von Hochleitungsrechnern auch ausgenutzt werden kann, sowie eine verstärkte Forschung und Entwicklung in Bezug auf die grundlegenden Hardware- und Software-Technologien sowohl für die vor- als auch nachgelagerten Glieder der Wertschöpfungskette, z.B. fortgeschrittene Komponenten und Systeme, System- und Anwendungssoftware, Modellierung und Simulation.

Für Aufbau, Verwaltung und Betrieb dieser neuen Forschungskapazitäten muss Europa ausgehend von der Pionierarbeit von PRACE neue Organisationsstrukturen entwickeln.

Überdies müssen die Chancen genutzt werden, die sich aus öffentlichprivaten Partnerschaften und der vorkommerziellen Auftragsvergabe34 ergeben, um die Investitionstätigkeit auf diesem strategisch wichtigen Gebiet anzukurbeln.

Zu diesem Zweck sollten die europäischen Investitionen in das Hochleistungsrechnen so erfolgen, dass damit eine deutliche Wirkung auf die Branche erzielt wird.

Die Mitgliedstaaten werden aufgerufen, die Investitionen zugunsten von PRACE sowie von damit zusammenhängenden Forschungsgebieten in enger Abstimmung mit der Kommission aufzustocken und zu bündeln.

Die Kommission wird Maßnahmen zur Aufstellung und Unterstützung einer ehrgeizigen europäischen strategischen Planung für das Hochleistungsrechnen ergreifen, die von den Komponenten und Systemen bis zur benötigten Software und den Diensten reicht.

4.5. Betrieb globaler virtueller Forschungsgemeinschaften

Europa muss e-Infrastrukturen einsetzen, um das hohe Innovationspotenzial der multidisziplinären Forschung zur Geltung zu bringen und seine Forscher bei der Nutzung der Vorteile zu unterstützen. Ferner muss dafür gesorgt werden, dass die Wissenschaftsdisziplinen in einer Art und Weise strukturiert und organisiert werden, die es ihnen ermöglicht, in den vollen Genuss der Dienste zu kommen, die solche e-Infrastrukturen bereitstellen. Dazu werden größere Schulungsmaßnahmen notwendig sein, damit die Forscher in der Lage sind, die e-Infrastrukturen auch optimal einzusetzen.

Die Mitgliedstaaten und die Kommission müssen sicherstellen, dass künftige Investitionen in Forschungseinrichtungen so erfolgen, dass e-Infrastrukturen vollständig ausgenutzt werden.

Die Mitgliedstaaten und Forscherkreise werden aufgerufen, sich die Arbeitsweisen der e-Wissenschaft zu eigen zu machen, indem sie die Vorteile von e-Infrastrukturen weiterhin nutzen.

Die Kommission wird ihre Integrationsbemühungen im Zuge des 7. RP verstärken, um das Entstehen starker europäischer virtueller Forschungsgemeinschaften voranzutreiben und in diesem Zusammenhang den Austausch der bewährten Praxis sowie die gemeinsame Nutzung von Software und Daten zu fördern.

5. Schlussfolgerungen

Zur Unterstützung der Forschungs- und Innovationspolitik gibt es keine Alternative, wenn Europa die Herausforderungen der nächsten 10 bis 15 Jahre meistern will. Die Art und Weise des Wissenschaftsbetriebs wird sich erheblich wandeln. Bei der Bewältigung wissenschaftlicher Herausforderungen mit globalen gesellschaftlichen Auswirkungen werden sich die Forscher einer bisher ungekannten Komplexität gegenübersehen. Dabei wird es auf die Zusammenführung der Erkenntnisse aus unterschiedlichen Wissenschaftsfeldern ankommen. E-Infrastrukturen bilden die notwendigen Plattformen für rechenintensive Anwendungen, welche die Zusammenarbeit und die Verbindung von Wissen aus unterschiedlichen Wissenschaftsgebieten erst ermöglichen. Aus der Nutzung hochgradig verteilter Netzumgebungen wie GÉANT werden neue Organisationsformen - einschließlich weltweiter virtueller Organisationen - entstehen.

Die verstärkten und besser koordinierten Anstrengungen der Mitgliedstaaten, der Europäischen Kommission und der betroffenen Wissenschaftskreise werden den Aufbau von e-Infrastrukturen beschleunigen, um deren Kapazität und Funktionsmerkmale um mehrere Größenordnungen zu verbessern.

Die erneuerte Strategie zur Eroberung einer Führungsstellung in der e-Wissenschaft, zur Entwicklung von e-Infrastrukturen auf Weltniveau und zur Ausnutzung des Innovationspotenzials der Forschung ist unverzichtbar, um Europa als Zentrum wissenschaftlicher Spitzenleistungen und als wirklich globalen Wissenschaftspartner zu positionieren.