Stellungnahme des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung

Der Bundesrat hat in seiner 909. Sitzung am 3. Mai 2013 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zu Artikel 1 Nummer 3 - neu - (§ 175 Absatz 4 Satz 9 SGB V)

Dem Artikel 1 ist folgende Nummer 3 anzufügen:

Begründung:

Der Gesetzgeber hat in § 175 Absatz 4 Satz 9 SGB V ausdrücklich die Möglichkeit eines vereinfachten Wechsels der Mitgliedschaft innerhalb einer Kassenart geschaffen. Die Regelung trägt nach der Begründung den Besonderheiten von Krankenkassen mit regional begrenztem Kassenbezirk Rechnung.

Die derzeitige satzungsmäßige Gestaltungsmöglichkeit der Krankenkassen beschränkt sich allerdings auf den Verzicht der Geltendmachung von Bindungsfristen. Hingegen kann die Kündigungsfrist formaljuristisch nicht über eine Satzungsregelung verkürzt werden, so dass sich der Krankenkassenwechsel beispielsweise auch bei einem Arbeitgeberwechsel im laufenden Monat immer erst zum Ablauf des übernächsten Kalendermonats vollziehen kann. Die augenblickliche gesetzliche Regelung ist daher nicht ausreichend, um ein für alle Beteiligten unbürokratisches Verfahren zu erreichen.

Durch eine Wahlentscheidung innerhalb der gleichen Kassenart bringen Kassenmitglieder zum Ausdruck, dass kein Wechsel der Krankenversicherung an sich, sondern nur ein Wechsel zur räumlich zuständigen Krankenkasse der gewählten Kassenart gewollt ist.

Nach aktueller Rechtslage müsste rein formal hierzu allerdings die Mitgliedschaft bei der bisherigen Krankenkasse gekündigt und die neue Krankenkasse gewählt werden. Der Bürokratieaufwand ist somit ohne erkennbaren Nutzen sowohl für Mitglied und Arbeitgeber als auch für die Krankenkassen und sonstigen meldenden Stellen unangemessen hoch.

Mit der vorgesehenen Änderung wird das mit dem Gesetz zur Neuregelung der Krankenkassenwahlrechte Gewollte praxisnah und unbürokratisch realisiert und das im AOK-Bereich bereits praktizierte Verfahren auf eine eindeutige Rechtsgrundlage gestellt.

2. Zu Artikel 2 (§ 24 Absatz 1a SGB IV)

Der Bundesrat bittet im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob in Ermangelung von Übergangsregelungen in dem Gesetzentwurf nicht durch die Einbeziehung von § 24 SGB IV in die Regelung des § 217f Absatz 3 Satz 1 SGB V die mit dem Wegfall des § 24 Absatz 1a SGB IV verbundenen Ungleichbehandlungen von Altschuldnern und Neuschuldnern beseitigt werden können.

Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen könnte dann - gesetzlich legitimiert - eine Lösung für den einheitlichen Umgang mit den, insbesondere in der Vergangenheit nach § 24 Absatz 1a SGB IV erhobenen, Säumniszuschlägen treffen.

Begründung:

Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) vom 26. März 2007 (BGBl. I Seite 378) wurde in § 24 Absatz 1a SGB IV (abweichend von Absatz 1) in der gesetzlichen Krankenversicherung für freiwillig Versicherte, Versicherte nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 SGB V und nach § 2 Absatz 1 Nummer 7 KVLG für Beiträge, mit denen sie länger als einen Monat säumig sind, ein erhöhter Säumniszuschlag von fünf vom Hundert des rückständigen Beitrages gesetzlich normiert.

Aus der seinerzeitigen Gesetzesbegründung (vergleiche BT-Drucksache 016/3100, Seite 182) ergibt sich, welche sachlichen Gründe für diese unterschiedliche Behandlung ausschlaggebend gewesen sind. Aufgrund der bis zum 31. März 2007 geltenden Regelung des § 191 Nummer 3 SGB V endete die Mitgliedschaft freiwillig Krankenversicherter immer dann, wenn Versicherte dieses Personenkreises zweimal die Beiträge nicht entrichtet hatten. Durch die Aufhebung dieser Regelung bleibt jedoch dieser Personenkreis seit dem 1. April 2007 von dieser - im Einzelfall sehr scharfen, weil unumkehrbaren - Konsequenz des Verlustes einer Krankenversicherung verschont. Unter dem Gesichtspunkt der Durchsetzung der Verpflichtung zur Beitragszahlung war die Neuregelung im Rahmen des dem Gesetzgeber zustehenden weiten Ermessens grundsätzlich schlüssig, denn die Sanktionsmöglichkeit durch Säumniszuschlagserhebung in Höhe von einem Prozent wurde als nicht ausreichend angesehen.

Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass der erhöhte Säumniszuschlag von 60 Prozent pro Jahr das Problem der Beitragsrückstände nicht löst, sondern zusätzlich verschärft. Angestiegene, auch auf den höheren Säumniszuschlägen beruhende, Rückstandsquoten bekräftigen dies. Es ist abzusehen, dass eine große Zahl der überschuldeten (zumeist selbständigen) Mitglieder die Beiträge und Säumniszuschläge nicht beziehungsweise nicht mehr zahlen können. Die Aufhebung des § 24 Absatz 1a SGB IV ist daher zu begrüßen.

Der mit dem Gesetzentwurf geplante Wegfall des § 24 Absatz 1a SGB IV führt dazu, dass für den oben genannten Personenkreis künftig ebenfalls der reguläre Säumniszuschlag von einem Prozent des rückständigen Beitrags nach § 24 Absatz 1 SGB IV zu zahlen ist. Die Regelung wirkt dabei ausschließlich in die Zukunft, was eine Ungleichbehandlung von Altschuldnern und Neuschuldnern mit sich bringt.

Entsprechende (Übergangs-)Regelungen sind im Gesetzentwurf nicht vorgesehen. Da die Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse (Anzahl der Schuldner, Höhe der Säumniszuschläge und so weiter) bei den Krankenkassen liegt, ist eine Verortung der Zuständigkeit für einen nach § 24 Absatz 1a SGB IV berechneten säumniszuschlägebezogenen, eventuellen Schuldenschnitt oder die Festlegung einer Verfahrensweise für den einheitlichen Umgang mit den in Rede stehenden Säumniszuschlägen beim Spitzenverband Bund der Krankenkassen sachgerecht.

3. Zum Gesetzentwurf allgemein

Der Bundesrat bittet im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob im Gesetzentwurf eine Regelung aufgenommen werden kann, dass Kinder und Jugendliche, die als im Notlagentarif versichert gelten, einen ihren Belangen entsprechenden angemessenen Schutz im Krankheitsfall behalten.

Begründung:

Der Gesetzentwurf sieht in § 193 Absatz 10 VVG (neuer Fassung) vor, dass die Regelungen des Notlagentarifs auch für über den Vertrag des Versicherungsnehmers mitversicherte Personen gelten sollen. Mitversicherte Kinder und Jugendliche würden somit bei Beitragsrückständen des Versicherungsnehmers als im Notlagentarif versichert gelten und aufgrund der Regelung des § 12h VAG (neuer Fassung) ausschließlich Leistungen erhalten, die zur Behandlung von akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich sind.

Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung betrifft das Ruhen der Leistung bei Beitragsrückständen nach § 16 Absatz 3a SGB V nur das Mitglied, nicht jedoch die über das Mitglied aufgrund § 10 SGB V familienversicherten Personen.

§ 193 Absatz 6 VVG (aktueller Fassung) sieht bisher eine Fortsetzung des Versicherungsverhältnisses im Basistarif nach einem Jahr des Ruhens vor. Mitversicherte Kinder haben demnach spätestens nach einem Jahr des Ruhens wieder Anspruch auf alle Leistungen, die in Art, Umfang und Höhe den Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vergleichbar sind.

Der Gesetzentwurf sieht nunmehr keine zeitliche Begrenzung für die Geltung des Notlagentariftarifs mehr vor. Ein länger andauernder Ausschluss von Kindern und Jugendlichen von einem ausreichenden Krankenversicherungsschutz und von Leistungen zur Verhütung von Krankheiten sollte unbedingt vermieden werden. Insbesondere sollte auch im Notlagentarif eine ausreichende medizinische Versorgung von chronisch kranken und behinderten Kindern sichergestellt bleiben. So könnte in bestimmten Fällen auch Hilfebedürftigkeit nach dem Zweiten oder dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vermieden werden.