Antrag des Landes Hessen
Entschließung des Bundesrates zur effektiven Regulierung des sogenannten Grauen Kapitalmarkts

Der Hessische Ministerpräsident
Wiesbaden, 26. Juni 2014

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Stephan Weil

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Hessische Landesregierung hat beschlossen, dem Bundesrat die anliegende Entschließung des Bundesrates zur effektiven Regulierung des sogenannten Grauen Kapitalmarkts mit dem Antrag zuzuleiten, die Entschließung zu fassen.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der Plenarsitzung am 11. Juli 2014 aufzunehmen und sie anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Volker Bouffier

Entschließung des Bundesrates zur effektiven Regulierung des sogenannten Grauen Kapitalmarkts

Der Bundesrat möge beschließen:

Begründung:

Zu Ziffer 2.

Es bestehen nach wie vor - wie in Ziffer 1 des Antrags dargelegt - erhebliche Missstände auf dem Grauen Kapitalmarkt. Diese Missstände müssen beseitigt werden. Aus Sicht des Bundesrates muss die Bundesregierung das bestehende Regulierungsdefizit zeitnah, konsequent und im Interesse einer weiteren effektiven und wirkungsvollen Regulierung des Grauen Kapitalmarkts mit der Zielsetzung einer nachhaltigen Verbesserung des Anlegerschutzes durch ein Gesetz beheben.

Das Bundesministerium der Finanzen und das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz haben am 22. Mai 2014 ein "Maßnahmenpaket zur Verbesserung des Schutzes von Kleinanlegern im Grauen Kapitalmarkt " vorgestellt, mit dem sie Regelungslücken und Umgehungsmöglichkeiten schließen, die Transparenz von Finanzprodukten erhöhen und die produkt- und vertriebsbezogenen Vorgaben verschärfen will.

Zu Ziffer 3.

Das deutsche Zivilrecht ist vom Grundsatz der Privatautonomie geprägt. Der Staat greift daher zugunsten einer Vertragspartei nur ein, wenn unter möglichen Vertragsparteien beispielsweise aus wirtschaftlichen oder sozialen Gründen ein Ungleichgewicht besteht. Vor diesem Hintergrund sollte im Rahmen der Umsetzung dieses Maßnahmenpakets zur Verbesserung des Schutzes von Kleinanlegern im Grauen Kapitalmarkt darauf geachtet werden, dass Ausgewogenheit zwischen staatlicher Regulierung und Eigenverantwortung der Anleger hergestellt wird.

Zu Ziffer 4.
Zu Buchst. a:

Vermögensanlagen, die im Inland öffentlich angeboten werden, sind durch das Vermögensanlagengesetz (VermAnlG) reguliert. Das VermAnlG versteht unter Vermögensanlagen: nicht in Wertpapieren i.S. des Wertpapierprospektgesetzes verbriefte und nicht als Anteile an Investmentvermögen i.S. des § 1 Abs. 1 Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) ausgestaltete Anteile, die eine Beteiligung am Ergebnis eines Unternehmens gewähren, Anteile an einem Vermögen, das der Emittent oder ein Dritter in eigenem Namen für fremde Rechnung hält oder verwaltet (Treuhandvermögen), Genussrechte und Namensschuldverschreibungen.

Das VermAnlG geht auf das Gesetz zur Novellierung des Finanzanlagen- und Vermögensanlagenrechts vom 6.12.2011 (BGBl. I S. 2481) zurück. Durch dieses Artikelgesetz wurden für Wertpapierdienstleistungsunternehmen (z.B. Banken) die Pflichten des 6. Abschnitt es des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) auf Vermögensanlagen ausgedehnt, insbesondere das Gebot zur anlegergerechten Beratung, die Pflicht zur Offenlegung von Provisionen und die Verpflichtung zur Erstellung eines Protokolls über Beratungsgespräche. Für"freie" Finanzanlagenvermittler wurde vorgesehen, dass hinsichtlich der Informations-, Beratungs- und Dokumentationspflichten ein dem 6. Abschnitt des WpHG vergleichbares Anlegerschutzniveau herzustellen ist. Durch das VermAnlG wurden zwar strengere Anforderungen an Inhalt und Prüfung von Verkaufsprospekten für Vermögensanlagen geschaffen. Dies betrifft aber nur die Vertriebsseite. Das VermAnlG enthält lediglich Regelungen über Verkaufsprospekte, Vermögensanlagen-Informationsblätter (Kurzinformationsblätter) und Information der Anleger einschließlich Prospekthaftung, über Aufsichtsbefugnisse der BaFin sowie über Rechnungslegung und Prüfung von Emittenten.

Dagegen fehlen Regelungen für die Anbieter- bzw. Emittenten- und die Produktebene von Vermögensanlagen. Diese Bereiche sind bisher unreguliert. Es gibt keine - über die Prospektpflicht hinausgehende - spezifische Zulassungspflicht und materielle Produktregelungen. Dieser Rechtzustand ist unter Anlegerschutzgesichtspunkten unbefriedigend. Demgegenüber gelten bei Fonds und Wertpapieren besondere Regelungen für Anbieter bzw. Emittenten, Vertrieb und Produkte mit vergleichsweise hohen Anlegerschutzstandards.

Vor diesem Hintergrund ist die vom Bundesministerium der Finanzen und vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz geplante Einführung einer Mindestlaufzeit sowie einer ausreichenden Kündigungsfrist für sämtliche Vermögensanlagen ein zentraler Baustein, um das Regulierungsgefälle zwischen Vermögenslagen und Wertpapieren/Fonds zu reduzieren. Dadurch wird für die Anleger - wie im Maßnahmenpaket zu Recht ausgeführt - transparent, dass die Kapitalanlage unternehmerische Investitionen von gewisser Dauer sind. Der Vertrieb der Finanzprodukte mit der Aussicht auf kurzfristige Rückzahlung der Einlage im Bedarfsfall ist damit nicht mehr länger möglich.

Es sollte aber durchaus noch untersucht werden, ob darüber hinaus für Vermögensanlagen ohne Mitwirkungs-/Kontrollrechte wie beispielsweise Genussrechte aus Anlegerschutzgründen ein ähnlich hoher Regulierungsstandard wie bei Fonds oder Wertpapieren geschaffen und damit das bestehende Regulierungsgefälle reduziert werden kann. Der Bedarf entsprechender Maßnahmen bei Vermögensanlagen mit Mitwirkungs-/ Kontrollrechten wie beispielsweise GmbH-Anteilen sollte davon gesondert untersucht werden.

Denkbar wäre eine Zulassungspflicht für Anbieter bzw. Emittenten von aktiv an Privatanleger vertriebenen Vermögensanlagen ab einem bestimmten Emissionsvolumen und ein bestimmtes im Hinblick auf den Geschäftszweck angemessenes Mindestkapital. Für die Verwendung der Anlagegelder sollten klare Regeln geschaffen werden.

Zwar fallen Unternehmen, die die in § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB genannten Merkmale eines Investmentvermögens erfüllen, unabhängig von ihrer Rechtsform in den Anwendungsbereich des KAGB, das bestimmte Zulassungs-, Organisations- und Verhaltenspflichten vorsieht. Aber aufgrund der Definition des § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB gilt ein Unternehmen u.a. dann nicht als Investmentvermögen, wenn es ein operativ tätiges Unternehmen außerhalb des Finanzsektors ist. In Fällen, die unter diese Ausnahmeklausel fallen, gelten die im KAGB geregelten Pflichten nicht.

Dabei ist aber auch zu beachten, dass zahlreiche Vermögensanlagen i.S.d. § 1 VermAnlG, wie stille Beteiligungen, GmbH-Anteile oder Namensschuldverschreibungen, gängige Finanzierungsformen in der Realwirtschaft sind. Es kann nicht sein, dass GmbHs für die Begebung neuer GmbH-Anteile einer Zulassung bedürfe n.

Von daher sollten bei der Prüfung, ob eine solche Zulassungspflicht in Betracht kommt, auch die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben und die Auswirkungen auf die Realwirtschaft eingehend untersucht werden. Die Unternehmen der Realwirtschaft dürfen bei der Finanzierung nicht durch besondere Zulassungspflichten belastet werden.

Dasselbe gilt für die Produktregulierung. Die Ausgestaltung von GmbH-Anteilen ist gesetzlich durch das GmbH-Gesetz normiert. GmbH-Anteile vermitteln gesellschaftsrechtlich Mitwirkungs- und Kontrollrechte, die von den Gesellschaftern wahrgenommen werden können. Von daher ist eine weitere Änderung zur Verbesserung des Verbraucherschutzes in Finanzanlagen derzeit nicht erforderlich.

Anders sieht es bei Vermögensanlagen ohne Mitwirkungs- und Kontrollrechte - wie Genussrechten oder Namensschuldverschreibungen - aus. Genussrechte sind in der Realwirtschaft gängige, gesetzlich nicht typisierte Verträge, bei denen Ausgestaltung und Risikoprofil vom Einzelfall abhängig sind. Hier sollte geprüft werden, wie das bestehende Regulierungsgefälle zu Wertpapieren und Fonds reduziert werden kann.

Insgesamt sollte bei jeglicher Produktregulierung immer auch untersucht werden, inwieweit sie die Interessen und die Bedürfnisse der Realwirtschaft behindert.

Die Schadensfälle, zu denen es auf dem Grauen Kapitalmarkt bisher immer wieder gekommen ist, sind hinreichender Beleg dafür, dass von einer Regulierung der Anbieter- und der Produktseite von Vermögensanlagen nicht weiter abgesehen werden kann, weil dies letztlich zu Lasten der Privatanleger geht.

Zu Buchst. b:

Nach geltender Rechtslage besteht keine laufende Aufsicht über Anbieter von Vermögensanlagen auf dem Graumarkt, sofern der Anwendungsbereich des KAGB nicht eröffnet ist (siehe oben unter Buchst. a).

Angesichts der immer wieder auftretenden Schadensfälle, die sich regelmäßig zu Lasten von Privatanlegern auswirken, erscheint dieser Rechtszustand nicht weiter tragbar.

Vor diesem Hintergrund ist die vom Bundesministerium der Finanzen und vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz geplante Möglichkeit der Bafin, einen externen Wirtschaftsprüfer mit einer Sonderprüfung des Jahresabschlusses zu beauftragen, wenn dazu Anlass bei einem Emittenten besteht, ein zentraler Baustein, um die Emittenten im Grauen Kapitalmarkt stärker zu beaufsichtigen.

Es sollte aber untersucht werden, ob darüber hinaus Anbieter, die Anlagegelder ab einer bestimmten Größenordnung von Privatanlegern einwerben, einer laufenden Aufsicht unterstellt werden sollten, die sich auf die Einhaltung von Zulassungs-, Organisations- und Verhaltenspflichten erstreckt. Die Ausgestaltung dieser Verpflichtungen könnte sich grundsätzlich an den im KAGB normierten Pflichten für den Fondsbereich orientieren. Dabei ist den Besonderheiten der betroffenen Unternehmen Rechnung zu tragen, um die Kapitalaufnahme für seriöse Unternehmen der Realwirtschaft nicht unnötig zu erschweren. Die für Anbieter von Vermögensanlagen entsprechend Buchstabe a vorzusehende Zulassungspflicht kann - soweit erforderlich - beispielsweise den Nachweis über fachliche Eignung und hinreichende Verlässlichkeit der Geschäftsführung und eine Mindestausstattung an Eigenkapital umfassen. Durch entsprechende Organisations- und Verhaltenspflichten sind wirksame Vorkehrungen gegen potenzielle Interessenkonflikte zu treffen.

Durch die Schaffung einer laufenden Aufsicht würden bei der BaFin höhere Aufsichtskosten (Personal etc.) anfallen. Dies ist kein stichhaltiger Grund, der es rechtfertigen könnte, von der gebotenen Verbesserung der Regulierung abzusehen. Die erforderlichen Aufsichtsressourcen sind bereitzustellen.

Zu Buchst. c:

Zur konsequenten Stärkung des präventiven Anlegerschutzes erscheint die Schaffung einer persönlichen Haftung der Geschäftsführung des Anbieters von Vermögensanlagen gegenüber geschädigten Anlegern in Fällen schwerer Pflichtverletzung angezeigt. Die disziplinierende Wirkung eines solchen besonderen Haftungstatbestands ist angesichts der existenziellen Dimension, die potenzielle Schadensersatzsummen für Schädiger nach sich ziehen können, nicht zu unterschätzen. Ein derartiger Haftungstatbestand würde den unmittelbaren haftungsrechtlichen Durchgriff auf Geschäftsführer als Schädiger durch den Rechtsmantel des Anbieters der Vermögensanlagen hindurch eröffnen. Als schwere Pflichtverletzungen kommen beispielsweise Fälle vorsätzlich falscher oder irreführender Angaben gegenüber Anlegern, insbesondere über die Sicherheit der Anlage oder über die Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage, in Betracht. Voraussetzung für die Schaffung eines solchen Haftungstatbestands ist, dass seine Kompatibilität mit der allgemeinen haftungs- und gesellschaftsrechtlichen Systematik herbeigeführt werden kann.

Zu Ziffer 5.

Finanzanlagenvermittler - sog. freie Vermittler und Anlageberater - unterliegen derzeit einer gewerbebehördlichen Aufsicht bzw. IHK-Aufsicht auf Landesebene, nicht der Aufsicht der BaFin. Die einschlägigen Regelungen für Finanzanlagenvermittler in der Gewerbeordnung (§§ 34 f, 34g) wurden durch das Gesetz zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts vom 6.12.2011 (BGBl. I S. 2481) eingeführt. Der Bundesrat hatte sich in Ziffer 11 seiner Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts (BR-Drs. 209/11(B) HTML PDF ) für die Zuweisung der Aufsichtszuständigkeit an die BaFin ausgesprochen. Der diesem Gesetzentwurf zeitlich vorausgegangene Diskussionsentwurf des Bundesfinanzministeriums für ein Gesetz zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts vom Mai 2010 hatte eine umfassende Überwachung durch die BaFin vorgesehen. Dieser regulatorische Ansatz wurde aber gesetzgeberisch nicht weiterverfolgt.

Die geltende Rechtslage bewirkt in der Praxis eine gespaltene Aufsicht. Während der Vertrieb von Vermögensanlagen durch Banken und Sparkassen unmittelbar den Anlegerschutznormen des Wertpapierhandelsgesetzes (siehe oben zu Ziff. 4, Buchst. a) und der Aufsicht durch die BaFin unterliegt, besteht für Finanzanlagenvermittler, deren Tätigkeit sich auf Vermögensanlagen erstreckt, eine gewerbebehördliche Aufsicht bzw. IHK-Aufsicht auf Landesebene.

Der Bundesrat hält es für erforderlich, dass die Effektivität der bestehenden Struktur der Aufsicht über Finanzanlagevermittler einschließlich der Effektivität des Verwaltungsvollzugs der einschlägigen bundesrechtlichen Regelungen überprüft wird. Die Überprüfung sollte sich insbesondere darauf erstrecken, ob gegenwärtig bundesweit eine wirkungsvolle Aufsichtspraxis mit einem effektiven, reibungslosen und einheitlichen Vollzug gewährleistet ist.

Für den Fall, dass sich bei der Überprüfung erhebliche Defizite der Funktionsfähigkeit der Aufsichtsstruktur, insbesondere im Lichte des Anlegerschutzes, ergeben sollten, wäre eine Übertragung der Aufsichtszuständigkeit auf die BaFin unumgänglich.