Antrag des Landes Berlin
Entschließung des Bundesrates "Alleinerziehende besser unterstützen"

Der Regierende Bürgermeister von Berlin
Berlin, 31. Mai 2016

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Stanislaw Tillich

Sehr geehrter Herr Präsident,
der Senat von Berlin hat beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates "Alleinerziehende besser unterstützen" zuzuleiten.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der 946. Sitzung des Bundesrates am 17. Juni 2016 aufzunehmen.

Mit freundlichen Grüßen
Michael Müller

Entschließung des Bundesrates "Alleinerziehende besser unterstützen"

Der Bundesrat möge beschließen:

Begründung:

Kinder wachsen immer häufiger in Ein-Eltern-Familien auf; bundesweit ist es jede fünfte Familie. Alleinerziehende, die in den allermeisten Fällen Frauen sind, leisten trotz Mehrfachbelastungen und ungünstigen (insbesondere rechtlichen) Rahmenbedingungen hoch anerkennenswerte Arbeit. Es ist allgemein Konsens, Familien mit Kindern und insbesondere auch Alleinerziehende besser zu unterstützen.

Zu einem erheblichen Teil liegt die Handlungskompetenz zur Verbesserung der Situation Alleinerziehender beim Bund. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf das für Alleinerziehende besonders hohe Armutsrisiko.

Mit dem Gesetz zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags vom 18. Juni 2015 haben Bundestag und Bundesrat wichtige Maßnahmen zur Verbesserung der Familienförderung beschlossen. Diese Verbesserungen erreichen aber nicht alle Familien in gleichem Maße. Von ihnen profitieren insbesondere Erwerbstätige mit Kindern und unter ihnen diejenigen, die ein höheres Einkommen erzielen. Familien Alleinerziehender, die häufiger über ein geringes Einkommen verfügen und häufiger auf Sozialleistungen angewiesen sind, profitieren von diesen Maßnahmen kaum. Dazu bedarf es Änderungen des Unterhaltsvorschussgesetzes, der Ausgestaltung des Kinderfreibetrags, der Berechnungsgrundlagen der Regelbedarfe für Kinder und Jugendliche im SGB II sowie einer Überprüfung von Anrechnungsmodalitäten verschiedener Transferleistungen.

Mit dieser Entschließung bringt der Bundesrat zum Ausdruck, dass er dringenden Handlungsbedarf für die von Armut bedrohten Familien Alleinerziehender sieht. Dazu bedarf es vordringlich der Änderungen des Unterhaltsvorschussgesetzes, der Ausgestaltung des Kinderfreibetrags sowie der Berechnungsgrundlagen der Regelbedarfe für Kinder und Jugendliche im SGB II:

Am 31.12.2014 bezogen bundesweit 465.830 Personen Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG). Davon waren 245.167 Kinder unter 6 Jahren und 220.663 Kinder zwischen 6 und 11 Jahren. Bundesweit bezogen 5,9% aller Kinder von 0 bis 5 Jahren Unterhaltsleistungen nach dem UVG; von den 6- bis 11-jährigen Kindern waren es 5,2 %. Bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres haben Kinder Anspruch auf Unterhaltsvorschuss für maximal 72 Monate. Er beträgt für Kinder bis unter 6 Jahre 145 € pro Monat und für ältere Kinder bis unter 12 Jahren 194 € pro Monat. Die zeitliche Begrenzung des Unterhaltsanspruchs auf maximal 72 Monate sowie die Höchstaltersgrenze bis zum 12. Lebensjahr sind nicht gerechtfertigt (die im SGB VIII und anderen gesetzlichen Grundlagen festgelegte Grenze des Kindesalters ist das vollendete 14. Lebensjahr) und müssen daher geändert werden. Weiterhin würde die Einführung eines zeitlichen Wahlrechts (z.B. "Aufsparen" des Unterhaltsvorschusses für Zeiten eigener (Teilzeit-) Erwerbstätigkeit) die Situation Alleinerziehender erheblich verbessern.

Durch die Einführung einer monatlichen Zahlung in Höhe von 50 € an alle Alleinerziehenden und Günstigerprüfung im Vergleich zum Entlastungsbetrag - ähnlich wie beim Kindergeld - könnten deutlich mehr Alleinerziehende Unterstützung erhalten. Alleinerziehende profitieren bislang nur dann vom Entlastungsbetrag, wenn sie über steuerpflichtiges Einkommen verfügen. Ein Großteil der Alleinerziehenden (in 2014 ca. 36 %) verfügt jedoch nur über ein monatliches Nettoeinkommen von bis zu 1.500 €. Die Entlastung durch den Entlastungsbetrag steigt mit dem Einkommen bzw. dem persönlichen Steuersatz. Demgegenüber würde ein fester monatlicher Betrag dazu führen, dass sich für untere und mittlere Einkommen die Situation verbessert, während die Günstigerprüfung dazu führt, dass sich niemand gegenüber der jetzigen Rechtslage verschlechtert.

Alleinerziehende bilden mit ihren minderjährigen Kindern im Rechtskreis des SGB II eine Alleinerziehenden-Bedarfsgemeinschaft. Ihre Hilfequote, d.h. der Anteil der SGB II-Leistungen beziehenden Haushalte Alleinerziehender bezogen auf alle Haushalte Alleinerziehender, betrug 2014 im Bundesdurchschnitt 38,4 %. Ihr Anteil bezogen auf die Haushalte mit Kindern im SGB II-Bezug beträgt 50 Prozent.

Die Verweildauer im SGB II - Bezug von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in Alleinerziehenden-Bedarfsgemeinschaften ist erwartungsgemäß überdurchschnittlich lang. Insgesamt waren 2014 48,7 % aller erwerbsfähigen Leistungsberechtigten 48 Monate und länger im Leistungsbezug, bei Alleinerziehenden-Bedarfsgemeinschaften beträgt der Anteil durchschnittlich 52,4 %. Er erhöht sich in Abhängigkeit von der Zahl der Kinder in der Bedarfsgemeinschaft: mit einem Kind liegt er bei 49,4 % mit zwei Kindern bei 54,9 % und mit drei und mehr Kindern bei 59,6 %. Alleinerziehende würden von daher stark von einer sachgerechteren Berechnungsgrundlage der Regelbedarfe für Kinder und Jugendliche profitieren. Eine Neuberechnung sollte sich stärker an kindgerechten Bedarfen orientieren und aus einer ausreichend großen Stichprobe ermittelt werden.

Die Anrechnung von Unterhalt und Unterhaltsvorschuss beim Wohngeld einerseits, die Nichtanrechnung von Wohngeld und Kindergeld beim Kinderzuschlag andererseits, der Abzug des Kindergeldes bei Unterhaltsvorschussleistungen sowie die Anrechnung aller Leistungen (Kindergeld, Unterhaltsvorschuss sowie Kindesunterhalt) als Einkommen im Grundsicherungsrecht des SGB II und XII sind höchst kompliziert und führen dazu, dass die Ansprüche des alleinerziehenden Elternteils durch Leistungen an die Kinder gemindert werden, weil diese voll auf die Bedarfsgemeinschaft angerechnet werden.

Die verschiedenen Anrechnungsmodalitäten verringern zudem den Anreiz, durch eigene Berufstätigkeit das Familieneinkommen zu erhöhen. Da die Dauer der Erwerbslosigkeit auch großen Einfluss auf den Wiedereinstieg in das Berufsleben sowie die Alterssicherung hat, kann so auch ein erhöhtes Altersarmutsrisiko für Alleinerziehende entstehen. Diese Fehlansätze durch Anrechnung müssten korrigiert