Empfehlungen der Ausschüsse
Gesetz zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten

899. Sitzung des Bundesrates am 6. Juli 2012

Der federführende Rechtsausschuss (R), der Ausschuss für Frauen und Jugend (FJ) und der Finanzausschuss (Fz) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetz zu verlangen, dass der Vermittlungsausschuss gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes aus folgenden Gründen einberufen wird:

1. Zu Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe a Doppelbuchstabe bb (§ 8 Absatz 2 Satz 2 JGG), Nummer 2 ( § 16a JGG),

Nummer 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe bb (§ 21 Absatz 1 Satz 3 JGG), Nummer 4 Buchstabe c Doppelbuchstabe bb (§ 26 Absatz 3 Satz 3 JGG), Nummer 5 Buchstabe a Doppelbuchstabe bb (§ 30 Absatz 1 Satz 2 JGG), Nummer 6 Buchstabe b Doppelbuchstabe bb (§ 31 Absatz 2 Satz 3 JGG), Nummer 8 (§ 59 Absatz 1 Satz 1 JGG), Nummer 9 (§ 61 Absatz 3 Satz 1, § 61b Absatz 4 Satz 3 JGG), Nummer 11 Buchstabe b (§ 87 Absatz 4 Satz 2 und 3 JGG), Artikel 2 Absatz 2 und 3 (Inkrafttreten)

Begründung:

Für die in § 16a JGG-neu vorgesehene Ausweitung des Anwendungsbereiches der freiheitsentziehenden Maßnahmen im Jugendstrafrecht besteht mit Blick auf das bereits bestehende Sanktionensystem des Jugendgerichtsgesetzes kein Bedarf. Die Regelung ist überflüssig und rechtssystematisch verfehlt.

Erzieherisch ist der Ausgestaltung und Begleitung der Bewährungszeit durch Auflagen und Weisungen, die eine aktive Mitarbeit erfordern und damit angepasst an das begangene Unrecht fühlbar die Missbilligung des Fehlverhaltens vermitteln, gegenüber der Ableistung eines Arrestes der Vorzug zu geben. Diese Maßnahmen sind zugleich in ausreichendem Maße geeignet, bei Mittätern das Gefühl eines Ungleichgewichtes bei der Verhängung von Jugendarrest als Zuchtmittel einerseits und der Verhängung einer Jugendstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung andererseits zu verhindern.

Die in der Begründung (vgl. BT-Drs. 17/9389) geäußerte Hoffnung, der Einstieg in die Bewährungszeit könne durch den Arrest gefördert werden, kann nicht nachvollzogen werden. Nach der vierwöchigen Arrestverbüßung muss der Jugendliche in sein gewohntes Umfeld zurückkehren und ist erneut den gleichen Einflüssen ausgesetzt. Seine eigene Kriminalitätserfahrung hat sich dann durch neue Kontakte in der Jugendarrestanstalt erhöht, in der er unter Umständen sogar Anerkennung und Bestätigung für sein kriminelles Handeln gefunden hat. Bis zum Abschluss des Arrestes kann zudem eine konsequente sinnvolle Betreuung durch den Bewährungshelfer nicht erfolgen. Für die Einwirkung auf den Jugendlichen durch wirksame erzieherische Maßnahmen gehen wertvolle Monate verloren. Eine zielführende sozialpädagogische Ausgestaltung des Arrestes für einen in besonderem Maße kriminalitätserfahrenen Jugendlichen ist überdies in dem kurzen zur Verfügung stehenden Zeitraum unter zusätzlicher Berücksichtigung der hohen Fluktuation und des unterschiedlichen Hintergrundes der anderen verbüßenden Arrestanten nur in engen Grenzen zu realisieren und jedenfalls derzeit nur im Ausnahmefall gewährleistet.

Eine erzieherische Wirkung des Arrestes ist erfahrungswissenschaftlich nicht nachgewiesen. Die im Grundsatz negative Wirkung des Jugendarrestes kann schon aus der hohen Rückfallquote der Arrestprobanden von ca. 64 Prozent abgeleitet werden.

Die Verhängung einer solchen freiheitsentziehenden Maßnahme, obwohl nach Prüfung der Lebensumstände eine positive Prognose (hinsichtlich des mangelnden Bedarfes einer zu vollstreckenden Jugendstrafe) für eine künftige Straffreiheit gestellt worden ist, ist widersprüchlich und dem Jugendlichen nicht zu vermitteln.

[Die Einführung des Arrestes ist mit voraussichtlich erheblichen Kosten verbunden. Die möglichen Zusatzkosten sind angesichts der vorstehenden Ausführungen überflüssig.]

Es sollte daher bei der bisherigen Regelung des § 8 Absatz 2 Satz 1 JGG, das die Verhängung eines Jugendarrestes neben einer Jugendstrafe verbietet, verbleiben.

2. Zu Artikel 1 Nummer 14 (§ 105 Absatz 3 Satz 2 JGG), Artikel 2 Absatz 1 (Inkrafttreten)

Artikel 1 Nummer 14 und Artikel 2 Absatz 1 sind zu streichen.

Begründung:

Die vornehmlich durch kriminalpolitische Erwägungen veranlasste Erhöhung des Höchstmaßes der Jugendstrafe ist überflüssig. Bereits nach den Ausführungen zu dem Gesetzentwurf dürfte sich der Anwendungsbereich auf eine verschwindend geringe Anzahl von Fällen beschränken. Der sensible Bereich des Jugendstrafrechts eignet sich nicht, um gesellschaftliche Forderungen, die im Widerspruch zum Primat des Erziehungsgedankens stehen, mittels generalpräventiver Signalwirkungen zu befriedigen.

Zu Recht geht die Begründung (vgl. BT-Drs. 17/9389, S. 9) davon aus, dass im Hinblick auf Jugendliche unter 18 Jahren keine Gründe bestünden, von der Wertentscheidung des Gesetzgebers des JGG von 1923 abzurücken, dass eine Gefängnisstrafe von höchstens zehn Jahren selbst in den Fällen ausreichend sei, in denen einem Erwachsenen die Todesstrafe oder lebenslanges Zuchthaus gedroht hätte. Eine nachvollziehbare Begründung dafür, weshalb demgegenüber bei Heranwachsenden, auf die wegen ihres Entwicklungsstandes Jugendstrafrecht angewandt wird, eine Heraufsetzung des Höchstmaßes der Jugendstrafe notwendig sein soll, bleibt die Begründung schuldig. Eine solche Ungleichbehandlung von Jugendlichen und von Heranwachsenden, die zur Zeit der Tat nach ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung einem Jugendlichen gleichstanden, ist in keiner Weise gerechtfertigt. Die in der Begründung (vgl. BT-Drs. 17/9389, S. 9) allein angeführte rechtspolitische Erwägung, dem Jugendgericht die Möglichkeit zu geben, auch bei Anwendung des Jugendstrafrechts "das besondere Ausmaß der Schuld besser zu verdeutlichen und diesem dadurch angemessener Rechnung zu tragen", trägt die beabsichtigte Gesetzesänderung nicht.

Die Regelung sollte daher gestrichen werden.