Unterrichtung durch die Bundesregierung
Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zur Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 044/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen KOM (2009) 175 endg.; Ratsdok. 9150/09

Übermittelt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie am 7. Mai 2009 gemäß § 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993 (BGBl. I S. 313), zuletzt geändert durch das Föderalismusreform-Begleitgesetz vom 5. September 2006 (BGBl. I S. 2098).

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat die Vorlage am 21. April 2009 dem Bundesrat zugeleitet.

Die Vorlage ist von der Kommission am 24. April 2009 dem Generalsekretär/Hohen Vertreter des Rates der Europäischen Union übermittelt worden.


Hinweis: vgl.
Drucksache 534/99 = AE-Nr. 992595

Grünbuch
Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 044/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen

Das Grünbuch ergänzt den Bericht der Kommission über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 044/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ("die Verordnung")1. Mit dem Grünbuch soll eine breit angelegte Konsultation einschlägiger Kreise eingeleitet werden, um Informationen darüber zu sammeln, wie die Funktionsweise der Verordnung in Bezug auf die in dem Bericht angesprochenen Aspekte verbessert werden kann.

Die Kommission bittet alle Interessenten bis spätestens 30. Juni 2009 um Stellungnahme zu nachstehenden Punkten und um sonstige sachdienliche Beiträge an folgende Anschrift:


Europäische Kommission Generaldirektion Justiz, Freiheit und Sicherheit
Referat E2 - Ziviljustiz B- 1049 Brüssel
Fax: + 32 (0) 2 299 64 57
E-Mail: jlscoopjudcivil@ec.europa.eu

Die Beiträge werden im Internet veröffentlicht. Die beigefügte Datenschutzerklärung gibt Aufschluss darüber, wie mit den personenbezogenen Daten der Konsultationsteilnehmer und ihren Beiträgen verfahren wird. Berufsverbände werden gebeten, sich im Kommissionsregister der Interessenvertreter einzutragen2.

1. Abschaffung aller für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen erforderlichen Zwischenmaßnahmen ("Exequaturverfahren")

Für die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen bedeutete das in der Verordnung vorgesehene Exequaturverfahren im Vergleich zum früheren, im Rahmen des Brüsseler Übereinkommens von 1968 vereinbarten Verfahren eine Vereinfachung. Dennoch lässt sich in einem Binnenmarkt ohne Grenzen Bürgern und Unternehmen nur schwer vermitteln, dass es sowohl zeitaufwändig als auch kostspielig sein kann, seine Rechte im Ausland geltend zu machen. Wenn man bedenkt, dass Anträge auf Vollstreckbarerklärung fast immer zum Erfolg führen und die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichtsentscheidungen nur in den seltensten Fällen versagt wird, erscheint die Abschaffung des Exequaturverfahrens in Zivil- und Handelssachen keineswegs abwegig. Praktisch würde dies hauptsächlich streitige Forderungen betreffen. Die Abschaffung des Exequaturverfahrens müsste jedoch mit den entsprechenden Garantien einhergehen.

Bei unbestrittenen Forderungen hat das Exequaturverfahren einer Kontrolle der Mindestanforderungen an die Zustellung verfahrenseinleitender Dokumente im Ursprungsmitgliedstaat und an die Information des Schuldners über die Forderung und das Verfahren Platz gemacht. Außerdem soll in Ausnahmefällen eine Überprüfung stattfinden dürfen, wenn nämlich die Zustellung an den Schuldner nicht so rechtzeitig erfolgt ist, dass dieser Vorkehrungen für seine Verteidigung hätte treffen können, oder wenn der Schuldner aufgrund höherer Gewalt oder außergewöhnlicher Umstände der Forderung nicht widersprechen konnte ("Nachprüfung"). In diesem Fall muss der Gläubiger allerdings nach wie vor ein Bestätigungsverfahren durchlaufen, wobei dieses Verfahren allerdings in der Regel im Ursprungsmitgliedstaat und nicht im Vollstreckungsmitgliedstaat stattfindet.

Die für Unterhaltspflichten geltende Verordnung (EG) Nr. 4/20093 schafft hingegen das Exequaturverfahren für unbestrittene und für bestrittene Forderungen ab durch Harmonisierung der Vorschriften über das anwendbare Recht; der Schutz der Verteidigungsrechte wird durch das Verfahren der Nachprüfung gewahrt, das im Anschluss an die Entscheidung eingeleitet werden kann. Die Verordnung (EG) Nr. 4/2009 geht mithin davon aus, dass angesichts der geringen Zahl "problematischer" Urteile, deren Anerkennung und Vollstreckung beantragt wird, der freie Verkehr von Gerichtsentscheidungen möglich sein muss, solange dem Antragsgegner im Nachhinein ein wirksamer Rechtsbehelf zur Verfügung steht. Würde in Zivil- und Handelssachen generell so verfahren, könnte mangels Harmonisierung eines solchen Nachprüfungsverfahrens eine gewisse Rechtsunsicherheit infolge der wenigen Fälle entstehen, in denen der Antragsgegner nicht in der Lage war, vor dem ausländischen Gericht seinen Standpunkt zu vertreten. Deshalb wäre zu überlegen, ob nicht eine stärkere Harmonisierung des Nachprüfungsverfahrens wünschenswert wäre.

Frage 1:

2. Funktionsweise der Verordnung im internationalen Rechtssystem

Wenn der Binnenmarkt funktionieren und die Handelspolitik der Gemeinschaft im Inneren und auf internationaler Ebene erfolgreich sein soll, müssen gleiche Voraussetzungen beim Zugang zur Justiz auf der Grundlage präziser und klarer Regeln über die gerichtliche Zuständigkeit nicht nur für die Beklagten, sondern auch für Kläger mit Wohnsitz in der Gemeinschaft gegeben sein. Ähnliches gilt auch, wenn die eine Partei in der Gemeinschaft und die andere Partei in einem Drittstaat ansässig ist. Die Lösung dieser Probleme sollte nicht jedem einzelnen Mitgliedstaat überlassen bleiben, zumal in einigen Mitgliedstaaten Fragen der Auffang- bzw. Restzuständigkeit ("subsidiary jurisdiction") gar nicht geregelt sind. Ein gemeinsamer Lösungsansatz würde den Rechtsschutz für EG-Bürger und Unternehmen in der Gemeinschaft verbessern und die Anwendung zwingender EG-Rechtsvorschriften sicherstellen.

Um Beklagte mit Wohnsitz in Drittstaaten in den Anwendungsbereich der Zuständigkeitsvorschriften einzubeziehen, wäre zu überlegen, inwieweit sich die Vorschriften in der Verordnung über besondere Zuständigkeiten unter Verwendung der jetzigen Anknüpfungspunkte auch auf Beklagte mit Wohnsitz in Drittstaaten übertragen lassen.

Außerdem wäre abzuwägen, inwieweit es notwendig und zweckmäßig ist, bei Rechtsstreitigkeiten, in denen der Beklagte in einem Drittstaat ansässig ist, zusätzliche Anknüpfungspunkte für die Zuständigkeit einzuführen ("Auffangzuständigkeit"). Erklärtes Ziel der bestehenden nationalen Regeln ist die Sicherung des Zugangs zur Justiz; zu fragen wäre nun, welche einheitlichen Vorschriften sich anbieten würden. Dabei müsste ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Zugang zur Justiz einerseits und der völkerrechtlichen Courtoisie andererseits gefunden werden. Drei Anknüpfungspunkte wären denkbar: die Zuständigkeit, die sich aus der Ausübung einer Tätigkeit ergibt, sofern der Rechtsstreit mit dieser Tätigkeit zusammenhängt, die Zuständigkeit, die sich aus der Belegenheit eines Vermögensgegenstands ergibt, sofern der Rechtsstreit mit diesem Gegenstand zusammenhängt, und eine Notzuständigkeit ("forum necessitatis"), die ein Verfahren in den Fällen ermöglicht, in denen eigentlich kein Gericht zuständig wäre4.

Eine Harmonisierung der Vorschriften betreffend Ansprüche gegenüber in einem Drittstaat ansässigen Personen würde die Gefahr von Parallelverfahren vor einem Gericht eines Mitgliedstaates und einem Gericht eines Drittstaates erhöhen. Deshalb gilt es zu prüfen, in welchen Fällen der Zugang zu den Gerichten der Mitgliedstaaten ungeachtet von anderswo anhängigen Verfahren gesichert sein muss und in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen es zweckmäßig sein kann, den Gerichten zu gestatten, sich zugunsten der Gerichte von Drittstaaten für unzuständig zu erklären. Dies könnte beispielsweise dann geschehen, wenn die Parteien vereinbart haben, dass ausschließlich die Gerichte eines Drittstaates zuständig sein sollen, wenn der Rechtsstreit aus anderweitigen Gründen in die Zuständigkeit eines Drittstaates fallen würde oder wenn in einem Drittstaat bereits ein Verfahren angestrengt wurde5.

Schließlich wäre zu prüfen, inwieweit bei einer Ausweitung des Anwendungsbereichs der Zuständigkeitsregeln auch gemeinsame Regeln über die Wirkung von in Drittstaaten ergangenen gerichtlichen Entscheidungen eingeführt werden sollten. Eine Harmonisierung der Wirkung von Entscheidungen von Drittstaatsgerichten würde insbesondere den Bürgern eines Mitgliedstaats der Gemeinschaft, gegen die vor einem Gericht eines Drittstaats ein Verfahren angestrengt wurde, größere Rechtssicherheit bieten. Gäbe es nämlich gemeinsame Vorschriften zur Anerkennung und Vollstreckung von in Drittstaaten ergangenen gerichtlichen Entscheidungen, wüssten sie im Voraus, unter welchen Umständen eine Entscheidung eines Gerichts eines Drittstaats in den Mitgliedstaaten vollstreckbar wäre. Dies ist vor allem dann von Interesse, wenn eine Entscheidung gegen zwingendes Gemeinschaftsrecht verstößt oder das Gemeinschaftsrecht die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten vorsieht6.

Frage 2:

3. Gerichtsstandsvereinbarungen

Gerichtsstandsvereinbarungen sollten eine größtmögliche rechtliche Wirkung entfalten können, nicht zuletzt aufgrund ihrer praktischen Bedeutung im internationalen Handel. Daher sollte geprüft werden, inwieweit und auf welche Weise die Verordnung der Wirkung derartiger Vereinbarungen mehr Gewicht verleihen könnte, speziell bei Parallelverfahren.

Eine Lösung könnte darin bestehen, dass das in der Gerichtsstandsvereinbarung als ausschließlich zuständig bezeichnete Gericht das Verfahren nicht mehr, wie es derzeit noch Pflicht ist, aufgrund der Rechtshängigkeit aussetzen muss7. Der Nachteil dabei ist, dass es zu Parallelverfahren mit sich widersprechenden Entscheidungen kommen könnte.

Eine andere Lösung könnte bei Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands in der Umkehrung der Rechtshängigkeitsregel bestehen. Bei dieser Variante wäre es zunächst an dem in der Vereinbarung bezeichneten Gericht, seine Zuständigkeit festzustellen, so dass ein anderes, ebenfalls angerufenes Gericht das Verfahren aussetzen müsste, bis die Zuständigkeit des gewählten Gerichts festgestellt ist. Diese Lösung sieht die Verordnung bereits dann vor, wenn keine der Parteien ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat. Mit einer solchen Regel würden die innergemeinschaftlichen Vorschriften weitgehend an die internationale Praxis angeglichen. Der Nachteil dieser Lösung ist der, dass bei Ungültigkeit der Vereinbarung eine Verfahrenspartei dies erst vor dem in der Vereinbarung bezeichneten Gericht feststellen lassen muss, bevor sie das ansonsten zuständige Gericht anrufen kann.

Alternativ dazu könnte die Rechtshängigkeitsregel beibehalten, aber gleichzeitig eine direkte Absprache und Zusammenarbeit zwischen beiden Gerichten ins Auge gefasst werden, wobei beispielsweise dem zuerst befassten Gericht zur Auflage gemacht wird, über die Frage der Zuständigkeit innerhalb einer bestimmten Frist zu befinden und das später angerufene Gericht regelmäßig über den Verfahrensverlauf zu unterrichten. Bei dieser Variante müsste allerdings sichergestellt sein, dass die klagende Partei nicht aus Gründen, auf die sie keinen Einfluss hat, einen rechtmäßigen Gerichtsstand verliert.

Die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen könnte auch dadurch erhöht werden, dass bei Verstoß gegen solche Vereinbarungen - beispielsweise in Form von Verzögerungstaktiken oder der Geltendmachung von Default-Klauseln in Kreditverträgen - Schadenersatz fällig wird.

Eine weitere Lösung könnte darin bestehen, dass dann, wenn es sich bei den Parallelverfahren zum einen um ein Verfahren in der Sache und zum anderen um eine (negative) Feststellungsklage handelt, die Anwendung der Rechtshängigkeitsregel ausgeschlossen oder zumindest sichergestellt wird, dass die Verfallsfristen in Bezug auf den Anspruch in der Sache für den Fall gehemmt werden, dass die Feststellungsklage abgewiesen wird.

Schließlich könnten die Unwägbarkeiten in Bezug auf die Gültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung dadurch vermieden werden, dass eine Standardklausel vorgegeben wird mit dem möglichen Nebeneffekt, dass dadurch die Feststellung der Zuständigkeit durch die Gerichte beschleunigt wird8. Diese Option ließe sich mit einigen der oben beschriebenen Lösungsvorschläge kombinieren: Die Akzeptanz von Parallelverfahren oder die Umkehrung der Erstzuständigkeitsregel könnte auf die Fälle beschränkt werden, in denen die Gerichtsstandsvereinbarung der von der Verordnung vorgeschriebenen Form folgt.

Frage 3:

4. Gewerblicher Rechtsschutz

Für das Funktionieren des Binnenmarktes ist es von grundlegender Bedeutung, dass gewerbliche Schutzrechte in der Gemeinschaft wirksam durchgesetzt und auch angefochten werden können. Das materielle Recht zum Schutz des geistigen Eigentums9 ist bereits weitgehend Teil des gemeinschaftlichen Besitzstands. Die Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums10 strebt demgegenüber eine Annäherung bestimmter verfahrensrechtlicher Aspekte im Zusammenhang mit der Durchsetzung des gewerblichen Rechtschutzes an. Um den Mangel an Rechtssicherheit zu beheben und die durch Parallelverfahren verursachten hohen Kosten zu mindern, hat die Kommission die Schaffung eines integrierten einheitlichen Gerichtssystems auf europäischer Ebene zur Beilegung von Patentstreitigkeiten vorgeschlagen, das es ermöglichen würde, Entscheidungen über die Gültigkeit oder die Verletzung eines Europäischen Patents oder in Zukunft auch eines Gemeinschaftspatents zu fällen, die für den gesamten Binnenmarktraum rechtsverbindlich sind11. Am 20. März 2009 nahm die Kommission überdies eine Empfehlung an den Rat über die Aufnahme von Verhandlungen für den Abschluss eines internationalen Übereinkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft, ihren Mitgliedstaaten und anderen Vertragsstaaten des Europäischen Patentübereinkommens an12. Solange das einheitliche Patentgerichtssystem jedoch noch nicht eingeführt ist, können für etwaige Defizite des aktuellen Systems Lösungen im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 044/2001 gesucht werden.

Zur besseren Koordinierung parallel laufender Patentverletzungsverfahren wäre eine Intensivierung des wechselseitigen Austauschs zwischen den parallel befassten Gerichten und/oder der Ausschluss der Rechtshängigkeitsregel im Falle negativer Feststellungsklagen denkbar (siehe Ziffer 3 oben).

Im Zusammenhang mit der Koordinierung von Verfahren wegen Verletzung oder Nichtigkeit eines Patents werden in der allgemeinen Studie mehrere Lösungen vorgeschlagen, um missbräuchlichen Verfahrensstaktiken entgegenzuwirken, auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden soll. Derartige Probleme ließen sich jedoch mit dem einheitlichen Patentgerichtssystem in den Griff bekommen; in diesem Fall wären Änderungen an der Verordnung nicht notwendig.

Für den Fall einer Verbindung von Patentverletzungsverfahren, bei denen die Beklagten einer Gruppe von Unternehmen angehören, die eine gemeinsame Unternehmenspolitik verfolgen, könnte die Lösung in einer besonderen Vorschrift bestehen, die es ermöglicht, gegen mehrere Parteien gerichtete Verfahren wegen Verletzung bestimmter gewerblicher Schutzrechte vor den Gerichten desjenigen Mitgliedstaates anzustrengen, in dem die die Unternehmenstätigkeit koordinierende Partei oder die Partei, die den engsten Bezug zu der Patentverletzung aufweist, niedergelassen ist. Gegen eine solche Vorschrift könnte sprechen, wie auch der Gerichtshof anmerkte, dass sie weitgehend faktenabhängig ist, wodurch die Zahl möglicher Gerichtsstände zunehmen könnte, was wiederum der Berechenbarkeit der Zuständigkeitsregeln der Verordnung und dem Grundsatz der Rechtssicherheit abträglich ist. Außerdem könnte eine solche Vorschrift dem "Forum shopping" Vorschub leisten. Ersatzweise könnte eine Neuformulierung der Bestimmung zur Zuständigkeit in Fällen, in denen mehrere Parteien verklagt werden, ins Auge gefasst werden, um die Rolle der Gerichte des Mitgliedstaates zu stärken, in dem der Hauptverantwortliche niedergelassen ist.

Frage 4:

5. Rechtshängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren

Bei der Vorschrift zur Rechtshängigkeit wäre zu überlegen, ob die aktuellen Probleme nicht durch eine Intensivierung des wechselseitigen Austauschs zwischen den parallel befassten Gerichten und/oder durch Außerkraftsetzung der Vorschrift im Falle negativer Feststellungsklagen behoben werden könnten (siehe Ziffer 3 oben).

Im Rahmen der Vorschrift zur Konnexität von Verfahren wäre zu überlegen, inwieweit es sinnvoll sein könnte, Sammelklagen durch und/oder gegen mehrere Parteien auf der Grundlage einheitlicher Regeln zuzulassen. Der Gefahr negativer Kompetenzkonflikte könnte durch Kooperations- und Kommunikationsmechanismen zwischen den beteiligten Gerichten begegnet werden sowie durch die Verpflichtung seitens des Gerichts, das sich für unzuständig erklärt hat, die Sache erneut zu verhandeln, wenn sich das zuerst angerufene Gericht für unzuständig erklärt hat. In Artikel 30 Absatz 2 müsste präzisiert werden, dass die für die Zustellung verantwortliche Stelle die Stelle ist, die die zuzustellenden Schriftstücke zuerst erhält. Weil Datum und Zeitpunkt des Empfangs so wichtig sind, sollten die für die Zustellung verantwortlichen Stellen oder je nach Fall die Gerichte genau festhalten, wann genau sie die Schriftstücke zum Zwecke der Zustellung erhalten bzw. wann das verfahrenseinleitende Schriftstück bei Gericht eingereicht wird.

Eine weitere Möglichkeit wäre, die Bestimmungen in Artikel 6 Nummer 1 dahingehend zu erweitern, dass Verfahren auch verbunden werden dürfen, wenn das Gericht die Zuständigkeit für eine bestimmte Zahl der Beklagten besitzt.

Frage 5:

6. Einstweilige Maßnahmen

Der freie Verkehr einstweiliger Maßnahmen ist laut Bericht in mehrfacher Hinsicht problematisch.

So müsste vor allem auch mit Blick auf Artikel 9 Absatz 4 der Richtlinie 2004/48/EG klargestellt werden, dass ohne Anhörung des Beklagten angeordnete Maßnahmen13 auf der Grundlage der Verordnung anerkannt und vollstreckt werden können, wenn der Beklagte die Möglichkeit hat, die Maßnahme anschließend anzufechten.

Die Frage der Verteilung der Zuständigkeiten für von einem nicht in der Sache zuständigen Gericht angeordnete einstweilige Maßnahmen könnte anders gelöst werden, als dies gegenwärtig nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Fall ist. So könnte vor allem das Erfordernis der "realen Verknüpfung" wegfallen, wenn der Mitgliedstaat, dessen Gerichte in der Hauptsache zuständig sind, das Recht hätte, eine einstweilige Maßnahme, die von einem nach Artikel 31 zuständigen Gericht eines Mitgliedstaates angeordnet wurde, aufzuheben, zu ändern oder anzupassen. Die Rolle des mit dem Antrag befassten Gerichts würde darin bestehen, das Verfahren in der Hauptsache durch die "leihweise Gewährung eines Rechtsschutzes" zu unterstützen, vor allem dann, wenn ein wirksamer vorläufiger Rechtsschutz nicht in allen Mitgliedstaaten gewährleistet ist; dabei greift es jedoch nicht in die Zuständigkeiten des Gerichts ein, vor dem die Hauptsache verhandelt wird. Sobald die Hilfsmaßnahme nicht mehr benötigt wird, kann sie von dem in der Hauptsache zuständigen Gericht aufgehoben werden. Auch hier kann ein Austausch zwischen den beteiligten Gerichten hilfreich sein. Hierdurch würde es möglich, wirksamen vorläufigen Rechtsschutz in Europa überall dort zu suchen, wo es ihn gibt.

Was die Rückzahlungsgarantie für eine Zwischenzahlung betrifft, wäre es vielleicht sinnvoll festzulegen, dass diese nicht unbedingt in Form einer vorläufigen Zahlung oder einer Bankgarantie erfolgen muss. Dem gegenüber ließe sich der Standpunkt vertreten, dass die Rechtsprechung eine passende Antwort auf dieses Problem finden wird.

Im Falle der Abschaffung des Exequaturverfahrens müsste Artikel 47 der Verordnung angepasst werden. Dabei könnte Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 als Anhaltspunkt dienen.

Frage 6:

7. Verhältnis zwischen Verordnung und Schiedsgerichtsbarkeit

Schiedsverfahren spielen im internationalen Handel eine große Rolle. Schiedsvereinbarungen sollten daher eine größtmögliche rechtliche Wirkung entfalten und die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen sollte gefördert werden. Das New Yorker Übereinkommen von 1958 funktioniert nach allgemeinem Dafürhalten relativ gut und wird von denen, die es praktisch nutzen, geschätzt. Es erscheint daher sinnvoll, das Übereinkommen so zu lassen, wie es ist, oder zumindest darauf aufzubauen, sollten weitere Maßnahmen geplant werden. Nichtsdestotrotz sollten bestimmte Aspekte der Verordnung im Verhältnis zur Schiedsgerichtsbarkeit zur Sprache gebracht werden, nicht, um die Schiedsgerichtsbarkeit zu regeln, sondern in erster Linie, um einen reibungslosen Verkehr von Schiedssprüchen zu gewährleisten und Parallelverfahren zu verhindern.

Vor allem eine (teilweise) Rücknahme der Ausschlusses der Schiedsgerichtsbarkeit vom Anwendungsbereich der Verordnung könnte sich positiv auf das Zusammenspiel mit Gerichtsverfahren auswirken. So könnten beispielsweise der Schiedsgerichtsbarkeit zuarbeitende Gerichtsverfahren von der Verordnung erfasst werden. Eine besondere Zuständigkeitsregel könnte in diesen Fällen die Rechtssicherheit erhöhen. Ein Vorschlag lautet beispielsweise, für solche Verfahren den Gerichten des Mitgliedstaates, in dem das Schiedsverfahren stattfindet, die ausschließliche Zuständigkeit zu übertragen, sofern die Parteien nichts Anderes vereinbart haben14.

Wenn die Schiedsgerichtsbarkeit nicht mehr zu den Ausnahmen zählen würde, wären außerdem sämtliche Zuständigkeitsvorschriften der Verordnung im Falle der Anordnung einstweiliger Maßnahmen im Zuge eines Schiedsverfahrens anwendbar (und nicht nur Artikel 31). Gerichtlich angeordnete einstweilige Maßnahmen sind wichtig, um die Wirksamkeit eines Schiedsverfahrens zu gewährleisten, insbesondere solange das Schiedsgericht noch nicht gebildet ist.

Sodann könnte die Streichung der Ausnahmeregelung die Anerkennung von Entscheidungen über die Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung ermöglichen und Klarheit in Bezug auf die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen bringen, mit denen ein Schiedsspruch bestätigt oder aufgehoben wird15. Auf diese Weise ließen sich Parallelverfahren zwischen ordentlichen Gerichten und Schiedsgerichten vermeiden, die darauf zurückzuführen sind, dass eine Schiedsklausel in einem Mitgliedstaat als gültig und in einem anderen als ungültig angesehen wird.

Denkbar wäre auch eine generelle Koordinierung der Verfahren vor einem ordentlichen Gericht und einem Schiedsgericht, bei denen es um die Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung geht. So könnte beispielsweise die Erstzuständigkeit für die Entscheidung über das Bestehen, die Gültigkeit und den Geltungsbereich einer Schiedsvereinbarung bei den Gerichten des Mitgliedstaates liegen, in dem das Schiedsverfahren stattfindet. Dies könnte wiederum kombiniert werden mit einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen den befassten Gerichten und Fristen für die Parteien, die die Gültigkeit der Vereinbarung bestreiten. Eine einheitliche Kollisionsnorm in Bezug auf die Gültigkeit von Schiedsvereinbarungen, die beispielsweise an dem Recht des Staates anknüpft, in dem das Schiedsverfahren stattfindet, könnte das Risiko vermindern, dass eine Vereinbarung in einem Mitgliedstaat als gültig und in einem anderen als ungültig angesehen wird. Eine solche Norm könnte die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen auf Gemeinschaftsebene im Vergleich zu Artikel II Abs. 3 des New Yorker Übereinkommens deutlich verbessern.

Was die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen betrifft, die nach dem New Yorker Übereinkommen vollstreckbar sind, könnte für diese eine Regelung getroffen werden, wonach die Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung versagt werden kann, die mit einem solchen Schiedsspruch unvereinbar ist. Alternativ oder ergänzend dazu könnte der Mitgliedstaat, in dem der Schiedsspruch erfolgte, für ausschließlich zuständig erklärt werden, um die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs und einen fairen Ablauf des Schiedsverfahrens zu bestätigen; nach dieser Bestätigung könnte der Schiedsspruch in der Gemeinschaft ungehindert zirkulieren. Schließlich bestünde noch die Möglichkeit, unter Berufung auf Artikel VII des New Yorker Übereinkommens die Anerkennung von Schiedssprüchen auf EU-Ebene weiter zu erleichtern (dies könnte auch in einem separaten Gemeinschaftsinstrument geschehen).

Frage 7:

8. Sonstiges

8.1. Anwendungsbereich

Nach Annahme der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 sollten Unterhaltssachen vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen werden. Artikel 71, der das Verhältnis zwischen der Verordnung und Übereinkommen auf besonderen Rechtsgebieten regelt, sollte so eng wie irgend möglich gefasst werden.

8.2. Zuständigkeit

Da der Wohnsitz wichtigster Anknüpfungspunkt für die Feststellung der Zuständigkeit ist, wäre zu prüfen, ob hierfür ein Gemeinschaftskonzept entwickelt werden könnte.

Des Weiteren stellt sich die Frage, inwieweit es sinnvoll wäre, einen nicht ausschließlichen Gerichtsstand am Ort der Belegenheit beweglicher Vermögensgegenstände einzurichten, soweit es um dingliche Rechte oder den Besitz an diesen Gegenständen geht. Im Zusammenhang mit Arbeitsverträgen wäre zu fragen, inwieweit eine Verbindung von Klagen gemäß Artikel 6 Absatz 1 zugelassen werden sollte.Bei der ausschließlichen Zuständigkeit wäre zu überlegen, ob bei Verträgen über die Anmietung von Büroraum die Wahl des Gerichtsstands erlaubt sein soll. Beim Anmieten von Ferienhäusern könnte eine gewisse Flexibilität von Vorteil sein, um zu vermeiden, dass im Streitfall ein für alle Parteien gleichermaßen abgelegener Gerichtsstand zum Zuge kommt. Ferner stellt sich die Frage, ob die ausschließliche Zuständigkeit im Gesellschaftsrecht (Artikel 22 Absatz 1) auf weitere Bereiche der unternehmensinternen Organisation und Entscheidungsprozesse in einer Gesellschaft ausgedehnt werden sollte. Schließlich könnte eine allgemein gültige Definition des Begriffs des "Sitzes" ins Auge gefasst werden. In Bezug auf Artikel 65 wäre zu überlegen ob nicht eine einheitliche Regelung für Verfahren unter Beteiligung Dritter angestrebt werden sollte, die sich gegebenenfalls auf Forderungen gegenüber ausländischen Dritten beschränken könnte. Möglich wäre auch, es bei den Unterschieden im Zivilrecht der Mitgliedstaaten zu belassen, aber Artikel 65 so umzuformulieren, dass sich das innerstaatliche Recht auf eine einheitliche Lösung zubewegen kann. Wenn außerdem bei einer Streitverkündung das Gericht, vor dem die Forderung gegenüber dem Dritten verhandelt wird, verpflichtet wird, die Zulässigkeit der Streitverkündung zu prüfen, könnte dies die Unsicherheit in Bezug auf die Wirkung der Entscheidung im Ausland verringern.

Bei Seerechtsangelegenheiten stellt sich die Frage, ob die Verordnung eventuell eine Verbindung von Verfahren, die die Einrichtung eines Haftungsfonds bezwecken, und von Haftungsklagen zulassen sollte. Was die Bindewirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung in Konnossements für Drittinhaber betrifft, haben die Beteiligten vorgeschlagen, dass der Verfrachter durch die Gerichtsstandsklausel gebunden, aber gleichzeitig auch berechtigt sein soll, die Klausel gegenüber ordnungsgemäßen Drittinhabern geltend zu machen, es sei denn, aus dem Konnossement geht der Gerichtsstand nicht eindeutig hervor.

Ferner ist zu überlegen, ob der Wortlaut von Artikel 15 Absatz 1 Buchstaben a und b der Verordnung betreffend Verbraucherkredite nicht an die Definition des Verbraucherkreditvertrags in der Richtlinie 2008/48/EG angepasst werden sollte16.

In Anbetracht der auf Gemeinschaftsebene laufenden Arbeiten zum kollektiven Rechtsschutz17 stellt sich die Frage, ob für diese Verfahren besondere Zuständigkeitsvorschriften gebraucht werden.

8.3. Anerkennung und Vollstreckung

Im Zusammenhang mit der Anerkennung und Vollstreckung wäre zu überlegen, inwieweit man sich des Problems des freien Verkehrs von Urkunden annehmen sollte18. In Familiensachen (Verordnungen (EG) Nr. . 2201/2003 und 4/2009) wird die Streitbeilegung in einer öffentlichen Urkunde automatisch in den übrigen Mitgliedstaaten anerkannt. Zu fragen ist, inwieweit für sämtliche oder bestimmte Zivil- und Handelssachen eine "Anerkennung" sinnvoll sein könnte, wobei die besonderen rechtlichen Wirkungen öffentlicher Urkunden zu berücksichtigen sind.

Ferner könnte der freie Verkehr von Entscheidungen über die Verhängung finanzieller Sanktionen dadurch verbessert werden, dass sichergestellt wird, dass die Höhe der Sanktion entweder vom Ursprungsgericht oder von einer zuständigen Stelle im Vollstreckungsmitgliedstaat festgesetzt wird. Es sollte auch geprüft werden, inwieweit die Verordnung die Einziehung von nicht nur dem Gläubiger, sondern auch dem Gericht oder den Finanzbehörden zustehenden Beträgen ermöglichen sollte.

Im Stadium der Vollstreckung könnte der Rechtsschutz auch durch Einführung eines einheitlichen, in allen EG-Amtssprachen verfügbaren Formulars verbessert werden, das einen Auszug aus dem Urteil enthält19. Damit müsste nicht mehr das gesamte Urteil übersetzt werden und dennoch wäre dafür gesorgt, dass alle sachdienlichen Informationen (z.B. über anfallende Zinsen) den Vollstreckungsbehörden bekannt sind. Die Kosten für die Vollstreckung können durch Abschaffung des Erfordernisses, eine Zustelladresse oder einen Zustellungsbevollmächtigten20 zu benennen, gesenkt werden. Infolge der Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene, insbesondere durch die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten21, dürfte dieses Erfordernis heute überholt sein.

Frage 8: