Empfehlungen der Ausschüsse zu Punkt der 813. Sitzung des Bundesrates am 8. Juli 2005
Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder - und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz - KICK)

A

1. Der federführende Ausschuss für Frauen und Jugend empfiehlt dem Bundesrat,

zu dem vom Deutschen Bundestag am 3. Juni 2005 verabschiedeten Gesetz zu verlangen, dass der Vermittlungsausschuss gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes mit dem Ziel einer grundlegenden Überarbeitung des Gesetzes einberufen wird.

Begründung

a) Der Bundesrat beobachtet mit großer Sorge,

dass die Jugendhilfeausgaben von rund 14,3 Milliarden Euro im Jahr 1992 auf rund 20,6 Milliarden Euro in 2003 angestiegen sind. Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder - und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz - KICK) ist zwar ein erster Schritt in die richtige Richtung, weil teilweise Forderungen des Bundesrats (z.B. Betonung der elterlichen Erziehungsverantwortung und Nachrang der Kinder- und Jugendhilfe durch leistungsorientierte Kostenbeiträge und Berücksichtigung des Kindergeldvorteils) berücksichtigt wurden. Insgesamt betrachtet reicht die Novellierung des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) jedoch nicht aus, die eigentlichen Strukturprobleme in der Kinder- und Jugendhilfe anzugehen. Dem Leitgedanken eines modernen Sozialstaatsverständnisses, die jeweiligen Leistungen in hohem Maße an der Passgenauigkeit und der Erfolgsorientierung auszurichten, wird nicht konsequent genug Rechnung getragen. Das KICK bleibt letztendlich hinter dem zurück, was bereits aus Sicht der Länder sowie der Kommunen gemeinsam formuliert und zum Teil auch schon im Bundesrat verabschiedet worden ist (zuletzt in dem Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung der Kommunen im sozialen Bereich (KEG), vgl. BR-Drucksache 712/04(B) HTML PDF ).

Es sollten deshalb insbesondere folgende Änderungen vorgenommen werden:

b) Zu Artikel 1 Nr. 13 (§ 35a Abs. 1 und 1a SGB VIII)

Artikel 1 Nr. 13 ist wie folgt zu fassen:

Begründung

Die Kommunen beklagen bundesweit enorme Kostensteigerungen und deutliche Mitnahmeeffekte sowie erhebliche Auslegungsprobleme aufgrund der ausgedehnten und unbestimmten Reichweite des Leistungstatbestandes des

§ 35a SGB VIII. So stiegen die Ausgaben in diesem Bereich 2003 im Vergleich zu 2002 in den westlichen Ländern (einschließlich Berlin) um 12,6 Prozent, in den östlichen Ländern um 7,9 Prozent. Durch die Neufassung wird der bislang sehr weite Tatbestand der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Kinder und Jugendliche entsprechend den Voraussetzungen der Leistungsgewährung für geistig und körperlich behinderte junge Menschen im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch ( § 53 SGB XII) enger gefasst. Die Neufassung hat zur Folge, dass nur noch eine wesentliche seelische Behinderung zum Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe führt. Personen mit nicht wesentlichen Behinderungen kann Eingliederungshilfe gewährt werden. Ferner droht künftig eine seelische Behinderung nur dann, wenn der Eintritt der Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.

Leistungen der Eingliederungshilfe können so ziel- und zweckgerichteter gewährt werden, so dass letztlich genügend Ressourcen für die eigentlichen Hilfebedürftigen vorhanden sind. Außerdem wird erst durch diese Neuregelung einheitliches Recht für alle jungen Menschen mit Behinderungen geschaffen. Dies war auch die Intention des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX), das zum 1. Juli 2001 in Kraft getreten ist. Gerade dieses Ziel der Gleichbehandlung wird durch die unterschiedlichen Regelungen im Bereich junger Menschen mit Behinderungen allerdings verfehlt. Eine Neuregelung ist auch deshalb erforderlich.

c) Zu Artikel 1 Nr. 18 (§ 41 Abs. 1 - neu - und 2 SGB VIII)

Artikel 1 Nr. 18 ist wie folgt zu fassen:

Begründung

Zu Buchstabe a:

Bisher können junge Volljährige auch noch nach Vollendung des 18. Lebensjahres - in Einzelfällen sogar bis Ende des 27. Lebensjahres - erstmals Jugendhilfeleistungen in Anspruch nehmen. Die Hilfegewährung für junge Volljährige berücksichtigt vor allem die Tatsache, dass die individuelle Persönlichkeitsentwicklung von der abstrakt juristisch bestimmten Volljährigkeit abweicht. Jugendhilfeleistungen für über 21-jährige sollten aber auch nach dem Willen des Gesetzgebers nach § 41 a. F. die Ausnahme sein, in der Praxis hat sich dies jedoch zum Regelfall umgekehrt. Folge hiervon sind massive Abgrenzungsprobleme und Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen Jugend- und Sozialhilfe sowie erhebliche Reibungsverluste durch einen entsprechend hohen Verwaltungsaufwand und zum Teil Mitnahmeeffekte. Jugendämter vertreten zudem die Auffassung, dass nach Eintritt der Volljährigkeit die erzieherischen Methoden der Jugendhilfe weniger Erfolg versprechend sind, insbesondere, wenn die Hilfe erst nach Volljährigkeit beginnt.

Durch die Neufassung wird erreicht, dass bei jungen Volljährigen nur begonnene Jugendhilfeleistungen fortgesetzt werden (keine Ersthilfe für junge Volljährige mehr) und die Leistungen der Jugendhilfe spätestens mit Vollendung des 21. Lebensjahres beendet sind. Notwendige Hilfe zur Selbsthilfe kann jungen Volljährigen effektiv durch die Leistungen zur Eingliederung aus dem SGB II angeboten werden, dessen erklärtes Ziel es ist, gerade arbeitsfähige junge Menschen besser und schneller in Arbeit zu bringen. Ebenso kommen Angebote der Wohnungsvermittlung oder Schuldnerberatung in Betracht.

Die gesellschaftliche Integration junger Menschen sowie die Entfaltung ihrer Persönlichkeit erfolgt zu wesentlichen Teilen im Rahmen schulischer oder beruflicher Ausbildung. Durch die Bindung der Hilfegewährung an eine schulische oder berufliche Ausbildung wird sichergestellt, dass der junge Volljährige die Zeit der Hilfegewährung sinnvoll nutzt, um in der Zukunft ein eigenständiges Leben führen zu können. Die erzieherische Leitlinie des Gesetzes wird betont. Im Sinne des aktivierenden Sozialstaates entspricht die Neuregelung dem Grundsatz des "Förderns und Forderns".

d) Zu Artikel 1 Nr. 34 (69 Abs. 4a - neu - und 5 Satz 2 und 3 SGB VIII)

Artikel 1 Nr. 34 ist wie folgt zu fassen:

Begründung

Zu Buchstabe a:

Hinsichtlich der strukturellen Rahmenbedingungen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe ist eine Öffnungsklausel im Interesse der Länder und Kommunen notwendig. Um Verantwortungsebenen effektiver gestalten und kommunale

Bedarfsplanung optimal umsetzen zu können, ist ausdrücklich zu regeln, dass Aufgaben nach den §§ 22 bis 26 SGB VIII durch landesgesetzliche Regelungen kreisangehörigen Gemeinden übertragen können (§ 69 SGB VIII). Die Planungs- und Gestaltungsverantwortung soll jedoch bei den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe (Landkreise/kreisfreie Städte - Jugendämter) verbleiben. Diese Öffnungsklausel ist notwendig, damit die Betreuungsangebote für Kinder nach Möglichkeit orts- und sachnah sowie familienfreundlich ausgestaltet werden können und somit eine qualitätsorientierte und bedarfsgerechte Kinderbetreuung möglich ist.

Die im Gesetzesbeschluss bislang vorgesehene Öffnungsklausel trägt diesem Anliegen nur bedingt Rechnung. So bleibt insbesondere unklar, ob mit einer Heranziehung der kreisangehörigen Gemeinden und Gemeindeverbände zur Durchführung von Aufgaben der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege eine konkrete Zuständigkeitsverlagerung verbunden ist. Um hier abschließend Rechtsklarheit zu schaffen, wird eine andere Formulierung zur vorgesehenen Öffnungsklausel vorgeschlagen.

e) Zu Artikel 1 Nr. 39a - neu - (85 Abs. 4 Satz 2 - neu - SGB VIII)

In Artikel 1 ist nach Nummer 39 folgende Nummer einzufügen:

39a. Dem § 85 Abs. 4 wird folgender Satz angefügt:

Begründung

Durch die derzeitige Rechtslage wird eine zielführende und effektive Bündelung der Aufgabenwahrnehmung im Bereich der staatlichen Aufsicht über Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe vereitelt. Die bundesrechtlichen Schranken führen, z.B. in Bayern, zu dem absurden Ergebnis, dass altersgemischte Einrichtungen (Kindergarten, Hort, Netz für

Kinder und Krippe unter einem Dach) teilweise von den Jugendämtern und von den Regierungen gleichzeitig beaufsichtigt werden. Durch Landesrechtsvorbehalt soll für die Länder die Möglichkeit geschaffen werden, die bislang zum Teil noch überregional bzw. zentral angesiedelte staatliche Aufsicht und die Aufgabenwahrnehmung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe auf die orts- und sachnähere Ebene der Kreisverwaltungsbehörden zu delegieren bzw. die Aufsicht dezentral anzusiedeln.

Die vorgeschlagene Ergänzung in § 85 Abs. 4 um den Satz 2 muss hinsichtlich der Kindertagesbetreuung auch im Zusammenhang zu § 69 Abs. 5 gesehen werden. Wenn Aufgaben nach den §§ 22 bis 26 SGB VIII durch landesgesetzliche Regelungen kreisangehörigen Gemeinden übertragen werden, geht damit einher, dass auch die Aufsicht auf Kreisverwaltungsbehörden übertragen werden muss und nicht zentral wahrgenommen werden kann.

B

2. Der Finanzausschuss empfiehlt dem Bundesrat,

dem vom Deutschen Bundestag am 3. Juni 2005 verabschiedeten Gesetz gemäß Artikel 84 Abs. 1 des Grundgesetzes zuzustimmen.