Gesetzesantrag des Freistaats Thüringen
Entwurf eines Gesetzes über die Festsetzung des Mindestlohnes
(Mindestlohngesetz - MinLoG)

A. Problem und Ziel

Die Niedriglohnbeschäftigung hat in Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Die strukturellen Verschiebungen am deutschen Arbeitsmarkt haben zu einer deutlichen, auch im internationalen Vergleich hervorstechenden Ausweitung des Niedriglohnsektors geführt.

Selbst bei Vernachlässigung von Schülern, Studierenden und Rentnern arbeitet bundesweit mehr als jeder Fünfte für einen Niedriglohn.

Ein hervorgehobenes Niedriglohnrisiko weisen dabei Geringqualifizierte, Frauen sowie besonders junge und alte Arbeitnehmer auf.

Im Dezember 2011 bezogen 1,33 Mio. erwerbsfähige Leistungsberechtigte nach SGB II Einkommen aus Erwerbstätigkeit; 42% hiervon (557.289) waren sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer waren nicht in der Lage, durch ihre Arbeit ihr Existenzminimum zu sichern.

Gleichzeitig profitiert der Arbeitsmarkt weiter vom Wirtschaftsaufschwung. Mit einem sachgerechten Mindestlohn kann der Arbeitsmarkt dauerhaft stabilisiert werden. Es ist daher geboten, einen einheitlichen Mindestlohn einzuführen, von dem die Menschen leben können. Dieser Mindestlohn muss in der gesamten Bundesrepublik gelten.

Ziel des Gesetzentwurfs ist es daher sicherzustellen, dass über eine Vollzeitbeschäftigung ein Existenz sicherndes Einkommen und eine angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erreicht werden kann.

B. Lösung

Durch das Gesetz werden die unabdingbare Verpflichtung zur Zahlung eines bundeseinheitlichen Mindestlohnes festgelegt sowie Regelungen zur Festsetzung des Mindestlohnes geschaffen. Die Höhe des Mindestlohns wird durch eine unabhängige Kommission verbindlich festgelegt. Die Festlegung erfolgt als Bruttostundenlohn.

Der allgemein verbindliche Mindestlohn soll bundeseinheitlich und für alle Branchen und Regionen gelten.

C. Alternativen

Keine.

D. Haushaltsaufwand ohne Erfüllungsaufwand

Das Gesetz führt nicht zu unmittelbaren Belastungen der öffentlichen Haushalte.

E. Erfüllungsaufwand

E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger

Keiner.

E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft

Für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ergibt sich die Verpflichtung, den bei ihr oder bei ihm beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mindestens den auf der Grundlage dieses Gesetzes festgesetzten Mindestlohn zu zahlen.

E.3 Erfüllungsaufwand für die Verwaltung

Zusätzliche Kosten entstehen durch Verwaltungsaufwand bei der Überprüfung der Einhaltung des Mindestlohngesetzes. Dem steht eine Entlastung der öffentlichen Haushalte u.a. durch Einsparungen bei ergänzendem Arbeitslosengeld II (sog. Aufstocker) entgegen. Es ist mit einem Rückgang der Sozialtransfers an bedürftige Haushalte zu rechnen. Überdies sind Mehreinnahmen an Steuern und Sozialversicherungsabgaben durch die Umsetzung des Mindestlohnes zu erwarten.

F. Sonstige Kosten

Durch die mit dem Gesetz verbundenen Steigerungen der Arbeitskosten für Niedriglohnbeschäftigte werden sich voraussichtlich in Wirtschaftszweigen mit überdurchschnittlich vielen Niedriglohnanteilen die Kosten erhöhen.

Gesetzesantrag des Freistaats Thüringen
Entwurf eines Gesetzes über die Festsetzung des Mindestlohnes (Mindestlohngesetz - MinLoG)

Freistaat Thüringen Erfurt, den 11. September 2012

Die Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chefin der Staatskanzlei

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Horst Seehofer

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Thüringer Landesregierung hat beschlossen, dem Bundesrat den anliegenden Entwurf eines Gesetzes über die Festsetzung des Mindestlohnes (Mindestlohngesetz - MinLoG) mit dem Antrag zuzuleiten, die Einbringung beim Deutschen Bundestag gemäß Artikel 76 Absatz 1 des Grundgesetzes zu beschließen.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der Plenarsitzung am 21. September 2012 aufzunehmen und sie anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Marion Walsmann

Entwurf eines Gesetzes über die Festsetzung des Mindestlohnes (Mindestlohngesetz - MinLoG)

Vom ...

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:

§ 1 Mindestlohn

§ 2 Wirkung des Mindestlohnes

§ 3 Mindestlohnkommission

§ 4 Festsetzung des Mindestlohnes

§ 5 Kontrollen und Nachweise

§ 6 Ordnungswidrigkeiten

§ 7 Durchführungsbestimmungen

Die Bundesregierung erlässt durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, die zur Durchführung dieses Gesetzes erforderlichen Bestimmungen.

§ 8 Inkrafttreten

Die §§ 3, 4 und 7 treten am Tag nach der Verkündung in Kraft. Im Übrigen tritt dieses Gesetz am ersten Tag des auf die Verkündung folgenden 13. Kalendermonats in Kraft. Gleichzeitig tritt das Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen (Mindestarbeitsbedingungengesetz - MiArbG) vom 11.01.1952 (BGBl. I S. 17), zuletzt geändert durch Art. 1 Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Festsetzung der Mindestarbeitsbedingungen vom 22.04.2009 (BGBl. I S. 818) außer Kraft.

Begründung

A. Allgemeines

Ziel des Gesetzes ist es sicherzustellen, dass für alle in Deutschland vollzeitbeschäftigten Bürgerinnen und Bürger ein Existenz sicherndes Einkommen und eine angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erreicht werden kann.

Seit Mitte der 1990er Jahre kommt es zu strukturellen Verschiebungen am deutschen Arbeitsmarkt. Bis in die 1990er Jahre hinein galt die Lohnspreizung in Deutschland als gering. Der Anteil der abhängig Beschäftigten, die einen Bruttostundenlohn von weniger als zwei Dritteln des Medianlohns und somit einen Niedriglohn erhielten, schwankte bis 1998 um die 15 Prozent.

Seitdem hingegen hat der Niedriglohnsektor deutlich an Gewicht gewonnen. Der stärkste Zuwachs von über fünf Prozentpunkten erfolgte dabei in einem kurzen Zeitraum von 1999 bis 2003, doch auch in jüngerer Vergangenheit war tendenziell ein Anstieg zu beobachten. Am aktuellen Rand macht der Niedriglohnsektor 21,4 Prozent aller Beschäftigten aus. Hierbei ist die üblicherweise verwendete Definition der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zugrunde gelegt. Die Angaben (Quelle: Institut für Arbeitsmarktforschung und Qualifizierung) beruhen auf für Ost- und Westdeutschland differenzierten Niedriglohnschwellen und berücksichtigen - soweit nicht anders ausgewiesen - abhängig Beschäftigte ohne Schülerinnen und Schüler, Studierende sowie Rentnerinnen und Rentner.

Betrachtet man ferner den Umfang des Niedriglohnsektors getrennt für Ost- und Westdeutschland, so fällt auf, dass seine Ausweitung seit 1995 vor allem auf die Entwicklung in Westdeutschland zurückzuführen ist. Während die absolute Zahl der Niedriglohnbeschäftigten in Ostdeutschland zwischen 1995 und 2010 um knapp 300.000 oder 31,4 Prozent auf rund 1,2 Millionen zunahm, stieg sie in Westdeutschland um mehr als zwei Millionen oder 60,8 Prozent auf 5,6 Millionen Beschäftigte.

Zu berücksichtigen ist an dieser Stelle, dass auch die Zahl der Beschäftigten insgesamt in Westdeutschland wesentlich höher liegt. Tatsächlich fällt der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten in Ostdeutschland mit 22,8 Prozent im Jahr 2010 höher aus als in Westdeutschland (21,1 Prozent).

Unabhängig von den innerdeutschen Entwicklungen lässt sich das Gewicht des Niedriglohnsektors hierzulande in den europäischen Kontext einordnen. Daten mit einem hohen Maß an internationaler Vergleichbarkeit veröffentlicht die OECD. Bezugsgröße ist dabei aus Gründen der Datenverfügbarkeit das monatliche bzw. jährliche Einkommen der abhängigen Vollzeitbeschäftigten.

Zu beobachten ist:

Insgesamt zeigt sich, dass der deutsche Niedriglohnsektor im Zeitverlauf an Bedeutung gewonnen hat und am aktuellen Rand ausgeprägter ist als in der überwiegenden Zahl hinsichtlich ihres Entwicklungsstands vergleichbarer Volkswirtschaften.

Die Ausweitung des deutschen Niedriglohnsektors steht in engem Zusammenhang mit dem Grad der Tarifbindung, da Tariflöhne eine Lohnuntergrenze vorgeben können. Anhand des Betriebspanels des IAB lassen sich seit Mitte der 1990er Jahre die folgenden Entwicklungen feststellen:

Neben der formellen Tarifbindung sind die folgenden Aspekte zu beachten:

Niedrige Löhne gehen nicht nur zu Lasten der Beschäftigten, sondern auch zu Lasten der Gemeinschaft der Steuerzahler. 2009 wurden fast 11 Milliarden Euro als Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) an Beschäftigte und Selbstständige gezahlt. Im Juni 2011 bezifferte die Bundesagentur für Arbeit die Zahl der Beschäftigten, die zusätzlich Sozialleistung beziehen (sog. Aufstocker), auf 1,25 Millionen. Dabei waren 328.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, also fast ein Viertel der Aufstockerinnen und Aufstocker, in Vollzeitarbeitsverhältnissen beschäftigt. Nach einer Veröffentlichung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) erhielt die Hälfte aller Aufstocker im Jahr 2008 einen Stundenlohn von weniger als 6,44 Euro. Ein Viertel der Betroffenen verdiente sogar weniger als 4,95 Euro pro Stunde.

Niedriglöhne schwächen aufgrund der Lohn- und Beitragsbezogenheit der Sozialversicherungen auch die soziale Absicherung der Beschäftigten im Alter. Bereits heute erhalten etwa 400 000 Bürgerinnen und Bürger Grundsicherung im Alter. Aufgrund niedriger und niedrigster Löhne und der damit verbundenen geringen Rentenbeiträge sowie Zeiten der Arbeitslosigkeit werden viele Geringverdienerinnen und Geringverdiener Renten unterhalb oder knapp an der Grenze zur Grundsicherung erhalten. Mit einem ausreichenden Mindestlohn würde erreicht, dass vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Alterssicherung erreichen können, die oberhalb der bedürftigkeitsorientierten Leistungen der Grundsicherung im Alter liegt.

Gleichzeitig würde durch einen gesetzlichen Mindestlohn die Erosion der Beitragsbasis der Sozialversicherungen gestoppt.

B. Einzelbegründung

Zur Eingangsformel

In Hinblick auf die Übertragung von Aufgaben auf die Zollverwaltung besteht der Vorbehalt eines formell doppelt qualifizierten Bundesgesetzes gemäß Artikel 87 Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes.

Zu § 1 (Mindestlohn)

Absatz 1 Satz 1 regelt die Funktion des Mindestlohnes als unterste Grenze des Arbeitsentgelts.

Der allgemein verbindliche Mindestlohn soll bundeseinheitlich für alle Branchen gelten.

Absatz 1 Satz 2 greift die Vorgaben der Artikel 1 und 20 Absatz 1 des Grundgesetzes auf und legt die auf Grund der Menschenwürdegarantie und des Sozialstaatsprinzips für die Bestimmung der Höhe des Mindestlohnes erforderlichen maßgeblichen Zielvorgaben fest. Er stellt auch klar, dass es um die Existenzsicherung der einzelnen Arbeitnehmerin und des einzelnen Arbeitnehmers geht.

Die Festsetzung des Mindestlohnes als Bruttoarbeitsentgelt für eine Zeitstunde in Absatz 2 Satz 1 macht den Mindestlohn einfach und transparent. Er bietet allen am Wirtschaftsleben Beteiligten eine verlässliche Planungsgrundlage. Es wird einerseits klargestellt, dass der Mindestlohn dem reinen Stundenentgelt ohne Zuschläge entspricht. Darüber hinausgehende Entgeltbestandteile, wie ein zusätzliches Monatsgehalt oder Urlaubsgeld, sind neben dem Mindestlohn zu zahlen; Aufwendungsersatzleistungen dürfen nicht angerechnet werden. Andererseits wird der fortschreitenden Ausdifferenzierung der Arbeitsverhältnisse Rechnung getragen.

Absatz 2 Satz 2 legt die neben den in Absatz 1 Satz 2 enthaltenen Zielvorgaben für die Festlegung der Höhe des Mindestlohnes maßgeblichen Determinanten fest.

Zu § 2 (Wirkung des Mindestlohnes)

Absatz 1 Satz 1 formuliert in Verbindung mit der Rechtsverordnung nach § 4 die Anspruchsgrundlage für die Zahlung des Mindestlohnes. Die Regelung stellt klar, dass der für eine Zeitstunde festgesetzte Mindestlohn bei allen Arbeitsverhältnissen, das heißt sowohl bei Vollzeitarbeitsverhältnissen als auch bei Teilzeitarbeitsverhältnissen, zu zahlen ist. Absatz 1 Satz 2 modifiziert § 614 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs und legt für den Mindestlohn einen eindeutigen spätesten Fälligkeitszeitpunkt fest. Die angeordnete mindestens monatliche Zahlung stellt sicher, dass die Zielsetzung des Gesetzes (§ 2 Absatz 1 Satz 2) kontinuierlich erreicht wird und erleichtert den Behörden der Zollverwaltung die Kontrolle der Zahlung des gesetzlichen Mindestlohnes.

Durch den Mindestlohn soll den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein auskömmliches, die Existenz sicherndes Einkommen gewährleistet werden.

Die Gesamtschau der bestehenden, branchenbasierten Regelungen zeigt, dass eine hohe Bandbreite für die Höhe der Mindestlöhne existiert, die von knapp sieben bis über dreizehn Euro reicht.

Absatz 2 sichert die in § 2 Absatz 1 Satz 1 formulierte Zielsetzung des Mindestlohnes. Der Zweck des gesetzlichen Mindestlohnes, eine für alle verbindliche Entgeltuntergrenze festzusetzen, lässt die Vereinbarung oder Festsetzung geringerer Entgelte, unabhängig auf welcher Rechtsgrundlage dies erfolgt, nicht zu.

Durch den Mindestlohn wird die Möglichkeit, in einzelnen Branchen höhere Mindestentgelte nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz festzulegen oder Tarifverträge mit höheren Entgelten nach dem Tarifvertragsgesetz für allgemein verbindlich zu erklären, nicht berührt.

Die vorgesehene Regelung steht im Einklang mit dem Verfassungsrecht. Die gesetzliche Regelung des Mindestlohnes verletzt nicht die in Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes enthaltene Bestands- und Betätigungsgarantie der Koalitionen. Der Schutz erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen und umfasst insbesondere auch die Tarifautonomie, die im Zentrum der den Koalitionen eingeräumten Möglichkeiten zur Verfolgung ihrer Zwecke steht (BVerfGE 88, 103, 114; 94, 268, 283; 103, 293, 304). Das Aushandeln von Tarifverträgen ist ein wesentlicher Zweck der Koalitionen (BVerfGE 94, 268, 283).

Zu den der Regelungsbefugnis der Koalitionen überlassenen Materien gehören insbesondere das Arbeitsentgelt und die anderen materiellen Arbeitsbedingungen (BVerfGE 94,268,283;100,271,282;103,293,304).

In diesen Schutzbereich greift die Regelung des Absatzes 2 ein, da sie den Gestaltungsfreiraum der Koalitionen, niedrigere Entgelte als den Mindestlohn zu vereinbaren, beschränkt. Dieser Eingriff ist jedoch durch verfassungsrechtlich legitimierte, überwiegende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Die in Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes garantierte Koalitionsfreiheit kann, obwohl sie ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet ist, jedenfalls zum Schutz von Gemeinwohlbelangen eingeschränkt werden, denen gleichermaßen verfassungsrechtlicher Rang gebührt (BVerfGE 84, 212, 228, ständige Rechtsprechung). Dem Gesetzgeber ist es, wenn solche Gründe vorliegen, grundsätzlich nicht verwehrt, Fragen zu regeln, die Gegenstand von Tarifverträgen sein können (BVerfGE 94, 268, 284).

Die Festsetzung des Mindestlohnes dient dazu, die Existenz sichernde Funktion des Arbeitsentgelts und die elementare Würde und ökonomische Funktion von Arbeit zu sichern. Sie soll in den Bereichen, in denen die Gefahr besteht, dass elementare Gerechtigkeitsmaßstäbe verletzt werden, Lohngerechtigkeit absichern. Dieses Ziel hat auf Grund des Sozialstaatsprinzips Verfassungsrang.

Die gerechte und angemessene Entlohnung ermöglicht es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erst, das Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes zu verwirklichen, sich durch Arbeit in ihrer Persönlichkeit zu entfalten und darüber Achtung und Selbstachtung zu erfahren. Insofern wird das gesetzliche Ziel auch durch Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes getragen.

Die vorgesehene gesetzliche Regelung verletzt auch nicht die durch Artikel 12 des Grundgesetzes geschützte Vertragsfreiheit bei der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen. Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes schützt vor staatlichen Beeinträchtigungen, die gerade auf die berufliche Betätigung bezogen sind. Er gewährleistet den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern das Recht, die Arbeitsbedingungen mit ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Rahmen der Gesetze frei auszuhandeln (BVerfGE 77, 84, 114; 77, 308, 332). Gesetzliche Vorschriften, die die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen betreffen und die sich deshalb für die Arbeitgeberseite als Berufsausübungsregelungen darstellen, sind daher grundsätzlich an Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes zu messen (BVerfG, Beschluss vom 11. Juli 2006 - 1 BvL 4/00 - unter CI12a). In diesen Schutzbereich greift die Regelung des Absatzes 2 ein, da sie den Gestaltungsfreiraum der Arbeitsvertragsparteien insoweit beschränkt, als sie die Vereinbarung niedrigerer

Entgelte als den Mindestlohn untersagt. Der Eingriff ist jedoch auch aus den zu Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes dargestellten Gründen gerechtfertigt.

Absatz 3 enthält ergänzende Sicherungen zum Schutz des Mindestlohnanspruchs. Der Zweck des gesetzlichen Mindestlohnes würde unterminiert, könnte der Anspruch durch Verzicht, Verwirkung oder den Ablauf von Ausschlussfristen untergehen. Auch die in § 195 des Bürgerlichen Gesetzbuchs geregelte regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren wird dem erforderlichen Schutz des Mindestlohnes nicht gerecht. Das fehlende Kräftegleichgewicht im Arbeitsverhältnis erfordert es, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Möglichkeit zu erhalten, ihre gesamten Mindestlohnansprüche durchzusetzen, auch und gerade wenn das Arbeitsverhältnis länger als drei Jahre dauerte. Daher wird eine eigenständige zehnjährige Verjährungsfrist vorgesehen, die mit der Entstehung des Mindestlohnanspruchs beginnt und deren Verkürzung ausdrücklich ausgeschlossen wird.

Zu § 3 (Mindestlohnkommission)

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales errichtet eine Kommission zur Erarbeitung des Mindestlohnes oder dessen Änderung. Die Mitglieder werden auf Vorschlag der Spitzenorganisationen der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer berufen. Für den Fall, dass ein Spitzenverband sein Vorschlagsrecht nicht ausübt, geht das Vorschlagsrecht auf das Bundesministerium für Arbeit und Soziales über. Ein solcher Fall der Nichtausübung liegt auch dann vor, wenn der Verband sein Vorschlagsrecht nicht rechtzeitig ausübt.

Aufgabe der Kommission ist es, im Spannungsfeld zwischen einkommens- und sozialpolitisch wünschenswerten Mindeststandards und eventuell negativen Beschäftigungswirkungen die angemessene Höhe für den Mindestlohn zu finden. Dabei muss die Kommission allgemeine wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge, die Entwicklung der Arbeitseinkommen, die voraussichtlichen Beschäftigungseffekte, die Auswirkungen auf die Unternehmenskosten und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sowie die Folgen für den Staatshaushalt und die Sozialversicherungen als Grundlage berücksichtigen.

Es werden unterschiedliche Orientierungsgrößen für einen flächendeckenden Mindestlohn derzeit diskutiert.

Hierzu gehören z.B.

§ 3 regelt in Abs. 1 die Zusammensetzung der Mindestlohnkommission. Durch die Berufung von Vertreterinnen und Vertretern auf Vorschlag der Spitzenorganisationen der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (Arbeitgebervereinigungen und Gewerkschaften) wird eine ausgewogene Berücksichtigung der für die Entscheidung erforderlichen Aspekte gewährleistet. Dies gilt in besonderem Maße, da die Kommission auch Wissenschaftler hinzuziehen kann. Auf diese Weise besteht die Möglichkeit, die Mindestlohnfestsetzung zu versachlichen und die Akzeptanz der Mindestlohnfestsetzung zu erhöhen.

Der Bundesminister oder die Bundesministerin für Arbeit und Soziales oder eine Beauftragte oder ein Beauftragter leitet die Verhandlungen und Beratungen. Sie oder er hat kein Stimmrecht bei der Beschlussfassung.

In § 3 Abs. 2 bis 4 wird das Beschlussverfahren der Kommission geregelt. Beschlüsse werden grundsätzlich mit einfacher Mehrheit der Mitglieder gefasst. Die Kommission soll sich, falls kein mehrheitlicher Beschluss über den Mindestlohn erfolgt, einvernehmlich auf eine Schlichterin oder einen Schlichter einigen. Einigt sich die Kommission nicht auf eine Schlichterin oder einen Schlichter, so benennt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine Schlichterin oder einen Schlichter.

Die Schlichterin oder der Schlichter unterbreitet der Kommission einen Vorschlag mit dem Ziel, eine Einigung in der Kommission herbeizuführen. Die Kommission stimmt über den Vorschlag ab. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Schlichterin oder der Schlichter.

Zu § 4 (Festsetzung des Mindestlohnes)

Absatz 1 legt das Recht und die Pflicht der Mindestlohnkommission fest, den Mindestlohn unverzüglich nach Inkrafttreten des Gesetzes vorzuschlagen.

Absatz 2 regelt das weitere Verfahren hinsichtlich der Höhe des nach Inkrafttreten des Gesetzes geltenden Mindestlohnes. Durch die Verpflichtung zur jährlichen Überprüfung wird sichergestellt, dass der Mindestlohn auch zeitlich im Gleichklang mit der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung fortgeschrieben wird. Die Überprüfung und Festlegung durch die Kommission soll bis zum 31. August eines jeden Jahres erfolgen.

Absatz 3 regelt die Festsetzung durch Rechtsverordnung.

Absatz 4 enthält nähere Regelungen zum Erlass der den Mindestlohn festsetzenden Rechtsverordnung in Anlehnung an die Bestimmungen des § 4 Absatz 3 des Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen. Absatz 4 Satz 1 bestimmt, dass zum Erlass der Rechtsverordnung die Zustimmung des Bundesrates nicht erforderlich ist.

Zu § 5 (Kontrollen und Nachweise)

Absatz 1 legt fest, dass die Kontrolle der Zahlung des gesetzlichen Mindestlohnes durch die Behörden der Zollverwaltung erfolgt, die auch für die Kontrolle der Einhaltung der nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz zwingenden Arbeitsbedingungen zuständig sind. Diese übereinstimmende Zuständigkeit ist auch aus Gründen der Verfahrensökonomie geboten. Der gesetzliche Mindestlohn ist ein Mindestentgeltsatz im Sinne des § 2 Nummer 1 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und findet daher auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen im Ausland ansässigen Arbeitgeberinnen oder Arbeitgebern und deren im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zwingend Anwendung.

Absatz 2 regelt die Kontroll- und Zusammenarbeitsbefugnisse der Kontrollbehörden, begründet in diesem Zusammenhang Verpflichtungen der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und stellt die Zustellung von Schriftstücken gegenüber Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern mit Sitz im Ausland sicher. Um ein einheitliches Verfahren bei den Kontrollen der Behörden der Zollverwaltung zu ermöglichen, sieht die Regelung die entsprechende Geltung der diesbezüglichen Bestimmungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes vor.

Zu § 6 (Ordnungswidrigkeiten)

Die Regelungen in § 6 orientieren sich an den entsprechenden Regelungen in § 23 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes.

Absatz 1 Nummer 1 enthält die erforderliche Bußgeldvorschrift, durch die Verstöße gegen die Verpflichtungen des § 2 Absatz 1 sanktioniert werden können. Absatz 1 Nummer 2 entspricht der Regelung in § 23 Absatz 2 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes.

Absatz 2 korrespondiert mit der Regelung des § 23 Absatz 1 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Er ermöglicht es, Verstöße gegen die auf Grund der Bestimmung des § 5 Absatz 2 entsprechend anwendbaren §§ 18 und 19 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes zu sanktionieren.

Die Bußgeldregelung in Absatz 3 entspricht der Regelung des § 23 Absatz 3 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes.

Zu § 7 (Durchführungsbestimmungen)

§ 7 enthält die Ermächtigung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, die zur Umsetzung des Gesetzes erforderlichen Regelungen durch Rechtsverordnung zu erlassen.

Zu § 8 (Inkrafttreten)

§ 8 regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

Um den Arbeits- und Tarifvertragsparteien Zeit zur Anpassung ihrer Lohnvereinbarungen zu geben, tritt das Gesetz, mit Ausnahme der §§ 3, 4 und 7, erst nach einer Übergangsfrist von einem Jahr in Kraft. Das vorgezogene Inkrafttreten der §§ 3, 4 und 7 ermöglicht es, die zur Errichtung der Mindestlohnkommission und Festsetzung des Mindestlohns erforderlichen vorbereitenden Maßnahmen umgehend einzuleiten.

Mit Ablauf der Übergangsfrist tritt das Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen (Mindestarbeitsbedingungengesetz - MiArbG) außer Kraft.