Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 6. Mai 2009 zu der erneuerten Sozialagenda (2008/2330(INI))

Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 107274 - vom 2. Juni 2009.

Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 6. Mai 2009 angenommen.

Stellungnahme des Bundesrates: Drucksache 498/08(B) HTML PDF

Das Europäische Parlament,

A. in der Erwägung, dass die für die Europäische Union gravierendste Folge der derzeitigen Finanz- und Wirtschaftskrise ein dramatischer Anstieg der Arbeitslosigkeit sein wird, unter dem die am stärksten gefährdeten sozialen Gruppen noch mehr leiden werden; in der Erwägung, dass höhere Arbeitslosenquoten mit zunehmender Armut, Ungleichheiten im Gesundheitsbereich, Ausgrenzung, Kriminalität, Unsicherheit und mangelndem Vertrauen in Zusammenhang stehen,

B. in der Erwägung, dass die Europäische Union abgesehen von der derzeitigen Krise bereits Probleme infolge eines schwachen Wirtschaftswachstums, einer explosiven demografischen Lage und der Schwierigkeit, in einer zunehmend globalisierten Weltwirtschaft zu leben, verzeichnet hatte,

C. in der Erwägung, dass 15,2% der Bürger der Union zwischen 18 und 24 Jahren 2007 die Schule vorzeitig verlassen haben,

D. in der Erwägung, dass auch eine Beschäftigung für viele Menschen in der Europäischen Union keinen Weg aus der Armut garantiert, waren doch 8 % der Erwerbstätigen 2006 von Armut bedroht,

E. in der Erwägung, dass im Jahre 2006 16 % der europäischen Bürger von Armut bedroht waren, wobei Kinder, Großfamilien, Alleinerziehende, Arbeitslose, Menschen mit Behinderungen, Jugendliche, ältere Menschen, ethnische Minderheiten und Migranten besonders anfällig sind,

F. in der Erwägung, dass das Armutsrisiko bei Frauen nach wie vor höher ist als bei Männern, und zwar aufgrund von Faktoren wie ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit, des geschlechterspezifischen Lohngefälles und der Tatsache, dass Frauen bei den Niedriglohnempfängern die große Mehrheit bilden; in der Erwägung, dass das Risiko, dass die Armut sich bis in die nächsten Generationen hinein fortsetzt, dadurch steigt,

G. in der Erwägung, dass sich die Preissteigerungen der letzten Jahre spürbar auf das verfügbare Haushaltsgeld ausgewirkt haben und dass schutzbedürftige soziale Gruppen davon unverhältnismäßig stark betroffen sind,

H. in der Erwägung, dass mehreren Untersuchungen zufolge (z.B. der Studie der Russell Sage Foundation zur Zukunft der Arbeit) zufolge jeder vierte Erwerbstätige in den am höchsten entwickelten Volkswirtschaften möglicherweise bald so schlecht entlohnt wird, dass er einem zunehmenden Armutsrisiko ausgesetzt ist; in der Erwägung, dass Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor offenbar viele Gemeinsamkeiten aufweisen, da sie oft die Form eines atypischen Beschäftigungsverhältnisses mit gering Qualifizierten, Teilzeitarbeitskräften, Frauen, Zuwanderern und jungen Arbeitnehmern annehmen, für die ein höheres Risiko besteht; in der Erwägung, dass Niedriglohnarbeit oft von einer Generation zur anderen weitergegeben wird und dass Niedriglohnarbeit den Zugang zu guter Bildung, guter Gesundheitsversorgung und anderen grundlegenden Lebensbedingungen einschränkt,

I. in der Erwägung, dass in Artikel 2 des EG-Vertrags festgelegt ist, dass die Gleichstellung von Männern und Frauen zu den Grundprinzipien der Europäischen Union gehört,

J. in der Erwägung, dass die Europäische Union mit einem demografischen Wandel konfrontiert ist, dessen wichtigste Merkmale eine Zunahme der Lebenserwartung und eine abnehmende Geburtenrate sind, obgleich einige Länder Anzeichen für eine Umkehrung des Trends der abnehmenden Geburtenrate aufweisen,

K. in der Erwägung, dass der demografische Wandel voraussichtlich eine Verdoppelung des Altersquotienten bis zum Jahre 2050 bewirken wird, was vor allem Auswirkungen auf die körperliche und geistige Gesundheit der Bevölkerung haben wird,

L. in der Erwägung, dass der Demografiebericht 2008 der Kommission ("Demography Report 2008: Meeting Social Needs in an Ageing Society", SEK(2008)2911) die bedeutende gesellschaftliche Rolle informeller Pflegekräfte anerkennt; mit der Aufforderung an die Kommission, die stichhaltigen sozialen Argumente für die Einbeziehung von Pflegekräften bei der Formulierung künftiger politischer Maßnahmen in Erwägung zu ziehen,

M. in der Erwägung, dass die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Realwirtschaft nicht genau bekannt sind, dass es jedoch unmöglich sein wird, das Ziel der Schaffung von 5 Millionen Arbeitsplätzen in der Europäischen Union in der Zeit von 2008 bis 2009 zu erreichen; in der Erwägung, dass ein Wirtschaftsabschwung zu höherer Arbeitslosigkeit und mit Sicherheit zu mehr Armut führen und das Europäische Sozialmodell vor Herausforderungen stellen wird,

N. in der Erwägung, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise mehr Arbeitslosigkeit und Unsicherheit zur Folge hat und der soziale Zusammenhalt in der Europäischen Union dadurch erheblich belastet wird und viele Mitgliedstaaten mit sozialen Brüchen und Spannungen zu kämpfen haben,

O. in der Erwägung, dass sich die Europäische Union dem Ziel einer unter sozialen und Umweltaspekten nachhaltigen Entwicklung verschrieben hat, und in der Erwägung, dass die Chancen, die sich daraus für die Schaffung von Arbeitsplätzen ergeben können, uneingeschränkt genutzt werden sollten,

P. in der Erwägung, dass der soziale Dialog bei der Überwindung der Vertrauenskrise, die durch die Wirtschaftskrise noch verschlimmert wird, eine wichtige Rolle spielen kann, da viele Menschen in unserer Gesellschaft Angst vor der Zukunft haben; in der Erwägung, dass gleichermaßen denjenigen Priorität eingeräumt werden muss, die bereits ausgeschlossen sind und deren Lage sich in der aktuellen Krise verschlimmert,

Q. in der Erwägung, dass sich die interventionistischer ausgerichteten institutionellen Regelungen, die durch ein gewisses Maß an Einkommensumverteilung und den gemeinsamen Begriff eines "Europäischen Sozialmodells" gekennzeichnet sind, positiv auf die Qualität des Berufslebens von Millionen Männern und Frauen der Segmente unserer Arbeitsmärkte auswirken, die stärker benachteiligt sind,

R. in der Erwägung, dass die Achtung nationaler Rechts- und Konventionsrahmen, die durch eine ausgewogene Gestaltung arbeitsrechtlicher und tarifvertraglicher Regelungen dieser Modelle gekennzeichnet sind, eine Voraussetzung für harmonisierte Werte in einer Vielfalt von Systemen darstellt,

S. in der Erwägung, dass bei atypischen Beschäftigungsverhältnissen die von den Tarifpartnern festgelegten Regeln und Verfahren nicht mehr gelten,

T. in der Erwägung, dass die erneuerte Sozialagenda auf dem Grundsatz basieren müsste, dass eine wirksame und effiziente Sozialpolitik zu Wirtschaftswachstum und Wohlstand beiträgt, und in der Erwägung, dass dies auch hilfreich dabei sein kann, die schwindende Unterstützung der Bürger für die Europäische Union zurückzugewinnen,

U. in der Erwägung, dass in der erneuerten Sozialagenda die Frage der Rechtssicherheit für die Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse leider unerwähnt bleibt,

V. in der Erwägung, dass erhebliche Besorgnis über die Rolle und das Profil der erneuerten Sozialagenda geäußert worden ist, zum Beispiel dahingehend, dass nicht deutlich genug wird, welchen Zweck sie verfolgt und wie die Wirkungskontrolle erfolgt, und, dass der offenen Koordinierungsmethode (OKM) Soziales weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird,

W. in der Erwägung, dass die europäischen Sozialmodelle eine Einheit von Werten mit einer Vielfalt von Systemen bilden und im Allgemeinen in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fallen; dass die im EG-Vertrag sowie in der Grundrechtecharta und im Vertrag von Lissabon verankerten Ziele eines sozialen Europa aber als übergreifende Zielsetzung der Europäischen Union hervorgehoben werden müssen, wenn sie den Erwartungen ihrer Bürger nachkommen und deren Befürchtungen entgegentreten will; in der Erwägung, dass auf mehreren Frühjahrstagungen des Europäischen Rates das Ziel der Beseitigung von Armut und sozialer Ausgrenzung sowie die Notwendigkeit einer Stärkung der sozialen Dimension in der Lissabon-Strategie bekräftigt wurde; in der Erwägung, dass Erfolge und Misserfolge nationaler Sozial- und Beschäftigungspolitiken auch Auswirkungen auf andere Mitgliedstaaten haben und die Debatte über die Reform des Europäischen Sozialmodells somit in den Mittelpunkt dieser Wechselbeziehung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten gestellt werden muss,

X. in der Erwägung, dass die Tatsachen, dass mit der Lissabon-Strategie die Armut, in der derzeit 78 000 000 Menschen in der Europäischen Union leben, nicht verringert werden konnte und dass die Ungleichheit zunimmt, größte Beachtung erhalten müssen; in der Erwägung, dass die Europäische Union bei der Entwicklung und Umsetzung EU-weiter und nationaler Ziele zur Bekämpfung der Armut und der sozialen Ausgrenzung sowie in Schlüsselbereichen, in denen derzeit Indikatoren vorliegen, vorankommen muss, wenn die Bürger davon überzeugt werden sollen, dass die Europäische Union zuerst den Menschen und dann erst den Unternehmen und Banken dient,

Y. in der Erwägung, dass in mehreren Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Formulierung "Vorschriften, deren Einhaltung als entscheidend für die Wahrung der politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation angesehen wird" verwendet worden ist, ohne dass klargestellt wurde, wer die Entscheidung treffen kann, welche Vorschriften für die allgemeine Ordnungspolitik in einem Mitgliedstaat entscheidend sind,

Z. in der Erwägung, dass laut Gerichtshof der Begriff der öffentlichen Ordnung nicht von den einzelnen Mitgliedstaaten einseitig bestimmt werden kann und sie den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Erbringern von Dienstleistungen nicht einseitig alle verbindlichen Vorschriften ihres Arbeitsrechts aufzwingen können, und in der Erwägung, dass unklar ist, in welcher Hand, wenn nicht in der der Mitgliedstaaten, diese Kompetenz liegt,

AA. in der Erwägung, dass nicht eindeutig zwischen Leiharbeitssubunternehmertum mit dubiosen Praktiken und der Erbringung von Dienstleistungen auf der Basis rechtmäßiger Verträge mit tatsächlich Selbständigen unterschieden wird; in der Erwägung, dass der Unterschied zwischen betrügerischen Praktiken und wirklichen zivil- und handelsrechtlichen Geschäftsverhältnissen thematisiert werden sollte,

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