Antrag der Länder Rheinland-Pfalz, Brandenburg, Schleswig-Holstein
Entschließung des Bundesrates zur Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und Einbeziehung der betroffenen Personengruppen in die bestehenden Leistungssysteme nach den Sozialgesetzbüchern Zweites und Zwölftes Buch

Der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz
Mainz, den 28. September 2012

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Horst Seehofer

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierungen von Rheinland-Pfalz, Brandenburg und Schleswig-Holstein haben beschlossen, beim Bundesrat den in der Anlage beigefügten Antrag für eine Entschließung des Bundesrates zur Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und Einbeziehung der betroffenen Personengruppen in die bestehenden Leistungssysteme nach den Sozialgesetzbüchern Zweites und Zwölftes Buch einzubringen.

Ich bitte Sie, den Entschließungsantrag gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung auf die Tagesordnung der 901. Sitzung des Bundesrates am 12. Oktober 2012 zu setzen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen
Grüßen Kurt Beck

Entschließung des Bundesrates zur Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und Einbeziehung der betroffenen Personengruppen in die bestehenden Leistungssysteme nach den Sozialgesetzbüchern Zweites und Zwölftes Buch

Der Bundesrat möge beschließen:

Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, schnellstmöglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem das Asylbewerberleistungsgesetz aufgehoben und der Kreis der Leistungsberechtigten nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (für erwerbsfähige Personen) und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (für nicht erwerbsfähige Personen) Sozialgesetzbuch um die bisher nach dem Asylbewerberleistungsgesetz leistungsberechtigten Personen ergänzt wird. Soweit dies zu einer finanziellen Mehrbelastung der Kommunen führt - Bildungs- und Teilhabepaket -, hat der Bund dies auszugleichen.

Begründung:

Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung außerhalb der Sozialgesetzbücher für Leistungen an Asylbewerber und bestimmte andere ausländische Staatsangehörige besteht nicht mehr.

Auch wenn sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 18. Juli 2012 (1 BvL 10/ 10, BvL 2/11) in erster Linie zur Verfassungsgemäßheit der Höhe der Grundleistungssätze geäußert hat, lassen die Hinweise des Bundesverfassungsgerichts nur den Schluss zu, dass die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes überfällig ist und die Einbeziehung der betroffenen Personengruppen in die bestehenden Leistungssysteme nach den Sozialgesetzbüchern Zweites und Zwölftes Buch (SGB II und SGB XII) geeignet sind, die Bedarfe auch für die betroffenen Personenkreise zukünftig sicherzustellen.

Das Asylbewerberleistungsgesetz, das mit Wirkung vom 1. November 1993 als Gesetz zum Mindestunterhalt für Asylbewerber und bestimmte andere ausländische Staatsangehörige geschaffen wurde, legte unter dem Eindruck des zu diesem Zeitpunkt bestehenden starken Zugangs von Asylsuchenden außerhalb des für Deutsche und diesen gleichgestellte, ausländische Staatsangehörige geltenden materiellen Rechts für die dort benannten Personengruppen deutlich abgesenkte Leistungen und vorrangig Sachleistungen anstelle von Geldleistungen fest (vgl. Artikel 1 des Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber vom 30. Juni 1993 - AsylbLG -, BGBl I S. 1074). Vorrangiges Ziel war es dabei, Asylbewerberinnen und Asylbewerber und ihnen gleichgestellte ausländische Staatsangehörige aus den Leistungen der Sozialhilfe auszuschließen, die Leistungen insgesamt zu beschränken und eher Sachleistungen als Geldleistungen auszugeben. Damit sollten die öffentlichen Haushalte entlastet und ein angeblich bestehender Anreiz zum Zuzug in die Sozialleistungssysteme eingeschränkt werden.

Ein Nachweis für den letztgenannten Anreiz wurde damals nicht geführt. Der seit mehreren Jahren zu beobachtende Anstieg der Zugangszahlen unabhängig von den durch das Bundesverfassungsgericht als evident zu niedrig und verfassungswidrig bewerteten und seit 1993 in der Höhe unveränderten Leistungssätze, belegen im Gegensatz dazu jedoch, dass ein signifikanter Zusammenhang nicht besteht.

War der Anwendungsbereich des Gesetzes ursprünglich auf wenige Personengruppen beschränkt, bei denen eine kurze Aufenthaltsdauer in Deutschland erwartet wurde, wurde der persönliche Anwendungsbereich im Jahr 1997 durch das Erste Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 26. Mai 1997 (BGBl I S. 1130) in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 5. August 1997 (BGBl I S. 2022) und in der Folge noch mehrfach erweitert (Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom 30. Juli 2004, BGBl I S. 1950 sowie mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970), Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258)). Seitdem findet das Asylbewerberleistungsgesetz nicht nur auf Asylsuchende Anwendung, sondern auch auf Kriegsflüchtlinge, auf Opfer von Menschenhandel, ausländische Staatsangehörige mit Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4a Aufenthaltsgesetz (AufenthG), Geduldete und vollziehbar Ausreisepflichtige sowie auf deren Ehegatten, Lebenspartner und minderjährige Kinder, ja sogar auf Drittstaatsangehörige, die im Inland ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigt sind. Insgesamt handelt es sich bei den Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz um Personen, die zwar alle kein Daueraufenthaltsrecht, ansonsten aber einen sehr unterschiedlichen Aufenthaltsstatus haben und deren Aufenthalt in Deutschland auf unterschiedlichen Lebenssituationen beruht und bei denen die Dauer des Aufenthaltes nicht grundsätzlich als kurzfristig bezeichnet werden kann.

Im Jahr 2009 fand das Asylbewerberleistungsgesetz auf rund 150.000 Menschen Anwendung (vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage verschiedener Abgeordneter und der Fraktion die LINKE vom 5. Februar 2010, BT-Drucksache 17/642, zum Stichtag des 31. Dezember 2009; vgl. auch BT Drucksache 17/3160, S. 7 ff. zu den Stichtagen 30. Juni und 31. August 2010). Über zwei Drittel von ihnen hielten sich seit über sechs Jahren in Deutschland auf, sodass das Bundesverfassungsgericht feststellte, dass bei einem überwiegenden Teil der Leistungsberechtigten nicht von einem nur kurzfristigen und nur vorübergehenden Aufenthalt gesprochen werden kann. Ausgehend von dem, dem Gesetz ursprünglich zugrundeliegenden Regelungskonzept, das von einem kurzfristigen und vorübergehenden Aufenthalt ausging (vgl. BT-Drucksache 013/2746, S. 11 und 013/3475, S. 2), stellte das Bundesverfassungsgericht so auch fest, dass die im Asylbewerberleistungsgesetz in der Festlegung des Kreises der Berechtigten in § 1 AsylbLG angelegte Vermutung, sie alle hielten sich nur kurzzeitig in Deutschland auf, vor diesem Hintergrund jedenfalls erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt sei. Jedenfalls sei es für die in § 2 Abs. 1 AsylbLG vorgesehene Dauer von vier Jahren des Leistungsbezugs und folglich einem eventuell auch längeren Aufenthalt nicht mehr gerechtfertigt, von einem nur kurzen Aufenthalt mit möglicherweise spezifisch niedrigerem Bedarf auszugehen.

Auch für eine kurze Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland schließt das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung der physischen Existenz zu beschränken. Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verlange, dass das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss (vgl. BVerfGE 125, 175 <253>). Art. 1 Abs. 1 GG garantiere ein menschenwürdiges Existenzminimum, das durch entsprechend dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG auszugestaltende Leistungen zu sichern ist; als einheitliches, das physische und soziokulturelle Minimum umfassendes Grundrecht. Ausländische Staatsangehörige verlören den Geltungsanspruch als soziale Individuen nicht dadurch, dass sie ihre Heimat verlassen und sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf Dauer aufhalten. Die einheitlich zu verstehende menschenwürdige Existenz müsse ab Beginn des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland realisiert werden können.

Das Bundesverfassungsgericht schließt weiter migrationspolitische Erwägungen unter Hinweis darauf aus, dass die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde migrationspolitisch nicht zu relativieren sei. Leistungen an Asylsuchende und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, sei nicht zulässig.

Bezüglich der ursprünglich durch das Asylbewerberleistungsgesetz beabsichtigten Leistungsgewährung durch Sachleistungen wurde die Intention durch die Realität überholt. Während das Asylbewerberleistungsgesetz grundsätzlich davon ausging, dass die Leistungen - bis auf den geringen Barbetrag - als Sachleistungen zu erbringen ist, erbringt die Mehrzahl der Länder und Kreise heute Geldleistungen, insbesondere wegen der enormen Mehrkosten, die durch den Verwaltungsaufwand bei Sachleistungen entstehen. Die ursprüngliche gesetzliche Absicht, die öffentlichen Haushalte zu entlasten, wäre hier ohne das konsequente Abweichen von der ursprünglich vorgesehenen Form der Leistungsgewährung in ihr Gegenteil verkehrt. Auch dies spricht dafür die Regelungen des AsylbLG zu streichen.

Durch sein Urteil hat das Bundesverfassungsgericht Vorgaben für eine der Verfassung entsprechende Leistungsgewährung gegeben und in einer Übergangsregelung bis zum Inkrafttreten einer das AsylbLG ersetzenden Norm, die Ermittlung der Höhe der Leistungssätze entsprechend den sich aus §§ 5 bis 7 des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (Bundesgesetzblatt 12011, Seite 453) ergebenden Beträge vorgeben. Die im Asylbewerberleistungsgesetz bislang vorgesehene Abgrenzung der Personenkreise durch die Regelbedarfsstufen 1 bis 6 nach § 8 des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (Bundesgesetzblatt I 2011, Seite 453) wurde ersetzt und solange eine Neuermittlung der Regelbedarfe nach § 28 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch nicht erfolgt, die Fortschreibung der Werte beziehungsweise Geldbeträge festgelegt. Auch dies spricht dafür, Abstand zu nehmen von einer sondergesetzlichen Regelung und die Personengruppen des AsylbLG in die allgemeinen Sozialleistungssysteme einzubeziehen. Die Reaktion der Vertreterin des zuständigen Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, es gebe über die zur Ermittlung der Regelbedarfe erhobenen Zahlen keine belastbaren Daten zu den Bedarfen der Personengruppen des AsylbLG, legt es nahe, die Regelbedarfe der Sozialgesetzbücher auch für die Personenkreise des AsylbLG zugrundezulegen. Das Bundesverfassungsgericht spricht hier davon, dass der Gesetzgeber seine Entscheidung an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen ausrichten muss. Maßgeblich für die Bestimmung des Existenzminimums könnten dabei nur die Gegebenheiten in Deutschland sein, dem Land, in dem dieses Existenzminimum gewährleistet sein muss. Daher erlaube es die Verfassung nicht, das in Deutschland zu einem menschenwürdigen Leben Notwendige, unter Hinweis auf das Existenzniveau des Herkunftslandes von Hilfebedürftigen oder auf das Existenzniveau in anderen Ländern, niedriger als nach den hiesigen Lebensverhältnissen Gebotene festzulegen.

Für eine Einbeziehung in die bestehenden Sozialsysteme spricht auch, dass die Einschränkung im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes für Bedarfe bei Krankheit im Vergleich mit dem allgemeinen Fürsorgerecht (vgl. § 4 Abs. 1 AsylbLG), teilweise - wie dies das Bundesverfassungsgericht ausführt - höhere Kosten nach sich zieht und die kommunalen Gebietskörperschaften vor große organisatorische Probleme stellt. Auch hier hat sich die ursprüngliche Intention des Gesetzes nicht verwirklicht.

Auch die Tatsache, dass das so genannte Bildungs- und Teilhabepaket Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zwar in einigen Ländern gewährt wird, sie aber nach den gesetzlichen Bestimmungen des AsylbLG keinen Anspruch auf diese Leistungen nach §§ 28f. SGB II und §§ 34f. SGB XII (Fassungen gemäß Art. 2 und Art. 3 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und SGB XII vom 24. März 2011, BGBl I S. 453) haben, hat schon während der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht die Vertreterin des zuständigen Bundesministeriums für Arbeit und Soziales veranlasst, einzuräumen, dass diese Leistungen zu gewähren sind und bei der Gesetzesnovelle berücksichtigt würden. Eine Einbeziehung in die bestehenden Sozialleistungssysteme würde dies sicherstellen.

Das hätte die Folge, dass dann der Bund bis auf die Kosten der Unterkunft sowie die Kosten für die Mehrbedarfe in der Kostenverantwortung steht. Die Länder und Kommunen tragen gegenwärtig ausschließlich für die im AsylbLG geregelten Personenkreise alle Kosten. Dies obwohl kein Grund erkennbar ist, warum für die im AsylbLG geregelten Personenkreise nicht die allgemeine Kostenverteilungsregelung für die aus dem Sozialstaatsprinzip resultierende Sicherstellungsverpflichtung des Existenzminimums gelten soll. Aus Sicht der Länder und der Kommunen ist hier ein dringender Änderungsbedarf offensichtlich.