Unterrichtung durch die Bundesregierung
Stellungnahme der Bundesregierung zu der Entschließung des Bundesrates zu der Mordserie der Neonazi-Bande und zur Arbeit der Sicherheitsbehörden

Bundesministerium des Innern
Berlin, 19. Oktober 2012

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Horst Seehofer

Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident,
mit Beschluss vom 25. November 2011 hat der Bundesrat die Entschließung zur Mordserie der Neonazi-Bande und zur Arbeit der Sicherheitsbehörden gefasst. Hierzu möchte ich wie folgt Stellung nehmen:

Die Aufdeckung der "NSU"-Mordserie vor nunmehr fast einem Jahr hat die Bundesrepublik Deutschland schwer erschüttert. Dass eine kleine Gruppe von rechtsextremistischen Tätern über Jahre hinweg aus dem Untergrund agieren, zehn Menschen ermorden und weitere schwere Verbrechen verüben konnte, ist in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellos. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen der Opfer, die neben dem Verlust geliebter Menschen über Jahre hinweg falsche Verdächtigungen und fehlgeleitete Ermittlungen erdulden mussten, die - im Nachhinein - Mängel bei der damaligen Ermittlungsarbeit sowie der Kooperation und Koordination der deutschen Sicherheitsbehörden offenbart haben. Neben die strafrechtliche Aufarbeitung der NSU-Mordserie, die mit der von der Bundesanwaltschaft mit Unterstützung des Bundeskriminalamtes vorbereiteten Anklageerhebung gegen eine Reihe von Beschuldigten noch in diesem Jahr einen großen Schritt voran gebracht wird, muss daher auch eine politischgesellschaftliche Auseinandersetzung und Aufarbeitung der Geschehnisse treten.

Bereits eine Woche nach der Aufdeckung des "NSU" habe ich einen Maßnahmenkatalog vorgestellt, um die offensichtlich gewordenen Defizite in der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden schnellstmöglich zu beseitigen und den Informationsaustausch zwischen Polizei und Nachrichtendiensten auf der einen und Bundes- und Länderbehörden auf der anderen Seite nachhaltig zu verbessern. Dieser Maßnahmenkatalog ist bereits weitestgehend umgesetzt. Herzstück dieser Initiative bildet das bereits im Dezember 2011 eingerichtete Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus/Rechtsterrorismus (GAR), in dem Polizei- und Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder an einem Tisch sitzen und gemeinsam die Lage analysieren, Bekämpfungskonzepte fortentwickeln sowie ihre jeweiligen Maßnahmen koordinieren. Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Rechtsextremismus, das am 31. August 2012 in Kraft getreten ist, wurde zudem die gesetzliche Grundlage für die gemeinsame Rechtsextremismus-Datei geschaffen. In dieser speichern die Polizei- und Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, das ZKA sowie der MAD zentral ihre Informationen zu gewaltbezogenen Rechtsextremisten. Die Datei wird beim Bundeskriminalamt geführt, sie wurde am 19. September 2012 in Betrieb genommen.

Die Bundesregierung verfolgt zur Bekämpfung des Rechtsextremismus einen ganzheitlichen Ansatz, der über die sicherheitsbehördliche Arbeit hinausgeht und darauf ausgerichtet ist, alle gesellschaftlichen Ebenen zu erreichen. Dieser Ansatz umfasst sowohl präventive als auch repressive Elemente. In diesem Rahmen fördert die Bundesregierung umfangreiche Maßnahmen zur politischen und gesellschaftlichen Aufklärungsarbeit, beispielsweise über die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB). Deren Aufgabe ist es, das Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern, das demokratische Bewusstsein zu festigen und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stärken. Ihre Bildungsangebote zielen daher immer auch auf die Stärkung zivilgesellschaftlicher Kräfte und deren Beteiligung an der demokratischen Gesellschaft.

Die Auseinandersetzung mit dem Extremismus zählt zu den Schwerpunktbereichen der Arbeit der BpB. Prävention durch Vermittlung von Wissen sowie konkrete Hilfestellung für die argumentative Auseinandersetzung mit extremistischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Einstellungen und Parolen sind wichtige Komponenten dieses Angebots. Die BpB stellt unter anderem umfangreiche kostengünstige Literatur und Online-Informationsangebote für Interessierte (auch zielgruppenspezifisch, z.B. für Kinder und Jugendliche) sowie Materialien für den Schulunterricht zur Verfügung.

Die Bundesregierung unterstützt zudem aktiv die Vernetzung und öffentliche Bekanntmachung von zivilgesellschaftlichem Engagement, beispielsweise durch das Bündnis für Demokratie und Toleranz. Dieses Bündnis wurde im Jahr 2000 von den Bundesministerien des Innern und der Justiz gegründet. Mit dem Bündnis werden gezielt zivilgesellschaftliche Initiativen und Partner unterstützt, die sich für Demokratie- und Toleranzförderung engagieren. Das Bündnis sammelt in diesem Sinne gute Praktiken und stellt sie auf seiner Internetseite anderen Initiativen zur Verfügung. Die Geschäftsstelle des Bündnisses wurde im Frühjahr 2011 in die Bundeszentrale für politische Bildung integriert, um Synergieeffekte beider Einrichtungen zu erzielen.

Vernetzung und Austausch sind wichtige Bausteine, um menschenrechtswidrige Erscheinungen wie Rassismus durch gesellschaftliche Kräfte transparent zu machen und damit auch besser bekämpfen zu können. So tauscht sich die Bundesregierung u.a. im Forum gegen Rassismus mit rund 55 Nichtregierungsorganisationen regelmäßig zu Fragen und Möglichkeiten der Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aus. Das Forum wurde im Jahr 1998 im Anschluss an das Europäische Jahr gegen Rassismus gegründet und dient seither seinen Teilnehmern als Dialogplattform. Der Erfahrungsaustausch ist geprägt von gegenseitigem Respekt und der Anerkennung unterschiedlicher Positionen und Auffassungen aller Teilnehmer.

Auch die Bekämpfung des Antisemitismus bildet einen wichtigen Teil der Anstrengungen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und rechter Gewalt. Vor dem Hintergrund des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 4. November 2008, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, Antisemitismus verstärkt weiter zu bekämpfen und jüdisches Leben in Deutschland zu fördern, hat die Bundesregierung einen unabhängigen Expertenkreis eingerichtet.

Dieser hat Ende 2011 nach zweijähriger Arbeit einen Bericht mit Empfehlungen vorgelegt, der wichtige Impulse für weitere Diskussionen und Handlungsansätze liefert.

Mit dem Bundesprogramm "Zusammenhalt durch Teilhabe" zur Förderung von Projekten für demokratische Teilhabe und gegen Extremismus in Ostdeutschland werden die Stärkung und der Aufbau einer selbstbewussten, lebendigen und demokratischen Gemeinwesenskultur gefördert, in der extremistische und verfassungsfeindliche Strömungen keinen Platz finden. Das Programm hat eine Laufzeit von 2010 bis 2013, in der Maßnahmen mit einem Gesamtvolumen von 18 Mio. € realisiert werden. Insgesamt wurden 104 Projekte in die Förderung aufgenommen. Die Bundesregierung beabsichtigt, das Programm "Zusammenhalt durch Teilhabe" bis 2016 fortzuführen und mit bewährten Förderangeboten auf die westdeutschen Bundesländer auszuweiten.

Die Förderung des zivilen Engagements und des demokratischen Verhaltens sowie der Einsatz für Vielfalt und Toleranz bei Kindern und Jugendlichen werden seit 2001 von der Bundesregierung aktiv unterstützt:

Die Bundesregierung begrüßt und fördert daher eine Vielzahl von zivilgesellschaftlichen Ansätzen, die über extremistisches Gedankengut aufklären, einer Radikalisierung oder einem Abdriften in extremistische Kreise entgegen wirken bzw. sich an Ausstiegswillige oder deren Angehörige richten und entsprechende Hilfen anbieten. Nur durch breite von der Zivilgesellschaft getragene Aktivitäten kann eine gesellschaftliche Atmosphäre gepflegt und geschaffen werden, die Menschen dazu ermutigt, die demokratischen Werte unserer offenen Gesellschaft gegen Extremisten zu verteidigen.

Verfassungsfeindlichen Parteien, die unsere freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpfen und rechtsextremistisches und rassistisches Gedankengut fördern, muss mit allen Mitteln Einhalt geboten werden. Die ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) hat daher am 22. März 2012 beschlossen, die Erfolgsaussichten eines neuen NPD-Verbotsverfahrens zu prüfen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat auf Grundlage der Rückmeldungen der Länder und der Sicherheitsbehörden des Bundes eine umfangreiche Materialsammlung erstellt. Derzeit arbeitet eine von der IMK eingesetzte Bund-Länder Arbeitsgruppe an der inhaltlichen Auswertung dieser Belege daraufhin, ob ein Verbotsverfahren mit Aussicht auf Erfolg eingeleitet werden kann. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte wird bei der Bewertung der Erfolgsaussichten eines Verbotsantrags umfassend berücksichtigt. Am 5. Dezember diesen Jahres wird sich die IMK, am 6. Dezember die Ministerpräsidentenkonferenz mit der Einleitung des NPD-Verbotsverfahrens befassen.

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hat sich nicht zuletzt anlässlich des Staatsaktes am 23. Februar 2012 an die Seite der Opfer der "NSU"-Mordserie gestellt. Sie hat versprochen, dass die Morde aufgeklärt würden und alles in den Möglichkeiten unseres Rechtsstaates Stehende getan würde, damit sich so etwas wie die "NSU"-Mordserie nie wiederholen kann. Diesem Versprechen fühlt sich die Bundesregierung auch weiterhin verpflichtet.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Hans-Peter Friedrich

Siehe Drucksache 765/11(B) HTML PDF .