Beschluss des Bundesrates
Verordnung zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung und der Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel

Der Bundesrat hat in seiner 916. Sitzung am 8. November 2013 beschlossen, der Verordnung gemäß Artikel 80 Absatz 2 des Grundgesetzes nach Maßgabe folgender Änderungen zuzustimmen:

1. Zu Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe c und d (Anlage 1 Position Sumatriptan und Position Zolmitriptan AMVV)

In Artikel 1 Nummer 2 sind die Buchstaben c und d zu streichen.

Begründung:

Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht hat seine Empfehlungen für die Entlassung aus der Verschreibungspflicht sehr eng begrenzt. Es handelt sich um Empfehlungen, denen der Gesetzgeber nicht folgen muss. Er kann von den Empfehlungen des Sachverständigenausschusses abweichen, insbesondere, wenn die Empfehlung nicht umsetzbar ist.

Bedingungen für die Ausnahme von der Verschreibungspflicht sind unter anderem die Anwendung eines Triptans unter ärztlicher Beobachtung und die für die Gebrauchs- und Fachinformation in der Verordnung vorgegebenen umfangreichen Angaben zu Kontraindikationen und Warnhinweisen. Diese Bedingungen für die Ausnahme von der Verschreibungspflicht zeigen, dass die Stoffe die Gesundheit des Menschen auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch unmittelbar oder mittelbar gefährden können, wenn sie ohne ärztliche, zahnärztliche oder tierärztliche Überwachung angewendet werden.

Zudem sind diese Bedingungen nicht umsetzbar, denn in der Verordnung sind derzeit sieben Triptane genannt. Drei Triptane (Rizatriptan, Frovatriptan und Eletriptan) sind ohne Ausnahme verschreibungspflichtig. Die beiden Triptane Naratriptan und Almotriptan sind mit Teilausnahme ohne Änderung der Packungsbeilage und der Fachinformation verschreibungspflichtig. Sumatriptan und Zolmitriptan sollen mit Teilausnahme und umfangreicher Änderung der Packungsbeilage und Fachinformation verschreibungspflichtig werden.

Die Gesamtbetrachtung der sieben Triptane ist nicht verständlich; diese Regelungen sind nicht mehr zu überblicken. Fehleinschätzungen in der Praxis sind vorprogrammiert. Im Übrigen ist die Arzneimittelverschreibungsverordnung kein Instrument zur Festlegung von Angaben der Packungsbeilage und der Fachinformation. Sie wird dadurch unlesbar.

Außerdem muss im Haftungsfall die Apothekerin oder der Apotheker belegen, dass sie oder er sich vergewissert hat, dass die Anwendung eines Triptans unter Beobachtung durch eine Ärztin oder einen Arzt erfolgt ist. Damit ist eine Kontaktaufnahme mit einer ärztlichen Person vor jeder Abgabe verpflichtend. Das wiederum ist nicht möglich, weil wegen der Rezeptfreiheit gerade keine Verordnung vorliegt, aus der eine ärztliche Person und deren Kontaktdaten ersichtlich wären.

2. Zu Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe b 1 - neu - (Anlage 1 (zu § 1 Nummer 1 und § 5) Stoffe und Zubereitungen nach § 1 Nummer 1 AMVV) und Artikel 3 Absatz 3 - neu - (Inkrafttreten)

Begründung:

Nach § 48 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 AMG ist das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt, die Verschreibungspflicht für Arzneimittel aufzuheben, wenn auf Grund der bei der Anwendung des Arzneimittels gemachten Erfahrungen die Voraussetzungen für die Verschreibungspflicht nicht oder nicht mehr vorliegen.

Seit längerem wird über die Entlassung der "Pille danach" mit dem Arzneistoff "Levonorgestrel" aus der Verschreibungspflicht diskutiert. Das Arzneimittel wird als Notfallkontrazeptivum eingesetzt und unterdrückt oder verzögert den Eisprung. In nahezu allen europäischen Ländern ist das Arzneimittel inzwischen rezeptfrei erhältlich, um einen niedrigschwelligen Zugang zur Verhinderung ungewollter Schwangerschaften in Notfallsituationen, insbesondere bei jungen Frauen, zu ermöglichen.

Die Abgabe der "Pille danach" in Apotheken ohne ärztliche Verschreibung soll auch in der Bundesrepublik Deutschland einen niedrigschwelligen und schnellen Zugang zur Verhinderung einer ungewollten Schwangerschaft ermöglichen. Die derzeitige Praxis der Verschreibungspflicht führt dazu, dass mit der Rezeptausstellung durch eine Gynäkologin oder einen Gynäkologen zu viel Zeit verstreichen kann. Dies ist insbesondere am Wochenende der Fall, weil ein Rezept für die "Pille danach" nur in Krankenhausambulanzen oder durch den ärztlichen Notdienst ausgestellt werden kann.

Die "Pille danach" kann vor allem jungen Frauen helfen, ungewollte Schwangerschaften bzw. Schwangerschaftsabbrüche zu verhindern. Voraussetzung hierfür ist die rechtzeitige Einnahme der Pille, die ohne Arztbesuch eher zu gewährleisten ist. Außerdem wird damit Frauen in ländlichen Regionen oder Frauen, für die der Arztbesuch eine große Hürde darstellt, der Zugang zu einer Notfall-Nachverhütung erleichtert.

Aus frauenpolitischer Sicht ist die "Pille danach" ein wichtiges Instrument der selbstbestimmten Reproduktion von Frauen. Der gesicherte und vor allem eigenverantwortliche Zugang zur Familienplanung - inklusive der "Pille danach" -, gehört zu den sexuellen und reproduktiven Menschenrechten, wie sie im Jahr 1994 auf der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo festgeschrieben wurden.

Durch die Apothekenpflicht des Präparats wird auch nach der Entlassung aus der Verschreibungspflicht die notwendige Beratung der Patientinnen kompetent gewährleistet, bei der gegebenenfalls an die Ärztin oder den Arzt weiterzuverweisen ist.

Die wissenschaftlichen Studien der Weltgesundheitsorganisation, die Empfehlungen des Europarates sowie die positiven Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass es keine sachlichen Gründe gibt, die rezeptfreie Vergabe der "Pille danach" abzulehnen. Medizinische Risiken in der Anwendung sind bisher nicht bekanntgeworden. Bedenken im Hinblick auf eine eventuelle Vernachlässigung der Langzeitverhütung sowie mögliche negative gesundheitliche Auswirkungen bei zu häufiger Einnahme und fehlender ärztlicher oder gynäkologischer Begleitung haben sich in langjähriger Anwendung ebenfalls nicht bestätigt.

In vielen Ländern, wie in den Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Frankreich, Schweden, Finnland, Portugal, Dänemark und in der Schweiz, liegen gute Erfahrungen mit der Aufhebung der Verschreibungspflicht vor. Untersuchungen in diesen Ländern zufolge hat die Freigabe geholfen, Schwangerschaftsabbrüche zu verhindern. Auch habe der erleichterte Zugang zur "Pille danach" keinen Einfluss auf die Verwendung regulärer Verhütungsmittel und das Sexualverhalten. Weder stieg die Zahl ungeschützter Sexualkontakte noch konnte eine Zunahme von Geschlechtskrankheiten beobachtet werden.

Vor diesem Hintergrund ist die Freigabe, wie sie der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht nach § 53 Absatz 2 AMG bereits im Jahr 2003 befürwortet hat, unter Arzneimittelsicherheitsaspekten geboten.

Die Regelung zu Levonorgestrel tritt erst zum 1. Mai 2014 in Kraft, damit dem Gesetzgeber ausreichend Zeit für eine Regelung über die Kostenerstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung bleibt, wie zum Beispiel durch Anfügen zweier neuer Sätze in § 24a Absatz 2 SGB V ("Bei Notfallkontrazeptiva auf der Basis von Levonorgestrel entfällt die Notwendigkeit der ärztlichen Verordnung nach Satz 1. Die Kosten sind den Versicherten zu erstatten.") und/oder durch Ergänzungen in § 34 SGB V.

Diese noch ausstehende Regelung hindert jedoch nicht, dass die Rezeptfreistellung von Notfallkontrazeptiva auf der Basis von Levonorgestrel nicht bereits jetzt erfolgen kann.

Unter anderem steht, unabhängig von der Rezeptfreiheit von Levonorgestrel, mit dem Wirkstoff Ulipristal weiterhin eine verschreibungspflichtige und für die Versicherten bis zum 20. Lebensjahr erstattungsfähige Alternative zur Verfügung.

Auf die entsprechende Entschließung des Bundesrates vom 5. Juli 2013, vergleiche BR-Drucksache 555/13(B) HTML PDF , wird verwiesen.