Beschluss des Bundesrates
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/91/EWG des Rates in Bezug auf die Gründung von Aktiengesellschaften und die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals KOM (2004) 730 endg.; Ratsdok. 14197/04

Der Bundesrat hat in seiner 807. Sitzung am 17. Dezember gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:

Zum Richtlinienvorschlag allgemein

1. Der Bundesrat begrüßt das in dem Richtlinienvorschlag zum Ausdruck kommende Bestreben, im Einklang mit der Mitteilung der Kommission "Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union - Aktionsplan" die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu stärken, ohne den Aktionärs- und Gläubigerschutz zu verringern.

Der Richtlinienvorschlag gibt jedoch auch in einigen Punkten Anlass zur Prüfung, ob sich die Ziele, die Unternehmen bei gleichzeitiger Reduzierung des Verwaltungsaufwands und der Erhaltung des Aktionärs- und Gläubigerschutzes zu stärken, auf die vorgeschlagene Weise verwirklichen lassen.

Zu den einzelnen Vorschriften

Zu Artikeln 10 a, 10 b, 11 und 27

Dem Vorschlag, für Sacheinlagen auf das Erfordernis einer Bewertung durch Sachverständige in bestimmten Fällen zu verzichten, in denen bereits eindeutige und zuverlässige Bezugspunkte für die Bewertung vorliegen (Marktpreis, neue Bewertung, vor kurzem geprüfte Abschlüsse), kann in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden.

Die sachverständige Wertprüfung bei Sacheinlagen bereitet der Praxis keine größeren Schwierigkeiten. Außerdem bestehen Bedenken gegen die gewählten Bezugspunkte:

Der Vorschlag, bei der Einbringung börsennotierter Wertpapiere auf eine sachverständige Wertprüfung zu verzichten, berücksichtigt, dass der gewichtete durchschnittliche Börsenkurs bei der Bewertung von Kapitalmarkttiteln eine zentrale Rolle spielt. Er kann aber im Einzelfall an Aussagekraft verlieren, etwa bei einem zu geringen Handelsvolumen oder bei Wertverzerrungen in einem haussierenden oder baissierenden Börsenumfeld.

Die vorgesehenen Schutzvorkehrungen für Gläubiger und Aktionäre unterliegen den Vorbehalten erheblicher Wertänderungen und der Erfüllung der Pflicht zur Veranlassung einer Neubewertung durch das Leitungs- oder Verwaltungsorgan, es sei denn, die Aktionäre, die sich für eine Sachverständigenbewertung aussprechen, verfügen insgesamt über eine 5%-ige Beteiligung.

Die Vielzahl der unbestimmten Rechtsbegriffe ("außergewöhnliche Umstände", "erhebliche Wertänderung", "effektive Einbringung") bedarf einer weiteren gerichtlichen Ausformung und eröffnet ein erhebliches Potenzial für Umgehungstatbestände und Rechtsstreitigkeiten.

Deshalb wird der angestrebte Vorteil der Verwaltungseffizienz schon durch die vorgeschlagenen und erforderlichen Sicherungsinstrumente für Gläubiger und Aktionäre zunichte gemacht.

Zu Artikel 19

Der Rückerwerb eigener Aktien stellt ein vielseitig verwendbares und flexibles Finanzierungsinstrument dar. Bei der rechtlichen Ausgestaltung sind allerdings verschiedene Schutzinteressen zu beachten: Gläubigerschutz, Aktionärsschutz und Kapitalmarktschutz vor Kursmanipulationen. Die Volumengrenze für den Erwerb eigener Aktien, die nach dem Vorschlag - wie bisher - auf 10 % des gezeichneten Kapitals begrenzt werden kann, bildet einen nicht zu unterschätzenden Schutzwall gegen Kurs- und Marktpreismanipulationen. Die Gefahr von Kursmanipulationen ist wie die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen - dann besonders groß, wenn die Verwaltungsmitglieder durch Aktienoptionsprogramme persönlich von einem hohen Börsenkurs profitieren. In wertender Abstimmung mit den kapitalmarktrechtlichen Vorschriften der Marktmissbrauchsrichtlinie sollte die Höchstgrenze für den Erwerb eigener Aktien deshalb nicht aufgegeben werden.

Zu Artikeln 23, 23 a und 23 b

In der Praxis würde der Änderungsvorschlag im Bereich "Corporate Finance" Anwendung finden, also bei Techniken zur steueroptimierten (Fremd-) Finanzierung des Erwerbs oder der übernahme von Unternehmen. Namentlich für den so genannten Leveraged-Buy-Out, bei dem die Mittel zur Erwerbsfinanzierung von Kreditinstituten oder Investment-Gesellschaften bereitgestellt und durch das Vermögen der zu erwerbenden Gesellschaft gesichert werden, herrscht durch die Richtlinienvorgaben und deren Umsetzung eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Angesichts der in der Praxis üblichen vielfältigen Gestaltungen kann die vorgeschlagene und aufwändige Lockerung des Artikels 23 des Vorschlags nicht überzeugen. Vor einer Änderung der Zulässigkeit von Finanzierungsmodellen beim Erwerb eigener Aktien muss zunächst der Anwendungsbereich geklärt und konkretisiert werden. Im übrigen ist das in den Artikeln 23 ff. des Vorschlags geregelte Verfahren sehr aufwändig, aber auf Grund der Vielzahl der rechnerischen Größen auch sehr anfällig für missbräuchliche Gestaltungen.

Zu Artikel 32

Die Harmonisierung des Gläubigerschutzes bei einer Herabsetzung des gezeichneten Kapitals wird begrüßt. Korrekturbedürftig ist Unterabsatz 2 nur in einem Punkt: Die Gläubiger sollen angemessene Sicherheiten nur beantragen können, wenn sie nachweisen können, dass die Befriedigung ihrer Forderungen durch die Herabsetzung des gezeichneten Kapitals gefährdet ist und sie von der Gesellschaft keine angemessenen Sicherheiten erhalten haben. Der Nachweis einer Gefährdung ist eine sehr weit gehende Voraussetzung. Die Glaubhaftmachung sollte wie in vergleichbaren Fällen genügen.

6. Zu Artikel 39 b

Ein Recht auf Andienung (so genannte Put-Option), das sich an Vorbildern im englischen und französischen Recht orientiert, sollte nicht im Wege einer Richtlinienbestimmung europaweit umgesetzt werden. Mit dem verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz lässt sich diese Maßnahme nicht begründen, da es nicht um den Erhalt des Bestands eines Rechts, sondern um ein Recht auf Andienung geht. Vielmehr beruht der Vorschlag auf der Idee der Waffengleichheit. Er ist jedoch rechtspolitisch abzulehnen, da ein Andienungsrecht mit dem damit verbundenen komplizierten Verfahren über die Angemessenheit des Preises dem Ziel des Richtlinienvorschlags - der Verwaltungsvereinfachung - widerspricht.