Beschluss des Bundesrates
Initiative des Königreichs Schweden mit dem Entwurf eines Rahmenbeschlusses über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, insbesondere in Bezug auf schwerwiegende Straftaten einschließlich terroristischer Handlungen

Ratsdok. 10215/04

Der Bundesrat hat in seiner 808. Sitzung am 18. Februar 2005 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:

Die in Anspruch genommene Rechtsgrundlage für die polizeiliche Zusammenarbeit dürfte nicht ausreichen, um den Rahmenbeschluss zu stützen. Vielmehr ist durch den Vorschlag in der vorliegenden Fassung auch die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen nach Artikeln 31 und 34 EUV berührt. Diese Vorschriften müssen daher zusätzlich als Kompetenzgrundlagen herangezogen werden. Auf Artikel 30 EUV können Regelungen über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen nicht gestützt werden.

Zum einen sollen nach Artikel 4 Abs. 1 i. V. m. Artikel 2 des Rahmenbeschlussentwurfs auch Justizbehörden zur Übermittlung von Informationen verpflichtet sein, wenn sie nach innerstaatlichem Recht allein über Informationen und Erkenntnisse verfügen oder Zugang zu ihnen haben. Derartige Fälle, in denen ausschließlich Justizbehörden (in Abgrenzung zu Polizeibehörden) Zugang zu Informationen haben, sind zwar im deutschem Recht selten, in den Rechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten aber möglicherweise häufiger vorgesehen. Justizbehörden können aber auf der Grundlage der Bestimmungen über die polizeiliche Zusammenarbeit nicht zur Übermittlung von Daten verpflichtet werden.

Zum anderen verpflichtet der vorgesehene Rahmenbeschluss gemäß Artikel 4 Abs. 1 i. V. m. Artikel 2 auch zur Mitteilung von Daten an Justizbehörden anderer Mitgliedstaaten zu Strafverfolgungszwecken. Zwar sollen gemäß Artikel 1 Abs. 3 die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sein, Informationen und Erkenntnisse bereitzustellen, die als Beweismittel vor einer Justizbehörde verwendet werden sollen. Die bloße Tatsache, dass ein Ersuchen etwa von einer Staatsanwaltschaft stammt, dürfte indessen den ersuchten Mitgliedstaat noch nicht dazu berechtigen, anzunehmen, dass die Daten als Beweismittel vor einer Justizbehörde zu verwenden sind. Die Übermittlung von Informationen gemäß dem Rahmenbeschlussentwurf dient nach den Erwägungsgründen sowie Artikel 9 Abs. 3 ausdrücklich auch repressiven Zwecken. Mittelbar sind aber alle zu repressiven Zwecken übermittelten Daten als Beweismittel vor den Strafgerichten bestimmt, so dass dieser Bereich des Rahmenbeschlusses weitest gehend leer laufen würde, wenn bereits dies zur Verweigerung der Auskunft nach Artikel 1 Abs. 3 berechtigen würde. Gemeint sein dürften stattdessen, wie auch die Begründung des Rahmenbeschlussentwurfs zu Artikel 9 Abs. 3 zeigt, allein die Fälle, in denen die Information unmittelbar zur Vorlage bei Gericht bestimmt ist. Die Informationsübermittlung etwa an Staatsanwaltschaften dürfte daher durch Artikel 1 Abs. 3 nicht ausgeschlossen sein. Die Verpflichtung zur Übermittlung von Informationen an Strafverfolgungsbehörden zum Zwecke der Durchführung von Strafverfahren kann aber allenfalls auf die Artikel 31 und 34 EUV gestützt werden.

Schließlich betrifft der Rahmenbeschlussentwurf auch die Übermittlung von Informationen durch Polizei- und Zollbehörden im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren, auch soweit diese Behörden dabei, wie in Deutschland, den Weisungen von Justizbehörden unterstehen. Nach Erwägungsgrund 5 des Entwurfs ist es sogar ausdrücklicher Zweck des Entwurfs, Hindernisse für den Informationsaustausch, die sich aus Verwaltungsstrukturen und rechtlichen Hindernissen in den Mitgliedstaaten ergeben, auszuräumen, wobei die Kompetenzverteilung zwischen Strafverfolgungs- und Justizbehörden keine Rolle spielen soll. Soweit die Polizeibehörden im repressiven Bereich tätig werden und dabei, wie in Deutschland gemäß § 161 StPO, den Weisungen der Staatsanwaltschaft unterliegen, können die Bestimmungen über die polizeiliche und die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen indessen als Kompetenzgrundlage nicht ausreichen. Die Abgrenzung zwischen polizeilicher und justizieller Zusammenarbeit in Strafsachen ist vielmehr im europäischen Recht autonom, und zwar funktionell nach Maßgabe der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu bestimmen (vgl. Wasmeier/Jour-Schröder, in: von der Groeben/

Schwarze: EUV/EGV, 6. Auflage 2003, Artikel 29 EUV Rn. 11). Wenn ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, ist nach deutschem Recht die justizielle Zusammenarbeit betroffen (vgl. Wasmeier/Jour-Schröder, a. a. O., Rn. 13). Die Artikel 30 und 34 EUV können daher insoweit als Ermächtigungsgrundlage nicht ausreichen.

Mit den Zielen der umfassenden Zusammenarbeit und des effektiven Informationsaustauschs besteht Einverständnis. Verbesserungen in diesem Sinn werden ausdrücklich begrüßt. Die Einzelausgestaltung muss allerdings fundamentalen Grundsätzen des deutschen Rechts Rechnung tragen und praktikabel sein. Insofern sind folgende Aspekte beachtlich:

Der Rahmenbeschlussentwurf geht in Erwägungsgrund 5 von einer übergreifenden Betrachtung aus und fordert, dass weder die Art der Straftaten noch die Kompetenzverteilung zwischen den Strafverfolgungs- und Justizbehörden relevant sein darf. Nach Artikel 2 Buchstabe a bezeichnet der Ausdruck "zuständige Strafverfolgungsbehörde" jede Behörde, die befugt ist, "Straftaten oder kriminelle Aktivitäten aufzudecken und zu verhindern". Bei diesem übergreifenden Ansatz kommt es auf die Trennung zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung nicht an. Ob dies sachgerecht ist, bedarf allerdings vertiefter Prüfung, schon weil die rechtlichen Grundlagen in Deutschland unterschiedlich sind und die Gefahrenabwehr grundsätzlich der Länderkompetenz unterfällt. Nach der derzeitigen Rechtslage richtet sich die Zulässigkeit der Datenübermittlung nach dem Verwendungszweck in dem ersuchenden Staat. Hierbei ist zwischen strafrechtlichen Angelegenheiten im Sinne des IRG und anderen Verfahren zu unterscheiden. Unter strafrechtlichen Angelegenheiten sind solche repressiver Natur (vom Ermittlungs- bis zum Vollstreckungsverfahren) zu verstehen, während präventivpolizeiliche Angelegenheiten nicht umfasst sind. Die Implikationen einer Vereinheitlichung sind offen. Nicht zuletzt um unnötige Kompetenzkonflikte zu vermeiden, sind etwa in den aktuellen Übereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Strafsachen und zur Gefahrenabwehr zwischen Deutschland und Österreich sowie zwischen Deutschland und den Niederlanden die Materien deshalb getrennt worden. Unbeschadet dessen darf es jedenfalls zu keiner Verwischung der Verantwortlichkeit im Bereich der Strafverfolgung kommen. Artikel 39 Abs. 1 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) umschreibt im Gegensatz zu diesem Entwurf den Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit genauer. Insofern mag man daran denken, den Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit auf den gesamten Bereich auszudehnen, in dem die Polizei innerstaatlich zuständig ist. Die Regelungen in den oben erwähnten Übereinkommen könnten hierbei als Vorbild dienen. Eine Abgrenzung der Verantwortlichkeit ist aber in jedem Fall erforderlich, auch um die Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft zu gewährleisten. Nach dem Übereinkommen vom 29. Mai 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-RechtshilfeÜbk) wird diese auch dadurch gewährleistet, dass jeder Staat die "Justizbehörden" bezeichnen kann, die nach seinem Verständnis unter dieses Übereinkommen fallen. Dazu kann je nach nationaler Regelung auch die Polizei gehören.

In Artikel 1 Abs. 3 Satz 2 des Rahmenbeschlussentwurfs wird eine Regelung getroffen, die im Wesentlichen Artikel 39 Abs. 2 SDÜ entspricht. Eine solche Regelung steht wie Artikel 39 Abs. 2 SDÜ in einem Spannungsverhältnis zur effektiven Strafverfolgung. Ein Konzept, das grundsätzlich nicht an die Übermittlung als "Beweismittel vor einer Justizbehörde" anknüpft, Artikel 1 Abs. 3 Satz 1, ist mit dem deutschen Strafverfahren im Übrigen schwer vereinbar.

Soweit gemäß Artikel 2 Buchstabe a Satz 2 des Rahmenbeschlussentwurfs eine Justizbehörde nur dann zuständige Strafverfolgungsbehörde sein soll, "wenn sie nach einzelstaatlichem Recht allein über die Informationen oder Erkenntnisse verfügt oder Zugang zu ihnen hat", trägt das dem deutschen Recht ebenfalls nicht Rechnung. Das Ermittlungsverfahren steht in Deutschland in der Gesamtverantwortung der weisungsbefugten Staatsanwaltschaft. Es wäre systemfremd, dass nur die Polizei zu Auskünften befugt ist, nicht aber die Staatsanwaltschaft, die selten "allein" über die Informationen verfügt. Soweit es sich um Strafverfolgungsdaten aus anhängigen Ermittlungs- oder Strafverfahren, insbesondere um Bestandteile aus Akten, handelt, kommt demgegenüber eine Übermittlung nur auf der Grundlage einer justiziellen Entscheidung in Betracht, sofern nicht der Bereich der polizeilichen Rechtshilfe konkret eröffnet ist.

Der Entwurf erfasst mit dem Erfordernis einer Mindesthöchststrafe von zwölf Monaten in Artikel 3 Satz 1 nahezu alle Straftaten nach deutschem StGB. Soweit in Artikel 4a Abs. 2 für die dort genannten Straftaten eine Erledigungsfrist von zwölf Stunden postuliert wird, ist dies so nicht realistisch, unbeschadet dessen, dass jede Beschleunigung selbstverständlich zu begrüßen ist. Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Straftatenkatalog den Großteil der Kriminalität unter Einschluss auch der Straßenverkehrskriminalität umfasst. Bei einem solchen Katalog, der die Deliktsbereiche allenfalls sehr vage abzugrenzen vermag, stellt sich im Übrigen die Frage, ob er nicht ganz verzichtbar ist.

Grundsätzlich kann das dem Entwurf zu Grunde liegende Verfügbarkeitsprinzip nur in dem Rahmen gelten, in dem es innerstaatlich gilt. Dies ist auch zur Wahrung der Verfahrensrechte Betroffener erforderlich. Es erscheint zumindest fraglich, ob der Entwurf davon ausgeht.