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Regelwerk, Arbeitsschutz; Arbeits- und Sozialrecht, BKV

Wissenschaftliche Stellungnahme zur Berufskrankheit Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung
"Blasenkrebs durch aromatische Amine"

Vom 1. Juli 2016
(GMBl Nr. 33/34 vom 26.08.2016 S. 687, ber. S. 770)



Zur Übersicht in der Anlage 1 der BKV
Zum Merkblatt 1301 siehe =
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Der Ärztliche Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat am 1. Dezember 2015 die nachstehende wissenschaftliche Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung beschlossen:

Wissenschaftliche Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung "Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine"

Über die in dem Merkblatt zu der Berufskrankheit Nr. 1301 (BMa 1964) und in der wissenschaftlichen Stellungnahme (BMAS 2011) aufgeführten Stoffe hinaus sind

geeignet, im Sinne dieser Berufskrankheit Krebs der Harnwege zu verursachen.

1. Azofarbstoffe, aus denen humankanzerogene aromatische Amine abgespalten werden können

Azofarbmittel lassen sich in lösliche Azofarbstoffe und unlösliche Azopigmente gliedern, wobei Azopigmente als nicht bioverfügbar gelten. Aus Azofarbstoffen dagegen können in vivo durch enzymvermittelte Reduktion aromatische Amine abgespalten werden (Golka et al. 2004, BK-Report 1/2014, BGFA-Report 2/2009). Azofarbstoffe werden beispielsweise zur Einfärbung von Textilien, Leder, Papier, Holz, Lebensmitteln, Kosmetika und Mineralölprodukten benutzt (BK-Report 1/2014).

Bei Säugetieren finden sich Azoreduktasen u.a. in der Leber und in den Bakterien der Darm- und der Hautflora (Fouts et al. 1957; Martin et al. 1981; Kennelly et al. 1982; Hartman et al. 1978; Cerniglia et al. 1982; Chung et al. 1978; Bos et al. 1986; Platzek et al. 1999). Für Benzidinbasierte Azofarben konnte das Abspalten von Benzidin durch Azoreduktion beim Menschen gezeigt werden (Genin 1977, Lowry et al. 1980, Meal et al. 1981, Dewan et al. 1988). Handelt es sich bei den aus Azofarbstoffen freigesetzten aromatischen Aminen um kanzerogene Substanzen, können diese Tumore der Harnblase induzieren (BK-Report 1/2014, BGFA-Report 2/2009).

Eine Fall-Kontrollstudie in einem Krankenhaus in Kyoto, Japan, mit 200 männlichen Blasenkrebspatienten und 148 männlichen Kontrollpatienten der gleichen Altersgruppe ergab bezüglich einer Beschäftigung in der Seiden- bzw. Kimonofärberei ein Odds-Ratio von 6,8 (P = 0,002), wobei mindestens sieben der 17 Fälle Kimonos mit benzidinbasierten Farben bemalten. Möglicherweise kam es durch die Angewohnheit einiger Kimonomaler, ihren Pinsel zwischen die Lippen zu nehmen oder abzulecken zu einer besonders hohen Exposition (Yoshida et al. 1971, zitiert nach IARC 201 0b und IARC 2012b, da die Originalarbeit nur in japanischer Sprache vorliegt). Myslak et al. (1991) fanden in einer im Raum Dortmund in Deutschland durchgeführten Fall-Kontrollstudie bei Malern einen deutlichen Anstieg des Risikos an Blasenkrebs zu erkranken (relatives Risiko 2,76; p = 0,01; 95%-Konfidenzintervall 1,21-6,28). Die Studienautoren erwähnen eine häufige Produktion und Verwendung von Azofarbstoffen in Deutschland zur Zeit der Exposition sowie das bei Malern damals übliche selbständige Anmischen der Malerfarben, das mit erheblicher Farbstaubentwicklung einherging. Eine weitere Fall-Kontrollstudie in der Region Mataro in Spanien, in der ebenfalls ausdrücklich die Verwendung von benzidinbasierten Farben thematisiert wurde, ermittelte ein Odds Ratio von 4,41 (95 %-Konfidenzintervall 1,15-16,84) für Personen, die mit dem Färben oder Bedrucken von Textilien beschäftigt waren und hierbei aller Wahrscheinlichkeit nach gegen Azofarben exponiert waren (Gonzales et al. 1988).

Zusätzlich fand sich in einer Mortalitätsstudie von Montanaro et al. (1997) in einer Gruppe von Gerbereiarbeitern eine Häufung von Blasenkrebs als Todesursache (10 beobachtete vs. 4,13 erwartete Fälle, SMR 2,42, 95 % -Konfidenzintervall 1,16-4,46)1. In der entsprechenden Gerberei wurden benzidinbasierte Azofarben in großem Ausmaß eingesetzt.

In einigen anderen Mortalitätsstudien mit farbexponierten Arbeitern fand sich kein signifikanter Anstieg der Mortalitätsrate für Harnblasenkrebs (Stern 1987 und 2003, Newhouse 1978, Costantini et al. 1989). Bei Costantini et al. (1989) deutete sich zwar ein Trend im Zusammenhang mit einer längeren Latenzzeit an, jedoch war dieser statistisch nicht signifikant (für eine Zeit von 25-29 Jahren zwischen erster Exposition und dem Versterben an Blasenkrebs ergab sich ein SMR von 3 ,90)2 . Bei Mortalitätsstudien ist zu beachten, dass das Karzinom der Harnwege bei Erstdiagnose in einem frühen Stadium unter Therapie hohe Überlebensraten aufweist. Ein Harnblasenkarzinom, das als "PUNLMP" (papillary urothelial neoplasm of low malignant potential) entdeckt wird, hat eine tumorbedingte Mortalität von 1,2%. Bei einem "low-grade" papillären Karzinom beträgt die tumorbedingte Mortalität 4,4 % (Lopez-Beltran et al. 2004). Da in Mortalitätsstudien nur die Anzahl der Todesfälle, aber nicht die Zahl der überlebenden Erkrankten erfasst wird, sind sie hier nur eingeschränkt geeignet.

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