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Regelwerk

Ovarialkarzinom (Eierstockkrebs) durch Asbest
- Berufskrankheiten-Verordnung

Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Berufskrankheiten"

Vom 1. Dezember 2016
(GMBl. Nr. 2 vom 31.01.2017 S. 13, ber. 2019 S. 1294)



Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Berufskrankheiten" - Ovarialkarzinom (Eierstockkrebs) durch Asbest -

- Bek. d. BMAS v. 1.12.2016 - IVa 4-45222

Der Ärztliche Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat in seiner Sitzung am 14. September 2016 empfohlen, die Nummer 4104 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung um folgende neue Berufskrankheit zu ergänzen:

"Ovarialkarzinom (Eierstockkrebs)

Die hierzu vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat erarbeitete wissenschaftliche Begründung lautet wie folgt:

1. Aktueller Erkenntnisstand

1.1 Vorkommen und Gefahrenquellen

Bezüglich chemisch-physikalischer und/oder biologischer Charakteristika sowie des Vorkommens von Gefahrenquellen wird auf die Merkblätter zu den Berufskrankheiten Nr. 4103 , 4104 und 4105 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung verwiesen. Hinsichtlich der arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Ermittlung der kumulativen Faserjahrdosis ist der BK-Report "Faserjahre" in der jeweils aktuellsten Fassung zugrunde zu legen (DGUV, 2013).

1.2 Kenntnisse zur Wirkung am Menschen

1.2.1 Pathomechanismen

Eingeatmete Asbestfasern besitzen neben fibrogenen für den Menschen gesicherte lokal tumorerzeugende Eigenschaften. Die Kanzerogenität ist für die Zielorgane Lunge, Larynx, Pleura einschließlich Perikard sowie Peritoneum einschließlich Tunica vaginalis testis gesichert. Die aktuelle Empfehlung gilt dem Ovarialkarzinom, für welches die Verursachung durch Asbest aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse ebenfalls gesichert ist.

Die Aufnahme von Asbestfasern erfolgt in erster Linie inhalativ mit der Atemluft. Durch die mukoziliäre Clearance wird der größte Teil deponierter Fasern zunächst in das Gastrointestinalsystem überführt und von hier aus offenbar z. T. in die Bauchhöhle. Darüber hinaus werden neben einem lymphogenen auch ein hämatogener Transport sowie die Penetration von Asbestfasern in die serösen Höhlen des Brust- und Bauchraumes diskutiert. Die körpereigene Abwehrreaktion einer Ferroproteineinhüllung der inkorporierten Fasern führt z.T. zur Bildung sogenannter Asbestkörperchen (Großgarten und Woitowitz, 1991). Diese können nicht nur in der Lunge, sondern in zahlreichen extrapulmonalen und extrathorakalen Organen nachgewiesen werden (Marten et al., 1989).

Da der Gebrauch von (früher oft asbesthaltigem) Talkumpuder in Damm-Puder mit einer signifikant erhöhten Odds Ratio von 1,33 (95 % CI 1,16-1,45, Huncharek et al. 2003), bzw. 1.24 (95 % CI 1,15-1,33, Terry et al. 2013) für die Entstehung von Ovarialkarzinomen assoziiert war, kann auch über eine direkte transvaginale Inkorporation von Asbestfasern spekuliert werden. In keiner dieser beiden Studien fand sich allerdings eine signifikante Dosis-Wirkungs-Beziehung. Andere Autoren bezweifeln daher einen Kausalzusammenhang (Gross und Berg 1995). Schildkraut et al. (2016) berichteten bei Afroamerikanerinnen, die nach Angaben der Autoren im Vergleich zur weißen Bevölkerung häufiger Damm- und Körperpuder verwenden, über eine erhöhte Odds Ratio beim Gebrauch von Dammpuder für Ovarialkarzinome von 1,44 (95 % CI 1,11 - 1,86), mit einer positiven Dosis-Wirkungs-Beziehung. In welchem Ausmaß eine Erinnerungsverzerrung (recall bias, also bessere Erinnerung bei Exponierten, insbesondere wenn es um Regreßforderungen geht) eine Rolle spielt (Trabert 2016) oder ob bei Afroamerikanern im Vergleich zur weißen Bevölkerung eine stärkere Bereitschaft zu entzündlichen Reaktionen des Organismus (z.B. Paalani et al. 2011) zu der Beobachtung von Schildkraut et al. (2016) beigetragen hat, muss derzeit offen bleiben.

Der Pathomechanismus der Entstehung eines Ovarialkarzinoms basiert auf einer Aktivierung von Onkogenen, dem Nicht-Ansprechen auf wachstumshemmende zelluläre Signale, dem Überstehen apoptotischer Prozesse und der Immortalisierung von Zellen. Angiogenese, invasives Wachstum und Metastasierung sind frühe Ereignisse (Saad et al. 2010). Bei jeder Ovulation sind Zytokinvermittelte entzündliche Vorgänge beteiligt, welche auch eine Rolle bei der Gewebereparatur spielen (Ness und Cottreau 1999). Die Rolle von Entzündungsprozessen in der Tumorentstehung wird durch die Beobachtung unterstützt, dass Frauen, die antientzündliche Medikamente wie nichtsteroidale Antiphlogistika einnehmen, seltener an Ovarialkarzinomen erkranken (Altinoz und Korkmaz 2004). Saad und Koautoren (2011) sehen die Kanzerogenität von Talkumpuder (im Sinne von asbesthaltigem Talkum) und Asbest ebenfalls über entzündliche Vorgänge vermittelt, wenngleich hierzu kein Tiermodell existiert.

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