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Regelwerk Arbeitsschutz EU; Bund

Grundsatzpapier zur Rolle der Normung im betrieblichen Arbeitsschutz

Vom 24. November 2014
(GMBl. Nr. 1 vom 06.01.2015 S. 1; 12.02.2021 S. 227aufgehoben)



Zur aktuellen Fassung

Die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales eingerichtete Arbeitsgruppe "Normung im betrieblichen Arbeitsschutz" aus Vertreterinnen und Vertretern der obersten Arbeitsschutzbehörden der Länder, der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, der Geschäftsstelle der Kommission Arbeitsschutz und Normung, der Spitzenverbände der gesetzlichen Unfallversicherung, der Sozialpartner, des DIN - Deutsches Institut für Normung e. V. und des VDE - Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e. V. hat das nachstehende Grundsatzpapier erarbeitet:

I. Ausgangslage und Zielsetzung

Im Rahmen der Schaffung eines einheitlichen europäischen Binnenmarktes hat der europäische Gesetzgeber zur vollständigen Harmonisierung von technischen Vorschriften auf der Grundlage der Artikel 114 und 115 des AEU-Vertrages (AEUV) Richtlinien erlassen. Sie regeln die grundlegenden Anforderungen für die Beschaffenheit von Produkten, die in der EU in Verkehr gebracht werden. Erfasst werden damit auch Produkte, die bei der Arbeit verwendet werden. Die sichere Beschaffenheit solcher Produkte ist daher ein wichtiges Anliegen des Arbeitsschutzes.

Die grundlegenden Anforderungen der Binnenmarktrichtlinien werden durch harmonisierte europäische Normen konkretisiert. Harmonisierte europäische Normen werden von den europäischen Normungsorganisationen CEN, CENELEC und ETSI auf der Grundlage von Normungsmandaten der EU-Kommission erarbeitet. Bei Anwendung dieser Normen besteht die "Vermutungswirkung"; das heißt, dass die grundlegenden Anforderungen der betreffenden Binnenmarktrichtlinien im Grundsatz erfüllt werden. Gleichzeitig sind auf europäischer Ebene neben der Mandatierung weitere Instrumente zur Qualitätssicherung von harmonisierten Normen verankert (Consultant-Konzept und formeller Einwand).

Im Rahmen der "sozialen Flankierung des Binnenmarktes" hat der europäische Gesetzgeber auch zahlreiche Richtlinien mit Mindestanforderungen zur Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ("Arbeitsschutzrichtlinien") nach Artikel 153 AEUV erlassen. Im Gegensatz zu den europäischen Binnenmarktvorschriften nach den Artikeln 114 und 115 AEUV ist eine Konkretisierung der Mindestanforderungen in den Arbeitsschutzrichtlinien nach Artikel 153 AEUV durch Normen nicht vorgesehen. Normen, die dennoch in diesem Bereich von den europäischen Normungsorganisationen CEN, CENELEC und ETSI erarbeitet werden, können daher aus sich heraus keine Vermutungswirkung entfalten, auch wenn sie auf der Grundlage eines Normungsmandates der EU-Kommission erarbeitet werden. Die o. g. Instrumente der Qualitätssicherung für Normen (Consultant-Konzept und formeller Einwand) bestehen für den auf Artikel 153 AEUV gestützten Bereich nicht.

Arbeitsschutzrichtlinien sind in nationales Arbeitsschutzrecht umzusetzen. In Deutschland enthalten diese Arbeitsschutzvorschriften - entsprechend dem europäischen Recht - oft lediglich Zielvorgaben. Im Interesse der Rechtssicherheit und der praktischen Handhabbarkeit sind solche Arbeitsschutzvorschriften zu konkretisieren. Dies kann durch Regeln der staatlichen Ausschüsse 1 (mit "Vermutungswirkung") so wie durch Unfallverhütungsvorschriften und Regeln der Unfallversicherungsträger erfolgen. Darüber hinaus können Informationen anderer Institutionen erläuternde und beispielhafte Hinweise für die praktische Anwendung von Vorschriften und Regeln sowie für die Gestaltung von Arbeitsschutzmaßnahmen geben. Der Staat trägt die Gesamtverantwortung für das Funktionieren eines solchen Systems aus Vorschriften, Regeln und Informationen. Dies bringt auch das Arbeitsschutzgesetz zum Ausdruck, indem es in § 20a Bund, Länder und Unfallversicherungsträger zur Herstellung eines verständlichen, überschaubaren und abgestimmten Vorschriften- und Regelwerks als Bestandteil der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) verpflichtet. Als grundlegenden Beitrag zur Erfüllung dieser Verpflichtung haben die Träger der GDa und die Sozialpartner im August 2011 ein "Leitlinienpapier" zum Vorschriften- und Regelwerk verabschiedet. Im Leitlinienpapier wird auf "Normen" nicht ausdrücklich eingegangen.

In der Praxis ist festzustellen, dass in unterschiedlichen Bereichen Normen zur Anwendung kommen. Auch im Regelungsbereich des Art. 153 AEUV wird auf Verständigungsnormen (Begriffe, Definitionen, Zeichen) und Normen zur Sicherung der Vergleichbarkeit eines bestimmten Arbeitsschutzniveaus (Prüf-, Mess-, Analyse-, Probenahmeverfahren, statistische Methoden etc.) zurückgegriffen. Näheres hierzu regelt der "Gemeinsame Deutsche Standpunkt (GDS) zur Normung im Bereich der auf Artikel 118a des EG-Vertrages (jetzt Art. 153 AEUV) gestützten Richtlinien" aus dem Jahr 1993, auf den sich seinerzeit das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), die Länder, die Unfallversicherungsträger, die Sozialpartner und das Deutsche Institut für Normung e. V. (DIN) verständigt haben. Weiterhin ist festzustellen, dass im Vorschriften- und Regelwerk von Bund, Ländern und Unfallversicherungsträgern in unterschiedlicher Weise und in unterschiedlichem Umfang auf Normen Bezug genommen wurde und wird. Zum anderen verabschieden internationale und europäische Normungsinstitutionen Normen, die unmittelbar oder mittelbar auch den Bereich der Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit ("betrieblicher Arbeitsschutz") berühren. Diese Entwicklung hat sich in den letzten Jahren erheblich verstärkt.

Diese europäische Entwicklung war schon 1993 Anlass, sich mit dem GDS auf eine gemeinsame nationale Position zu verständigen. Danach sollen von Deutschland im Bereich der auf Artikel 118a (jetzt Art. 153 AEUV) gestützten Richtlinien keine europäischen Normen initiiert werden. In der Folge wurde von Deutschland mit dem GDS in erweiterter

Anwendung auch gegen von anderen Staaten initiierte europäische und internationale Normungsvorhaben argumentiert.

Die Zunahme solcher Normungsvorhaben in den letzten Jahren und der geringe Erfolg von Bemühungen, diese Normungsvorhaben mit dem GDS zu verhindern, führten dazu, dass die Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN) 2008 eine Arbeitsgruppe mit der Prüfung beauftragte, ob und ggf. inwieweit der GDS sinnvoll aufrecht zu erhalten sei. Im Verlaufe dieser Arbeiten wurde ein Interpretationspapier zum GDS erarbeitet und 2009 von der KAN veröffentlicht. Das GDS-Interpretationspapier behandelt die Frage, wie deutsche Arbeitsschutzexperten verfahrensmäßig mit europäischen und internationalen Normungsprojekten umgehen sollen, die nach dem GDS eigentlich abzulehnen wären. Es wurde auch klar, dass eine angemessene Interpretation und Anwendung des GDS nur dann möglich sind, wenn die Rolle und Funktion von Normen im Vorschriften- und Regelwerk zum betrieblichen Arbeitsschutz geklärt sind. Die KAN hat daher in Anerkennung der eingangs erwähnten Verantwortung des Staates für ein kohärentes Vorschriften- und Regelwerk auf ihrer Sitzung 1/12 am 26./27. März 2012 einen Beschluss gefasst, in dem sie begrüßt, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) eine Arbeitsgruppe einrichtet, die auf der Grundlage des Leitlinienpapiers grundsätzliche Aussagen zur Nutzung von Normen im Vorschriften- und Regelwerk von Staat und Unfallversicherung trifft.

II. Verwendung von Normen im betrieblichen Arbeitsschutz

Die Systematik des staatlichen Vorschriften- und Regelwerks, das Leitlinienpapier, der GDS zusammen mit dem Interpretationspapier der KAN zum Vorgehen bei internationalen und europäischen Normungsvorhaben sowie die im Abschnitt I beschriebenen Entwicklungen bilden die Ausgangslage für die weiteren Betrachtungen der Rolle der Normung im Bereich des betrieblichen Arbeitsschutzes.

Gegenstand des vorliegenden Papiers sind Normen, die nach dem "klassischen" Normungsverfahren mit hohem Konsensgrad, öffentlicher Einspruchsberatung und unter Beteiligung der interessierten Kreise erstellt worden sind. Spezifikationen, die nicht unter den vorgenannten Bedingungen erstellt wurden (z.B. CWA, PAS, IWA), dürfen grundsätzlich nicht in Bezug genommen werden.

1. Vorrang von Vorschriften und Regeln gegenüber Normen

Das staatliche Vorschriften- und Regelwerk hat im betrieblichen Arbeitsschutz Vorrang vor Normen. Entsprechendes gilt für Vorschriften und Regeln der Unfallversicherungsträger. Dies folgt aus dem öffentlich-rechtlichen Charakter dieses Vorschriften- und Regelwerks, aus seiner eingangs dargestellten Aufgabenzuweisung und aus dem spezifischen Fachwissen der an seiner Erstellung beteiligten Arbeitsschutz- und Präventionsexperten. Für das Regelwerk der staatlichen Ausschüsse kommt hinzu, dass es im Arbeitsschutzgesetz und den zugehörigen Arbeitsschutzverordnungen rechtlich fest verankert ist und es aufgrund seiner "Vermutungswirkung" das vorrangige Mittel zur Konkretisierung dieser Arbeitsschutzverordnungen ist. Außerdem ist hier, aber auch bei den Fachbereichen 2 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V. (DGUV) und der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG), die Gestaltungsmacht der Arbeitsschutz- und Präventionsexperten aus dem Kreis der Sozialpartner größer als im allgemeinen Normungssystem.

Die Systematik des Vorschriften- und Regelwerks hat sich seit 1980 unter dem Einfluss europäischer Arbeitsschutzrichtlinien kontinuierlich entwickelt und grundsätzlich bewährt. Es ist in seiner aktuellen Ausprägung im Sinne der GDa im neu gefassten Leitlinienpapier von 2011 niedergelegt.

Es gibt keinen Anlass, diese Systematik des Vorschriften- und Regelwerks zu ändern. Nach dem europäischen Rechtsregime im Arbeitsschutz können und sollen weiterhin die Mitgliedstaaten mit ihren spezifischen Arbeitsschutzvorschriften und -regeln bestimmen, wie die europäischen Mindestvorgaben national am besten umzusetzen sind. Dies umfasst die Beurteilung der Frage, ob national über die Mindestvorschriften hinaus weitere nationale Vorschriften erforderlich sind, sowie der Frage, ob und wie die nationalen Vorschriften unterhalb der Vorschriftenebene zu konkretisieren oder zu erläutern sind.

Andere EU-Mitgliedstaaten verwenden zu einer solchen Konkretisierung oder Erläuterung auch Normen, die den Bereich des betrieblichen Arbeitsschutzes berühren. In Deutschland sind die Spezifika des dualen Arbeitsschutzsystems zu berücksichtigen. Unter Berücksichtigung dieser Situation können Normen zur Unterstützung des Vorschriften- und Regelwerks von Staat und Unfallversicherung unter den Rahmenbedingungen nach Abschnitt 2 verwendet werden.

2. Nutzung von Normen im Bereich des betrieblichen Arbeitsschutzes

2.1 Neue Norm-Projekte

2.1.1 Allgemeines

Einen Antrag für ein nationales, europäisches oder internationales Norm-Projekt kann jedermann, also auch die interessierten Kreise des Arbeitsschutzes, über das nationale Normungsinstitut stellen. Die Initiierung von Norm-Projekten im Geltungsbereich des Vorschriften- und Regelwerks von Staat und Unfallversicherungsträgern (UVT) 3 soll vom Grundsatz her nicht erfolgen.

Ein von europäischer oder internationaler Seite initiiertes Norm-Projekt ist in Deutschland nach Maßgabe des Abschnitts 2.1.2.1 zu behandeln. Die Initiierung eines Norm-Projektes von deutscher Seite ist ausnahmsweise nach Maßgabe des Abschnitts 2.1.2.2 möglich.

2.1.2 Initiierung von Norm-Projekten

Bei einem Antrag für ein neues Norm-Projekt soll die zuständige Geschäftsstelle des DIN bzw. DKE-Normenausschusses 4 zusammen mit dem betroffenen Arbeitsausschuss und der Geschäftsstelle der Kommission Sicherheitstechnik im DIN prüfen, ob und inwieweit das Projekt den Bereich des betrieblichen Arbeitsschutzes berührt oder ob es ausschließlich der Ausfüllung des europäischen Binnenmarktrechts (Artikel 114 AEUV) und/oder des nationalen Produktsicherheitsrechts (z.B. ProdSG und zugehörige Rechtsverordnungen) dient. Lässt sich das Norm-Projekt eindeutig einem der beiden letztgenannten Fälle zuordnen, ist das weitere Verfahren für das Norm-Projekt rechtssystematisch vorgegeben und wird an dieser Stelle nicht weiter behandelt (vgl. o. Abschnitt I). Im ersten Fall informiert das DIN so bald wie möglich die KAN. Entsprechendes gilt für offizielle Dokumente im Vorfeld eines neuen Projektantrags. Beispielsweise soll die KAN über formelle Anfragen für mögliche neue Normungsvorhaben, die den Bereich des betrieblichen Arbeitsschutzes betreffen, zeitnah informiert werden. Die KAN prüft gemäß den nachfolgenden Abschnitten 2.1.2.1 und 2.1.2.2, ob der Antrag für das neue Norm-Projekt unter Arbeitsschutzaspekten zulässig und sinnvoll ist.

2.1.2.1 Initiierung von europäischer oder internationaler Seite

Nach der gemäß Abschnitt 2.1.2 erfolgten Information durch das DIN prüft die KAN-Geschäftsstelle, ob die Normungsinhalte die Aufgabenbereiche von Ausschüssen und/ oder Fachbereichen berühren, und holt ggf. von den relevanten Gremien und den Kreisen der KAN Stellungnahmen ein. Die Ausschüsse und Fachbereiche berücksichtigen bei ihrer Prüfung die folgenden Fragestellungen:

  1. Behandelt das Projekt Aspekte des sozialen Arbeitsschutzes wie Mutterschutz, Urlaubszeit, Pausen-, Frei- und Arbeitszeiten o. ä.?
  2. Werden in dem Projekt grundlegende Arbeitsschutzpflichten behandelt (z.B. zur Gefährdungsbeurteilung, Ar beitsschutzorganisation, arbeitsmedizinischen Vorsorge oder Arbeitsschutzunterweisung)?
  3. Sind Regeln eines Ausschusses oder Vorschriften und Regeln eines Fachbereiches bekannt gemacht worden, in Arbeit oder in Planung, die den normungsrelevanten Sachverhalt oder Teile davon abdecken? Wenn ja, welche?
  4. Ist eine Konkretisierung des normungsrelevanten Sachverhaltes fachlich für die betriebliche Praxis sinnvoll, eine "Verortung" im Vorschriften- und Regelwerk aber nicht zweckmäßig? Sinnvoll können zum Beispiel terminologische Normen, Normen für Prüfmethoden, Mess-, Analyse- und Probenahmeverfahren, statistische Methoden, Messplanung und Datenaustausch sein.
  5. Lässt die inhaltliche Qualität des Antrages eine im Sinne des Arbeitsschutzes sachgerechte und hilfreiche Norm erwarten?
  6. Besteht die Bereitschaft mindestens eines Kreises der KAN einschließlich der Ausschüsse bzw. Fachbereiche zur Mitarbeit in dem Norm-Projekt? Wenn ja, durch wen?
  7. Sollte unter Berücksichtigung der Fragen 1 bis 6 das Projekt abgelehnt oder dem Projekt eingeschränkt bzw. vollständig zugestimmt werden?

Auf der Grundlage dieser Fragestellungen und der dazu eingeholten Stellungnahmen prüft und bewertet die KANGeschäftsstelle die Unterlagen und führt - falls notwendig - den Konsens der in der KAN vertretenen Arbeitsschutzkreise herbei. Die KAN-Geschäftsstelle legt der KAN einen entsprechenden Beschlussvorschlag vor. Unter Würdigung dieses Vorschlags lehnt die KAN das Projekt ab oder stimmt dem Projekt eingeschränkt bzw. vollständig zu. Wenn kein Konsens innerhalb der beteiligten Arbeitsschutzkreise herzustellen ist, enthält sich die KAN einer Stimmabgabe, behält das Projekt aber auf der Agenda. Sie teilt dem DIN das Ergebnis der Bewertung mit. Bei Zustimmung oder Ablehnung ist eine Begründung (möglichst in englischer Sprache) anzugeben.

Im Falle einer Stimmenthaltung der KAN steht es den einzelnen Arbeitsschutzkreisen frei, ihre Position gegenüber dem DIN zu vertreten.

2.1.2.2 Initiierung von deutscher Seite

Normen, die ganz oder teilweise in den Bereich des betrieblichen Arbeitsschutzes fallen, sollen vom Grundsatz her nicht von Deutschland initiiert werden. In begründeten Ausnahmefällen ist eine Initiierung möglich, sofern mit dem Norm-Projekt ein Nutzen für den Arbeitsschutz verbunden ist. Dazu prüft die KAN-Geschäftsstelle, ob der Normungsantrag die folgenden Aspekte ausreichend behandelt:

  1. Die schlüssige Beantwortung der Fragestellungen 1 bis 5 aus Abschnitt 2.1.2.1
  2. Liegt eine ausgearbeitete Vorlage als Basis für eine Norm vor? Ist dies nicht der Fall, sind auf der Basis anderer Quellen (z.B. Forschungsberichten) Inhalt und Zielsetzung des Norm-Projektes aussagekräftig zu beschreiben. Falls das Norm-Projekt auf europäischer oder internationaler Ebene eingebracht werden soll, ist einzuschätzen, inwieweit dort Unterstützung für die Norminhalte zu erwarten ist.
  3. Haben interessierte Kreise bereits ihre Bereitschaft zur Mitwirkung an dem Norm-Projekt erklärt? Ist dabei auch der interessierte Kreis des Arbeitsschutzes vertreten?

Wenn aus dem Normungsantrag zu den vorgenannten Fragen eine schlüssige Beantwortung nicht möglich ist, holt die KAN-Geschäftsstelle die noch fehlenden Informationen beim DIN ein.

Wenn die Normungsinhalte die Aufgabenbereiche von Ausschüssen und/oder Fachbereichen berühren, bittet die KAN-Geschäftsstelle die relevanten Gremien und die Kreise der KAN zu dem neuen Projektantrag unter Beifügung der eingeholten und vorliegenden Informationen um Stellungnahme. Die Ausschüsse und Fachbereiche berücksichtigen bei ihrer Prüfung die folgenden Fragestellungen:

  1. Sind die Fragestellungen 1 bis 6 aus Abschnitt 2.1.2.1 schlüssig beantwortet?
  2. Sollte unter Berücksichtigung der vorherigen Fragen das Projekt abgelehnt oder ob dem Projekt eingeschränkt bzw. vollständig zugestimmt werden?

Auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse, Unterlagen und Stellungnahmen prüft und bewertet die KAN-Geschäftsstelle den Projektantrag und führt - falls notwendig - in der KAN den Konsens der Arbeitsschutzkreise herbei. Die KAN-Geschäftsstelle legt der KAN einen entsprechenden Beschlussvorschlag vor. Unter Würdigung dieses Vorschlags lehnt die KAN das Projekt ab oder stimmt dem Projekt eingeschränkt bzw. vollständig zu. Wenn kein Konsens innerhalb der beteiligten Arbeitsschutzkreise herzustellen ist, enthält sich die KAN einer Stimmabgabe, behält das Projekt aber auf der Agenda. Sie teilt dem DIN das Ergebnis der Bewertung mit. Bei Zustimmung oder Ablehnung ist eine Begründung (ggf. in englischer Sprache) anzugeben.

Im Falle einer Stimmenthaltung der KAN steht es den einzelnen Arbeitsschutzkreisen frei, ihre Position gegenüber dem DIN zu vertreten.

2.1.3 Begleitung von laufenden Norm-Projekten

Wird ein Normungsantrag entgegen dem Votum von deutscher Seite europäisch oder international angenommen, entscheiden die in der KAN vertretenen Kreise, ob eine Mitarbeit ihrerseits erfolgen soll.

Hierbei können folgende Aspekte eine Rolle spielen:

Unabhängig davon, ob Deutschland den Normungsantrag unterstützt hat oder nicht und ob deutsche Arbeitsschutzexperten an der Erarbeitung mitgewirkt haben, kann aus Sicht des deutschen Arbeitsschutzes das DIN der Norm nach Fertigstellung zustimmen, wenn sie dem nationalen Vorschriften- und Regelwerk nicht widerspricht und inhaltlich sachgerecht ist. Die Meinungsbildung für den Arbeitsschutz erfolgt hierzu in der KAN.

Ist die Norm widerspruchsfrei und sachgerecht, soll das DIN im nationalen Vorwort den Bezug zum Vorschriften- und Regelwerk herstellen. Insbesondere kann hier erläutert werden, dass die Norm als weitere Informationsquelle für den Arbeitsschutz dienen kann, aber kein rechtlich bindender Zusammenhang zwischen der Erfüllung der Normanforderungen und der Erfüllung nationaler rechtlicher Anforderungen besteht.

Bei Normen, die nach Fertigstellung im Widerspruch zum nationalen Vorschriften- und Regelwerk stehen, stellt das DIN sicher, dass das nationale Vorwort im zuständigen Arbeitsgremium in Absprache mit der KAN abgestimmt wird. In Abstimmung mit der KAN wird darin - angepasst an die individuelle Norm - auf den Vorrang des Vorschriften- und Regelwerks sowie mögliche Widersprüche und Überlappungen mit der rechtlich nicht verbindlichen Norm hingewiesen. Sind solche Widersprüche und Überlappungen konkret bekannt, so werden sie im nationalen Vorwort benannt. Bei Widersprüchen zu gesetzlichen Anforderungen kann zusätzlich ggf. eine A-Abweichung 5 beantragt werd en.

2.2 Nutzung vorhandener Normen

2.2.1 Allgemeines

Für das Vorschriften- und Regelwerk können Normen als hilfreiche Informationen von Bedeutung sein. Dabei kann es sich um Normen zur Beschaffenheit von Produkten (Produktsicherheit), aber auch um Normen im Bereich des betrieblichen Arbeitsschutzes handeln. Die Nutzung von Normen kann dazu beitragen, dass die Erstellung des Vorschriften- und Regelwerks und dessen Anwendung in der Praxis verbessert werden und die Ermittlung des Standes der Technik unterstützt wird. Die Bedingungen, unter denen die Nutzung der Normen erfolgen kann, beschreibt Abschnitt 2.2.2.

Die Nutzung von Normen kann sich auf den vollständigen Inhalt einer Norm oder auf Teile des Inhalts einer Norm erstrecken. Nicht konsensbasierte Spezifikationen (z.B. CWA, PAS, IWA), die nicht zwingend unter Beteiligung aller interessierten Kreise erstellt wurden, dürfen grundsätzlich nicht in Bezug genommen werden.

Für die Entscheidung der Vorschriften und Regel setzenden Gremien, ob und wie eine Norm in Bezug genommen wird, ist eine sorgfältige Abwägung von positiven und negativen Aspekten notwendig. Einerseits spielen Gesichtspunkte wie Nutzen des Fachwissens der Normung, ein schlankes Vorschriften- und Regelwerk durch Referenzierung sowie dessen schnellere Erarbeitung eine Rolle. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass sich in einer Norm die Interessen des Arbeitsschutzes nicht immer angemessen wiederfinden und/ oder die Instrumente der Qualitätssicherung für Normen (Mandate, Consultant-Konzept und formeller Einwand) nicht in jedem Fall strukturell verankert sind. Außerdem können durch die Verwendung von Normen Kosten entstehen (siehe 2.2.2.2).

2.2.2 Ermittlung von Normen für das Vorschriften- und Regelwerk

2.2.2.1 Analyse von Normen

Bei Produktsicherheitsnormen kann, wenn sie durch die EU-Kommission oder den Ausschuss für Produktsicherheit gelistet sind, grundsätzlich von einem qualitätsgesicherten, hohen Schutzniveau ausgegangen werden. Sie können für das Vorschriften- und Regelwerk genutzt werden, sofern das für die betriebliche Praxis als sinnvoll angesehen wird.

Bei sonstigen Normen mit Bezug zum betrieblichen Arbeitsschutz muss der zuständige Ausschuss bzw. Fachbereich die Norm sinngemäß nach den Kriterien von Abschnitt 2.1.2.1, Nr. 1 bis 5 prüfen. Dazu kann der Ausschuss bzw. Fachbereich von den Geschäftsstellen des zuständigen DIN-Normenausschusses oder der KAN weiterführende Informationen zu bestimmten Normen erfragen.

2.2.2.2 Formen und Rahmenbedingungen der Nutzung von Normen im Vorschriften- und Regelwerk

Ein Ausschuss bzw. Fachbereich hat verschiedene Möglichkeiten, Normen zu nutzen.

In der Erarbeitungsphase des Vorschriften- und Regelwerks können Mitglieder der Ausschüsse bzw. Fachbereiche Normen heranziehen, um zu prüfen, ob und ggf. in welcher Form (siehe nachstehende Ziffern 1 bis 4) diese als Erkenntnisquelle zur Ermittlung des Standes der Technik für eine

Nutzung bei der zu erarbeitenden Vorschrift und/oder Regel geeignet sind. Diese Heranziehung von Normen bedarf keiner Erlaubnis des DIN bzw. VDE und wird vom DIN bzw. VDE nicht zum Gegenstand von Vergütungsansprüchen gemacht. Stellt der Ausschuss bzw. Fachbereich die v. g. Eignung fest, kommen folgende Gestaltungsmöglichkeiten in Betracht:

  1. Ein Hinweis auf eine Norm ausschließlich in Form einer Quellenangabe, die belegt, was im Vorschriften- und Regelwerk mit eigenen Worten bereits ausgeführt wurde, bedarf ebenfalls keiner Erlaubnis des DIN bzw. VDE und löst gegenüber dem Ausschuss bzw. Fachbereich keine Vergütungsansprüche aus. Das Gleiche gilt für Normen, die Bestandteil eines Literaturhinweises sind. Solche Normenhinweise nehmen an der Vermutungswirkung einer Regel eines staatlichen Ausschusses oder der Rechtswirkung einer Unfallverhütungsvorschrift nicht teil.
  2. Ein Verweis auf eine Norm ohne Wiedergabe des Textes, um beispielsweise ein Produkt oder ein Messverfahren näher zu bezeichnen, bedarf ebenfalls keiner Erlaubnis des DIN bzw. VDE und löst gegenüber dem Ausschuss bzw. Fachbereich keine Vergütungsansprüche aus. Ein solcher Verweis, der sich ausschließlich auf die Benennung der Norm im Vorschriften- und Regelwerk ohne Wiedergabe ihres Inhalts beschränkt, berührt keine urheberrechtlich geschützte Rechtsposition. Der Verweis auf die entsprechende Norm hat datiert zu erfolgen.
  3. Eine Übernahme von Teilen einer Norm z.B. durch wörtliche Übernahme eines bestimmten Textes, einer Tabelle, einer Formel oder einer zeichnerischen oder bildlichen Darstellung und Aufnahme in das Vorschriften- und Regelwerk bedarf im Hinblick auf den damit verbundenen Eingriff in eine urheberrechtlich geschützte Rechtsposition der Erlaubnis des DIN bzw. VDE. Diese Erlaubnis wird in einer gesonderten Vereinbarung zwischen dem DIN bzw. VDE und dem BMAS bzw. BAua sowie dem DIN bzw. VDE und der DGUV bzw. SVLFG 6 für Ausschüsse und Fachbereiche geregelt. Die Vereinbarung enthält auch die Konditionen einer Vergütungsregelung.
  4. Ein Vollzitat, d. h. die wörtliche Wiedergabe einer Norm im Vorschriften- und Regelwerk folgt den unter Ziffer 3 getroffenen Festlegungen.

Der Ausschuss entscheidet über die vorgenannten Gestaltungsmöglichkeiten nach fachlichen Gesichtspunkten.

In der Anwendungsphase des Vorschriften- und Regelwerks, d. h. im Außenverhältnis, kann der Rechtsanwender in den Fällen der Ziffern 3 und 4 die übernommenen Normen oder Normteile kostenfrei in Gestalt der Vorschrift und/oder Regel üblich nutzen. Daher braucht der Rechtsanwender in diesen Fällen die übernommene Norm zum Verständnis des Vorschriften- und Regelwerks grundsätzlich nicht käuflich erwerben. Hingegen müssen die Rechtsanwender im Fall der Ziffer 2 die bezeichneten Normen ggf. käuflich erwerben.

Die Qualitätssicherung bei Verwendung von Normen im Vorschriften- und Regelwerk, insbesondere die Beobachtung ihrer Aktualität, erfolgt durch den zuständigen Ausschuss bzw. Fachbereich in Zusammenarbeit mit dem DIN bzw. VDE und wird in der Vereinbarung mit dem DIN bzw. VDE gesondert geregelt.

Hinweis des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales:

Der Gemeinsame Standpunkt zur Normung im Bereich der auf Artikel 118a des EWG-Vertrags gestützten Richtlinien (Bundesarbeitsblatt 1/1993, S. 37-39) und das KAN-Interpretationspapier "Grenzen und Spielräume für betriebliche Arbeitsschutznormung" (KANBrief 2/09, S. 6-7) werden von einer Arbeitsgruppe der Kommission Arbeitsschutz und Normung - KAN im Lichte des vorgenannten Grundsatzpapiers zur Rolle der Normung im betrieblichen Arbeitsschutz überprüft.

_____________

1 Staatliche Ausschüsse werden im Folgenden einheitlich "Ausschüsse" genannt.

2 Fachbereiche der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) werden im Folgenden einheitlich "Fachbereiche" genannt.

3 Vorschriften und Regeln im hier verwendeten Sinne sind alle Arbeitsschutzvorschriften des Staates, die zum Zwecke der Konkretisierung dort festgelegter rechtlicher Anforderungen erlassenen Regeln staatlicher Ausschüsse und das zur Unfallverhütung erlassene autonome Recht der Unfallversicherungsträger (Unfallverhütungsvorschriften) sowie die dazu erarbeiteten DGUV- und/oder SVLFG-Regeln. Diese werden im Folgenden einheitlich "Vorschriften- und Regelwerk" genannt.

4 Im Folgenden wird aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung bis Abschnitt 2.2.2.1 statt "DIN bzw. DKE" die Bezeichnung"DIN" verwendet.

5 Mit A-Abweichungen wird in einer Europäischen Norm auf rechtliche Anforderungen in Mitgliedstaaten hingewiesen, mit denen bestimmte normative Anforderungen der Europäischen Norm nicht im Einklang stehen.

6 Sollten im Vorschriften und Regelwerk der SVLFG in relevantem Umfang Normen verwendet werden, kann eine entsprechende Nutzungsvereinbarung mit dem DIN bzw. dem VDE getroffen werden.

ENDE

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