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Regelwerk

Handlungsempfehlungen der Ministerkonferenz für Raumordnung zum vorbeugenden Hochwasserschutz

Vom 18. Juli 2000
(GMBl. 2000 Nr. 27 S. 514)



Zur aktuellen Fassung

Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen - Bek. d. BMVBW - a 32 - 75 12 00- 8 -/ MK vom 14. Juni 2000

1 Vorbemerkungen

Vorbeugender Hochwasserschutz ist nicht ausschließlich eine wasserwirtschaftliche Aufgabe - auch die Raumordnung muss einen wesentlichen Beitrag zum Hochwasserflächenmanagement leisten. Sie muss ihre Instrumente zum Erhalt und zur Wiederherstellung von Retentionsräumen und versickerungsfähigen Böden einsetzen und auf eine vorsorgende Risikobeachtung in überflutungsgefährdeten Räumen hinwirken.

Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich nur auf den vorbeugenden Hochwasserschutz an Fließgewässern des Binnenlandes. Nicht eingegangen wird auf Fragen des Hochwasserschutzes an Küsten, für den sich gänzlich andere Aufgaben und Herausforderungen als im Binnenland stellen.

2 Problemstellung und Handlungsbedarf

Hochwässer sind natürliche Ereignisse, mit denen immer wieder gerechnet werden muss. Der Mensch hat die Höhe und den zeitlichen Ablauf der Hochwässer durch die Flächennutzung im Einzugsgebiet, durch den Gewässerausbau und die Verkleinerung der natürlichen Retentionsflächen verschärft. Außerdem ist nicht auszuschließen, dass infolge von Klimaveränderungen die Hochwassergefährdung zunehmen wird.

Technische Hochwasserschutzeinrichtungen (Deiche, Rückhaltebecken, Talsperren, Polder) können keinen absoluten Schutz garantieren; deshalb stellen Siedlungen und andere wasserempfindliche Nutzungen nicht nur in Überschwemmungsbereichen, sondern auch in deichgeschützten, potentiell ab er doch überflutungsgefährdeten Bereichen ein hohes Schadenspotential dar.

Um Hochwasserrisiken soweit möglich noch weiter zu vermindern, ist ggf. die Verbesserung herkömmlicher Schutzeinrichtungen und des Abflussmanagements erforderlich. Zudem muss aber auch zunehmend Einfluss auf die Nutzungen im gefährdeten Bereich und im gesamten Einzugsgebiet der Flüsse genommen werden.

Vordringlich ist die Erhaltung der noch vorhandenen Überschwemmungsbereiche, sowie deren Vergrößerung durch Rückgewinnung ehemaliger oder Schaffung neuer Überschwemmungsflächen. Sie sind für den Abfluss und die Retention von Hochwasser zu sichern und von Siedlungen und anderen wasserempfindlichen Nutzungen frei zu halten.

In deichgeschützten, potentiell überflutungsgefährdeten Gebieten muss das Risikobewusstsein der Bevölkerung auch im Rahmen der Raumordnung geschärft und das Schadenspotential durch Berücksichtigung des Risikos bei der Raumnutzung vermindert werden.

3 Länderübergreifende Rahmenbedingungen für die Raumordnung

In Deutschland hat die am 1.1.1998 in Kraft getretene Novelle des Raumordnungsgesetzes ( ROG) den vorbeugenden Hochwasserschutz als Grundsatz der Raumordnung verankert. In § 2 Abs. 2 Nr. 8 Satz 6 ROG heißt es hierzu: "Für den vorbeugenden Hochwasserschutz ist an der Küste und im Binnenland zu sorgen, im Binnenland vor allem durch Sicherung oder Rückgewinnung von Auen, Rückhalteflächen und überschwemmungsgefährdeten Bereichen."

Die Ministerkonferenz für Raumordnung (MKRO) hat sich in Entschließungen vom 08.03.1995 und 26.3.1996 mit dem Beitrag der Raumordnung zu einem grenzübergreifenden vorbeugenden Hochwasserschutz befasst und mit ihrem Beschluss "Raumordnung und vorbeugender Hochwasserschutz" vom 4. Juni 1998 die Aufgaben der Raumordnung zum vorbeugenden Hochwasserschutz bekräftigt und die Länder gebeten, die zur Verfügung stehenden raumordnerischen Instrumente insbesondere mit dem Ziel einer angepassten und räumlich begrenzten Siedlungsentwicklung anzuwenden.

Die MKRO sieht in den für einen möglichst gefahrlosen Hochwasserabfluss erforderlichen Festlegungen von Abfluss-, Retentions- und Gefährdungsbereichen eine vorrangige Aufgabe.

Bei der Abgrenzung entsprechender Vorrang- und Vorbehaltsgebiete soll bundeseinheitlich mindestens ein 100jährliches Hochwasserereignis zu Grunde gelegt werden; außerdem sollen dabei Möglichkeiten der Rückgewinnung von Retentionsräumen berücksichtigt werden.

Auch die potentielle Gefährdung deichgeschützter Bereiche muss in die Betrachtung einbezogen werden. Um das Risikobewusstsein in diesen Bereichen zu schärfen und in eine angepasste Nutzung umzusetzen, müssen die hierzu geeigneten Instrumente und Maßnahmen handlungsbezogen konkretisiert werden.

Unter den Ländern besteht Einvernehmen, dass das hochwasserbezogene, raumordnerische Flächenmanagement folgende Zielsetzungen verfolgen muss:

  1. Sicherung und Rückgewinnung von natürlichen Überschwemmungsflächen,
  2. Risikovorsorge in potentiell überflutungsgefährdeten Bereichen (hinter Deichen),
  3. Rückhalt des Wassers in der Fläche des gesamten Einzugsgebietes.

Bei einer entsprechenden handlungsorientierten Anleitung zur Umsetzung dieser Zielsetzungen in der Landes- und Regionalplanung der Länder ist eine absolute Vereinheitlichung nicht erforderlich. Anzustreben ist vielmehr eine Vergleichbarkeit der in den Ländern hierbei verwandten Begriffe, Methoden, Instrumente und Umsetzungsstrategien.

4 Grenz- und fachübergreifende Zusammenarbeit beim vorbeugenden Hochwasserschutz

Zur Lösung von Hochwasserproblemen muss in den Einzugsgebieten der Flüsse grenz- und sektorübergreifend zusammengearbeitet werden. Erforderlich ist eine enge Kooperation zwischen Raumordnung, Wasserwirtschaft, Umwelt- und Naturschutz, Land- und Forstwirtschaft sowie dem Städtebau. Dabei ist die koordinierende und integrierende Funktion der Raumordnung im Interesse einer gesamtverträglichen und nachhaltigen Entwicklung von besonderer Bedeutung.

An den Flussläufen sind über alle Grenzen hinweg die Unterlieger Nutznießer von hochwasserdämpfenden bzw. Betroffene von hochwasserverschärfenden Maßnahmen der Oberlieger. Insbesondere die Hochwasserereignisse an Rhein, Oder und Donau haben deutlich gemacht, dass grenzübergreifende Gewässersysteme nicht nur eine überregionale Abstimmung der deutschen Länder sondern auch eine transnationale Zusammenarbeit erfordern. Dabei muss auf eine gerechte Verteilung der Lasten geachtet werden und die raumordnerische Handhabung des vorbeugenden Hochwasserschutzes muss grenzübergreifend abgestimmt werden. Hierzu sollen für die jeweiligen Flußeinzugsgebiete gesamträumliche Darstellungen der Ausgangsbedingungen und darauf aufbauend raumordnerische Handlungskonzepte grenzübergreifend entwickelt werden.

In diesem Sinne haben auf europäischer Ebene die Raumordnungsminister von Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg mit ihrer Erklärung von Straßburg am 30.3.1995 länderübergreifende raumordnerische Maßnahmen zum vorbeugenden Hochwasserschutz im Einzugsgebiet von Rhein und Maas gefordert. Die hierzu eingerichtete internationale Arbeitsgruppe "Raumordnung und Wassermanagement Rhein - Maas" hat 1995/96 zunächst eine grundlegende Strategie aufgestellt; darauf aufbauend wurde dann im Rahmen der auf die transnationale Raumentwicklung ausgerichteten Gemeinschaftsinitiative INTERREG II C das gemeinsame operationelle Programm "INTERREG-Rhein-Maas-Aktivitäten (IRMA)" erarbeitet. In diesem beispielgebenden Programm ist eine intensive länder- und sektorübergreifende Zusammenarbeit zwischen Raumordnung und Wasserwirtschaft begonnen worden.

Die Konferenz der Raumordnungsminister der Länder Deutschland, Polen und Tschechien legte am 22. August 1997 in Stettin nach dem verheerenden Oder-Hochwasser von 1997 den Grundstein für die Zusammenarbeit dieser drei Länder auf dem Gebiet des vorbeugenden Hochwasserschutzes durch raumordnerische Maßnahmen. Die "Trilaterale Arbeitsgruppe vorbeugender Hochwasserschutz" nahm ihre Tätigkeit auf. Konkrete Gestalt erhält der grenzüberschreitende Hochwasserschutz im Wassereinzugsgebiet der Oder in der Maßnahme des INTERREG II C-Projektes ODERREGIO.

Im Rahmen von INTERREG III B soll die erfolgreiche grenz- und sektorübergreifende Kooperation beim vorbeugenden Hochwasserschutz an Rhein und Maas im Programmgebiet "Nordwesteuropa" integriert fortgeführt werden und es sollen entsprechende Kooperationen für die Einzugsgebiete von Oder/Elbe und Donau im INTERREG III B Kooperationsprogramm "Donau-Raum/Südost-Europa" (CADSES) aufgebaut werden.

Diese INTERREG Programme dienen der konkreten Umsetzung der im europäischen Raumentwicklungskonzept (EUREK) geforderten transnationalen Zusammenarbeit in hochwassergefährdeten Gebieten (EUREK, politische Option Nr. 48). Die Aufgabe der Raumordnung beschränkt sich dabei nicht auf die Festlegung raumbedeutsamer Ziele, sondern die Raumordnung kann sich - gestützt durch europäische Fördermittel - im Sinne der Verwirklichung dieser Ziele engagieren. Dabei muss sie bezüglich des Hochwasserschutzes eine enge Kooperation mit der Wasserwirtschaft eingehen, um mit ihr konkrete Projekte zu erarbeiten und die erforderliche Kofinanzierung zu sichern. Entsprechend werden bereits im IRMA-Programm nicht nur raumordnerische Pläne/Studien und andere investitionsvorbereitende Maßnahmen, sondern auch konkrete Investitionsprojekte ausgearbeitet und gefördert. Dies soll auch in entsprechenden Kooperationsvorhaben anderer Flusseinzugsgebiete fortgesetzt werden.


Parallel und in enger Abstimmung zu den raumordnerischen Aktivitäten arbeiten internationale Flusskommissionen der Wasserwirtschaft an Hochwasser-Aktionsplänen für Rhein, Mosel/Saar, Maas, Elbe und Oder. In diesen Aktionsplänen werden Handlungsziele und Maßnahmen zur Minderung von Schadensrisiken und Hochwasserständen, zur Verstärkung des Risikobewusstseins und zur Verbesserung des Hochwassermeldesystems festgelegt.

5 Instrumente der Raumordnung zum vorbeugenden Hochwasserschutz

Im deutschen Planungssystem verfügt die Raumordnung über wirksame Instrumente, die auch zur Sicherung von Überschwemmungsbereichen, zur vorsorgenden Risikobeachtung in potentiellen Überflutungsbereichen sowie zur Verbesserung des Wasserrückhalts im Einzugsgebiet einsetzbar sind.

Die frühzeitige Sicherung von hochwasserrelevanten Flächen kann vor allem durch die Ausweisung von Vorrang- und Vorbehaltsgebieten sachgerecht erfüllt werden, die in § 7 Abs. 4 ROG definiert sind und einer Umsetzung in das entsprechende Landesrecht bedürfen. Sie haben folgende Bedeutung:

Die Träger der Landes- und Regionalplanung sollen den in § 2 Nr. 8 Satz 6 ROG aufgeführten Grundsatz des vorbeugenden Hochwasserschutzes aufgreifen und in den Raumordnungsplänen als Ziel oder Grundsatz konkretisieren.

Ziele der Raumordnung sind verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Regionalplanung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raumes. Ziele der Raumordnung sind gemäß § 4 ROG zu beachten.

Grundsätze der Raumordnung sind allgemeine Aussagen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums in oder auf Grund von § 2 ROG als Vorgaben für nachfolgende Abwägungs- und Ermessensentscheidungen. Grundsätze sind gemäß § 4 ROG zu berücksichtigen.

Da die bestehenden raumordnerischen Regelungen der Länder derzeit hinsichtlich ihrer Planungssystematik und ihres Aussageumfangs sehr heterogen sind, soll mit der nachfolgenden handlungsorientierten Anleitung eine Vergleichbarkeit der in den Ländern verwendeten Begrifflichkeiten und Instrumente hergestellt werden. Dabei muss zunächst zwischen Landesplanung und Regionalplanung unterschieden werden:

Der Landesplanung kommt wegen ihrer übergeordneten Funktion und ihrer frühzeitigen Wirkungsmöglichkeit im Planungssystem eine besondere Bedeutung zu. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben ist es, Festlegungen als Rahmenvorgaben mit Ordnungsfunktionen für die nachfolgende Planungsebene zu treffen. Damit kann sie landesweit einen tragfähigen Konsens über die jeweilige Themenstellung - hier: vorbeugender Hochwasserschutz - sicherstellen.

Bereits auf landesplanerischer Ebene sollen Teilräume definiert werden, in denen dem Aspekt des vorbeugenden Hochwasserschutzes besonders Rechnung getragen werden muss. Dies kann durch textliche und/oder durch zeichnerische Festlegungen in den jeweiligen Plänen oder Programmen der Länder in Form von Zielen und Grundsätzen erfolgen.

Die Regionalpläne als nachfolgende Planungsebene sind aus den Landesplänen zu entwickeln. Sie müssen die vorgenannten Räume konkretisieren und mit ihren Instrumenten für die bestimmten Nutzungen sichern.

6 Sicherung und Rückgewinnung von Überschwemmungsbereichen
(vgl. auch Abb. 1 im Anhang)

6.1 Räumliche Festlegungen

Als Überschwemmungsbereiche. sind in Raumordnungsplänen die Bereiche zwischen Gewässerlauf und Deichen - bei Deichsystemen zwischen Gewässerlauf und Winterdeichen - sowie die überschwemmungsgefährdeten nicht deichgeschützten Bereiche entlang von Fließgewässern auszuweisen.

Dabei werden in die regionalplanerische Darstellung von Überschwemmungsbereichen auch solche Flächen einbezogen, die durch Deichrückverlegungen oder andere Maßnahmen als Überschwemmungsfläihe hinzugewonnen werden sollen.

Überschwemmungsbereiche umfassen:

Um Planungssicherheit für nachgeordnete Verfahren und Maßnahmen zu schaffen, müssen im Regionalplan Überschwemmungsbereiche zeichnerisch als Vorrang-/ Vorbehaltsgebiet ausgewiesen werden und es müssen entsprechende Vorrang- und Vorbehaltfestlegungen in textlichen Zielen formuliert werden.

6.2 Regionalpianerische Grundsätze und Ziele zur Sicherung von Überschwemmungsbereichen

In textlichen Grundsätzen und Zielen, welche den zeichnerisch dargestellten Überschwemmungsbereichen zugeordnet sind, sollten vor allem folgende Festlegungen getroffen werden:

6.3 Unterschiede zwischen wasserrechtlichen und raumordnerischen Festlegungen

Mit der raumordnerischen Festlegung von Überschwemmungsbereichen sollen diese vor entgegenstehenden Nutzungen, insbesondere vor einer weitergehenden Inanspruchnahme für Siedlungszwecke, gesichert werden (Verschlechterungsverbot).

Da in der Vergangenheit der überwiegende Teil der Hochwasserabfluss- und Retentionsräume durch Eindeichungen und Gewässerausbau verloren gegangen ist, sollen bei der raumordnerischen Darstellung von Überschwemmungsbereichen auch Optionen zur Rückgewinnung durch Rückverlegung von Deichen oder Rückbau von Gewässerausbauten gewonnen werden (Verbesserungsgebot).

In der Sicherung von Optionen zur Rückgewinnung von Retentionsräumen liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen raumordnerischen und wasserrechtlichen Festlegungen. Die wasserrechtlich nach § 32 WHG geschützten Überschwemmungsgebiete umfassen nur die "Gebiete zwischen oberirdischen Gewässern und Deichen oder Hochufern sowie sonstige Gebiete, die bei Hochwasser überschwemmt oder durchflossen oder für die Hochwasserentlastung oder Rückhaltung beansprucht werden". Entsprechend ermöglichen auch die Landeswassergesetze nur die Festsetzung von tatsächlich überschwemmten Gebieten als gesetzliches Überschwemmungsgebiet. Raumordnerisch können dagegen auch geeignete Teile ehemaliger Überschwemmungsflächen bzw. entsprechend geeignete Flächen in die zu sichernden Überschwemmungsbereiche einbezogen werden. Diese raumordnerischen Festlegungen bilden somit den Rahmen für weitere fachliche Konkretisierungen zur Gewinnung zusätzlicher Hochwasserabfluss- und Retentionsräume.

Weitere Unterschiede zwischen raumordnerisch zu sichernden Überschwemmungsbereichen und wasser-rechtlich festzusetzenden Überschwemmungsgebieten bestehen darin, dass die raumordnerisch gesicherten Überschwemmungsbereiche

Der Sinn der raumordnerischen Festlegungen liegt vor allem darin, Überschwemmungsbereiche dort zu sichern, wo wasserrechtlich noch keine Überschwemmungsgebiete festgesetzt sind und wo Möglichkeiten gesehen werden, verbliebene Überschwemmungsgebiete wieder zu vergrößern. Die langfristige raumordnerische Sicherung schafft damit die planerischen Voraussetzungen und den räumlichen Rahmen für die nachfolgende sukzessive konkretisierende Umsetzung durch fachliche Planungen und Maßnahmen. Dabei muss die Raumordnung in der ihr eigenen Planungs-(un-)schärfe eine Abstimmung mit anderen räumlichen Ansprüchen und eine Entscheidung über konkurrierende Interessen herbeiführen.

6.4 Abgrenzung von raumordnerischen Überschwemmungsbereichen

Die heute noch erhaltenen Überschwemmungsbereiche sollen möglichst vollständig gesichert werden. Hinsichtlich ihrer Abgrenzung bestehen in den meisten Ländern noch große Defizite in den Planungsgrundlagen.

Wie bei anderen räumlichen Ansprüchen müssen auch bezüglich der Sicherung von Überschwemmungsbereichen von der Raumordnung entsprechende Vorschläge der Fachplanung aufgegriffen werden. Das heißt, es ist primär Aufgabe der Wasserwirtschaft, mögliche Überschwemmungsbereiche abzugrenzen und der Raumordnung als Planungsgrundlage zur Verfügung zu stellen.

Die raumordnerische Sicherung von Überschwemmungsbereichen ist insbesondere dort wichtig, wo noch keine Überschwemmungsgebiete wasserrechtlich festgesetzt werden konnten.

Soweit Überschwemmungsgebiete von der Wasserwirtschaft bereits abgegrenzt wurden, gehen diese Unterlagen selbstverständlich in die Regionalplanung ein. Wo derartige Planungsgrundlagen nicht vorhanden sind, können wegen der geringeren Detailschärfe der Regionalplanung gegebenenfalls vereinfachte Erfassungs- bzw. Abgrenzungsmethoden zur Anwendung kommen.

Entscheidend für die Ausdehnung der Überschwemmungsbereiche ist die der Berechnung bzw. Abschätzung zu Grunde gelegte Jährlichkeit des Hochwasserereignisses. Bei geringen Jährlichkeiten wird nur ein unzureichender Überschwemmungsbereich gesichert; mit der Folge, dass bei selteneren, größeren Hochwasserereignissen ein größerer Bereich überflutet und entsprechende Schäden verursacht werden. Die Ministerkonferenz für Raumordnung hat deshalb entschieden, dass den raumordnerischen Sicherungen mindestens ein 100jährliches Hochwasserereignis zu Grunde gelegt werden soll. An größeren Flüssen - insbesondere mit stark besiedelten Flusstälern - ist das auf Grund des Schadenspotentials nicht ausreichend; am Rhein wird deshalb in Deutschland ein Hochwasserschutz für ein 100jährliches Ereignis angestrebt.

Im Rahmen der Raumordnung ist es in der Regel nicht ausreichend, Überschwemmungsbereiche für einzelne Gewässer abzugrenzen, vielmehr sind alle relevanten Gewässer eines Plangebietes einzubeziehen.

Die Erfassung von Möglichkeiten für die Rückgewinnung von Überschwemmungsbereichen ist Aufgabe der Wasserwirtschaft, die hierbei nach ihren fachlichen Kriterien vorgeht. Jedoch wird nicht jede in diesem Sinne in Frage kommende Fläche als Option zur Rückgewinnung von Überschwemmungsbereichen raumordnerisch gesichert werden können, da auch andere Ansprüche an diese Räume planerisch Berücksichtigung finden müssen.

6.5 Nutzungsregelungen für Überschwemmungsbereiche

Im Rahmen der Raumordnung kommt es darauf an,. Überschwemmungsbereiche von funktionswidrigen Nutzungen frei zu halten. Raumordnerisch sollte deshalb insbesondere die bauleitplanerische Inanspruchnahme durch zusätzliche Baugebiete ausgeschlossen werden. In Ausnahmefällen und für einzelne Bauwerke können ggf. aus überwiegenden Gründen des Gemeinwohls Inanspruchnahmen erforderlich sein. Hierfür sind dann gemäß § 32 Abs. 2 WHG rechtzeitig Ausgleichsmaßnahmen durchzuführen. Da dies in der Praxis oft vernachlässigt wurde, sollte dieses Erfordernis auch als regionalplanerischer Hinweis zum Ausdruck gebracht werden.

Innerhalb von Überschwemmungsbereichen liegende (vorhandene) Ortschaften genießen Bestandsschutz und können technische Maßnahmen zum Hochwasserschutz ergreifen.

Landwirtschaftliche Nutzungen sind in den Überschwemmungsbereichen in der Regel möglich, sollten aber der Hochwasserjährlichkeit und der zu erwartenden Fließgeschwindigkeit angepasst werden. So sollten beispielsweise Abflussbereiche zur Verhinderung von Bodenabtrag; nur als Grünland genutzt werden. Entsprechende fachliche Forderungen können als textliche Hinweise aufgenommen werden. Verbindliche Regelungen hierzu sind allerdings nur über Schutzgebietsfestsetzungen möglich.

Auch andere Nutzungen sind mit der vorrangigen Funktion "Abfluss- und Retentionsbereich" durchaus vereinbar. So können die Überschwemmungsbereiche bzw. Auen der Fließgewässer wichtige Funktionen für den Biotopverbund wahrnehmen und dementsprechend gleichzeitig im Regionalplan als Bereiche für den Schutz der Natur bzw. der Landschaft ausgewiesen werden. Außerdem zeichnen sich Gewässer und ihre Auen oft durch eine hohe landschaftliche Attraktivität aus, so dass sie auch als wichtige Bereiche für die landschaftsorientierte Erholung ausgewiesen werden können. Gewässerbezogene bauliche Freizeit- und Sporteinrichtungen müssen hier aber das Überflutungsrisiko beachten und dürfen keine erhöhten Hochwasserrisiken verursachen.

7 Risikovorsorge in potentiellen Überflutungsbereichen (hinter Deichen)
(vgl. auch Abb. 2 im Anhang)

Als potentielle Überflutungsbereiche werden die Bereiche definiert, die durch Deiche oder andere Einrichtungen geschützt sind und die bei Überschreiten der Bemessungsgrenze dieser Schutzeinrichtungen (Extremhochwässer) oder durch ihr Versagen überflutet werden können.

Nach z Zt. geltender Rechtslage besteht keine Möglichkeit, Hochwasservorsorge und damit auch Risikovorsorge hinter festen Schutzeinrichtungen mit landesgesetzlich vorgeschriebener Bemessungshöhe durch Instrumente des Wasserrechts zu betreiben. Die Ausweisung von Überschwemmungsgebieten kann nämlich die Wirkung eines enteignungsgleichen Eingriffs in das Eigentum Dritter entfalten. Ein solcher Eingriff ist nach derzeit vorherrschender Rechtsauffassung nur dann gerechtfertigt, wenn die damit abzuwehrenden Gefahren mit genügend hoher Wahrscheinlichkeit eintreten. Dies ist regelmäßig nur unterhalb der in den Ländern als Schwellenwert für die Ausweisung von Überschwemmungsgebieten definierten Hochwasscrhäufigkeiten (i. d. R. hundertjährlich) der Fall. Damit verbietet sich derzeit der Einsatz des Instruments "Überschwemmungsgebiet" gem. § 32 WHG hinter Deichen, die einen Schutz vor Hochwässern entsprechend der jeweiligen ländergesetzlichen Regelung bieten.

Umso begründeter stellt sich hier die Aufgabe für die Raumordnung, durch den Einsatz ihrer Instrumente einer Erhöhung des Schadenspotentials entgegenzuwirken und eine aktive Risikovorsorge zu betreiben.

Die entsprechenden Instrumente der Raumordnung umfassen Grundsätze und Ziele bzw. Vorrang- und Vorbehaltsgebiete für:

Eine konsequente Anwendung der vorgenannten Instrumente der Raumordnung wird zugleich das Bewusstsein der Öffentlichkeit für bestehende Hochwasserrisiken schärfen und die Akzeptanz für notwendige Maßnahmen des vorbeugenden Hochwasserschutzes - auch restriktiver Art - erhöhen. Insbesondere wird die kommunale Bauleitplanung dadurch veranlasst werden, das auch ihr zur Verfügung stehende Instrumentarium konsequenter im Sinne einer Gefahrenabwehr und -vorsorge sowie vor allem auch einer Minderung des Schadenspotentials einzusetzen.

Die Flächen vor Deichen können durch bestehende wasserrechtliche Regelungen bereits heute in allen Bundesländern von Bebauung freigehalten werden. Die Gebiete hinter den Deichen werden derzeit durch Raumordnung, Regional- und Bauleitplanung sowie durch die Bauordnung als hochwassergeschützt behandelt, so dass in der Regel keine Vorsorgemaßnahmen gegen Überflutungen getroffen werden.

In vielen Flussregionen stellen die ehemaligen Überflutungsflächen wichtige Räume für die Siedlungsentwicklung der Gemeinden dar, so dass der Siedlungsdruck dort auch in den nächsten Jahren andauern wird. Generell kann man davon ausgehen, dass ohne eine Änderung der derzeitigen Praxis der Hochwasservorsorge das Schadenspotential in den potentiellen Überflutungsflächen der Gewässer auch zukünftig stetig ansteigen würde.

Bei Deichbrüchen und im Fall eines extremen Hochwassers, bei dem die Deiche auf der gesamten Länge versagen, sind immense Vermögensschäden zu erwarten. Hinzu kommen noch Wertschöpfungsverluste und Aufwendungen für Katastrophenschutzeinsätze. Nicht beziffert werden können weiter gehende Schäden und Verluste bei der von Hochwasser betreffenen Bevölkerung, wie auch bei Natur- und Kulturgütern.

Derzeit fehlt in den deichgeschützten Gebieten das Bewusstsein einer potentiellen Hochwassergefahr. Weder die Bevölkerung, noch die Industrie und das Gewerbe, noch die Gemeinden berücksichtigen extreme Hochwasserereignisse bei ihren Planungen und Vorhaben. Dies steht im Gegensatz zu dem Ziel, die Schadenspotentiale nicht nur nicht weiter ansteigen zu lassen, sondern diese nachhaltig zu verringern. Es besteht daher die dringliche Notwendigkeit, dass sowohl die öffentlichen als auch die privaten Handlungsträger ihr zukünftiges Handeln auch an den Belangen des vorbeugenden Hochwasserschutzes ausrichten. Eine Minderung der Schadensrisiken wäre am wirkungsvollsten zu erreichen, indem potentielle überflutungsgefährdete Flächen von Bebauung freigehalten würden. Da dies nicht für alle potentiell überflutungsgefährdeten Flächen angestrebt werden kann, ist eine räumliche Differenzierung des Risikos und der Möglichkeiten zum vorbeugenden Hochwasserschutz in potentiellen Überflutungsbereichen erforderlich. Eine dementsprechende konsequente Durchsetzung der Flächenvorsorge erfordert den Einsatz restriktiver raumplanerischer Instrumente.

Zudem soll auf eine hochwasserangepasste bzw. schadensminimierende Bauausführung und Flächennutzung auch bei der Änderung bestehender Nutzungen sowie auf ergänzende fachgesetzliche Regelungen und Normen hingewirkt werden.

8 Rückhalt im Einzugsgebiet

Neben Maßnahmen zum vorbeugenden Hochwasserschutz an Flüssen und in ihren Abfluss- und Retentionsbereichen sind auch im gesamten Einzugsgebiet Maßnahmen zum Wasserrückhalt zu ergreifen.

Wasser ist auf allen Flächen integraler Bestandteil der Raumstruktur und muss von allen raumrelevanten Planungen berücksichtigt werden. Leitvorstellung sollte sein, die Nutzungen im Einzugsgebiet, die prozessualen Abläufe des Wasserhaushaltes und die Erfordernisse des vorbeugenden Hochwasserschutzes in Einklang zu bringen. Um die Spitzen der Hochwasserwellen abzuflachen, muss auch die Retention an den Nebengewässern erhöht werden. Im gesamten Einzugsgebiet sollen Freiräume wegen ihres Infiltrations- und Wasserspeichervermögens erhalten und diese Funktionen durch Änderung der Flächennutzung gegebenenfalls verbessert werden.

Hierzu können in die Raumordnungspläne folgende Grundsätze und Ziele bzw. Vorrang- und Vorbehaltsgebiete aufgenommen werden:

Über die Raumordnung hinaus sind auch Fachplanungen und die Bauleitplanung gefordert, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Instrumenten den vorbeugenden Hochwasserschutz zu stärken.

Zu denken ist hierbei an

.

  Begriffsdefinitionen Anhang

Überschwemmungsfläche:

Alle bei einem maßgeblichen Hochwasser (i. d. R. HQ 100) tatsächlich überfluteten Flächen.

Überschwemmungsgebiet:

Gebiet zwischen oberirdischen Gewässern und Deichen oder Hochufern sowie sonstige Gebiete, die bei Hochwasser überschwemmt oder durchflossen oder für die Hochwasserentlastung oder -rückhaltung beansprucht werden, und die nach § 32 WHG bzw. entsprechenden wasserrechtlichen Regelungen der Länder bereits konkret festgesetzt oder noch festzusetzen sind. Das Überschwemmungsgebiet klammert - anders als die fachlich ermittelte Überschwemmungsfläche - bestehende Bebauung aus. Die ausgeklammerten Flächen sind infolge der Nutzungsbeanspruchung (Bebauung) kein Überschwemmungsgebiet im Sinne des WHG.

Überschwemmungsbereich
(Abfluss- und Retentionsbereich):

Landes- bzw. regionalplanerisch ausgewiesener Bereich, der im jeweiligen Planungsmaßstab wasserrechtlich festgesetzte Überschwemmungsgebiete und wasserrechtlich definierte, aber noch nicht festgesetzte Überschwemmungsgebiete sowie räumliche Optionen zur Rückgewinnung von Retentionsräumen umfasst und i. d. R. als Vorranggebiet, in Ausnahmefällen als Vorbehaltsgebiet sichert.

Potentieller Überflutungsbereich:

Durch Deiche oder andere Einrichtungen vor Hochwasser geschützter Bereich, der bei Überschreiten der Bemessungsgrenze dieser Schutzeinrichtungen (Extremhochwässer) oder durch Versagen der Schutzeinrichtungen überflutet werden kann (i. d. R ehemalige Überschwemmungsflächen).

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