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Regelwerk, Strahlenschutz

Nuklearmedizinischer Nachweis des Wächter-Lymphknotens
- Empfehlung der Strahlenschutzkommission -

Vom 29. Mai 2002
Verabschiedet in der 175. Sitzung der Strahlenschutzkommission am 13/14. Dezember 2001
(BAnz. Nr. 115 vom 26.06.2002 S. 13975)


1 Sachverhalt

Das Konzept des Wächter-Lymphknotens (Sentinel-Lymph-Node, SLN) beruht auf der Hypothese, dass ein primär lymphogen metastasierender Tumor zunächst zum ersten "Wächter"-Lymphknoten im Abstromgebiet drainiert. Damit stellt dieser Lymphknoten auch die wahrscheinlichste Lokalisation einer beginnenden Metastasierung dar, so dass eine verlässliche Aussage zum Lymphknotenbefall statt mittels einer kompletten Lymphknotenentfernung durch eine gezielte, einfache und nebenwirkungsarme Biopsie des Wächter-Lymphknotens erfolgen könnte [1].

Erste Versuche zur Lokalisation des Wächter-Lymphknotens wurden vor etwa 25 Jahren beim Peniskarzinom mittels der Lymph-Angiographie gemacht, jedoch wegen der fehlenden Reproduzierbarkeit bald wieder verlassen. Große Bedeutung hat die intraoperative Darstellung des Wächter-Lymphknotens innerhalb der letzten 10 Jahre für die Therapie des malignen Melanoms erlangt. Zunächst verwendete man zum "intraoperative lymphatic mapping" den Farbstoff Patentblau. Wenig später wurden aber auch radioaktiv markierte Kolloide und Gammasonden zur intraoperativen Detektion des Wächter-Lymphknotens eingesetzt [1]. In der Zwischenzeit hat die szintigraphische Detektion des Wächter-Lymphknotens über das maligne Melanom hinaus auch Bedeutung für die Therapie des Mamma-Karzinoms, des Prostata-Karzinoms und von Kopf-Hals-Tumoren erlangt.

Der große Vorteil der gezielten Biopsie des Wächter-Lymphknotens liegt darin, dass es nach sorgfältiger pathologisch-anatomischer Aufarbeitung möglich ist, Aussagen über den Befall weiterer Lymphknotenstationen zu machen. Ist der Wächter-Lymphknoten tumorfrei, so ist mit weiteren Lymphknotenmetastasen nicht zu rechnen. Ein radikaler, nebenwirkungsbehafteter Eingriff mit Entfernung möglicherweise betroffener Lymphknoten erübrigt sich. Enthält der Wächter-Lymphknoten Tumorzellen, so müssen weitere therapeutische Maßnahmen ergriffen werden. Für den Pathologen besteht der Vorteil darin, dass die feingewebliche Aufarbeitung eines einzigen Lymphknotens wesentlich aufwendiger erfolgen kann als die eines ganzen Lymphknotenpakets. Die Chance, winzige Tumorzellen (Mikrometastasen) im Frühstadium einer Metastasierung erkennen zu können, ist deshalb bei der Analyse des Wächter-Lymphknotens höher als bei der konventionellen Aufarbeitung von Lymphknotendissektions-Präparaten.

Unter Strahlenschutzgesichtspunkten ist zu berücksichtigen, dass es bei der gezielten Biopsie des Wächter-Lymphknotens intraoperativ zu einer Exposition des Operationspersonals und anschließend bei der feingeweblichen Aufarbeitung des entfernten Lymphknotens - zu einer Exposition des Personals der Pathologie kommen kann.

Die Strahlenschutzkommission bewertet die Frage der Notwendigkeit der strahlenschutzmäßigen Überwachung dieses Personals und der Qualitätssicherung beim nuklearmedizinischen Nachweis des Wächter-Lymphknotens wie folgend:

2 Methode des nuklearmedizinischen Nachweises des Wächter - Lymphknotens

2.1 Präoperative Szintigraphie

Als Radiopharmakon werden Tc-99m-markierte Kolloide mit einer Teilchengröße von etwa 20 bis 100 nm verwendet. Die zu applizierende Aktivität ist so festzulegen, dass zum Operationszeitpunkt unter Berücksichtigung des radioaktiven Zerfalls, der Empfindlichkeit der intraoperativen Messsonde, des Lymphknoten-Uptakes und der Messgeometrie ein ausreichendes Lymphknoten/Untergrundsignal erreicht wird. Die Art der Injektion, die zu applizierende Gesamtaktivität und das Injektionsvolumen sind abhängig vom zu untersuchenden Tumor. Soll die Operation etwa 24 Stunden nach der Injektion erfolgen und wird eine Sonde mit der Empfindlichkeit von ca. 10 s-1/kBq verwendet, so sind beim malignen Melanom 60 bis 100 MBq, beim Mamma-Karzinom 150 bis 250 MBq und beim Prostata-Karzinom 200 bis 300 MBq zu applizieren [2].

Üblicherweise werden unmittelbar nach der Injektion Frühaufnahmen als Sequenz oder Einzelaufnahmen in mehreren Projektionen aufgenommen. Daran schließen sich Spätaufnahmen ca. 2 bis 4 Stunden nach Applikation und ggf. eine Gammasondenmessung mit SLN-Markierung auf der Haut des Patienten an. Bei optimaler Durchführung dieser szintigraphischen Untersuchungen ist ein präoperativer Nachweis des Wächter-Lymphknotens bei über 95% der Patienten zu erwarten [2].

2.2 Intraoperative Lokalisierung

Circa 24 Stunden nach Applikation orientiert sich der Operateur mittels einer externen Sondenmessung über die Lage des Wächter - Lymphknotens. Bei der Operation erfolgen Messungen begleitend zur Freipräparation der Lymphknoten. Diese Messungen führen den Operateur zum gesuchten Lymphknoten. Die Präparate werden in Formalin fixiert und zum Versand in die Pathologie vorbereitet.

3 Qualitätssicherung

Die intraoperative Lokalisierung ist von Personen mit Erfahrung in der nuklearmedizinischen Messtechnik durchzuführen. Die Ortsauflösung der Sonde bzw. der Sonden-/Kollimatorkombination muss zu einer ausreichenden Abgrenzung und räumlichen Zuordnung der markierten Lymphknoten führen. Durch Energiediskriminierung und Wahl eines geeigneten Messbereichs soll das Messsignal - soweit möglich - nicht durch gestreute Photonen beeinflusst werden. Die Anzeigeeinheit muss die Messergebnisse deutlich vermitteln (z.B. gute Korrelation zwischen akustischem Signal und Zählrate, gute Erkennbarkeit der optischen Anzeige). Die Form der Sonde muss für den Anwendungsfall geeignet sein; gekrümmte Sonden erlauben auch bei beengten Zugangsmöglichkeiten Messungen aus mehreren Richtungen [2].

4 Strahlenexposition

4.1 Strahlenexposition des Patienten

Die Exposition hängt von der Injektionsart und der verabreichten Aktivität ab. Bei der intrakutanen Applikation von etwa 80 MBq Tc-99m-Nanokolloid ist die effektive Dosis niedriger als 0,5 mSv. Intraparenchymatöse Injektionen, wie z.B. beim Mamma- oder Prostata-Karzinom, von rund 200 MBq Tc-99m-Kolloiden führen zu effektiven Dosen in der Größenordnung von 0,5 bis 1,5 mSv [2].

4.2 Strahlenexposition von beruflich exponiertem Personal in der nuklearmedizinischen Klinik

Die mit der szintigraphischen Untersuchung der Patienten verbundene Strahlenexposition bewegt sich wegen der im Vergleich zu anderen nuklearmedizinischen Untersuchungen niedrigen Aktivität im unteren Bereich der möglichen Expositionen. Die Wächter-Lymphknoten-Szintigraphie trägt damit wenig zur individuellen Exposition des Personals in der nuklearmedizinischen Klinik bei.

4.3 Strahlenexposition von Personal außerhalb der nuklearmedizinischen Klinik

Außerhalb der nuklearmedizinischen Klinik können folgende Personengruppen im Rahmen der Wächter-Lymphknoten-Szintigraphie strahlenexponiert werden:

In beiden Fällen ist einerseits eine externe Exposition durch den Patienten und/oder das entfernte Gewebe möglich. Darüber hinaus kommt theoretisch auch eine Inkorporation von radioaktiven Stoffen in Betracht. Diese ist jedoch durch Einhaltung der üblichen hygienischen Maßnahmen auszuschließen.

Zur externen Strahlenexposition des Personals liegen Kalkulationen von Heidenreich et al. [2] und Waddington et al. [3] vor. Die angenommenen Szenarien sind unterschiedlich, da nach Heidenreich et al. [2] von applizierten Aktivitäten von bis zu 200 MBq und Operation am Folgetag nach rund 24 Stunden ausgegangen wird. Demgegenüber gehen Waddington et al. [3] von 15 MBq applizierter Aktivität, jedoch Operation 4 Stunden p. i. aus. Unter Berücksichtigung der physikalischen Halbwertszeit von 6 Stunden für Tc-99m sind die Expositionsszenarien jedoch in etwa vergleichbar. Danach sind unter konservativer Annahme von Aufenthaltszeit und Abstand effektive Dosen von maximal 2 Mikrosievert pro Patient für Operateur und übriges OP-Personal anzunehmen. Messungen der Fingerexposition mit Thermolumineszenz-Dosimetern ergaben für den Operateur Dosen von weniger als 100 Mikrosievert. Die effektive Dosis beträgt 1/3000 des Grenzwerts der Strahlenexposition für die allgemeine Bevölkerung von 1 mSv und 1/5000 des entsprechenden Dosisgrenzwerts für die Fingerdosis. Danach müsste ein Operateur erst bei mehr als 3000 Operationen pro Jahr als beruflich strahlenexponierte Person überwacht werden.

Für das Personal der Pathologie sind - vorausgesetzt, dass das Operationspräparat frühestens 24 Stunden p. i. untersucht wird - effektive Dosen und Fingerdosen anzunehmen, die etwas unterhalb der oben angegebenen Expositionswerte für den Operateur und das Operationspersonal liegen. Insofern muss auch das Personal der Pathologie nicht als beruflich strahlenexponiertes Personal überwacht werden.

Selbstverständlich muss aus Gründen des Strahlenschutzes allerdings darauf geachtet werden, dass keine Kontamination oder Verschleppung von radioaktiven Stoffen erfolgt. Asserviertes Gewebematerial kann frühestens drei Tage nach der Operation auf dem üblichen Wege als "nicht-radioaktiv" entsorgt werden.

5 Empfehlung der Strahlenschutzkommission

Bei der Wächter-Lymphknoten-Szintigraphie kommt es zu einer geringfügigen Strahlenexposition von nicht beruflich exponiertem Personal der Chirurgie und der Pathologie. Bei korrekter Einhaltung der gültigen Leitlinien [2] liegen die Expositionswerte (effektive Dosen, Fingerdosen). weit unterhalb der Grenzwerte für die allgemeine Bevölkerung. Die Strahlenschutzkommission (SKK) empfiehlt deshalb, dieses Personal nicht als beruflich strahlenexponiertes Personal zu überwachen. Auf eine Einhaltung der üblichen Hygienevorschriften zur Vermeidung von Kontaminationen und auf eine Verschleppung von radioaktiven Stoffen bei der Entsorgung von Material ist jedoch sorgfältig zu achten.

Weiterhin stellt die SSK fest, dass für die intraoperative Sondenmessung die ständige Anwesenheit eines Strahlenschutzbeauftragten nicht erforderlich ist. Schriftliche Arbeitsanweisungen sind nach § 82 Abs. 3 der Strahlenschutzverordnung zu erstellen, die vom beteiligten Personal (Operateur, Pathologe, sonstige Personen) einzuhalten sind.

6 Literatur

[1] Heidenreich P., Vogt H., Bachter D., Büchels H., Steinfeld D., Wawroschek F., Wengenmair H., Wagner P. H.:
Das Konzept des Wächter-Lymphknotens. Stand und klinische Bedeutung.
Deutsches Ärzteblatt 98 (2001) A534-A540.

[2] Heidenreich P., Bares R., Brenner W., Grünwald F., Kopp J., Lottes G., Munz D. L., Reiners C., Risse J. H., Schober O., Schümichen C., Vogt H., Wengenmair H., Werner E.:
Verfahrensanweisung für die nuklearmedizinische Wächter-Lymphknoten (sentinel lymph node; SLN) - Diagnostik. Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin. Nuklearmedizin 40 (2001) 98-101.

[3] Waddington W. A., Keshtgar M. R. S., Taylor I., Lakhani S. R., Short M. D., Ell P. J.:

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