Stellungnahme des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten

Der Bundesrat hat in seiner 954. Sitzung am 10. März 2017 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zu Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe a (§ 1901a Absatz 4 BGB)

In Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe a ist § 1901a Absatz 4 wie folgt zu fassen:

(4) Der Betreuer soll den Betreuten in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung - auch als Behandlungsvereinbarung - hinweisen und ihn auf dessen Wunsch bei der Errichtung einer Patientenverfügung oder Behandlungsvereinbarung unterstützen."

Begründung:

Die Zielstellung, das Selbstbestimmungsrecht des Betreuten zu stärken, indem für die Zulässigkeit der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme zusätzlich als ausdrückliche Voraussetzung bestimmt wird, dass ein nach § 1901a BGB zu beachtender (freier) Wille des Betreuten der ärztlichen Zwangsmaßnahme nicht entgegenstehen darf, ist zu begrüßen.

Bei der Regelung zur Förderung von Patientenverfügungen ist jedoch die besondere Situation psychisch kranker Menschen zu beachten. Die Erfahrung zeigt, dass viele der Patientenverfügungen rechtlich keinen Bestand haben und in ihrer Reichweite Anlass zum Zweifel bieten. Dies betrifft oft die Inhalte und ebenso häufig die Erstellungszeiten (Bestand zu diesem Zeitpunkt freie Willensbestimmung?). In der Begründung des Gesetzentwurfs wird insbesondere für den psychiatrischen Kontext die Möglichkeit einer im Zustand der Einwilligungsfähigkeit abgeschlossenen Behandlungsvereinbarung als Sonderform einer Patientenverfügung betont, deren Zustandekommen sowie die Verbindlichkeit für den mitzeichnenden Arzt erläutert. Als wesentlich für die Behandlungsvereinbarung wird die Beratung durch den Arzt gesehen, welche Festlegungen praktisch durchführbar sind. Die Festlegungen werden von dem einwilligungsfähigen Betreuten schriftlich niedergelegt und beinhalten, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe oder die Art und Weise der Behandlung einwilligt oder sie untersagt. Die Behandlungsvereinbarung ist demgemäß bei Menschen mit psychischen Erkrankungen die gegenüber der "klassischen" Patientenverfügung vorzuziehende Variante.

In § 1901a Absatz 4 BGB sollte daher das Instrument der "Behandlungsvereinbarung" als besondere Form einer Patientenverfügung explizit aufgenommen werden, da diese gerade für Menschen mit psychischen Erkrankungen besser zur Wahrung der Patientenautonomie beitragen kann als eine umfassende, abstrakte Patientenverfügung ohne ärztliche Aufklärung.

2. Zu Artikel 1 Nummer 3 (§ 1906a Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 BGB)

In Artikel 1 Nummer 3 sind in § 1906a Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 die Wörter "ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks" durch die Wörter "ernsthaft und mit dem nötigen Zeitaufwand" zu ersetzen.

Begründung:

Grundsätzlich ist zu begrüßen, dass der Überzeugungsversuch im Gesetz näher ausgestaltet wird. Durch die Aufnahme des Ausschlusskriteriums "ohne unzulässigen Druck" droht jedoch eine erhebliche Schutzlücke zu Lasten des Betroffenen, da bei ernsthafter Berücksichtigung dieses negativen Tatbestandsmerkmals eine Zwangsbehandlung ausgeschlossen ist, wenn zuvor durch einen Dritten mit unzulässigem Druck auf den Betroffenen einzuwirken versucht wurde. Dies dürfte den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Ausgestaltung der staatlichen Schutzpflichten gegenüber Behandlungsbedürftigen nicht gerecht werden.

Mit der Einfügung der Wörter "ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks" sollen die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs an den Überzeugungsversuch im Gesetzestext selbst nachgezeichnet und klargestellt werden. Die Rechtsprechung hat - worauf der Gesetzentwurf zu Recht hinweist - die Anforderungen an den Überzeugungsversuch dahin konturiert, dass der Versuch jedenfalls bei einem gesprächsfähigen Betroffenen ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks durch eine überzeugungsbereite und überzeugungsfähige Person zu erfolgen habe (vgl. BGH, FamRZ 2014, 1358; BGH FamRZ 2014, 1694; BGH FamRZ 2015, 2050; BVerfG FamRZ 2011, 118). Angesichts dieser richterrechtlichen Konturierung des Überzeugungsversuchs bedarf es einer Festschreibung im Gesetzestext zwar nicht zwingend, die Kodifizierung der wesentlichen Voraussetzungen erscheint dessen ungeachtet zweckmäßig.

Die Aufnahme des negativen Tatbestandsmerkmals "ohne Ausübung unzulässigen Drucks" als Genehmigungsvoraussetzung führt allerdings zu der Annahme, die staatliche Schutzpflicht sei bei vorherigem Einsatz unzulässigen Drucks "verwirkt". Während eine erteilte Einwilligung, die durch unzulässigen Druck herbeigeführt wurde, unstreitig unwirksam ist, führt bislang die sich an einen fruchtlosen, sämtliche Anforderungen erfüllenden Überzeugungsversuch anschließende - zusätzliche - erfolglose Ausübung unzulässigen Drucks lediglich zu strafrechtlichen Konsequenzen, nicht aber dazu, dass eine Zwangsbehandlung ausgeschlossen ist. Hieran ist zwingend festzuhalten, da die Ausübung unzulässigen Drucks ein individuelles gegebenenfalls sanktionswürdiges Fehlverhalten des den Druck Ausübenden ist, nicht aber den Schutzanspruch des Betroffenen berühren kann. Da die in der Vergangenheit erfolgte Ausübung unzulässigen Drucks zudem nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, könnte eine Genehmigung selbst bei einem neuen Überzeugungsversuch, der ohne unzulässigen Druck erfolgt, nicht mehr in Betracht kommen, jedenfalls, wenn von irgend einer Form des Fortwirkens des Drucks auszugehen ist. Auch dürften, bevor unzulässiger Druck eingesetzt wird, regelmäßig alle zulässigen Möglichkeiten der Einflussnahme ausgeschöpft worden sein.

Die Aufnahme dieses negativen Tatbestandsmerkmals konterkariert damit den mit der Verankerung des Überzeugungsversuchs verfolgten Zweck. Dass ein Überzeugungsversuch zu erfolgen hat, bevor Zwangsmaßnahmen ergriffen werden, ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. In Grundrechte eingreifende Maßnahmen dürfen nicht erfolgen, wenn das verfolgte Ziel auch durch für den Betroffenen mildere Mittel erreichbar wäre. Ließe sich der Betroffene durch einen Überzeugungsversuch zu einer Änderung seines Willens bewegen, wäre eine Zwangsmaßnahme entbehrlich. Insofern kann der Gesetzgeber Mindestanforderungen für die Überzeugungsbemühungen aufstellen. Die Genehmigungsmöglichkeit zu versagen, wenn die Überzeugungsbemühungen das Maß des Zulässigen überschritten haben, scheint hingegen wenig sinnvoll.

3. Zu Artikel 1 Nummer 3 (§ 1906a Absatz 1 Satz 1 Nummer 7 BGB)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren die Entscheidung zu überprüfen, wonach ärztliche Zwangsbehandlungen ausschließlich und ausnahmslos im Rahmen eines vollstationären Krankenhausaufenthalts und nicht auch in einer sonstigen Einrichtung, in der die medizinische Versorgung des Betroffenen sichergestellt ist, durchgeführt werden können. Die generelle Unzulässigkeit von Zwangsbehandlungen außerhalb vollstationärer Krankenhausaufenthalte führt vorhersehbar zu weiteren Schutzlücken oder zu vermeidbaren und verfassungsrechtlich bedenklichen Belastungen der Betreuten.

Begründung:

In vielen Fällen wird die Durchführung einer Zwangsbehandlung im Rahmen eines vollstationären Krankenhausaufenthalts die beste Gewähr dafür bieten, dass die gebotene medizinische Versorgung des Betreuten einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist. Dies gilt aber nicht ausnahmslos. Gerade bei Betreuten, die sich aufgrund einer fortgeschrittenen Demenz in einem Pflegeheim befinden, führten die im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen dazu, dass diese nicht nur gegen ihren natürlichen Willen behandelt, sondern auch gegen ihren natürlichen Willen in ein Krankenhaus verbracht werden müssen, selbst wenn es sich bei der Zwangsbehandlung um eine weitgehend ungefährliche, erwartungsgemäß komplikationslose Maßnahme handelt. Die Verbringung in ein Krankenhaus und der dortige Aufenthalt können dann mit wesentlich größeren Belastungen einhergehen als die eigentliche Zwangsbehandlung (zum Beispiel bei der Verabreichung eines harmlosen Medikaments). So kann im Einzelfall der Ortswechsel und der Aufenthalt in einer Klink mit seiner hohen Patienten- und Ärztefluktuation für den Betreuten wesentlich eingreifender sein als der Verbleib in der gewohnten Umgebung des Heimes, in der der Betreute von vertrauten Personen versorgt wird. Diese zusätzlichen Belastungen sind keineswegs immer sachlich gerechtfertigt. Sie sind es zum Beispiel dann nicht, wenn aufgrund der Art der medizinisch indizierten Behandlung keine weiteren Nachwirkungen zu erwarten sind oder das Pflegeheim die gebotene medizinische Versorgung einschließlich der erforderlichen Nachbehandlung genauso sicherstellen kann wie das Krankenhaus. In diesen Fällen wäre es mit unverhältnismäßigen Belastungen für den Betreuten verbunden, wenn er nur um der Entsprechung eines Leitbilds des Gesetzgebers willen in ein Krankenhaus verbracht und dort vollstationär aufgenommen werden müsste. Dies gilt umso mehr, als der Begriff "stationär" unklar ist und nahelegt, dass der Betroffene auch über die Zeit des Eingriffs hinaus - jedenfalls über Nacht - ohne zwingenden medizinischen Grund im Krankenhaus verbleiben muss.

Maßgebend für den Ort der Durchführung der Zwangsbehandlung sollte daher sein, dass die gebotene medizinische Versorgung einschließlich der erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist. Ist diese Voraussetzung auch in anderen Einrichtungen als einem Krankenhaus erfüllt (zum Beispiel in einem Pflegeheim), muss eine Zwangsbehandlung mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dort durchgeführt werden, wo sie für den Betreuten am wenigsten belastend ist. Denn kein staatlicher Eingriff darf weiter reichen, als zum Schutz des Betroffenen erforderlich. Ist die medizinische Versorgung in anderen Einrichtungen sogar besser gewährleistet als durch einen vollstationären Krankenhausaufenthalt (zum Beispiel bei Untersuchungen oder Behandlungen, die üblicherweise in darauf spezialisierten ambulanten Zentren durchgeführt werden), so müssen Zwangsmaßnahmen dort auch stattfinden können.

Schutzlücken und unverhältnismäßige Belastungen ließen sich vermeiden, wenn § 1906a Absatz 1 Satz 1 Nummer 7 BGB-E beispielsweise wie folgt gefasst würde:

"7. die ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen einer Einrichtung, in der die gebotene medizinische Versorgung des Betreuten einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist, durchgeführt wird."

Die vorgeschlagene Formulierung eröffnet Betreuern und Betreuungsrichtern die für die Abwägung im Einzelfall erforderliche Flexibilität. Sie ermöglicht, dass die behandelnden Ärzte, der Betreuer und das Betreuungsgericht jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung der Art der medizinisch indizierten Zwangsmaßnahme, ihren möglichen Auswirkungen, der zu behandelnden Erkrankung, der die Einwilligungsunfähigkeit auslösenden Grunderkrankung und der Persönlichkeit des Betreuten denjenigen Behandlungsort auswählen, der die gebotene medizinische Versorgung einschließlich Vor- und Nachbetreuung am besten gewährleistet und mit den geringsten Belastungen für den Betreuten einhergeht. Zugleich bleibt sichergestellt, dass eine Zwangsbehandlung außerhalb medizinisch hinreichend ausgestatteter Einrichtungen in jedem Fall untersagt bleibt.

4. Zu Artikel 2 Nummer 5 (§ 312 Nummer 4 FamFG), Nummer 7a - neu - ( § 321 Absatz 2 FamFG)

Artikel 2 ist wie folgt zu ändern:

Begründung:

§ 312 FamFG gilt von seinem Wortlaut her nur für freiheitsentziehende Maßnahmen, die im Rahmen einer Betreuung oder der Ausübung einer Vorsorgevollmacht vorgenommen werden, da in § 312 Nummer 2 FamFG lediglich § 1906 Absatz 4 BGB genannt wird und in § 312 Nummer 4 FamFG ausschließlich die freiheitsentziehende Unterbringung und die ärztliche Zwangsmaßnahme bei Volljährigen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker behandelt werden. Freiheitsentziehende Maßnahmen bei Volljährigen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker finden hingegen keine Erwähnung.

In den Kommentierungen zu der bisherigen Fassung des § 312 Satz 1 Nummer 3 FamFG wird davon ausgegangen, dass § 312 Satz 1 Nummer 3 FamFG zum einen aufgrund planwidriger Regelungslücke analog auf Verfahren, die die Anordnung einer unterbringungsähnlichen Maßnahme betreffen, angewendet werden kann (vgl. Grotkopp in: Bahrenfuss, FamFG, 3. Aufl. 2017, § 312 Rn. 18); zum anderen, dass sich die Verfahren nach § 312 Satz 1 Nummer 3 FamFG, die die Anordnung einer freiheitsentziehenden Unterbringung betreffen, aufgrund des Verständnisses der freiheitsentziehenden Maßnahme und Unterbringung im Zivilrecht auch auf solche weitergehenden freiheitsentziehenden Maßnahmen nach öffentlichem Recht erstrecken (vgl. Budde in: Keidel, FamFG, 19. Aufl. 2017, § 312 Rn. 6). Es besteht im Ergebnis Einigkeit, dass es sich auch bei Verfahren, die Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme im Rahmen einer öffentlichrechtlichen Unterbringung betreffend um eine Unterbringungssache im Sinne des § 312 Satz 1 Nummer 3 FamFG handelt.

Der Gesetzentwurf soll zum Anlass genommen werden, dieses rechtlich nachvollziehbare und konsequente Verständnis im Wortlaut des § 312 Nummer 4 FamFG-E widerzuspiegeln. Es gibt keinen ersichtlichen Grund, freiheitsentziehende Maßnahmen im Rahmen einer öffentlichrechtlichen Unterbringung nach Landesrecht anders zu behandeln als solche nach § 1906 Absatz 4 BGB. Insoweit zeigt auch der bisherige Regelungsgehalt des § 312 FamFG, dass bei den besonders grundrechtsrelevanten Eingriffen der Unterbringung und Zwangsbehandlung eine verfahrensrechtliche Gleichbehandlung gewünscht wird, unabhängig davon, ob dies auf der Basis des bürgerlichen Rechts oder des öffentlichrechtlichen Sonder-Ordnungsrechts geschieht (vgl. Grotkopp a. a. O).

Es besteht auch ein Bedürfnis für die Regelung, da beispielsweise in § 20 Absatz 2 in Verbindung mit § 18 Absatz 6 PsychKG NW die Fixierung in der Form der Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch mechanische Hilfsmittel als besondere Sicherungsmaßnahme einem Richtervorbehalt unterliegt.

In Ergänzung der Neuregelung in § 312 Nummer 4 FamFG-E ist § 321 Absatz 2 FamFG entsprechend zu erweitern, um auch hier eine verfahrensrechtliche Gleichbehandlung zu erreichen.

Für freiheitsentziehende Unterbringungen oder ärztliche Zwangsmaßnahmen nach § 312 Nummer 4 FamFG-E verbleibt es bei der Erforderlichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 321 Absatz 1 FamFG.