Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Effektivität des Strafverfahrens

A. Problem und Ziel

B. Lösung

C. Alternativen

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand

2. Vollzugsaufwand

E. Sonstige Kosten

Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Effektivität des Strafverfahrens

Der Bundesrat hat in seiner 869. Sitzung am 7. Mai 2010 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen.

Anlage
Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Effektivität des Strafverfahrens

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung der Strafprozessordnung

Artikel 2
Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes

Artikel 3
Zitiergebot

Artikel 4
Inkrafttreten

Begründung

A. Allgemeines

Vor dem Hintergrund der Begrenztheit der Ressourcen der Justiz und der rechtspolitischen Diskussion der letzten Jahre sind lange überfällige und von der strafrechtlichen Praxis zu Recht eingeforderte Maßnahmen geboten, um Strafverfahren ohne Beeinträchtigung der Wahrheitsfindung und der berechtigten rechtsstaatlichen Interessen der Bürger zu beschleunigen und zu straffen.

Besonders dringlich ist die Umsetzung der nachstehenden Regelungsvorschläge:

B. Zu den einzelnen Vorschriften

Zu Artikel 1 (Änderung der Strafprozessordnung)

Zu Nummer 1 ( § 153a StPO)

Die Änderung des § 153a Absatz 2 StPO führt dazu, dass die Vorschrift auch in der Revisionsinstanz anwendbar wird. Der Entwurf sieht davon ab, eine Sonderregelung für die Nachfolgeentscheidungen einer vorläufigen Einstellung durch das Revisionsgericht zu treffen. Es ist anzunehmen, dass aus praktischen Gründen derartige Entscheidungen vom Revisionsgericht in aller Regel nur dann getroffen werden, wenn die Erfüllung einer Auflage sichergestellt ist. Verfahrensdogmatisch besteht im Übrigen kein Unterschied, ob ein Verfahren in der Berufungs- oder in der Revisionsinstanz gemäß § 153a StPO vorläufig eingestellt wird.

Zu Nummer 2 ( § 163a StPO)

Das geltende Strafverfahrensrecht sieht eine Verpflichtung des Zeugen, vor der Polizei zu erscheinen und auszusagen, nicht vor. Nach § 161a Absatz 1 Satz 1 StPO sind Zeugen verpflichtet, auf Ladung vor der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen. Die Polizei hat nur die Möglichkeit, den Zeugen darauf hinzuweisen, dass sie im Weigerungsfall auf seine Vernehmung durch den Staatsanwalt oder den Richter hinwirken werde, bei welchem für ihn eine Erscheinens- und Aussagepflicht bestehe.

Ermittlungsverfahren könnten effizienter geführt werden, wenn für Zeugen eine Erscheinens- und Aussagepflicht bei der Polizei bestünde. Die Strafverfolgungsbehörden haben es nicht selten mit wankelmütigen und bedrohten Zeugen zu tun, deren Aussagebereitschaft - auch bei der Polizei - gefördert werden sollte. Für den Ermittlungserfolg kann es entscheidend sein, wenn gerade solche Zeugen so frühzeitig wie möglich vernommen werden und schon bei der ersten Vernehmung weiterführende Angaben machen. Die Effektivität der Strafverfolgung bedingt, dass bei der Vernehmung von Zeugen auch das Erfahrungswissen der Polizei umfassend nutzbar gemacht wird. Insbesondere bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität müssen die verfügbaren kriminaltaktischen Möglichkeiten bestmöglich genutzt werden. Einer frühzeitigen Erstvernehmung durch die Polizei kommt insbesondere dann Bedeutung zu, wenn besonderes polizeiliches Erfahrungswissen nutzbar zu machen ist oder etwa auf Datenbestände und Erkenntnisse aus der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, die der Staatsanwaltschaft nicht unmittelbar zur Verfügung stehen, zurückgegriffen werden muss.

In die kleinere und mittlere Kriminalität betreffenden Ermittlungsverfahren erscheinen zudem auch weniger bedeutsame, aber dennoch letztlich von der Staatsanwaltschaft zu vernehmende Zeugen oftmals auf polizeiliche Ladung aus Bequemlichkeit, wegen damit verbundener Kosten oder wegen des erforderlichen Zeitaufwands nicht.

Ein weiterer wichtiger Anwendungsbereich der Neuregelung werden Fälle sein, in denen die sachleitende Staatsanwaltschaft noch nicht genügend Kenntnis von dem Sachverhalt hat. In einer solchen Situation kann die Staatsanwaltschaft nach § 163a Absatz 5 StPO-E die Polizei beauftragen bzw. ersuchen, den Zeugen zu laden, ohne dass dafür in jedem Einzelfall nötig wäre, dass die Staatsanwaltschaft vor dem Auftrag bzw. Ersuchen von der Polizei umfassend über den Verfahrensstand informiert würde.

Eine Erscheinenspflicht bei der Polizei dürfte sich in den genannten Anwendungsfällen schon deshalb beschleunigend, entlastend und Kosten senkend auswirken, weil derartige Zeugen - einmal erschienen - in aller Regel aussagebereit sind. Besteht zugleich eine Aussagepflicht bei der Polizei, wird der Entlastungseffekt verstärkt.

Rechtsstaatliche Bedenken gegen die vorgeschlagene Stärkung der Rolle der Polizei im Ermittlungsverfahren bestehen nicht. Auftrag und Ersuchen (§ 161 Absatz 1 Satz 2 StPO) der Staatsanwaltschaft bringen die Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft in dem erforderlichen Maß zur Geltung. Der Auftrag oder das Ersuchen kann allgemein oder für den Einzelfall erklärt werden.

Eine Entscheidungsbefugnis der Polizei über Zwangsmaßnahmen oder Ordnungsmittel gegen nicht erschienene oder aussageunwillige Zeugen ist mit der vorgeschlagenen Maßnahme nicht verbunden. Diese Befugnisse verbleiben bei der Staatsanwaltschaft. Ein so schwerwiegender Eingriff wie die Vorführung eines Zeugen darf im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht ohne Mitwirkung eines Justizorgans erfolgen. Ob eine Zeugenaussage wegen ihrer Bedeutung erzwungen werden darf, lässt sich oftmals nur aus einer der Staatsanwaltschaft obliegenden Gesamtschau des Verfahrens unter Berücksichtigung der materiellen sowie prozessualen Rechtslage beurteilen.

Zu Artikel 2 (Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes)

Die derzeitige Gesetzesfassung beruht im Wesentlichen auf dem am 1. März 1993 in Kraft getretenen Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege (BGBl. I S. 50). Die Besetzung der Strafvollstreckungskammern ist damals in § 78b GVG neu geregelt worden. Danach entscheidet die sogenannte große Strafvollstreckungskammer nach § 78b Absatz 1 Nummer 1 GVG in Verfahren über die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung mit drei Richtern unter Einschluss des Vorsitzenden. Die mit einem Richter besetzte sogenannte kleine Strafvollstreckungskammer - es handelt sich um den gleichen Spruchkörper - entscheidet nach § 78b Absatz 1 Nummer 2 GVG in den sonstigen Fällen. Die Einführung der Besetzung der Strafvollstreckungskammer mit einem Richter lehnte sich aus Gründen der Ressourcenknappheit an eine entsprechende Regelung des Einigungsvertrages an (vgl. BR-Drs. 314/91 , S. 143).

Diese Aufspaltung hat zur Folge, dass die große Strafvollstreckungskammer nur noch für die Verfahren bei Verurteilungen nach den §§ 57a, 57b, 63, 66 StGB zuständig ist (§ 78b Absatz 1 Nummer 1 GVG), während der Einzelrichter der kleinen Strafvollstreckungskammer alle übrigen Entscheidungen zu fällen hat (§ 78b Absatz 1 Nummer 2 GVG). Die Neuregelung hat gegenüber der früheren - differenzierteren - Regelung im Grundsatz eine deutliche Vereinfachung erbracht und die Abgrenzung erleichtert. Allerdings hat die Rechtsprechung in der Folge mehrfach Anlass gehabt, sich mit der Frage zu befassen, welche Auswirkungen es hat, wenn anstelle des zuständigen Dreier-Kollegiums der Einzelrichter oder anstelle des zuständigen Einzelrichters das Kollegium entschieden hat (vgl. die Übersichten bei Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, 5. Auflage, § 78b Rnr. 8 f., und bei Siolek, in: Löwe-Rosenberg, Strafprozessordnung, 25. Auflage, § 78b GVG Rnr. 11 ff. sowie hinsichtlich der letztgenannten Konstellation OLG Düsseldorf, Beschluss v. 22. März 2000 - 2 Ws 89-90/00 -, NStZ 2000, 444 f.).

Es gibt Fälle, in denen neben lebenslangen Freiheitsstrafen auch die Maßregel der Sicherungsverwahrung, der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt oder in einem weiteren Urteil eine zeitige Freiheitsstrafe verhängt wird. Neben einer Unterbringung besteht nicht selten Überhaft zur Vollstreckung von Freiheitsstrafen nach Widerruf der diesbezüglich zunächst bewilligten Strafaussetzung zur Bewährung.

Liegen neben den zeitlichen Voraussetzungen einer Entscheidung nach § 57a oder § 57b StGB auch die Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung nach § 57 StGB vor, so hat nach § 57a oder § 57b StGB die große Strafvollstreckungskammer nur über die Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe und gegebenenfalls einer daneben angeordneten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung oder in einem psychiatrischen Krankenhaus zu entscheiden. Bei dieser Entscheidung ist auch zu berücksichtigen, dass der Verurteilte gegebenenfalls noch durch gesondertes Urteil zu zeitiger Freiheitsstrafe und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verurteilt worden ist. Die eigentliche Entscheidung über die Aussetzung der zeitigen Freiheitsstrafe bzw. der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat aber ein Einzelrichter der Strafvollstreckungskammer zu treffen.

In diesen Konstellationen entsteht infolge der Zuständigkeitsaufspaltung erhöhter Aufwand für die Strafvollstreckungskammer: Es sind weitere Akten anzulegen, dem Verurteilten ist regelmäßig in den gesondert geführten Verfahren wegen der Schwierigkeit der Rechtslage jeweils ein Pflichtverteidiger beizuordnen und der Verurteilte ist ein weiteres Mal anzuhören (§ 454 Absatz 1 Satz 2 StPO). Eventuell ist auch ein weiteres Gutachten nach § 454 Absatz 2 StPO einzuholen. Schließlich ist ein zweiter Beschluss zu fassen, abzusetzen und zuzustellen.

In überbesetzten Spruchkörpern muss der zur Entscheidung berufene Einzelrichter zudem nicht zwingend auch Mitglied der großen Strafvollstreckungskammer sein, die über die Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe zu entscheiden hat. Es ist daher beispielsweise denkbar, dass die große Strafvollstreckungskammer eine positive Legalprognose trifft und die lebenslange Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzt, während der Einzelrichter eine solche Prognose nicht erwägt und die Aussetzung einer gesondert ausgeurteilten zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung ablehnt.

Zu ähnlichen Konstellationen kann es nach dem geltenden Recht bei im Maßregelvollzug Untergebrachten kommen. Ist z.B. ein Verurteilter in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden und stehen außerdem zeitige Freiheitsstrafen zur Verbüßung an, so entscheidet die große Strafvollstreckungskammer über die Aussetzung der Unterbringung, ein Einzelrichter über die Aussetzungsmöglichkeiten nach den §§ 57 oder 67 Absatz 5 StGB. Im letztgenannten Fall kann der Einzelrichter die Entscheidung der großen Strafvollstreckungskammer obsolet machen, indem er eine zugleich mit der Unterbringung verhängte Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung aussetzt. Auch in dieser Fallkonstellation ist der dargestellte Verfahrensaufwand zweimal zu leisten.

Um die Doppelarbeit zu vermeiden und der mit einer Zuständigkeitsaufspaltung einhergehenden Gefahr nicht nachvollziehbarer unterschiedlicher Prognoseentscheidungen der Strafvollstreckungskammern zu begegnen, schlägt der Entwurf vor, dass die große Strafvollstreckungskammer wieder - entsprechend der Gesetzesfassung vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege - für alle Verfahren zuständig ist, die zeitgleich zu entscheiden sind. Diese Entscheidungskonzentration dient nicht nur der Straffung des Verfahrens vor der Strafvollstreckungskammer, sondern erweist sich auch für den Verurteilten und die Verteidigung als vorteilhaft, weil die Konzentration der Entscheidung bei einem Spruchkörper aufwändige Mehrfachanhörungen vermeidet und das Verfahren beschleunigt.

Für die Untergebrachten gilt § 454b StPO nach § 463 Absatz 1 StPO entsprechend.

Zu Artikel 3 (Zitiergebot)

Mit der Vorschrift wird dem in Artikel 19 Absatz 1 Satz 2 GG enthaltenen Zitiergebot Rechnung getragen.

Zu Artikel 4 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.