Gesetzentwurf des Bundesrates
Verfahren eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
(Artikel 98a)

A. Problem und Ziel

B. Lösung

C. Alternativen

D. Finanzielle Auswirkungen

E. Sonstige Kosten

Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 98a)

Der Bundesrat hat in seiner 833. Sitzung am 11. Mai 2007 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen.

Anlage
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 98a)

Vom ...

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen; Artikel 79 Abs. 2 des Grundgesetzes ist eingehalten:

Artikel 1
Änderung des Grundgesetzes

Artikel 2
Inkrafttreten

Begründung

A. Allgemeiner Teil

Das traditionelle System der Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch staatliche Bedienstete hat sich aus vielerlei Gründen bewährt, bedarf aber in einzelnen Bereichen der Ergänzung und Modifizierung.

Dies gilt in besonderem Maße für den Bereich der Zwangsvollstreckung und der übrigen Aufgaben der Gerichtsvollzieher.

Als Gerichtsvollzieher sind derzeit Landesbeamte in einer Sonderlaufbahn des mittleren Justizdienstes tätig. Sie nehmen innerhalb der Beamten aber eine Sonderstellung ein, da sie ihr Amt unabhängig von Einzelweisungen ausüben. Organisatorisch sind sie aus den Gerichten ausgegliedert; sie unterhalten ein Geschäftszimmer auf eigene Rechnung und haben auf eigene Kosten Büro- und Schreibhilfen zu beschäftigen. Zur Erstattung der damit verbundenen Aufwendungen erhalten sie eine Ausgleichszahlung der Landesjustizverwaltung (Bürokostenentschädigung).

Diese Strukturen bedürfen grundlegender Reformen, um das hohe Niveau der Zwangsvollstreckung in Deutschland mittel- bis langfristig zu halten. Die anhaltend schlechte wirtschaftliche Situation verschärft den Druck der Gläubiger, offene Forderungen zu realisieren. Gleichzeitig werden die Möglichkeiten, bei den Schuldnern in pfändbare Vermögensobjekte zu vollstrecken, immer seltener. Die Tätigkeit des Gerichtsvollziehers wird dadurch erheblich erschwert. Die steigenden Anforderungen an den Gerichtsvollzieher gebieten die Schaffung neuer Leistungsanreize. In den vorhandenen Strukturen ist die Schaffung neuer Leistungsanreize aber nicht möglich. Etwaige Gestaltungsmöglichkeiten, die dem Gerichtsvollzieher durch die bislang pauschalierte Abgeltung der Bürokosten eröffnet wurden, dürften in der Zukunft entfallen, da die Bürokostenentschädigung nach der Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. August 2004 - BVerwG 2 C 41.03 -, DGVZ 2005, 7) strikt am tatsächlich angefallenen Aufwand zu orientieren ist. Ein Verstärken der Leistungsanreize durch einen Ausbau der dem Gerichtsvollzieher zustehenden Vollstreckungsvergütung im gegenwärtigen System kommt nicht in Betracht, weil die Tätigkeit des Gerichtsvollziehers schon jetzt in weitem Umfang nicht durch die von den Parteien vereinnahmten Gebühren gedeckt werden kann, sondern durch allgemeine Steuermittel finanziert werden muss. Der Zuschussbedarf nach Abzug der Gebühreneinnahmen betrug im Jahr 2002 bundesweit einschließlich der Zahlungen für die Bürokostenentschädigung rund 198 Millionen Euro.

Die Lösung der strukturellen Probleme des Gerichtsvollzieherwesens liegt in der Übertragung der Aufgaben des Gerichtsvollziehers auf Beliehene (Beleihungssystem). Die Beliehenen könnten die übertragenen Aufgaben unter staatlicher Aufsicht und Verantwortung effizienter erledigen. Als Beliehene würden die Gerichtsvollzieher im Wettbewerb untereinander auf eigene Rechnung tätig. Dadurch wäre gewährleistet, dass Vollstreckungsaufträge nicht nur verwaltet, sondern die Herbeiführung des Vollstreckungserfolgs angestrebt wird. An Stelle des komplexen und streitbehafteten Systems der Bürokostenentschädigung stünde ein Personal- und Sachmitteleinsatz auf Grund der unternehmerischen Entscheidung des Gerichtsvollziehers. Die Umstellung auf das Beleihungssystem führt dazu, dass die Bestellung eines Gerichtsvollziehers künftig nicht mehr von der Verfügbarkeit einer beamtenrechtlichen Planstelle abhängt, sondern vom objektiven Bedarf. Damit könnte auf steigende Belastungen leichter als bislang mit der Schaffung neuer Stellen reagiert werden. Nach vollständiger Umstellung auf das Beleihungssystem könnten die Landesjustizverwaltungen über die bislang von Gerichtsvollziehern besetzten Beamtenplanstellen anderweitig verfügen. Zu Gunsten des Wechsels zum Beleihungssystem lassen sich nicht zuletzt die Erfahrungen aus den europäischen Nachbarländern ins Feld führen, in denen Privaten die Vollstreckung anvertraut ist.

Das geltende Verfassungsrecht steht der Übertragung von Aufgaben auf Beliehene allerdings dort entgegen, wo nach den Vorgaben des Grundgesetzes zwingend eine Aufgabenerfüllung durch Beamte vorgesehen ist. Der so genannte Funktionsvorbehalt zu Gunsten des Berufsbeamtentums in Artikel 33 Abs. 4 GG sichert die Neutralität und Unparteilichkeit der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben. Durch die Übertragung dieser Aufgaben auf Berufsbeamte als Regeltatbestand wird gewährleistet, dass nicht beamtete Personen nur in Ausnahmefällen hoheitlich tätig werden dürfen.

Gleichzeitig darf nicht verkannt werden, dass in weiten Bereichen staatlicher Tätigkeit seit jeher nicht nur das Bedürfnis, sondern die Erforderlichkeit besteht, nicht ausschließlich Beamte einzusetzen. Die Verfassung selbst erkennt dies in Artikel 87d Abs. 1 GG an und überlässt die Entscheidung über die öffentlichrechtliche oder privatrechtliche Organisationsform der Luftverkehrsverwaltung dem Gesetzgeber. Entsprechende sachgebietstypische Notwendigkeiten bestehen ferner im Bereich des Schornsteinfegerwesens oder der Technischen Überwachungsvereine. Hier sind Private tätig, die mit der Erfüllung staatlicher Aufgaben beliehen werden. Es wird dabei nicht etwa die Aufgabe privatisiert, sondern lediglich ein Privater zur Wahrnehmung dieser nach wie vor hoheitlichen Aufgabe herangezogen. Die im Demokratieprinzip wurzelnde Verantwortung des Staates für die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgabe bleibt unberührt.

Diese Befugnis des Gesetzgebers, im Wege der so genannten Beleihung Private in die Erfüllung staatlicher Aufgaben einzubeziehen, ist im Verfassungsrecht und in der Staatspraxis seit langem anerkannt. Gesichert dürfte dabei insbesondere die Erkenntnis sein, dass der Regel-Ausnahme-Tatbestand des Artikels 33 Abs. 4 GG der Beleihung nicht grundsätzlich entgegensteht. Gleichwohl führt diese Vorschrift, die seit 1949 in unverändertem Wortlaut gilt, im Einzelfall zu nicht unerheblichen Auslegungsschwierigkeiten. So ist nicht abschließend geklärt, welche staatlichen Aufgaben zugleich hoheitlich im Sinne des Artikels 33 Abs. 4 GG sind. Für das Vollstreckungswesen dürfte allerdings klar sein, dass es sich hierbei angesichts seines Charakters als Eingriff in Freiheit und Eigentum des Einzelnen zum großen Teil um hoheitliche Befugnis im Sinne der Verfassungsnorm handelt.

Problematisch ist vor allem die genaue Bestimmung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses in der Verfassungsnorm. Ob der Begriff der Ausnahme rein quantitativ oder aber in einem wertenden, die jeweilige Hoheitsaufgabe und ihre Grundrechtsrelevanz in den Blick nehmenden Sinne zu verstehen ist, stellt eine in der Staatsrechtslehre höchst streitige und vom Bundesverfassungsgericht noch nicht abschließend entschiedene Frage dar. Soweit Ausnahmen zulässig sind, bleibt ihre Konkretisierung aber jedenfalls dem Gesetzgeber vorbehalten.

Die dargestellten Grundsätze sollen auch in Zukunft beibehalten werden. Für das Vollstreckungswesen und die sonstigen Aufgaben des Gerichtsvollziehers soll die Rechtslage aber nunmehr vom verfassungsändernden Gesetzgeber auf der Basis des bestehenden Rechtszustands durch eine spezielle Verfassungsnorm klargestellt werden. Die Möglichkeit, Private in die Aufgabenerfüllung mit einzubeziehen, soll für diesen Bereich auf eine eindeutige verfassungsrechtliche Grundlage gestellt werden. Die Verfassungsänderung trägt zugleich zur europäischen Rechtsangleichung bei, da nur das deutsche Verfassungsrecht einen solchen Vorbehalt zu Gunsten von Beamten kennt und in zahlreichen Nachbarstaaten die Vollstreckung durch vom Staat beauftragte Private erfolgt.

Soweit in der Vollstreckung Rechtsprechung im Sinne des Artikels 92 GG ausgeübt wird, ist diese von der Neuregelung ausdrücklich ausgenommen.

B. Zu den einzelnen Vorschriften

Zu Artikel 1 (Artikel 98a GG)

Die in Artikel 1 vorgesehene Ergänzung des IX. Abschnitts des Grundgesetzes setzt die oben unter A. dargestellte Zielsetzung um.

Im Bereich der Aufgaben des Gerichtsvollziehers wird der Funktionsvorbehalt für Beamte unter einen - mit inhaltlichen Einschränkungen versehenen - Gesetzesvorbehalt gestellt. Dies ist Inhalt des Artikels 98a Satz 1 GG-E. Durch die Verwendung des Begriffs der "Ausübung" von (hoheitsrechtlichen) Befugnissen wird deutlich gemacht, dass Gegenstand der Regelung nicht etwa eine Privatisierung der Vollstreckung, sondern lediglich die Einräumung der Möglichkeit ist, Private im Wege der Beleihung in die Erfüllung dieser nach wie vor staatlichen Aufgaben mit einzubeziehen. Damit soll im Ergebnis auch ermöglicht werden, dass das Berufsbild des Gerichtsvollziehers - über die bereits jetzt bestehenden Ansätze in dieser Richtung hinaus - eine wirtschaftlich-unternehmerische Prägung trägt. Angesichts der Bedeutung und der Grundrechtsrelevanz dieser Maßnahme bleibt sie dem Gesetzgeber vorbehalten, der die wesentlichen Fragen in diesem Bereich selbst regeln muss. All dies entspricht Grundsätzen, die auch bisher schon allgemein für die Beleihung Privater mit staatlichen Aufgaben galten.

Die nunmehr vorgesehene Möglichkeit, Ausnahmen von dem Funktionsvorbehalt des Artikels 33 Abs. 4 GG zu schaffen, beschränkt sich auf einen bestimmten, klar abgegrenzten Bereich und ist daher keinesfalls als eine Abkehr von dem in dieser Verfassungsnorm statuierten Grundprinzip zu verstehen. In verfassungssystematischer Sicht wird dies besonders daraus deutlich, dass die Neuregelung ihren Standort bei den die Rechtspflege betreffenden Normen des IX. Abschnitts des Grundgesetzes findet und nicht etwa Artikel 33 Abs. 4 GG unter einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt gestellt wird. Dem Grundgesetz sind bereichsspezifische Regelungen für die Aufgabenübertragung an Private auch sonst nicht fremd, wie etwa der Blick auf die Artikel 87d bis 87f sowie die Artikel 143a und 143b GG zeigt.

Der neu einzufügende Artikel 98a stellt vor diesem Hintergrund eine spezifische Sonderregelung für eine abgegrenzte, homogene Gruppe von Rechtspflegeorganen und die bisher von ihnen wahrgenommenen Aufgaben dar, die sich auch durch den ausdrücklichen Bezug auf die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen organisch an die in Artikel 98 normierte Rechtsstellung der Richter anfügt. Die in Artikel 98a Satz 1 GG-E genannten Aufgaben sollen unter bestimmten Voraussetzungen auch an Personen übertragen werden können, die nicht Berufsbeamte - um solche handelt es sich nach gesichertem Begriffsverständnis bei den in Artikel 98a angesprochenen Angehörigen des öffentlichen Dienstes im Sinne von Artikel 33 Abs. 4 GG - sind.

Die Übertragungsbefugnis ist auf den Aufgabenkreis der Gerichtsvollzieher begrenzt, der sich in erster Linie aus dem herkömmlichen, gefestigten Aussagegehalt des Begriffs "Gerichtsvollzieher" und im Einzelnen aus dem einfachen Gesetzesrecht - derzeit namentlich § 154 des Gerichtsverfassungsgesetzes - ergibt. Die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen als sachgebietsprägende und typische Aufgabe ist im Normtext an erster Stelle erwähnt, da sie beispielsweise im Hinblick auf die Pfändung und Wegnahme von Sachen sowie die Öffnung und Durchsuchung von Wohnungen mit schwerwiegenden Grundrechtseingriffen verbunden ist und deswegen die bewusste Entscheidung des Verfassungsgebers für eine Aufgabenerledigung durch Personen, die nicht Berufsbeamte sind, hervorgehoben werden soll. Die ausdrückliche Erwähnung im Verfassungstext ist außerdem deswegen geboten, um ein verfehltes, rein "statisches" Verständnis der Übertragungsbefugnis zu vermeiden. Denn es soll dem Gesetzgeber freistehen, mit der Erfüllung von Vollstreckungsaufgaben, die er zukünftig den Gerichtsvollziehern zuweist, ebenfalls Beliehene zu betrauen. Nichts anderes gilt im Hinblick auf die Ausübung sonstiger Befugnisse der Gerichtsvollzieher. Auch hier soll der Gesetzgeber die Möglichkeit haben, den bisherigen Zuschnitt in sachgerechter Weise unter Einbeziehung der Beliehenen fortzuentwickeln.

Wortlaut und Regelungsgehalt des Artikels 33 Abs. 4 GG sowie die dazu von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft entwickelten Grundsätze bleiben im Übrigen unberührt.

Überdies kann sich der Staat seiner fortbestehenden Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung auch im Anwendungsbereich der Neuregelung nicht entziehen. Dieser Gesichtspunkt, der im Hinblick auf Artikel 33 Abs. 4 GG bisher nur Gegenstand der Diskussion in der Staatsrechtslehre, nicht aber in Form eines Rechtssatzes konkretisiert war, wird nunmehr zur ausdrücklichen Vorgabe für den Gesetzgeber, vergleichbar der Infrastrukturgewährleistungspflicht des Artikels 87e Abs. 4 GG. Der Gesetzgeber hat lediglich einen gewissen Spielraum hinsichtlich der Frage, wie er die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung gewährleistet, wobei sich die klassischen Mittel der Aufsichts-, Kontroll- und Weisungsrechte anbieten.

Die Gesetzgebungskompetenz für die auf Grund der Neuregelung zu treffende legislative Entscheidung folgt aus den allgemeinen Regeln des VII. Abschnitts des Grundgesetzes, in deren Systematik nicht eingegriffen werden soll.

In Artikel 98a Satz 2 GG-E wird schließlich klargestellt, dass die rechtsprechende Gewalt von der Neuregelung nicht betroffen ist.

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)

Diese Vorschrift regelt das Inkrafttreten.