Gesetzesantrag des Freistaates Sachsen
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes

A. Problem und Ziel

Die Belastung der Sozialgerichtsbarkeit, insbesondere in der ersten Instanz, ist unverändert hoch. So sind im Jahr 2014 bei den Sozialgerichten 371.388 Klagen in Hauptsacheverfahren und 47.263 Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz eingegangen. Bei den Landessozialgerichten sind 27.370 Berufungen und 16.478 Beschwerdeverfahren anhängig geworden. Damit halten sich die Eingänge auf einem seit mehreren Jahren hohen Niveau. Diese Belastung soll durch Änderungen des Sozialprozessrechts abgemildert werden.

B. Lösung

Die Änderungen leisten einen Beitrag, die Arbeit der Gerichte zu erleichtern und zu effektivieren. Bereits im Jahr 2012 hat eine Arbeitsgruppe verschiedener Landesjustizverwaltungen Vorschläge zur Entlastung der Sozialgerichte vorgelegt, die nur teilweise umgesetzt wurden. Das Gesetz greift bislang noch nicht umgesetzte Vorschläge dieser Arbeitsgruppe insbesondere zur Vereinfachung des gerichtlichen Verfahrens auf.

C. Alternativen

Keine.

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

Keine.

E. Sonstige Kosten

Keine.

Gesetzesantrag des Freistaates Sachsen
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes

Freistaat Sachsen Dresden, 14. April 2016

Chef der Staatskanzlei und Staatsminister für Bundes- und Europa- angelegenheiten

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Stanislaw Tillich

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Sächsische Staatsregierung hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage mit Begründung beigefügten Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes zuzuleiten.

Ich bitte Sie, diesen Gesetzentwurf gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der 944. Sitzung des Bundesrates am 22. April 2016 aufzunehmen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Fritz Jaeckel

Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Sozialgerichtsgesetzes

Das Sozialgerichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 1975 (BGBl. I S. 2535), das zuletzt durch Artikel 8 des Gesetzes vom 15. April 2015 (BGBl. I S. 583) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. Dem § 12 Absatz 1 wird folgender Satz angefügt:

"Im Einverständnis der Beteiligten kann der Vorsitzende auch sonst anstelle der Kammer entscheiden."

2. § 123 wird wie folgt geändert:

3. Dem § 130 Absatz 1 wird folgender Satz angefügt:

"Die Sätze 1 bis 3 gelten auch, soweit höhere als bereits zuerkannte Leistungen begehrt werden; in diesem Fall verurteilt das Gericht zur Gewährung höherer Leistungen unter Vorgabe der hierbei zu berücksichtigenden Elemente."

4. § 153 wird wie folgt geändert:

5. Dem § 157a wird folgender Absatz 3 angefügt:

(3) § 123 Absatz 2 bis 4 gilt für das Berufungsverfahren entsprechend. Eine vor dem Sozialgericht abgegebene Erklärung nach § 123 Absatz 2 wirkt fort. Das Landessozialgericht ist bei seiner Entscheidung an die Ermessensausübung nach § 123 Absatz 2 Satz 1 durch das Sozialgericht nicht gebunden."

6. § 163 wird wie folgt geändert:

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Begründung:

A. Allgemeiner Teil

I. Zielsetzung

Die Belastung der Sozialgerichtsbarkeit, insbesondere in der ersten Instanz, ist unverändert hoch. So sind im Jahr 2014 bei den Sozialgerichten 371.388 Klagen in Hauptsacheverfahren und 47.263 Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz eingegangen. Bei den Landessozialgerichten sind 27.370 Berufungen und 16.478 Beschwerdeverfahren anhängig geworden. Hinzu kommen die Belastungen der Gerichte aus einem hohen Verfahrensbestand, der aus den Eingangszahlen der letzten Jahre resultiert: Im Jahr 2013 waren in der Eingangsinstanz in Hauptsacheverfahren 392.999 (einstweiliger Rechtsschutz: 46.370), im Jahr 2012 395.566 (einstweiliger Rechtsschutz: 47.075), im Jahr 2011 413.821 (einstweiliger Rechtsschutz: 45.771), im Jahr 2010 422.214 (einstweiliger Rechtsschutz: 51.431) und im Jahr 2009 387.791 (einstweiliger Rechtsschutz: 52.476) Eingänge zu verzeichnen (Quelle jeweils: Statistisches Bundesamt 2015, Fachserie 10, Reihe 2.7, Rechtspflege, Sozialgerichte). Die Eingänge halten sich seit mehreren Jahren auf einem hohen Niveau. Dies erschwert es, den Verfahrensbestand abzubauen und die Verfahrensdauer zu reduzieren. Das Gesetz trägt dazu bei, die Arbeit der Gerichte zu erleichtern und effektiver zu machen.

II. Wesentlicher Inhalt

1. Konsentierter Einzelrichter

Die Einführung des konsentierten Einzelrichters dient in Angleichung an andere Prozessordnungen der Verfahrensbeschleunigung.

2. Beschränkung der gerichtlichen Überprüfungspflicht

Die Sozialgerichte haben die Rechtmäßigkeit der im angegriffenen Verwaltungsakt festgesetzten Leistungshöhe - unabhängig vom Vorbringen der Beteiligten - bislang unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts selbst dann, wenn zwischen den Beteiligten bestimmte Berechnungskomponenten unstreitig sind (BSG, Urteil vom 25. Januar 2012 - B 14 AS 131/11 R - juris, Rn. 8 m.w. N.). Dieses Problem hat durch die Reform des SGB II zum 1. Januar 2011 zusätzliche Bedeutung gewonnen, weil sich der Begründung der Wille des Gesetzgebers entnehmen lässt, Leistungen für Unterkunft und Heizung als "integralen Bestandteil" des Arbeitslosengeldes II anzusehen (BT-Drs. 17/3404, S. 98 zu § 22). Dies führt dazu, dass in der Praxis Leistungen für Unterkunft und Heizung zum Teil nicht als abtrennbarer Streitgegenstand behandelt werden. Dieses Problem wird durch die Neuregelung an Bedeutung verlieren, weil das Gericht bei übereinstimmender Erklärung der Beteiligten über bestimmte Teile des Streitgegenstandes nicht entscheiden muss. Vorgesehen ist die Möglichkeit eines Ausschlusses bestimmter Elemente des streitgegenständlichen Anspruchs aus der Überprüfungspflicht des Gerichts durch übereinstimmende Erklärung der Beteiligten. Mit der Neuregelung kann der Kläger Rechtsschutz in vollem Umfang erreichen; zugleich können die einzelnen Verfahren effizienter betrieben werden. Der Kläger soll auch in Sozialgerichtsverfahren das Recht haben zu bestimmen, worüber er eine gerichtliche Entscheidung begehrt. Auch wenn die umfassende Prüfung der Normalfall bleiben muss, besteht ein Bedürfnis zur Einführung eines prozessualen Gestaltungsrechts für die Beteiligten.

Die Beschränkung der Überprüfungspflicht des Gerichts bei der Sachentscheidung fügt sich in die vorhandenen Klagearten ein. Rechtshängig und Gegenstand der Rechtskraft bleibt der gesamte Anspruch und der Ausgangsverwaltungsakt in der Gestalt des Widerspruchsbescheides. Es verbleibt in Höheverfahren bei einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Absatz 1 i.V.m. Absatz 4 SGG). Nur im Rahmen der Prüfung bei seiner Entscheidungsfindung kann das Gericht bestimmte Elemente des Anspruchs als gegeben oder nicht gegeben unterstellen, soweit die Beteiligten dies ausdrücklich erklärt haben und das Gericht auf die Folgen einer solchen Erklärung hingewiesen hat. Elemente können dabei nicht nur tatsächliche Umstände sein, sondern insbesondere auch rechtliche Teilergebnisse bei der Anspruchsprüfung, z.B. Berechnungselemente (etwa Bemessungsentgelt für den Anspruch auf Arbeitslosengeld, Vorliegen bestimmter versicherungsrechtlicher Voraussetzungen im SGB VI oder Höhe des anzurechnenden Einkommens nach §§ 11, 30 SGB II) .

3. Änderungen im Recht der Berufung

§ 130a Verwaltungsgerichtsordnung wird in das Sozialgerichtsgesetz übernommen. Diese Norm hat sich in der Verwaltungsgerichtsbarkeit bewährt. Auch die Zivilprozessordnung enthält in ihrem § 522 Absatz 2 eine vergleichbare Regelung. Damit wird eine Angleichung der Verfahrensordnungen herbeigeführt und das sozialgerichtliche Verfahren effektiver ausgestaltet. Nach § 130a Satz 1 VwGO kann das Oberverwaltungsgericht über die Berufung durch Beschluss entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Demgegenüber sieht § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG bisher die Möglichkeit für eine Entscheidung durch Beschluss nur für den Fall der Zurückweisung der Berufung gegen ein Urteil vor. Nach der Neuregelung darf auch bei Stattgabe der Berufung durch einstimmigen Beschluss entschieden werden, soweit erstinstanzlich durch Urteil entschieden wurde. Der Beschluss wird außerhalb der mündlichen Verhandlung ohne ehrenamtliche Richter (§ 33 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 SGG) gefasst. Es ist kein Grund ersichtlich, die Wahlmöglichkeit des Gerichts - Urteil oder Beschluss - davon abhängig zu machen, ob die Berufung begründet oder unbegründet ist. Die unterschiedliche Besetzung der Spruchkörper rechtfertigt eine unterschiedliche Behandlung nicht.

Eine weitere Änderung betrifft die Zuständigkeit des Berichterstatters für Nebenentscheidungen im Berufungsverfahren gegen Gerichtsbescheide in § 153 Abs. 5 SGG.

III. Gesetzgebungskompetenz des Bundes

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (hier: gerichtliches Verfahren). Das Gesetz bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates.

B. Besonderer Teil

I. Zu Artikel 1

Zu Nummer 1

Die Ergänzung des Absatzes 1 ermöglicht es dem Vorsitzenden, ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden, wenn sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (konsentierter Einzelrichter). Entsprechende Rechtsgrundlagen finden sich bereits in § 87a Abs. 2 VwGO und in § 79a Abs. 3 FGO. Diese Regelungen haben sich in der Praxis bewährt. Die Neuregelung erlaubt den Beteiligten, auf die Gestaltung des Verfahrens Einfluss zu nehmen und fördert ihr Interesse, möglichst zeitnah eine Entscheidung zu erhalten. Dieses Interesse ist auch dann von Gewicht, wenn der Rechtsstreit keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten aufweist und wenn sich die Verfahrensbeteiligten (oder ihre Bevollmächtigten) der Sachkunde und Erfahrung des zur Entscheidung berufenen Vorsitzenden gewiss sind. Triftige Gründe, die es - anders als im Verwaltungs- und Finanzprozess - ausschließen würden, den Beteiligten des Verfahrens vor den Sozialgerichten eine solche Einflussmöglichkeit zu eröffnen, sind nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als im Verfahren vor dem Landessozialgericht bereits die Möglichkeit besteht, dass der Vorsitzende oder der bestellte Berichterstatter als konsentierter Einzelrichter anstelle des Senats entscheidet (§ 155 Abs. 3 und 4 SGG). Den Vorsitzenden der Kammern des Sozialgerichts ist bereits nach geltendem Recht die Möglichkeit eröffnet, wichtige Sachentscheidungen ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter zu treffen. Dies gilt etwa für Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz, aber auch für den Erlass von Gerichtsbescheiden (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGG). Nachteile für die Akzeptanz der vom konsentierten Einzelrichter zu treffenden Entscheidungen sind nicht zu befürchten, da es des Einverständnisses der Beteiligten bedarf. Hinzu kommt, dass es der Entscheidung des Vorsitzenden obliegt, ob er von der Ermächtigung zur Einzelrichterentscheidung Gebrauch macht. Dies ist zu unterlassen, wenn es geboten erscheint, die Sachkunr ehrenamtlichen Richterinnen und Richter in das Verfahren einfließen zu lassen.

Zu Nummer 2

Zu Buchstabe a

Die Regelung des Absatzes 1 entspricht dem Wortlaut des bisherigen § 123.

Zu Buchstabe b

Mit § 123 Absatz 2 wird die Möglichkeit eingeführt, nur bestimmte Elemente des Streitgegenstandes zum Gegenstand der Prüfung durch das Gericht zu machen. Er regelt die Abgabe der prüfungspflichtbeschränkenden Erklärungen. Die Regelung ist auf sogenannte Höheverfahren beschränkt, d.h. auf Verfahren, in denen mehr als die bereits zuerkannte Leistung begehrt wird. In diesen Verfahren hat der beklagte Leistungsträger regelmäßig den Anspruch dem Grunde nach umfassend geprüft, so dass die Abgabe entsprechender Erklärungen häufiger in Betracht kommt. Bei vollständig ablehnenden Verwaltungsentscheidungen reicht die Feststellung des Fehlens eines Tatbestandsmerkmals zur Begründung aus, so dass regelmäßig von Seiten des Trägers weitere Elemente noch nicht geprüft worden sind. Der Begriff des Elements knüpft an die Diktion des Teilelements an, worüber das Bundessozialgericht einen Vergleich für zulässig hält. Es kann sich dabei insbesondere auch um Berechnungselemente, d.h. um Teilsubsumtionsergebnisse, handeln. Das Unterstellen bestimmter Elemente kann positiver oder negativer Natur sein, d.h. auch das Fehlen bestimmter negativer Tatbestandsvoraussetzungen kann Gegenstand der Erklärungen der Beteiligten sein. Die deklaratorische Regelung des Absatzes 2 Satz 3 stellt klar, dass keine Abhängigkeit vom Streitgegenstandsbegriff besteht. Es handelt sich um eine Einschränkung des Streitstoffes, nicht des Streitgegenstandes. Die Regelung ist auch dann anwendbar, wenn auf ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X Klage erhoben wird und im Rahmen dessen höhere Leistungen als die ursprünglich zuerkannten begehrt werden. Absatz 2 Satz 4 erklärt die Regelung in Klageverfahren gegen Aufhebungsbescheide (§§ 45 f. SGB X) für entsprechend anwendbar. In diesen Verfahren ist vom Gericht ebenfalls die Leistungshöhe zu überprüfen, da der Umfang der Aufhebung hiervon abhängt. Zuerkannte Leistungen liegen auch dann vor, wenn diese tatsächlich gegenwärtig nicht gezahlt werden (so genannte Null-Leistungen), z.B. bei der Gewährung von Renten, auf die Einkommen anzurechnen ist.

Absatz 3 Nummer 1 regelt die Formerfordernisse für die Erklärungen. Erforderlich ist eine ausdrückliche Prozesserklärung. Die Schriftform wird auch durch die Abgabe der Erklärung in einer mündlichen Verhandlung oder in einem Erörterungstermin gewahrt. Eine bloße Konzentration des schriftsätzlichen Vortrags auf bestimmte Elemente reicht hingegen nicht aus. Den Anforderungen des § 123 Absatz 1 Satz 1 ist auch nicht durch "unstrittigen Sachvortrag" genügt. Wegem des Erfordernisses der Ausdrücklichkeit müssen auch weitere Erklärungen erkennen lassen, dass sie in dem Bewusstsein abgegeben werden, hierdurch auf eine gerichtliche Prüfung zu verzichten. Eine beidseitige Erklärung ist erforderlich, weil auch der Leistungsträger ein berechtigtes Interesse daran haben kann, nicht an Fehlern bei der Bescheidung zugunsten der Leistungsempfänger hinsichtlich einzelner Berechnungselemente festgehalten zu werden. Dies wäre jedoch der Fall, wenn allein auf eine Erklärung des Klägers abgestellt würde. Der Hinweis des Gerichts nach Nummer 2 muss sich nur auf die Folgen einer Erklärung nach Absatz 2 beziehen. Ein einmaliger Hinweis vor Abgabe der Erklärung reicht daher aus. Er muss nicht für jede Erklärung zu weiteren Elementen wiederholt werden.

Absatz 4 konkretisiert zunächst den allgemeinen Grundsatz des Verbots einer Überraschungsentscheidung. Die Beteiligten dürfen regelmäßig davon ausgehen, dass ihrer Erklärung gefolgt wird. Andernfalls ist ihnen rechtliches Gehör zu gewähren. Ob das Gericht die Elemente mit dem von den Beteiligten erklärten Inhalt ohne weitere Prüfung seiner Entscheidung zu Grunde legt, steht in seinem Ermessen. Dabei geht die Regelung in Absatz 4 davon aus, dass dies der Regelfall ist, weil die Dispositionsbefugnis der Beteiligten bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen ist. Eine anderweitige Ermessensausübung ist bei offenkundiger und grober Fehlerhaftigkeit der Erklärungen indiziert, die zu rechtsstaatlich nicht mehr vertretbaren Prozessergebnissen führen würde. Prüft das Gericht Elemente des vom Kläger begehrten Anspruchs, die Gegenstand einer diese Überprüfung ausschließenden Erklärung nach Absatz 2 sind, so erhalten die Beteiligten Gelegenheit, ihre Erklärung in Bezug auf weitere Elemente zu widerrufen. Denn die Beteiligten haben in bestimmten Situationen ihre Erklärung im Vertrauen darauf abgegeben, dass das Gericht diese insgesamt seiner Entscheidung zu Grunde legt. Die Möglichkeit der Lösung von der Wirkung der Erklärung entspricht dem Rechtsgedanken der Rechtsprechung und des Schrifttums zu § 124 Absatz 2 SGG, wonach die Beteiligten bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage nicht mehr an ihre Einverständniserklärung im Sinne von § 124 Absatz 2 SGG gebunden sind. Eine Widerrufsmöglichkeit verbunden mit einer ausdrücklichen Hinweispflicht entsprechend der Rechtslage zu § 128 Absatz 2 Satz 1 ZPO entspricht den Interessen der Beteiligten jedoch eher, weil die Aufrechterhaltung der Erklärungen im Übrigen der Regelfall sein dürfte. Die unnötige Wiederholung der bisherigen Erklärungen nach einem Hinweis des Gerichts wird so vermieden.

Zu Nummer 3

Die Ergänzung des § 130 Absatz 1 SGG stellt klar, dass ein Grundurteil auch in Höheverfahren ergehen kann. Dies entspricht bereits bestehender Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 9. Dezember 2004, Az.: B 7 AL 024/04 (PDF) R; Urteil vom 21. Juli 2009, Az.: B 7 AL 23/08 R). Zudem wird die Praxis rechtlich abgesichert, in solchen Fällen im Tenor die zu einer höheren Leistung führenden Elemente vorzugeben. Im Fall des § 123 Absatz 2 bietet es sich an, eine solche Entscheidung zu treffen. Die Berücksichtigung in § 130 Absatz 1 SGG führt dazu, dass das bisherige System der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nicht durchbrochen wird.

Zu Nummer 4

Zu Buchstabe a

§ 153 Abs. 4 gilt nach der Neuregelung auch für die Fälle, in denen das Landessozialgericht die Berufung einstimmig für begründet hält. Die Norm ist auch anwendbar, wenn es die Berufung einstimmig für teilweise begründet und im Übrigen für unbegründet hält. Die Möglichkeit, durch Beschluss über eine Berufung zu entscheiden, beschränkt sich auf Berufungen gegen Urteile. Die Ausnahme für Gerichtsbescheide bleibt - anders als in der VwGO geregelt - unangetastet. Eine § 130a Satz 2 VwGO vergleichbare Regelung ist nicht erforderlich. Entsprechende Regelungen sind bereits in § 153 Abs. 4 Satz 2 SGG und in § 153 Abs. 4 Satz 3 SGG i.V.m. § 158 Satz 3 und 4 SGG enthalten.

Zu Buchstabe b

Die Neufassung stellt klar, wer nach Übertragung auf den "kleinen Senat" für die Entscheidungen außerhalb der mündlichen Verhandlung, insbesondere über Prozesskostenhilfe, zuständig ist. Es ist sachgerecht, dass in diesen Fällen der Berichterstatter die Entscheidungen allein treffen kann.

Zu Nummer 5

Die Erklärung nach § 123 Absatz 2 wirkt für alle Instanzen. Allerdings kann das Landessozialgericht als vollständige Tatsacheninstanz das Ermessen, ob der Erklärung gefolgt wird, eigenständig ausüben.

Zu Nummer 6

Soweit in einem mit der Revision angefochtenen Urteil der Tatsacheninstanz von der Regelung des § 123 Absatz 2 Gebrauch gemacht worden ist, ist hieran grundsätzlich auch das Bundessozialgericht gebunden. Der Prüfung im Instanzenzug unterliegen selbstverständlich die Voraussetzungen für eine wirksame Erklärung nach § 123 Absätzen 2 bis 4. Sind die Voraussetzungen einer Beschränkung der Prüfungspflicht jedoch vom Tatsachengericht zu Recht angenommen worden, so steht dem Revisionsgericht keine eigene Ausübung des Ermessens nach § 123 Absatz 2 Satz 1 zu. Es ist an die Ausübung des Ermessens durch die Tatsacheninstanz in Fällen willkürlicher Entscheidung jedoch nicht gebunden. Einer gesetzlichen Regelung dieser Willkürgrenze bedarf es nicht.

II. Zu Artikel 2

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.