Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht

A. Problem und Ziel

B. Lösung

C. Alternativen

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

E. Sonstige Kosten

F. Bürokratiekosten

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht

Bundesrepublik Deutschland Berlin, den 10. August 2007
Die Bundeskanzlerin

An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Harald Ringstorff

Sehr geehrter Herr Präsident,

hiermit übersende ich gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes den von der Bundesregierung beschlossenen


mit Begründung und Vorblatt.
Die Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gemäß § 6 Abs. 1 NKRG ist als Anlage beigefügt.
Federführend ist das Bundesministerium der Justiz.


Mit freundlichen Grüßen
Dr. Angela Merkel
Fristablauf: 21.09.07

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Jugendgerichtsgesetzes

Das Jugendgerichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3427), zuletzt geändert durch ... (BGBl. I S. ....), wird wie folgt geändert:

Artikel 2
Änderung der Strafprozessordnung

§ 275a der Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch ... (BGBl. I S. ...) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

Artikel 3
Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes

Das Gerichtsverfassungsgesetz in der Fassung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch ... (BGBl. I S. ...), wird wie folgt geändert:

Artikel 4
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Begründung

A. Allgemeiner Teil

I. Probleme des geltenden Rechts

Gegen zur Tatzeit Jugendliche oder Heranwachsende, die nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden kann nach geltendem Recht eine Sicherungsverwahrung auch in Fällen einer vom Gericht angenommenen hohen künftigen Gefährlichkeit nicht angeordnet werden. Im Jugendstrafrecht ist die Verhängung dieser Maßregel nach § 7 in Verbindung mit § 2 JGG unzulässig. Die Gründe für diese Gesetzeslage finden sich zunächst in der besonderen Unsicherheit der notwendigen Gefährlichkeitsprognose bei jungen Menschen, die sich aus ihrer kürzeren Lebensgeschichte und Legalbiografie sowie ihrer noch nicht beendeten Entwicklung ergibt. Letztere bietet generell zudem besondere Chancen und Aussichten für eine positive Einwirkung während des Vollzugs der Jugendstrafe und entsprechende positive Veränderungen der Betroffenen. Außerdem beruht der bisherige Verzicht auf eine Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht auf dem besonderen Gewicht des Eingriffs, das ein möglicherweise lebenslanger Freiheitsentzug bei jungen Menschen noch weitaus stärker als bei älteren Erwachsenen hätte, und schließlich auf der staatlichen Verantwortung für die Förderung ihrer positiven Entwicklung.

Auf der anderen Seite stehen der staatliche Schutzauftrag gegenüber potenziellen Opfern und deren Rechte auf Leben und körperliche und seelische Unversehrtheit, die durch erwartbare schwerwiegende Straftaten bedroht werden (vgl. BVerfGE 109, 190 ff., 236). Beispiele der jüngeren Vergangenheit haben gezeigt, dass es auch bei Personen, die wegen gravierender Verbrechen nach Jugendstrafrecht verurteilt wurden, Fälle geben kann, in denen nach Einschätzung von Gutachtern und Justiz nach oder noch nach Verbüßung einer mehrjährigen Jugendstrafe von einer entsprechenden hohen künftigen Gefährlichkeit für andere auszugehen ist. Soweit die Betroffenen als schuldfähig gelten und keine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in Betracht kommt, bietet das bisherige Recht keine ausreichende rechtliche Grundlage dafür, sie zum Schutz der Allgemeinheit weiterhin in staatlichem Gewahrsam zu belassen.

II. Lösung

In Fällen schwerster Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung sowie in Fällen von Raub- oder Erpressungstaten mit Todesfolge wird durch eine Ergänzung von § 7 JGG auch bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht die nachträgliche Anordnung einer Sicherungsverwahrung ermöglicht.

Der Gesetzgeber kann heute nicht mehr ausnahmslos davon ausgehen, dass sich bei jungen Menschen die erforderliche Gefährlichkeitsprognose niemals mit ausreichender Sicherheit treffen lässt. Gleichwohl bleibt sie gerade bei ihnen generell einer besonderen Unsicherheit ausgesetzt. Bei der Begutachtung werden deshalb die auch vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Qualitätsanforderungen (vgl. BVerfGE 109, 133 ff., 158, 164 f.; 109, 190 ff., 240 f.) mit höchster Sorgfalt zu beachten sein. Wenn aber im besonderen Einzelfall bei einem jungen Täter seine hohe künftige Gefährlichkeit mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden kann, verbietet der Schutzauftrag des Staates gegenüber potenziellen Opfern seine Freilassung, wenn andernfalls schwerste Schädigungen von Opfern zu erwarten wären.

Der Entwurf sieht bei nach Jugendstrafrecht Verurteilten nur die nachträgliche und nicht auch die vorbehaltene oder unmittelbar mit dem erkennenden Urteil angeordnete Sicherungsverwahrung vor. In aller Regel werden zum Urteilszeitpunkt bei jungen Tätern die Feststellung eines Hanges zu schweren Straftaten und eine ausreichend sichere Gefährlichkeitsprognose noch nicht möglich sein. Auch der möglicherweise präjudizielle, in jedem Fall aber die weitere Entwicklung eines jungen Menschen belastende Vorbehalt einer Sicherungsverwahrung soll nicht ausgesprochen werden. Die Entwicklung von Jugendlichen und von Heranwachsenden, die nach Jugendstrafrecht verurteilt werden, ist zum Zeitpunkt der Verurteilung regelmäßig noch nicht abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt lässt sich deshalb und wegen der besonderen Einwirkungsmöglichkeiten des Jugendstrafvollzugs, einschließlich der Möglichkeit einer Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt, selbst bei entsprechenden Anzeichen nicht mit hinreichender Sicherheit einschätzen, ob der Verurteilte auch nach der Verbüßung der vorausgesetzten mindestens siebenjährigen Jugendstrafe noch so gefährlich sein wird, dass eine Sicherungsverwahrung angeordnet werden muss. Darum darf die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung erst aufgrund einer umfassenden Gesamtwürdigung am Ende des Vollzugs der Jugendstrafe getroffen werden. Diese Verlagerung des Entscheidungszeitpunkts an das Ende des Vollzugs ist bei jungen Menschen im Regelfall zur Erhöhung der Prognosesicherheit geboten. Allerdings ist der neue § 7 Abs. 2 JGG, wie sein Wortlaut verdeutlicht ("sind nach einer Verurteilung [...] Tatsachen erkennbar" und nicht "werden nach einer Verurteilung [...] Tatsachen erkennbar"], auch dann anwendbar, wenn die wesentlichen die Gefährlichkeit begründenden Tatsachen bereits zum Zeitpunkt des Urteils erkennbar waren und im Jugendstrafvollzug keine erheblichen "neuen" Tatsachen hervorgetreten sind. Auch in derartigen Extremfällen bleibt indes gleichwohl geboten, auf eine Gesamtwürdigung unter Einbeziehung der Entwicklung während des Vollzugs der Jugendstrafe abzustellen. Daraus können sich Umstände ergeben, die einer sich ursprünglich abzeichnenden Gefährlichkeit inzwischen entgegenstehen; bei Fortsetzung der problematischen Entwicklung des Jugendlichen oder Heranwachsenden erhöhen diese Umstände andererseits die Prognosesicherheit.

Daneben wird dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung getragen, dass die Voraussetzungen der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei nach Jugendstrafrecht Verurteilten deutlich strenger gefasst werden als im allgemeinen Strafrecht. Zum einen wird der Katalog der Anlasstaten noch enger auf schwerste Verbrechen gegen andere Personen beschränkt. Dabei müssen - wie in § 106 Abs. 3, 5 und 6 JGG - bereits diese und nicht erst die zu erwartenden künftigen Straftaten mit einer schweren seelischen oder körperlichen Schädigung oder Gefährdung des Opfers verbunden gewesen sein. Zum anderen wird eine Verurteilung zu einer Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren verlangt (gegenüber einer Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren in den entsprechenden Bestimmungen des § 66b Abs. 2 des Strafgesetzbuchs (StGB) und des § 106 Abs. 5 JGG bei Verurteilungen nach allgemeinem Strafrecht). Ferner wird die regelmäßige Frist zur Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auf ein Jahr verkürzt.

III. Gesetzgebungskompetenz

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgt aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 1 des Grundgesetzes (Strafrecht, gerichtliches Verfahren).

Der Gesetzentwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar.

Eine Befristung der in Artikel 1 bis 3 des Entwurfs vorgeschlagenen Regelungen scheidet aus weil sie als Dauerregelungen angelegt sind, bis der Gesetzgeber eine Änderung für angezeigt hält.

Es ist auch nicht angezeigt, einen bestimmten Zeitpunkt für die Prüfung festzulegen, ob die mit dem Gesetz beabsichtigten Wirkungen erreicht worden sind, welche Nebenwirkungen eingetreten sind und ob die entstandenen Kosten in einem angemessenen Verhältnis zu den Ergebnissen stehen. Gegenwärtig ist nicht absehbar, ob und wann die nachträgliche Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht tatsächlich zur Anwendung kommen muss. Die aufgezeigten Fragen werden erst nach den Erfahrungen der Justizpraxis und gerichtlichen Entscheidungen zu einschlägigen Fällen zu klären sein.

IV. Kosten und Preise

Unmittelbare Haushaltsausgaben entstehen nicht.

Finanzielle Auswirkungen durch den Vollzug des Entwurfs entstehen für den Bundeshaushalt ebenfalls nicht. Fälle, in denen der Generalbundesanwalt die Vollstreckung betreibt, dürften nicht vorkommen.

Für die Länderhaushalte ergeben sich gewisse Mehrbelastungen:

Die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung auch bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht wird in den wenigen zu erwartenden Fällen zu zusätzlichen Verfahrenskosten führen (vgl. § 275a StPO), einschließlich weiterer Gutachten und Rechtsmittelverfahren.

Hinzu kommen Mehrkosten im Vollzug aufgrund der längeren Verweildauer und möglicherweise erforderlicher besonderer Einrichtungen und Maßnahmen für junge Untergebrachte in den Justizvollzugsanstalten. Allerdings wird es lediglich um wenige Einzelfälle gehen, so dass der Mehraufwand kaum ins Gewicht fallen dürfte. Dies gilt schließlich auch hinsichtlich Mehrkosten aufgrund der generellen Festlegung der Zuständigkeit der Jugendkammer als erkennendes Gericht des ersten Rechtszugs für Fälle, in denen im Hinblick auf ihre formalen Voraussetzungen eine nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Betracht kommt, zumal dadurch auch eine sonst eventuell mögliche zweite Tatsacheninstanz entfällt. Nach der Strafverfolgungsstatistik für das Jahr 2005, die sich auf die alten Bundesländer einschließlich Gesamt-Berlin bezieht, erhielten insgesamt nur 83 Verurteilte eine Jugendstrafe von fünf oder mehr Jahren. Darin enthalten sind aber auch Fälle, die nicht in den Katalog des neuen § 7 Abs. 2 JGG fallen oder bei denen es sich nicht um Verbrechen handelt. Unter den verbleibenden Fällen, die die Voraussetzungen der neuen Zuständigkeitsvorschrift erfüllen, dürfte es sich im Übrigen vielfach um solche handeln, die ohnehin in die Zuständigkeit der Jugendkammer fallen würden, sei es als Schwurgerichtssachen (§ 41 Abs. 1 Nr. 1 JGG; 25 der vorgenannten 83 Fälle entfielen z.B. allein auf Mord und Totschlag), sei es wegen des besonderen Umfangs der Sache (§ 40 Abs. 2, § 41 Abs. 1 Nr. 2 JGG).

Auswirkungen auf Kosten, die außerhalb der öffentlichen Haushalte entstehen, oder auf Einzelpreise und das allgemeine Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau, sowie auf Kosten für die Wirtschaft, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, und für soziale Sicherungssysteme sind nicht zu erwarten.

Informationspflichten für Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger oder für die Verwaltung werden nicht eingeführt, vereinfacht bzw. geändert oder abgeschafft.

V. Auswirkungen von gleichstellungspolitischer Bedeutung

Der Entwurf hat keine erkennbaren gleichstellungspolitischen Auswirkungen. Grundsätzlich sind weibliche und männliche Personen von den Vorschriften des Entwurfs in gleicher Weise betroffen.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des Jugendgerichtsgesetzes)

Zu Nummer 1 ( § 7 JGG)

Zu Buchstabe a

Es handelt sich hier um eine redaktionelle Änderung aufgrund der Anfügung der neuen Absätze 2 bis 4 an den bisherigen Text von § 7.

Zu Buchstabe b

Die Maßregeln der Besserung und Sicherung im Sinne des allgemeinen Strafrechts, die im Jugendstrafrecht verhängt werden können, werden in § 7 aufgeführt. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gehört bisher nicht dazu. Durch eine Ergänzung des § 7 wird sie erstmalig auch für den Anwendungsbereich des Jugendstrafrechts eingeführt, indem die Möglichkeit eröffnet wird, die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach einer Verurteilung zu Jugendstrafe oder nach einer jugendstrafrechtlichen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nachträglich anzuordnen.

Der neue Absatz 2 des § 7 regelt die Voraussetzungen der nachträglichen Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach einer Verurteilung zu Jugendstrafe.

Die Vorschrift lehnt sich an die bestehenden Bestimmungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung für erwachsene und nach allgemeinem Strafrecht verurteilte heranwachsende Ersttäter in § 66b Abs. 2 StGB und § 106 Abs. 5 JGG an. Sie kann bei besonders gravierenden Verbrechen auch hier im Extremfall Täter ohne einschlägige Vorverurteilungen erfassen, wenn deren hohe künftige Gefährlichkeit für andere aufgrund einer Gesamtwürdigung vor Ende des Vollzugs der Jugendstrafe anzunehmen ist. Dabei ist der Wortlaut ("sind [...] erkennbar" und nicht "werden [...] erkennbar") so gefasst, dass für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht ausnahmslos und stets erhebliche "neue" Tatsachen vorauszusetzen sind, die sich aus der Entwicklung während des Vollzugs ergeben oder sonst erst nach der Verurteilung erkennbar werden. Denn es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass sich in Einzelfällen bereits zum Zeitpunkt des ursprünglichen Urteils erhebliche Hinweise auf eine hohe künftige Gefährlichkeit zeigen. Gleichwohl bestehen bei Jugendlichen aufgrund ihrer noch nicht abgeschlossenen Entwicklung und jedenfalls auch bei den nach Jugendstrafrecht verurteilten Heranwachsenden, für die die nicht abgeschlossene Entwicklung in den hier betroffenen Fällen regelmäßige Voraussetzung der Anwendung von Jugendstrafrecht ist generell besondere Chancen und Aussichten für eine positive Veränderung während des Vollzugs der Jugendstrafe. Deshalb ist es geboten, die Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung ausschließlich erst nachträglich aufgrund einer umfassenden Gesamtwürdigung vor Ende des Strafvollzugs zu treffen. Schon weil die anfängliche und die vorbehaltene Sicherungsverwahrung aber nicht nur aus Gründen anfänglicher Prognoseunsicherheit rechtlich nicht eröffnet werden, sondern eben auch wegen der besonderen positiven Entwicklungschancen, kann es hierbei nicht zwingend auf erhebliche neue Tatsachen ankommen die die Gefährlichkeit belegen.

An den Inhalt und die Qualität der Prognose sind auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in jedem Fall strengste Anforderungen zu stellen.

Generell bleibt aber gerade bei jungen Menschen die Prognosesicherheit problematisch.

Zugleich kommt für sie der Aussicht einer möglicherweise lebenslangen Sicherungsverwahrung eine noch schwerer wiegende Bedeutung zu als bei älteren Erwachsenen. Neben der staatlichen Verantwortung für die Förderung einer positiven Entwicklung junger Menschen, auch wenn es dabei um Straftäter geht, gebietet deshalb auch der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, die Möglichkeit einer Sicherungsverwahrung auf gravierendste Fälle zu beschränken. Je schwerwiegender die drohende Verletzung anderer Rechtsgüter ist und je hochrangiger diese sind, desto eher kann auch ein derart schwerwiegender Eingriff wie die Sicherungsverwahrung gerechtfertigt sein.

Der neue § 7 Abs. 2 fasst die Voraussetzungen der nachträglichen Sicherungsverwahrung zur Begrenzung auf äußerste Fälle daher noch strenger als die eingangs genannten bestehenden Vorschriften.

Als Anlasstaten, die der Ausgangsverurteilung zugrunde liegen, kommen Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung in Betracht, also Straftaten nach dem 16., 17. und 13. Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs, sowie Raubverbrechen mit Todesfolge einschließlich des räuberischen Diebstahls und der räuberischen Erpressung ( § 251 StGB, gegebenenfalls in Verbindung mit § 252 oder § 255 StGB). Damit wird bereits durch den formalen Katalog der - regelmäßig auch in erheblichem Maße prognoserelevanten - Anlasstaten auf eine Beschränkung auf schwerwiegendste Fälle hingewirkt. Zusätzlich wird, wie in § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, Abs. 5 JGG, eine materielle Qualifizierung bereits der Anlasstaten und nicht erst der künftig zu erwartenden Straftaten durch das Erfordernis einer schweren seelischen oder körperlichen Schädigung oder Gefährdung des Opfers vorausgesetzt.

Die Formulierung, dass die Verurteilung "wegen oder auch wegen" eines der genannten Verbrechen erfolgt sein muss, begründet sich dabei im Hinblick auf die festgesetzte Mindestdauer der Jugendstrafe daraus, dass hier auch eine Einheitsjugendstrafe nach § 31 JGG vorliegen kann. Anders als bei der Gesamtstrafenbildung im allgemeinen Strafrecht nach den §§ 53, 54 StGB lässt sich dabei im Falle verschiedener gleichzeitig abgeurteilter Straftaten nicht bestimmen, welche Strafe für die hinsichtlich der Sicherungsverwahrung maßgebliche Anlasstat konkret verwirkt wäre. Allerdings wird angesichts der hier vorausgesetzten Art und Qualität der Anlasstat diese in der Regel auch von wesentlicher Bedeutung für die Bildung einer Einheitsjugendstrafe sein. Deshalb ist es gerechtfertigt, im Rahmen des neuen § 7 Abs. 2 auch eine solche als tauglichen Schwereindikator genügen zu lassen, zumal geeignete Alternativen nicht bestehen. Dies gilt auch generell hinsichtlich des Abstellens auf die Dauer der erkannten Jugendstrafe. Zwar bestimmt sich deren Bemessung primär nach erzieherischen Belangen (vgl. § 18 Abs. 2 JGG) und nicht nach den Strafzumessungsregeln des allgemeinen Strafrechts. Bei Jugendstrafen über fünf Jahren kann aber regelmäßig davon ausgegangen werden, dass - mit der Höhe zunehmend - auch Schuldgesichtspunkte von wesentlicher Bedeutung für die Festsetzung der Strafe waren.

Der neue § 7 Abs. 2 verlangt eine Verurteilung zu einer Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren. Diese Erhöhung gegenüber der sonst vorgesehenen Schwelle von fünf Jahren Freiheitsstrafe entspricht den zuvor dargelegten Verhältnismäßigkeitserwägungen und erscheint auch wegen der besonderen Strafzumessungsregeln des Jugendstrafrechts und der Einbeziehung möglicher Einheitsjugendstrafen angezeigt. Mit einer Festlegung auf die Höchstjugendstrafe von zehn Jahren würde zwar die Begrenzung auf allerschwerste Fälle noch stärker sichergestellt. Sie würde aber nicht zur Erfassung aller einschlägigen Fälle mit schwerwiegender Schädigung der Opfer genügen. Von der Verhängung der Höchststrafe wird in der Praxis nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht, zumal diese auch nach der Rechtsprechung der Obergerichte für die denkbar schwersten Fälle vorzubehalten ist. Die Schwelle von sieben Jahren bietet demgegenüber eine angemessene Grenzziehung.

Hinsichtlich der erforderlichen Gesamtwürdigung und der Gefährlichkeitsprognose entspricht der neue § 7 Abs. 2 im Wesentlichen den bestehenden einschlägigen Bestimmungen. Ähnlich wie in § 106 Abs. 5 JGG und anders als in § 66b Abs. 2 StGB, der auf zu erwartende "erhebliche Straftaten ..." abstellt, richtet sich die Gefährlichkeitsprognose hier auf Straftaten der zuvor beschriebenen Art, also mit der materiellen und der durch Deliktskatalog vorgegebenen Begrenzung.

Der neue § 7 Abs. 3 schafft die Möglichkeit einer nachträglichen Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht auch für den Fall, dass sich eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB in Verbindung mit §§ 2, 7 Abs. 1 (neu) JGG erledigt, der Betroffene aber weiterhin als hochgefährlich für andere anzusehen ist. Auch in derartigen nicht auszuschließenden Konstellationen muss zum Schutz der Allgemeinheit eine Rechtsgrundlage für die Sicherungsverwahrung vorhanden sein. Die Vorschrift entspricht im Wesentlichen den Regelungen in § 66b Abs. 3 StGB und § 106 Abs. 6 JGG. Dabei wird sowohl hinsichtlich der Anlasstaten als auch hinsichtlich der künftig zu erwartenden Straftaten auf solche der in Absatz 2 bezeichneten Art abgestellt, also wiederum mit der materiellen Eingrenzung und derjenigen des Katalogs. Wegen der Einzelheiten der Ausgestaltung der Vorschrift und der Begründung kann im Übrigen auf die Gesetzgebungsmaterialien zu den vorgenannten Vorschriften verwiesen werden, die erst durch das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl. I S. 1838) geschaffen wurden.

Der neue § 7 Abs. 4 stellt in seinem Satz 1 die Anwendbarkeit des § 275a StPO und der §§ 74f und 120a des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) klar. Auf diese einschlägigen Verfahrens- und Zuständigkeitsvorschriften in der Strafprozessordnung und dem Gerichtsverfassungsgesetz wird hier aus dem jugendstrafrechtlichen Regelungskontext verwiesen, statt § 7 Abs. 2 und 3 JGG jeweils in den betroffenen Vorschriften anzuführen. Da dort jeweils klar erkennbar ist, welche konkreten Bestimmungen sich auf die nachträgliche Sicherungsverwahrung beziehen entsteht durch den allgemeinen Verweis keine Rechtsunsicherheit. Durch die entsprechende Anwendung treten an die Stelle der Angaben § 66b, § 66b Abs. 2, § 66b Abs. 3 StGB die jeweils kongruierenden Vorschriften des § 7 Abs. 2 und/oder 3 JGG und an die Stelle der Freiheitsstrafe die Jugendstrafe.

Die Regelungen über das Verfahren und die Entscheidung in § 275a StPO stellen sich auch für Fälle einer vorangegangenen Verurteilung oder Unterbringung nach Jugendstrafrecht als angemessen dar; jugendstrafrechtlicher Sonderbestimmungen bedarf es insoweit nicht. Gleiches gilt für die betroffenen Zuständigkeitsvorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes.

Aus der entsprechenden Anwendung des § 74f GVG ergibt sich, dass für die Verhandlung und Entscheidung über die nachträgliche Sicherungsverwahrung grundsätzlich das Tatgericht zuständig ist. Hatte als solches - in den vorliegend betroffenen Fällen höchstens ausnahmsweise - das Jugendschöffengericht entschieden (etwa weil zunächst eine geringere Straferwartung bestand als nach § 41 Abs. 1 Nr. 4 (neu) vorausgesetzt), so wird die Zuständigkeit auf die Jugendkammer des übergeordneten Landgerichts verlagert. Da schließlich nach § 102 JGG die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte durch die Vorschriften des Jugendgerichtsgesetzes nicht berührt wird, kann in Einzelfällen auch ein Strafsenat in Anwendung von Jugendstrafrecht entschieden haben. § 7 Abs. 4 Satz 1 verweist daher auch auf § 120a GVG.

§ 7 Abs. 4 Satz 2 (neu) verkürzt die Frist zur regelmäßigen Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung von zwei Jahren ( § 67e Abs. 2 StGB) auf ein Jahr. Dies erscheint wegen der besonderen Entwicklungsaussichten und aus Verhältnismäßigkeitserwägungen wegen der besonderen Eingriffsschwere bei jungen Menschen geboten. Da es sich um eine jugendstrafrechtliche Sonderregelung handelt, ist diese hier zu treffen und nicht durch eine Ergänzung von § 67e StGB. Die Möglichkeit des Gerichts zur jederzeitigen Prüfung und zur Festsetzung kürzerer Fristen (§ 67e Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 StGB in Verbindung mit § 2 JGG) bleibt unberührt.

Zu Nummer 2 (§ 41 Abs. 1 Nr. 5 - neu - JGG)

Die Zuständigkeit der Jugendkammer für die Verhandlung und Entscheidung über die nachträgliche Sicherungsverwahrung ergibt sich bereits aus § 7 Abs. 4 Satz 1 (neu) JGG in Verbindung mit § 74f Abs. 2 GVG, der für entsprechende Fälle die Zuständigkeitsverlagerung vom Amtsgericht auf das Landgericht regelt, die Zuweisung zu den Jugendgerichten aber unberührt lässt. Darüber hinaus soll die Jugendkammer stets bereits als erkennendes Tatgericht zuständig sein, wenn eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung in Betracht kommt. Wegen der Schwere des - potenziellen - Eingriffs erscheint dies geboten.

Außerdem soll damit möglichst vermieden werden, dass Tatgericht und über die nachträgliche Sicherungsverwahrung entscheidendes Gericht auseinanderfallen.

Anders als § 74 Abs. 1 Satz 2 GVG stellt die neue Nummer 5 des § 41 Abs. 1 JGG jedoch nicht darauf ab, dass die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu erwarten ist, und verlangt auch nicht - offener - eine materielle Prüfung, ob eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung in dem betroffenen Fall in Betracht kommt. Beides würde nämlich bereits eine - wenngleich vorläufige und unsichere - Gefährlichkeitsprognose erfordern, und zwar schon vor der Anklageerhebung. Dies wäre hier in doppelter Hinsicht verfehlt: Zum einen wäre angesichts der Entwicklungssituation und der weiteren bereits dargelegten Gründe eine entsprechende Prognose bei jungen Menschen, die noch nach Jugendstrafrecht verurteilt werden selbst zum Urteilszeitpunkt nach abgeschlossener Beweisaufnahme generell besonderen Unsicherheiten ausgesetzt. Zum anderen wird eben deshalb gegen die nach Jugendstrafrecht verurteilten jungen Menschen nur die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zugelassen. Die Bewertung vor Anklageerhebung müsste also auch die regelmäßig ungewisse Entwicklung während des Vollzugs einer mindestens siebenjährigen Jugendstrafe mit einbeziehen und sich damit auf die Möglichkeit einer nachträglichen Anordnung in fernerer Zukunft richten.

Deshalb stellt die neue Zuständigkeitsvorschrift allein auf die äußeren Voraussetzungen der nachträglichen Sicherungsverwahrung ab. Es muss sich um ein Verbrechen aus dem Katalog des neuen § 7 Abs. 2 JGG handeln, durch das das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer entsprechenden Gefahr ausgesetzt wurde. Außerdem muss eine Jugendstrafe von mehr als fünf Jahren zu erwarten sein. Die Grenze wird hier schon bei fünf Jahren gezogen, da vor Anklageerhebung auch die Sanktionsprognose noch nicht präzise getroffen werden kann und die Einschätzung bezüglich einer Strafe von mehr als fünf Jahren sicherlich eher möglich ist als bezüglich einer Strafe von mehr als sieben Jahren.

Mit dieser Regelung werden die Voraussetzungen der neuen Zuständigkeitsvorschrift zwar auch in Fällen erfüllt sein, in denen keine Anzeichen für eine erhebliche künftige Gefährlichkeit bestehen. Dabei wird es angesichts der in Rede stehenden Taten vielfach aber um Fälle gehen bei denen auch sonst die Jugendkammer zuständig wäre. Auch im Übrigen erscheint angesichts entsprechender Taten und Sanktionserwartung die Zuständigkeit der Jugendkammer angemessen.

Zu Nummer 3 (§ 82 Abs. 3 - neu - JGG)

Der neue Absatz 3 des § 82 bestimmt, dass hinsichtlich der Vollstreckung die allgemeinen Vorschriften anzuwenden sind (also nicht die §§ 82 ff. JGG mit dem Jugendrichter als Vollstreckungsleiter), wenn der Betroffene das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat.

Die letztgenannte Bedingung hat eigenständige Bedeutung nur für den von der gesetzlichen Regelung nicht grundsätzlich ausgeschlossenen Fall, dass eine jüngere Person von einer nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 3 - neu - betroffen ist. Allerdings erscheint dies als eher theoretische denkbare Konstellation. Nicht nur müsste der Betroffene wegen mehrerer der bezeichneten schweren Verbrechen nach § 63 StGB untergebracht worden oder bereits früher wegen eines solchen Verbrechens zu mindestens drei Jahren Jugendstrafe verurteilt oder deswegen schon einmal nach § 63 StGB untergebracht worden sein. Es müsste bei einem so jungen Menschen auch noch eine ausreichend sichere Prognose hinsichtlich der einschlägigen künftigen Gefährlichkeit möglich sein, obwohl die Voraussetzungen einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus inzwischen entfallen sind und diese Maßregel deshalb für erledigt zu erklären ist.

Jedenfalls in den Fällen des § 7 Abs. 2 - neu - werden Betroffene zum Zeitpunkt der nachträglichen Sicherungsverwahrung ohnehin ausschließlich Erwachsene sein (selbst ein mit 14

Jahren Verurteilter wäre nach sieben Jahren Jugendstrafe 21 Jahre alt), und auch die Altersgrenze des § 85 Abs. 6 JGG dürfte in den meisten Fällen erreicht sein.

Zu Nummer 4 (§ 106 Abs. 7 - neu - JGG)

Bisher werden § 106 Abs. 3, 5 und 6 in den einschlägigen Verfahrens- und Zuständigkeitsvorschriften der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes jeweils konkret angeführt weil es hier um nach allgemeinem Strafrecht Verurteilte geht und vermieden werden sollte dass bei Anwendung der allgemeinen Vorschriften die im Jugendgerichtsgesetz eingeführten Sonderbestimmungen übersehen werden. Da es sich andererseits eben um im Jugendgerichtsgesetz getroffene Sondervorschriften handelt und eine Gefahr, dass diese übersehen werden, inzwischen nicht mehr zu gewärtigen ist, erscheint es - auch aus Gründen der Einheitlichkeit und Übersichtlichkeit - angemessen, den Verweis auf die allgemeinen Vorschriften wie bei § 7 Abs. 4 Satz 1 (neu) JGG aus dem Regelungskontext der Sondervorschriften heraus vorzunehmen. Dies geschieht durch den neuen Absatz 7 des § 106. Die entsprechenden Angaben in den betroffenen StPO- und GVG-Vorschriften sind als Folge zu streichen. Zuordnungsprobleme hinsichtlich der konkret anwendbaren Bestimmungen ergeben sich daraus auch hier nicht.

Zu Artikel 2 (Änderung der Strafprozessordnung)

Es handelt sich um Folgeänderungen aufgrund der in Artikel 1 Nr. 4 vorgesehenen Änderung.

Zu Artikel 3 (Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes)

Es handelt sich um Folgeänderungen aufgrund der in Artikel 1 Nr. 4 vorgesehenen Änderung.

Zu Artikel 4 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

->

Anlage
Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gem. § 6 Abs. 1 NKR-Gesetz:
Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht

Der Nationale Normenkontrollrat hat den Gesetzentwurf auf Bürokratiekosten, die durch Informationspflichten begründet werden, geprüft.

Mit dem Gesetz werden keine Informationspflichten neu eingeführt, geändert oder aufgehoben. Es entstehen keine Bürokratiekosten für Wirtschaft, Bürger und Verwaltung.

Daher hat der Nationale Normenkontrollrat im Rahmen seines gesetzlichen Prüfauftrages keine Bedenken gegen das Regelungsvorhaben.

Dr. Ludewig Bachmaier
Vorsitzender Berichterstatter