Beschluss des Deutschen Bundestages
Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren

Der Deutsche Bundestag hat in seiner 130. Sitzung am 29. September 2011 zu dem von ihm verabschiedeten Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren - Drucksachen 17/3802, 17/7217 - die beigefügte Entschließung unter Nummer 2 der Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7217angenommen.

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wird ein eigener staatshaftungsrechtlicher Entschädigungsanspruch wegen überlanger Dauer eines gerichtlichen Verfahrens oder eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens eingeführt. Dieser Anspruch ist gemäß § 198 Absatz 1 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) auf eine angemessene Entschädigung gerichtet.

Damit fügt sich der Entschädigungsanspruch in das bestehende System der staatlichen Ersatzleistungen ein. Insbesondere wird er zum Amtshaftungsanspruch nach § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in Verbindung mit Artikel 34 des Grundgesetzes in das passende Verhältnis gesetzt. Während durch den Amtshaftungsanspruch unter der Voraussetzung eines schuldhaften Verhaltens umfassender Schadensersatz einschließlich des entgangenen Gewinns nach den Regeln der §§ 249 ff. BGB gewährt wird, wird auf der Grundlage des neuen Entschädigungsanspruchs der eingetretene Substanzverlust ausgeglichen, ohne dass ein schuldhaftes Verhalten vorliegen muss.

Gemäß § 198 Absatz 2 Satz 1 GVG wird im Falle einer unangemessenen Verfahrensdauer zugunsten des Geschädigten widerlegbar vermutet, dass ein immaterieller Schaden entstanden ist. Diese Vermutungsregelung trägt unter anderem der Tatsache Rechnung, dass im Bereich der nicht auf das Vermögen bezogenen Nachteile ein Beweis oft nur schwierig oder gar nicht zu führen ist. Demgegenüber sind im Hinblick auf einen Vermögensschaden Nachteil und Ursächlichkeit im Entschädigungsprozess vom Geschädigten nachzuweisen. Der Geschädigte kann sich hier aber nach den von der Rechtsprechung geprägten Regeln über den Anscheinsbeweis darauf beschränken, die überlange Verfahrensdauer sowie den eingetretenen Schaden zu beweisen, soweit nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung oder eine tatsächliche Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang besteht (vgl. BGH NJW 2004, 1381 m.w. N.).

Vor diesem Hintergrund geht der Deutsche Bundestag davon aus, dass der staatshaftungsrechtliche Entschädigungsanspruch im Falle unangemessener Verfahrensdauer - auch unter Berücksichtigung der Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention - eine sachgerechte Ausgestaltung erfahren hat. Ob diese Entschädigung - auch im Hinblick auf die Systematik und die notwendige Kodifizierung des Staatshaftungsrechts - den Haftungsgrund sowie die schutzwürdigen Belange der Betroffenen hinreichend berücksichtigt, sollte jedoch weiter beobachtet werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

Die Erfahrungen mit der Anwendung des Gesetzes sind nach Ablauf von zwei Jahren nach dem Inkrafttreten zu evaluieren und dem Deutschen Bundestag ist auf dieser Grundlage unverzüglich Bericht zu erstatten. Im Rahmen der Evaluierung und des Berichts ist zu prüfen und zu erläutern, ob der Umfang des Entschädigungsanspruchs für materielle Nachteile sowie die Anforderungen an den Nachweis der Kausalität bei materiellen Schäden dem Haftungsgrund sowie den Belangen der Betroffenen angemessen Rechnung tragen."