Empfehlungen der Ausschüsse
Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes

892. Sitzung des Bundesrates am 10. Februar 2012

Der federführende Rechtsausschuss (R), der Finanzausschuss (Fz) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

Der Bundesrat begrüßt, dass die Bundesregierung ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs prüft, inwieweit ein erleichterter Zugang zum Musterverfahren eingeführt werden sollte.

Der Bundesrat ist der Auffassung, dass noch innerhalb des weiteren parlamentarischen Verfahrens eine Lösung erarbeitet werden sollte, die es Kapitalanlegern auch unterhalb der Schwelle einer förmlichen Klageerhebung ermöglicht, eine Hemmung der Verjährung herbeizuführen, sich an einem etwaigen Vergleichsschluss zu beteiligen oder an ein anderweitiges Ergebnis des Musterverfahrens zu binden.

Begründung:

Die bisherige Konzeption des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes führt zu einem faktischen Zwang zur Klageerhebung für jeden einzelnen Anspruchsteller. Um an den Ergebnissen des Musterverfahrens partizipieren oder auch nur dessen Ausgang abwarten zu können, ohne die Verjährung der eigenen Ansprüche zu riskieren, muss der einzelne Anspruchsteller bislang Klage erheben. Er trägt hinsichtlich dieser das volle Kostenrisiko, was eine erhebliche Zutrittsschwelle darstellt. Außerdem belastet er die Instanzgerichte zusätzlich.

Dem könnte durch einen gestuften Ansatz begegnet werden. Ein denkbarer Ansatz wäre, dass Anspruchsteller nach Eröffnung eines Musterverfahrens mittels Erklärung gegenüber dem Oberlandesgericht an bestimmten Wirkungen des Musterverfahrens teilhaben können und - mit abgestuften Beteiligungsrechten im Verfahren - gleichzeitig an dessen Kosten beteiligt werden.

2. Zu Artikel 1 (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 KapMuG), Artikel 2 Nummer 1 (§ 32b Absatz 1 Nummer 2 ZPO), Artikel 3 (§ 71 Absatz 2 Nummer 3 GVG)

Begründung:

Die vorgesehene Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) begegnet durchgreifenden Bedenken. Durch sie soll insbesondere auch in solchen Verfahren die Möglichkeit eines Musterverfahrens eröffnet werden, in denen ein Anspruch aus fehlerhafter Anlagevermittlung und -beratung geltend gemacht wird. [Doch gerade in diesen Fällen wäre den Interessen schutzbedürftiger Anleger durch die Einbeziehung in den Anwendungsbereich des KapMuG regelmäßig nur auf den ersten Blick gedient. Unter dem Strich drohen indes gerade denjenigen Anlegern, deren Ansprüche sich auf fehlerhafte Beratung oder Vermittlung stützen, durch die Erweiterung des Anwendungsbereichs erhebliche Nachteile vor allem in Gestalt von ebenso deutlichen wie unnötigen Verfahrensverzögerungen.]

Die vorgesehene Änderung lässt nämlich außer Acht, dass ein jedes Beratungs- und Vermittlungsgespräch einen individuellen Charakter hat und es darum an dem erforderlichen Gleichlauf der Verfahren fehlt. Ferner lässt die Feststellung einer falschen Kapitalmarktinformation nicht zwingend die Schlussfolgerung zu, dass auch der jeweilige Anlageberater bzw. -vermittler eine schuldhafte Pflichtverletzung begangen hat, so dass die Entscheidungserheblichkeit dieser Vorfrage vielfach nicht sicher oder mit angemessenem Aufwand zu beantworten sein wird. [Es liegt auf der Hand, dass die damit verbundene Prüfung durch das Prozessgericht das jeweilige Verfahren aufhält.] So wird es einer Aufklärung des Sachverhaltes zum in der Regel streitig vorgetragenen Inhalt des Anlageberatungsgesprächs bedürfen, bevor für die Zulässigkeit des Musterverfahrensantrags festgestellt werden kann, ob die Entscheidung des Rechtsstreits von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt. Eine schnelle Entscheidung über den Musterfeststellungsantrag wird somit in den Anlageberatungsfällen nicht möglich sein. Auch durch die gegenüber dem Referentenentwurf striktere Fassung der Aussetzungsmöglichkeiten nach § 8 Absatz 1 KapMuG-E wird dieser Gefahr nicht wirksam begegnet[, so dass geschädigte Anleger, die gegen ihre Berater oder Vermittler klagen, de lege lata besser gestellt sind als durch den Gesetzentwurf].

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Rechtsstreitigkeiten, in denen Schadenersatzansprüche auf vertraglicher Grundlage oder aus § 241 Absatz 2, § 311 Absatz 2 und 3 BGB bzw. aus der sogenannten Prospekthaftung im weiteren Sinne geltend gemacht werden, nach der bisherigen Rechtslage nicht Gegenstand eines Musterverfahrens nach § 1 Absatz 1 KapMuG sein. Dies gilt auch dann, wenn sich die Haftung aus der Verwendung eines fehlerhaften Prospektes im Zusammenhang mit einer Anlageberatung oder einer Anlagevermittlung ergibt (vgl. BGH, Beschluss vom 30. November 2010 - XI ZB 23/10 -, juris Rnr. 11 m.w. N.). Hätte auch der Wortlaut von § 1 KapMuG durchaus eine erweiternde Auslegung unter Einschluss von Anlageberatung und -vermittlung zugelassen, so hat der Bundesgerichtshof hiervon doch bewusst und mit gewichtigen Argumenten Abstand genommen.

Der Bundesgerichtshof begründet seine Haltung insbesondere damit, dass es Sinn und Zweck des KapMuG sei, die Interessen verschiedener Kläger mit gleichgerichteten Interessen zu bündeln, um den Rechtsschutz der Parteien zu verbessern. Es fehle aber an den gleichgerichteten Interessen von Anlegern, die Prospekthaftungsansprüche gegen die Prospektverantwortlichen geltend machten, und Anlegern, die Ansprüche gegen ihren Anlageberater aus einer fehlerhaften Anlageberatung verfolgten.

Auch das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes stehe einer erweiterten Auslegung des § 7 Absatz 1 KapMuG entgegen. Es sei dem Kläger nicht zuzumuten, dass sein wegen fehlerhafter Anlageberatung geführter Prozess ausgesetzt werde und er auf unabsehbare Zeit auf das Ergebnis des Musterverfahrens warten müsse, wenn nicht feststehe, dass es auf den Ausgang des Musterverfahrens in seinem Prozess tatsächlich ankomme, dies verbunden mit den Nachteilen einer Verschlechterung der Beweissituation aufgrund des dann eintretenden Zeitverzugs. Ferner sei kein Grund ersichtlich, dass sich ein Kläger an den Kosten eines Musterverfahrens beteiligen solle, das für seinen Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich sei (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juni 2009 - XI ZB 33/08 -, juris Rnr. 14 f.; BGH a.a. O. Rnr. 16).

Trotz dieser praxisgerechten Begründung des Bundesgerichtshofs, die auch über den bestehenden Gesetzeswortlaut hinaus rechtspolitisch überzeugt und nach wie vor aktuell ist, will der Entwurf der Neufassung hiervon abweichen und künftig vor allem auch Fälle der sogenannten uneigentlichen Prospekthaftung (oder Prospekthaftung im weiteren Sinne) erfassen, in denen sich die Haftung aus der Verwendung eines fehlerhaften Prospektes im Zusammenhang mit einer Beratung oder Vermittlung ergibt. {Hieraus würden sich, wie oben bereits dargelegt, eine Reihe von Problemen ergeben, ohne dass ein hinreichender Vorteil der Änderung schlüssig dargelegt wäre.}

Des Weiteren ist zu bedenken, dass sich durch die Einbeziehung der Anlageberatungs- und -vermittlungsfälle je nach Vertriebsstruktur die Zahl der Musterbeklagten in den Musterverfahren vervielfachen kann. Sind viele Personen in den Vertrieb einbezogen worden und diese auch in einzelnen Verfahren wegen Anlageberatungsfehlern bundesweit verklagt worden, werden diese voraussichtlich alle Musterbeklagte in dem Musterverfahren, obwohl sie selbst für den Prospekt nicht verantwortlich sind, sondern ihn nur im Beratungsgespräch mehr oder minder intensiv verwendet haben.

3. Zu Artikel 1 ( § 3 Absatz 1 KapMuG)

In Artikel 1 ist § 3 Absatz 1 wie folgt zu ändern:

Begründung:

Nach § 3 Absatz 1 KapMuG-E hat die Verwerfung des Musterverfahrensantrags durch unanfechtbaren Beschluss zu erfolgen. Dies führt in Fällen, in denen der Rechtsstreit im Übrigen entscheidungsreif ist, zu unnötigem Mehraufwand, weil neben dem Urteil ein gesonderter Beschluss erlassen werden muss.

Dieser unnötige Mehraufwand würde durch die vorgeschlagene Ergänzung vermieden.

4. Zu Artikel 1 ( § 3 Absatz 3 KapMuG)

In Artikel 1 ist § 3 Absatz 3 zu streichen.

Begründung:

§ 3 Absatz 3 Satz 1 KapMuG-E sieht vor, dass das Prozessgericht über die Zulässigkeit eines Musterverfahrensantrags innerhalb von drei Monaten nach dessen Eingang entscheiden soll. § 3 Absatz 3 Satz 2 KapMuG-E verpflichtet das Prozessgericht, eine Überschreitung der genannten Frist durch unanfechtbaren Beschluss zu begründen.

Auf beide Regelungen sollte verzichtet werden.

Entscheidungsfristen sind dem zivilgerichtlichen Verfahren fremd und tragen den Verhältnissen an den erstinstanzlichen Gerichten, die durch ein erhebliches Maß an Personalfluktuation, eine hohe Belastung der Richter und eine große Zahl beantragter und gewährter Fristverlängerungen gekennzeichnet sind, nicht hinreichend Rechnung. Da eine wirksame Sanktionsmöglichkeit fehlt, ist zu befürchten, dass die vorgesehene Frist häufig überschritten werden würde. Durch die hiermit verbundenen Konflikte würde das Verfahren unnötig verzögert.

Darüber hinaus würden die Gerichte durch die vorgesehene Regelung vielfach daran gehindert, zweckmäßigerweise vor der Entscheidung über einen Musterverfahrensantrag durchzuführende Verfahrensschritte wie die persönliche Anhörung des Klägers oder die Vernehmung eines als Zeuge in Betracht kommenden Anlageberaters oder -vermittlers vorzuziehen, weil eine Entscheidung über den Musterverfahrensantrag dann nicht mehr fristgerecht ergehen könnte. Auf diese Weise würde die Gewinnung einer zutreffenden Tatsachenbasis für die Endentscheidung gefährdet. Denn zum einen schwindet mit zunehmendem zeitlichem Abstand zu den maßgeblichen Ereignissen das Erinnerungsvermögen der Beteiligten. Zum anderen muss damit gerechnet werden, dass Betroffene im Falle einer erst nachträglich durchgeführten Anhörung bzw. Vernehmung - sei es bewusst, sei es unbewusst - geneigt sein werden, ihre Schilderung des Zustandekommens der maßgeblichen Anlageentscheidung an die Ergebnisse des Musterverfahrens anzupassen. Angesichts der Tatsache, dass regelmäßig nur hinsichtlich eines Teils der anspruchsbegründenden Voraussetzungen bzw. anspruchshindernden Einwendungen ein Musterverfahren durchgeführt werden kann, spricht dies entscheidend dafür, es wie bisher dem Prozessgericht zu überlassen, welche Punkte es vorrangig einer Klärung zuführt.

Überdies begegnet die in § 3 Absatz 3 KapMuG-E gewählte Konstruktion auch in dogmatischer Hinsicht Bedenken. Bei Beschlüssen handelt es sich nach allgemeinem Verständnis um gerichtliche Entscheidungen und nicht um bloße Begründungen für ein durch das Gericht gezeigtes tatsächliches Verhalten. Dabei sollte es bleiben.

Die Aufnahme einer Entscheidungsfrist in das KapMuG könnte Modellcharakter für künftige Regelungen im Bereich des Verfahrensrechts bekommen. Hierdurch würde das Ziel, effektiven Rechtsschutz zu gewähren, nur vordergründig gefördert. Tatsächlich hingegen würde der bürokratische Aufwand erhöht und die Stellung der Gerichte allgemein geschwächt.

5. Zu Artikel 1 ( § 5 KapMuG)

In Artikel 1 ist § 5 wie folgt zu fassen:

" § 5 Unterbrechung des Verfahrens

Mit dem Erlass des Vorlagebeschlusses wird das Verfahren unterbrochen. Ab der Bekanntmachung des Musterverfahrensantrags im Klageregister unterbleiben gerichtliche Verfahrenshandlungen, soweit durch sie das beantragte Musterverfahren vorweggenommen würde."

Begründung:

Eine Unterbrechung des Verfahrens beeinträchtigt den Justizgewährungsanspruch der Parteien. Eine solche Beeinträchtigung ist erst dann berechtigt, wenn feststeht, dass es tatsächlich zur Durchführung eines Musterverfahrens kommt. Das ist erst mit Erlass eines Vorlagebeschlusses durch das Prozessgericht der Fall.

Während der Zeit zwischen der Bekanntmachung des Musterverfahrensantrags und der Entscheidung über den Erlass eines Vorlagebeschlusses sollten nur solche Verfahrensschritte unterbleiben, durch die das beantragte Musterverfahren ganz oder teilweise vorweggenommen wird. Auf diese Weise würde vermieden, dass durch die Bekanntmachung eines Musterverfahrensantrags unabhängig davon, ob es tatsächlich zu einem Musterverfahren kommt, ein sechsmonatiger Verfahrensstillstand eintritt. Dies ist insbesondere deshalb geboten, weil die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass für das Musterverfahren mit einer erheblichen Dauer zu rechnen ist, und darüber hinaus gerade nach Erlass eines für den Kläger günstigen Musterentscheids noch umfangreiche Beweisaufnahmen erforderlich sein können.

Durch die vorgeschlagene Neufassung des § 5 KapMuG-E wird das Verfahren gestrafft, ohne dass dies den mit der Durchführung eines Musterverfahrens erstrebten Effizienzgewinn beeinträchtigt.

6. Zu Artikel 1 (§ 11 Absatz 5 - neu - KapMuG)

In Artikel 1 ist dem § 11 folgender Absatz 5 anzufügen:

(5) Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Einzelheiten der Datenübermittlung zwischen den Behörden der Länder und dem elektronischen Informationssystem einschließlich Vorgaben über Datenformate sowie die technischen Einzelheiten zu Aufbau und Führung des elektronischen Informationssystems zu regeln. Die Rechtsverordnung hat geeignete Regelungen zur Sicherung des Datenschutzes und der Datensicherheit vorzusehen."

Begründung:

Die Begründung des Gesetzentwurfs enthält keine Hinweise zur näheren technischen Ausgestaltung des Informationssystems nach § 12 Absatz 2 KapMuG-E. Insoweit ist durch untergesetzliche Rechtsvorschrift die Möglichkeit zur Regelung der technischen Einzelheiten vorzubehalten, damit sichergestellt ist, dass solche Regelungen bundeseinheitlich sind und keine unwirtschaftlichen Insellösungen vorkommen.

7. Zu Artikel 1 ( § 12 Absatz 2 KapMuG), Artikel 1a - neu - (§ 12 Absatz 2, § 27 Satz 2 - neu - KapMuG), Artikel 7 (Inkrafttreten)

Begründung:

Artikel 1 des Gesetzentwurfs sieht ein neu aufzubauendes elektronisches Informationssystem nach § 12 Absatz 2 KapMuG-E vor, welches (nur) den Beteiligten zugänglich ist und in welchem sowohl Schriftsätze der Beteiligten als auch die Zwischenentscheidungen des Gerichts bekannt zu machen sind. Dieses ist als zukunftsgerichtete und praktikable Möglichkeit einer papierlosen Benachrichtigung grundsätzlich zu unterstützen.

Entgegen der Begründung des Gesetzentwurfs (BR-Drs. 851/11 (PDF) , S. 23) ist jedoch insoweit ein zeitlicher Mindestbedarf an Vorbereitung zu beachten:

Mit dem - auch Kosten verursachenden - konkreten Aufbau eines solchen technischen Systems kann verlässlich erst nach Abschluss des parlamentarischen Verfahrens begonnen werden. Da das parlamentarische Verfahren nicht vor Mitte des Jahres 2012 abgeschlossen sein dürfte, kann nicht mit hinreichender Sicherheit damit gerechnet werden, dass bereits zum Zeitpunkt des Außerkrafttretens des KapMuG vom 16. August 2005 und des Inkrafttretens des Nachfolgegesetzes auch die technischen Voraussetzungen nach § 12 Absatz 2 KapMuG-E vorliegen werden. Insoweit ist Bund und Ländern durch eine entsprechende Verzögerung des Inkrafttretens Zeit zum technischen Aufbau eines solchen Systems zu geben. Entsprechend der Regelung in § 9 HGB sollte auch in das Gesetz aufgenommen werden, dass die Länder ein länderübergreifendes, zentrales elektronisches Informations- und Kommunikationssystem bestimmen können. Die notwendigen Administrationsrechte müssten allerdings bei den einzelnen Oberlandesgerichten liegen.

Zu diesen Zwecken sollte § 12 Absatz 2 KapMuG zunächst die Fassung von § 10 Satz 2 bis 4 KapMuG erhalten, wohingegen die im Gesetzentwurf der Bundesregierung enthaltene Fassung (ergänzt um eine Regelung, die § 9 Absatz 1 HGB entspricht) erst zum 1. Juli 2013 in Kraft treten sollte. Diese Änderung macht ferner eine erweiterte Übergangsregelung in § 27 KapMuG-E erforderlich.

Soweit auch Artikel 7 des Gesetzentwurfs anzupassen ist, ist darauf hinzuweisen, dass es des im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehenen Außerkrafttretensbefehls nicht bedarf, weil bereits in Artikel 9 Absatz 2 des Gesetzes vom 16. August 2005 zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren (BGBl. I S. 2437) in der Fassung des Gesetzes vom 24. Juli 2010 (BGBl. I S. 977) das Außerkrafttreten des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes vom 16. August 2005 vorgesehen ist.

8. Zu Artikel 1 (§§ 17 bis 19, 23 KapMuG)

Der Bundesrat begrüßt die im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen zur Förderung einer gütlichen Streitbeilegung. Insbesondere das dem Gesetzentwurf zugrunde liegende optout Modell kann sich als praktikable Möglichkeit der Bewältigung von Konstellationen erweisen, in denen zumindest der überwiegende Teil der Beteiligten der Einigung zustimmt.

Es wird indes gebeten, zu prüfen, ob insbesondere etwa § 19 KapMuG-E um eine handhabbare und griffige Regelung ergänzt werden könnte, die eine "Massenflucht" der Beigeladenen aus dem zuvor festgestellten Vergleich verhindert, ohne den Zweck der Förderung gütlicher Einigungen zu unterlaufen und ohne einer Minderheit von Klägern ein unangemessenes Blockadepotenzial zu verschaffen. Angeregt wird insbesondere eine Regelung, kraft derer ein gerichtlicher Vergleich nachträglich unwirksam wird, wenn ein bestimmtes Quorum der Beigeladenen nachträglich den Austritt aus dem Vergleich erklärt. Eine solche Regelung sollte gegebenenfalls sicherstellen, dass die deutliche Mehrheit der Beteiligten sich der gütlichen Einigung nicht verschließt (beispielsweise mindestens Anteile von zwei Dritteln oder drei Vierteln der Beigeladenen). Die bloße Möglichkeit der Vereinbarung eines solchen Quorums im Vergleich selbst (vgl. Einzelbegründung zu § 18 KapMuG-E in BR-Drs. 851/11 (PDF) , S. 37 unten) ist insoweit gegenüber einer gesetzlichen Bestimmung die erheblich unsicherere Variante.

9. Zu Artikel 1 (§ 18 Absatz 3 - neu - KapMuG)

In Artikel 1 ist dem § 18 folgender Absatz 3 anzufügen:

(3) Auf die Genehmigung eines Vergleichs nach Absatz 1 findet § 839 Absatz 2 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechende Anwendung." Begründung:

Die Genehmigung des Vergleichs nach § 18 Absatz 1 KapMuG-E dürfte nach bisheriger Auffassung nicht unter das Richterprivileg des § 839 Absatz 2 Satz 1 BGB fallen, da es sich nicht um ein Urteil in einer Rechtssache im Sinne dieser Vorschrift handelt. Gleichwohl werden dem Gericht in § 18 Absatz 1 KapMuG-E nicht unwesentliche Prüfpflichten überantwortet. Angesichts der enormen Streitwerte entstehen dadurch Haftungsrisiken, die - mit noch bezahlbarem Beitrag - nicht zu versichern sind. Es bedarf deshalb einer entsprechenden Klarstellung im Staatshaftungsrecht.

10. Zu Artikel 1 (§ 22 Absatz 1 Satz 3 KapMuG)

In Artikel 1 sind in § 22 Absatz 1 Satz 3 nach dem Wort "Ausgangsverfahren" die Wörter "nach Ablauf der in § 24 Absatz 1 * genannten Frist" einzufügen.

Begründung:

Nach § 22 Absatz 1 Satz 3 KapMuG-E soll der Musterentscheid auch für und gegen Kläger wirken, die ihre Klage im Ausgangsverfahren so rechtzeitig zurückgenommen haben, dass sie an dem mit der Durchführung des Musterverfahrens verbundenen Kostenrisiko nicht beteiligt werden (vgl. § 24 Absatz 1 KapMuG-E).

Die Regelung erscheint in doppelter Hinsicht unbillig. Zum einen profitiert ihr zufolge auch derjenige Kläger von für ihn günstigen Feststellungen im Rahmen des Musterentscheids, der das mit der Durchführung des Musterverfahrens verbundene Kostenrisiko selbst nicht getragen hat. Zum anderen wird auch der Kläger, der das mit einer Beteiligung am Musterverfahren verbundene Risiko scheut und daher auf die Möglichkeit zur Einflussnahme auf den Ablauf des Musterverfahrens verzichtet, mit der Gefahr für ihn negativer Feststellungen im Rahmen des Musterentscheids belastet.

Durch die vorgeschlagene Ergänzung des § 22 Absatz 1 Satz 3 KapMuG-E würden die genannten Unstimmigkeiten vermieden, indem zwischen dem mit der Durchführung des Musterverfahrens verbundenen Kostenrisiko und der Bindung an die im Musterentscheid getroffenen Feststellungen ein Gleichlauf hergestellt wird.

11. Zu Artikel 1 (§ 24 Absatz 1 und 2 Satz 1 KapMuG)

In Artikel 1 ist § 24 wie folgt zu ändern:

* Wird bei gleichzeitiger Annahme von Ziffer 11 redaktionell angepasst.

Begründung:

Bei rechtzeitiger Klagerücknahme binnen eines Monats ab Zustellung des Aussetzungsbeschlusses soll der Kläger vor einer anteiligen Haftung für die dem Musterbeklagten im Musterverfahren entstehenden Kosten sowie für die Auslagen der Staatskasse im Musterverfahren bewahrt werden (vgl. auch Absatz 2 der Anmerkung zu 9018 KV-GKG). Seine ihm selbst (gleich in welchem Verfahrensstadium) erwachsenen Kosten trägt der Kläger hingegen mangels Erstattungsfähigkeit nach wie vor selbst. Der Nebensatz ", es sei denn, die Klage wird innerhalb von einem Monat ab Zustellung des Aussetzungsbeschlusses im Ausgangsverfahren zurückgenommen" ist daher nicht am Ende von § 24 Absatz 1 KapMuG-E zu verorten, der sich nur auf die auf Klägerseite entstandenen Kosten bezieht, sondern am Ende von § 24 Absatz 2 Satz 1 KapMuG-E, der die auf Beklagtenseite entstandenen Kosten betrifft. Absatz 3 regelt demgegenüber nur, ob ein zurückgenommener Klageanspruch bei der Berechnung der Gesamthöhe der Ansprüche nach Absatz 2 zu berücksichtigen ist.

12. Zu Artikel 2 Nummer 2 (§ 145 Absatz 1 Satz 2, 3 ZPO)

Artikel 2 Nummer 2 ist zu streichen.

Begründung:

Die in Artikel 2 Nummer 2 des Gesetzentwurfs vorgesehene Verschärfung der Voraussetzungen, unter denen das Gericht die getrennte Verhandlung verschiedener in einer Klage erhobener Ansprüche anordnen kann, ist nicht sachgerecht. Es handelt sich insoweit nicht um eine Klarstellung, sondern um eine grundlegende Veränderung der bestehenden Rechtslage, die zudem nicht auf den Anwendungsbereich des KapMuG beschränkt ist. Für eine derart weitgehende Änderung fehlt es an einer Notwendigkeit, einer vertieften tatsächlichen Untersuchung und einer hinreichenden Rechtfertigung. Die bestehende gesetzliche Regelung sowie die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung tragen den Interessen der Parteien hinreichend Rechnung. Insbesondere wird die Ausübung des den Gerichten durch § 145 Absatz 1 ZPO in der derzeit geltenden Fassung eingeräumten Ermessens sowohl im Berufungs- als auch im Revisionsverfahren überprüft (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 1995 - I ZR 20/93 -, NJW 1995, 3120). Auf diese Weise sind die Parteien hinreichend vor missbräuchlichen Abtrennungsentscheidungen geschützt.

Der Überlegung, die gerichtlich angeordnete Trennung mehrerer in einer Klage erhobener Ansprüche belaste die Parteien mit zusätzlichen Kosten und könne die Gesamtdauer bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über alle Ansprüche verlängern, ist entgegenzuhalten, dass die Frage, ob eine Verfahrenstrennung die Erledigung des Rechtsstreits hemmt oder fördert, stets nur anhand der Umstände des Einzelfalls entschieden werden kann. Die sachnächste Instanz ist insoweit das Prozessgericht. Starre gesetzliche Vorgaben wären hier mit Blick auf die Belastungssituation bei den großen Landgerichten verfehlt.

Das Interesse der Parteien an einer optimalen Ausnutzung der gesetzlich vorgesehenen Gebührendegression sowie - sofern eine große Zahl von Ansprüchen durch einen einzelnen Kläger als Treuhänder geltend gemacht wird - an dem mit der in § 39 Absatz 2 GKG geregelten Begrenzung des Gebührenstreitwerts verbundenen wirtschaftlichen Vorteil ist nur eines von mehreren Argumenten, die bei der Entscheidung über eine Verfahrenstrennung zu berücksichtigen sind. Insbesondere steht dem Interesse der Parteien an einer Minimierung der anfallenden Gerichtsgebühren das Interesse des Justizfiskus an einem angemessenen Ausgleich des mit der Durchführung des Verfahrens verbundenen personellen und materiellen Aufwands gegenüber. Vor diesem Hintergrund sollte auf die in Artikel 2 Nummer 2 des Gesetzentwurfs vorgesehene Regelung verzichtet werden.

13. Zu Artikel 6 Nummer 4 ( § 41a Absatz 4 RVG)

In Artikel 6 Nummer 4 ist § 41a Absatz 4 wie folgt zu fassen:

(4) Die Gebühr schulden der Musterkläger sowie die Beigeladenen anteilig. Der jeweilige Anteil bestimmt sich nach dem Verhältnis der Höhe des von dem Kläger geltend gemachten Anspruchs, soweit dieser von den Feststellungszielen des Musterverfahrens betroffen ist, zu der Gesamthöhe der vom Musterkläger und den Beigeladenen des Musterverfahrens in den Prozessverfahren geltend gemachten Ansprüche, soweit diese von den Feststellungszielen des Musterverfahrens betroffen sind. Der Anspruch des Musterklägers oder eines Beigeladenen ist hierbei nicht zu berücksichtigen, wenn er innerhalb eines Monats ab Zustellung des Aussetzungsbeschlusses nach § 8 des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes vom ... [einfügen: Datum der Ausfertigung und Fundstelle dieses Gesetzes] seine Klage in der Hauptsache zurücknimmt. Auf Antrag des Rechtsanwalts des Musterklägers setzt das Oberlandesgericht die Anteile durch unanfechtbaren Beschluss fest. Absatz 3 Satz 2 bis 4 sowie die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen gelten entsprechend. Ein Vorschuss kann nicht gefordert werden."

Begründung:

Die Zuerkennung einer in das Ermessen des Gerichts gestellten, besonderen Gebühr zugunsten des Prozessbevollmächtigten des Musterklägers, der sich im Vergleich zu den anderen Bevollmächtigten überdurchschnittlich für das gemeinsame Anliegen engagiert und bei dem besonderer Arbeitsaufwand für die Einleitung und die Durchführung des Musterverfahrens entsteht, unterliegt keinen durchgreifenden Bedenken.

Abzulehnen ist jedoch die Geltendmachung der Gebühr gegenüber der Landeskasse. Dieser Zahlungsweg ist weder aus sachlichen Gründen erforderlich noch aus Gerechtigkeitsgründen angemessen. Er belastet vielmehr die Staatskasse ohne Not mit Verwaltungsaufwand und dem Rückgriffsrisiko.

Da die Tätigkeit allein im Interesse des Musterklägers und der Beigeladenen erbracht wird, kann entsprechend § 11 RVG die Gebühr auch durch das Oberlandesgericht unmittelbar gegen die Mitglieder dieser Gruppe festgesetzt werden, wobei die Aufteilung auf die einzelnen Kläger ggf. einem besonderen Festsetzungsverfahren überlassen werden könnte.

Die Begründung des Gesetzentwurfs für die Vorleistung aus dem Justizhaushalt überzeugt nicht. Schon der Ansatzpunkt der hoheitlichen Auferlegung einer Art Sonderopfer des Musterklägervertreters ist fragwürdig. Denn es handelt sich bei der Prozessführung durch den Musterkläger nicht um eine wider Willen übernommene Aufgabe, die ihm durch das Gericht gleichsam einseitig oktroyiert wird. (Der Evaluationsbericht der Frankfurt School of Finance & Management vom 14. Oktober 2009 (Seite 96 f.) führt zu Überlegungen, eine solche Gebühr aus staatlichen Mitteln zu finanzieren, aus: 'Das passt aber nicht zur Idee einer "zweiten Spur" der Rechtsdurchsetzung, die ja auf private Initiative setzt und gerade eine Ergänzung oder gar Alternative zur staatlich organisierten Regulierung darstellen soll. Die Stärke dieser "zweiten Spur" besteht eben nicht in der Beschäftigung zusätzlicher Beamter oder staatsnah agierender Subventionsempfänger, sondern darin, dass eigennützige Ziele der Kläger und ihrer Anwälte hier zur Durchsetzung des objektiven Rechts in Dienst genommen werden.')

Ohnehin wird sich die Auswahl regelmäßig auf solche Kläger beschränken, die auch als Musterkläger ausgewählt werden wollen, da es andernfalls schon an der Gewähr für eine sachgerechte Vertretung der Interessen der Beigeladenen fehlen dürfte.

Darüber hinaus ist aber auch die Annahme, das Ausfallrisiko der Staatskasse sei gering, nicht überzeugend: Zwar wird in Verfahren nach dem KapMuG in aller Regel keine Prozesskostenhilfe bewilligt. Ein erhebliches finanzielles Risiko dürfte aber in der mangelnden Realisierbarkeit der Ansprüche der Staatskasse im Fall einer zwischenzeitlichen Insolvenz der Beteiligten zu sehen sein. Das Einstehen des Staates für die Kosten eines Rechtsanwalts ist im Gesetz derzeit insbesondere etwa dann vorgesehen, wenn ein Pflichtverteidiger bestellt oder ein Rechtsanwalt wegen wirtschaftlicher Bedürftigkeit einer Partei beigeordnet wird. Im Familien- und Betreuungsrecht kann Kindern oder dem Betreuten ein Verfahrensbeistand bzw. -pfleger bestellt werden, wenn sie ihre rechtlichen Interessen in Verfahren, die ihre Person betreffen, nicht selbst wahrnehmen können. In all diesen Fällen ist die Indienstnahme des Rechtsanwalts zu öffentlichen Zwecken aus Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt. Dem ist die Tätigkeit des Musterklägervertreters nicht vergleichbar. Es geht um Geldforderungen aus Finanzgeschäften, die die Anleger aus Gründen der Vermögensbildung bzw. -mehrung eingegangen sind. Diese Ansprüche werden auf Grund individueller Interessen der Kapitalanleger verfolgt, die ihr Anlageziel nicht erreicht haben und dies auf unzureichende Informationen des Anbieters zurückführen.

Schlussendlich ergäbe sich eine unangemessene Benachteiligung des Landeshaushalts auch deshalb, weil - anders als bei den nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz zu zahlenden Beträgen - keine Verzinsung vorgesehen ist. Die Landeskasse wird somit nicht nur durch das Ausfallrisiko im Einzelfall, sondern auch durch die Vorfinanzierung belastet.

Aus diesen Erwägungen heraus ist § 41a Absatz 4 RVG-E durch eine an Nummer 9018 KV-GKG angenäherte Regelung zu ersetzen, die eine gleichmäßige Aufteilung der Zusatzgebühr auf Musterkläger und Beigeladene vorsieht. Ein Ausgleich im Verhältnis zu den Beklagten findet gemäß § 24 KapMuG-E statt.

14. Zu Artikel 6a (§ 9 Absatz 2 des Gesetzes zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren)

Nach Artikel 6 ist folgender Artikel 6a einzufügen:

'Artikel 6a
Änderung des Gesetzes zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren

Artikel 9 Absatz 2 des Gesetzes zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren vom 16. August 2005, das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt gefasst:

(2) Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (Artikel 1 dieses Gesetzes) tritt am 1. November 2012 außer Kraft."'

Begründung:

Artikel 9 Absatz 2 des Gesetzes zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren vom 16. August 2005 (BGBl. I S. 2437) in der Fassung des Gesetzes zur Einführung einer Musterwiderrufsinformation für Verbraucherdarlehensverträge, zur Änderung der Vorschriften über das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen und zur Änderung des Darlehensvermittlungsrechts vom 24. Juli 2010 (BGBl. I S. 977) sieht vor, dass zum Zeitpunkt des Außerkrafttretens des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes vom 16. August 2005 am 1. November 2012 diejenigen Regelungen wiederaufleben, welche durch die Artikel 2 bis 8 des Gesetzes zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren vom 16. August 2005 (BGBl. I S. 2437) gerade aus Anlass des mit Artikel 1 jenes Gesetzes neu geschaffenen Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes geändert bzw. aufgehoben wurden. Um zu verhindern, dass der vorliegende Gesetzentwurf mit diesem Wiederauflebensbefehl kollidiert, ist Artikel 9 Absatz 2 des Gesetzes zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren vom 16. August 2005 so anzupassen, dass dieser Wiederauflebensbefehl aufgehoben wird.