Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat
(Zwangsheirat-Bekämpfungsgesetz)

A. Problem und Ziel

B. Lösung

C. Alternativen

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

E. Sonstige Kosten

Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat (Zwangsheirat-Bekämpfungsgesetz)

Der Bundesrat hat in seiner 813. Sitzung am 8. Juli 2005 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen.

Anlage

Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat (Zwangsheirat-Bekämpfungsgesetz)

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1 Änderung des Strafgesetzbuches

Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:

Artikel 2 Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches

Das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, ber. S. 2909, 2003 I S. 738), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:

Artikel 3 Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch

Dem Artikel 229 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1994 (BGBl. I S. 2494, 1997 I S. 1061), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird folgender § 15 angefügt:

" § 15 Überleitungsvorschrift zum Zwangsheirat-Bekämpfungsgesetz

(1) Die Aufhebung einer vor dem einzusetzen: Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes geschlossenen Ehe ist ausgeschlossen, wenn die Ehe nach dem bis dahin geltenden Recht zu diesem Zeitpunkt nicht mehr hätte aufgehoben werden können.

(2) Im Übrigen finden auf die vor dem einzusetzen: Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes geschlossenen Ehen die Vorschriften in ihrer ab dem einzusetzen: Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes geltenden Fassung Anwendung."

Artikel 4 Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Begründung

A. Allgemeiner Teil

I. Ausgangslage

1. Zwangsheirat in Deutschland

Auch in Deutschland stellen Rechtsanwälte, Lehrkräfte, Beratungsstellen und Frauenhäuser vermehrt Zwangsheiraten bei Einwanderinnen und Einwanderern fest. Immer mehr Betroffene wagen den Schritt in die Öffentlichkeit und schildern ihr Schicksa1. Zahlreiche Medien haben ausführlich über Zwangsheiraten berichtet.

Eine Zwangsheirat liegt dann vor, wenn mindestens einer der zukünftigen Ehepartner durch eine Drucksituation zur Ehe gezwungen wird, wobei in der überwiegenden Zahl der Fälle Mädchen und junge Frauen betroffen sind. Die Betroffene wird zur Ehe gezwungen und findet entweder mit ihrer Weigerung kein Gehör oder wagt es nicht, sich zu widersetzen, weil Eltern, Familie, Verlobte und Schwiegereltern mit den unterschiedlichsten Mitteln versuchen, Druck auf sie auszuüben. Dazu gehören physische und sexuelle Gewalt, Nötigungen (durch Drohungen, Einsperren, Entführung, psychischer und sozialer Druck sowie emotionale Erpressung), Einschränkungen in Bezug auf Lebensstil und Bewegungsspielraum und andere erniedrigende und kontrollierende Handlungen - in drastischen Fällen bis hin zu Ehrenmorden.

Die unter Zwang verheirateten Mädchen und jungen Frauen stammen vor allem aus türkischem oder kurdischem Umfeld. Betroffen sind aber auch Albanerinnen, Pakistanerinnen, Inderinnen oder Marokkanerinnen. Dabei ist das Phänomen der Zwangsheirat aber nicht auf den islamischen Kulturkreis beschränkt. Es sind auch Fälle aus Süditalien oder Griechenland bekannt. Zwangsheirat kommt in unterschiedlichen religiösen und ethnischen Gruppen vor und überschreitet auch die Grenzen von Schichten und Kasten. In Deutschland betrifft es deswegen so viele türkische Mädchen und Frauen, weil türkische Staatsangehörige die größte Gruppe unter den Migranten stellen.

Von Zwangsheirat in Deutschland sind vor allem minderjährige Mädchen betroffen. Oft ist der Altersunterschied zwischen ihnen und den Ehemännern beträchtlich. Es sind Fälle bekannt, in denen 16-jährige Mädchen für ein paar tausend Euro regelrecht an ältere Männer verkauft wurden. Sie müssen die Schule abbrechen, denn sie sollen sich um das Wohl des Mannes kümmern. Für die betroffenen jungen Frauen ist es sehr schwer, Wege aus der Zwangsehe zu finden, da die eigene Familie und der Ehemann sie überwachen, sie teilweise sogar einsperren. Sie wissen häufig nicht, an wen sie sich wenden und wo sie Schutz finden können. Sie haben Angst, dass ihr "Ungehorsam" bestraft wird, weil sie die Familienehre verletzt haben. Sind die Frauen schon volljährig, können sie in Frauenhäuser fliehen. Sind sie jedoch noch minderjährig, wird es schwierig, denn es gibt nur wenige Betreuungsprojekte für 12- bis 16-Jährige. Viele Mädchen fügen sich daher in ihr Schicksal aus Hilflosigkeit oder aus Solidarität mit ihren Müttern und Schwestern. Sie haben Angst vor dem Verlust der Familie, vor den Aggressionen des Vaters und der männlichen Verwandten. Unterdrückung, sexuelle Übergriffe und Gewalt führen nicht selten zu schweren körperlichen und seelischen Erkrankungen der Betroffenen.

Nach aktuellen Angaben der Berliner Kriseneinrichtung Papatya sind unter den dortigen Opfern der Zwangsheirat zu 68 % noch minderjährige Mädchen. 30 % der betroffenen jungen Frauen äußerten Suizidabsichten. 80 % der Betroffenen, die bei Papatya Hilfe suchen, seien vorher misshandelt oder missbraucht worden.

Zwangsheirat trifft aber nicht nur Frauen: Auch männliche Jugendliche werden von den Eltern oder anderen nahen Verwandten in eine Ehe gedrängt. Die Folgen sind für sie jedoch meist weniger drastisch als für Mädchen.

2. Formen und Gründe der Zwangsheirat

Zwangsheiraten gibt es in drei unterschiedlichen Formen:

Die Zwangsverheiratung ist auch oft der Versuch, die eigenen Töchter zu disziplinieren, die in westlichen Gesellschaften aufwachsen und sich nicht mehr in alte Traditionen fügen wollen. Es geht hier um die zwangsweise Beibehaltung der traditionellen Machtverhältnisse in der Familie.

In vielen Fällen kommt auch der finanzielle Aspekt in Form eines Brautpreises hinzu. Ein anderer Grund für die Zwangsheirat ist bei Verheiratungen zwischen nahen Familienangehörigen - wie Cousins und Cousinen - die Stärkung der Familie und der Wunsch, Einfluss auf die Ehepartner zu nehmen und bei Problemen eine Einflussmöglichkeit zu behalten. Die Schwiegereltern sind in diesem Fall zugleich Onkel und Tante. Auch geht in diesen Fällen das Heiratsgut nicht an eine fremde Familie, sondern bleibt in der eigenen Familie.

3. Ausmaß der Zwangsheirat

Über das Ausmaß von Zwangsheirat hat man deutschlandweit kaum gesicherte Daten. Die einzigen konkreten Daten liefert eine Erhebung des Berliner Senats bei über 50 Jugend- und Beratungseinrichtungen: Demnach sind in Berlin im Jahr 2002 230 Fälle von Zwangsverheiratungen aktenkundig geworden. Das Wohnprojekt Rosa in Stuttgart berichtet, dass monatlich durchschnittlich zehn Mädchen bzw. Frauen wegen Zwangsverheiratung um Schutz nachsuchen. Experten sind sich aber einig, dass die Dunkelziffer sehr viel höher liegt und dass die Fälle von Zwangsheirat zunehmen. Eine Studie der UNICEF hat ergeben, dass weltweit jedes Jahr Millionen von Mädchen bereits vor oder kurz nach ihrer Pubertät verheiratet werden

4. Zwangsheirat als Menschenrechtsverletzung

Durch die Zwangsverheiratung wird das Recht der Betroffenen auf selbstbestimmte Heirat, persönliche Freiheit, Menschenwürde und körperliche Unversehrtheit verletzt. Die Zwangsheirat ist somit eindeutig rechtswidrig: Sie verstößt gegen Artikel 6 Abs. 1 GG, der die Eheschließungsfreiheit gewährleistet. Daneben anerkennen und garantieren sowohl die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Artikel 16) als auch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Artikel 12) das Recht auf freie Eheschließung und selbstbestimmte Partnerwahl.

Die Zwangsheirat wurde auf der UN-Weltfrauenkonferenz im Jahr 2000 in Peking erstmals international als eine Form der Gewalt gegen Frauen verurteilt und als Menschenrechtsverletzung anerkannt. Die Empfehlung Nummer 21 des UN-Komitees zur Abschaffung aller Formen der Diskriminierung von Frauen (Convention on the elimination of all forms of discrimination against women) besagt: "Das Recht, einen Partner zu wählen und eine Heirat freiwillig einzugehen, ist von zentraler Bedeutung für das Leben einer Frau, für ihre Würde und Gleichberechtigung als menschliches Wesen."

Zwangsheirat ist somit eine Menschenrechtsverletzung und muss als solche deutlich öffentlich geächtet werden. Es muss klargestellt werden, dass die Zwangsheirat verboten und durch nichts zu rechtfertigen ist. Die UNO bezeichnete im Juni 2001 die Zwangsheirat sogar als eine "moderne Form der Sklaverei".

Weder aus patriarchalischtraditionellen noch aus vermeintlich religiösen Gründen ist es akzeptabel, dass Zwangsverheiratungen in Deutschland oder anderswo stattfinden. Dennoch werden die wenigsten Fälle dieser Nötigungen und gegebenenfalls Vergewaltigungen strafrechtlich verfolgt, weil Zwangsheirat als strafwürdiges Unrecht im öffentlichen Bewusstsein und insbesondere im Bewusstsein der Betroffenen offensichtlich nicht ausreichend verankert ist. Auch ist die Beweisführung in Strafverfahren häufig schwierig.

Viele wehren oder entziehen sich einer Zwangsehe nicht oder erst nach Jahren, weil sie Angst vor Racheakten oder physischer und psychischer Gewalt in den Familien haben. Aber auch ein unsicherer Aufenthaltsstatus, fehlende Sprachkenntnisse, Unkenntnis des geltenden Rechts oder fehlendes eigenes Einkommen tragen häufig dazu bei, dass Betroffene nicht in die Öffentlichkeit treten und Schutz suchen oder Hilfe einfordern.

Bislang ist das Thema Zwangsheirat also leider eher verharmlost oder gar verschwiegen worden und blieb damit weit gehend ein privates Problem der betroffenen Migrantinnen und Migranten. Dieses Versäumnis zieht erhebliche Defizite in der Strafverfolgung sowie in der Betreuung der Betroffenen nach sich: Die Praxis zeigt, dass die rechtlichen Instrumente nicht ausreichen, um Zwangsheirat wirksam zu bekämpfen und den Opfern von Zwangsheirat angemessenen Schutz zu gewähren

5. Rechtliche Defizite

Nicht zuletzt die Tagung des Justizministeriums Baden-Württemberg vom 13. Oktober 2003 in Stuttgart ("Fachtagung Zwangsheirat - Maßnahmen gegen eine unehrenhafte Tradition") hat aufgezeigt, dass - neben präventiven und sozialen Maßnahmen - vor allem in rechtlicher Hinsicht Defizite bei der Bekämpfung von Zwangsheirat festzustellen sind:

Das geltende Strafrecht erfasst diese Verhaltensweisen nur unzureichend. Sie erfüllen zwar häufig den Tatbestand der Nötigung. Je nach den Umständen des Einzelfalles kann Körperverletzung oder - auch nach der Eheschließung - ein Sexualdelikt in Betracht kommen. Dem spezifischen Unrecht wird dadurch aber nicht ausreichend Rechnung getragen.

Nach dem geltenden Eheschließungsrecht ist die Eheschließung entsprechend der deutschen Rechtstradition ein familienrechtliches Rechtsgeschäft, das durch die Willenserklärungen der Verlobten zu Stande kommt. Jedoch werden die allgemeinen Vorschriften der §§ 104 ff., 116 ff. BGB über die Folgen fehlerhafter Willenserklärungen gemäß § 1313 Satz 3 BGB durch die Sonderregelungen der §§ 1314 bis 1317 BGB verdrängt. Danach ist die fehlerhafte, weil mit einer Willensstörung behaftete Eheschließungserklärung grundsätzlich nicht nichtig oder vernichtbar, sondern wirksam. Nur die in § 1314 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 BGB aufgeführten Störungen bei der Bildung des Ehewillens sind beachtlich und führen zur Aufhebbarkeit der Ehe. Dazu zählt insbesondere nach § 1314 Abs. 2 Nr. 4 BGB der Fall, dass ein Ehegatte zur Eingehung der Ehe widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist. Erfasst ist dabei auch die Ankündigung, ein bestehendes Übel werde fortdauern, obwohl der Drohende zu dessen Beseitigung verpflichtet und in der Lage ist (vgl. Hepting/Gaaz, Personenstandsgesetz, III-198).

Damit setzt das Eherecht die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 29, 166 <175>; 31, 58 <67 f.>; 36, 146 <161>; 76, 1 <42>) von Artikel 6 Abs. 1 GG geschützte Eheschließungsfreiheit, also das Recht jedes Menschen, die Ehe mit einem selbst gewählten Partner einzugehen, grundsätzlich adäquat um. Das Eheschließungsrechtsgesetz vom 4. Mai 1998 (BGBl. I S. 833) hat die Durchsetzung der Eheschließungsfreiheit dadurch erleichtert, dass nach § 1310 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB der Standesbeamte eine Mitwirkung an der Eheschließung verweigern muss, wenn offenkundig ist, dass die Ehe nach § 1314 Abs. 2 BGB - also auch und gerade wegen einer widerrechtlichen Drohung - aufhebbar wäre; die entsprechenden Nachforschungsbefugnisse des Standesbeamten enthält § 5 Abs. 4 des Personenstandsgesetzes.

Damit sind die Fälle der Zwangsheirat vom geltenden Eheaufhebungsrecht zwar grundsätzlich erfasst. Bei einzelnen Normen besteht aber dennoch Änderungsbedarf, um den spezifischen Fallkonstellationen der Zwangsheirat wirksamer begegnen zu können.

II. Lösung

1. Strafrecht

Zwangsheiraten ist durch eine eindeutige Regelung der Strafbarkeit zu begegnen. Dadurch kennzeichnet der Gesetzgeber entsprechende Verhaltensweisen klar als strafwürdiges Unrecht und tritt der Fehlvorstellung entgegen, es handele sich um eine zumindest tolerable Tradition aus früheren Zeiten oder anderen Kulturen. Durch die Bestimmung eines erhöhten Strafrahmens bringt er das Gewicht des Unrechts zum Ausdruck.

Mit einer speziellen Strafnorm gegen Zwangsheirat ist das eindeutige Signal verbunden, dass der Staat den damit verbundenen Eingriff in die Rechte der Betroffenen mit dem schärfsten ihm zur Verfügung stehenden Mittel unterbinden will.

Diesem Anliegen wird das durch das 37. StrÄndG vom 11. Februar 2005 erfolgte Einfügen des Regelbeispiels für den besonders schweren Fall der Nötigung "zur Eingehung der Ehe" in § 240 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StGB nicht hinreichend gerecht.

2. Zivilrecht

Es ist nicht gerechtfertigt, den Bestand einer Ehe, die durch Zwangsheirat zu Stande gekommen ist, bereits nach Ablauf einer Antragsfrist von einem Jahr zu schützen. Gerade in der ersten Zeit nach Beendigung der meist erheblich traumatisch empfundenen Zwangslage ist der genötigte Ehegatte oft emotional nicht in der Lage, die Aufhebung der Ehe zu betreiben. Wegen massiven Verstoßes gegen das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person und die in Artikel 6 Abs. 1 GG geschützte Eheschließungsfreiheit ist der Bestand einer solchen Ehe nur schutzwürdig, wenn der genötigte Ehegatte nach Aufhören der Zwangslage in Betätigung seines freien Willens die Ehe durch Fortsetzung bestätigt (§ 1315 Abs. 1 Nr. 4 BGB) oder nicht innerhalb einer Frist von drei Jahren die Aufhebung der Ehe beantragt hat.

Auch bei den in § 1318 BGB geregelten Rechtsfolgen der Aufhebung einer Ehe sind einzelne Änderungen geboten:

Nach der durch das Eheschließungsrechtsgesetz geschaffenen Rechtslage besteht ein Anspruch zu Gunsten des genötigten Ehegatten nur, wenn die Drohung von dem anderen Ehegatten oder mit dessen Wissen erfolgt ist. Diese Regelung wird den Opfern einer Zwangsheirat nicht gerecht. Denn nicht selten wird die Drohung von der Familie des genötigten Ehepartners ausgehen und jedenfalls der Nachweis, dass diese dem anderen Ehegatten bekannt war, nicht geführt werden können. Um dennoch Unterhalt beanspruchen zu können, wäre der genötigte Ehegatte gezwungen, auf die Aufhebung der Ehe zu verzichten und das Scheidungsverfahren zu wählen. Dies ist wegen zusätzlicher Voraussetzungen der Ehescheidung (Trennungsjahr) nicht zu rechtfertigen.

Ergänzungsbedürftig ist auch § 1318 Abs. 5 BGB. Danach ist das gesetzliche Erbrecht des bösgläubigen Ehegatten bei bestimmten Aufhebungsgründen ausgeschlossen. Zu diesen zählt der Aufhebungsgrund der widerrechtlichen Drohung nicht. Dies bedarf der Korrektur durch Aufnahme auch dieses Aufhebungsgrundes, nachdem das Unrecht einer Zwangsheirat den Wegfall des Ehegattenerbrechts kraft Gesetzes rechtfertigt.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des StGB)

Zu Nummer 1 (Inhaltsübersicht)

Es handelt sich um eine Folgeänderung zur Einführung der Strafvorschrift gegen Zwangsheirat (vgl. Nummer 3).

Zu Nummer 2 (§ 6 Nr. 4 StGB)

In den Fällen der Zwangsheirat nach § 234b Abs. 2 und 3 StGB-E handelt es sich um menschenhandelsähnliche Verhaltensweisen. Deshalb ist es geboten, diese durch die Einstellung in § 6 StGB dem Weltrechtsprinzip zu unterstellen. Ein Verstoß gegen das Nichteinmischungsprinzip oder eine tatsächliche Überforderung der Strafverfolgungsbehörden ist damit nicht verbunden, da es auch bei diesen Auslandstaten eines legitimierenden inländischen Anknüpfungspunktes für die Strafverfolgung bedarf.

Zu Nummer 3 (§ 234b - neu - StGB)

Die vorgeschlagene Regelung gliedert sich in drei Absätze, die unterschiedliche Erscheinungsformen der Zwangsheirat sanktionieren, die Bestimmung der Versuchsstrafbarkeit und einen reduzierten Strafrahmen für minder schwere Fälle. Als Straftat gegen die persönliche Freiheit wird sie in den 18. Abschnitt des Strafgesetzbuches eingestellt. Wegen der in Teilbereichen bestehenden Nähe zur Verschleppung ( § 234a StGB) wird die neue Strafnorm im Anschluss daran eingefügt; eine Regelung im Anschluss an § 240 StGB ist nicht geboten, auch wenn § 234b Abs. 1 StGB-E eine Qualifikation der Nötigung enthält.

Die Einstellung der Strafnorm gegen Zwangsheirat in § 234b StGB führt dazu, dass sich die durch eine rechtswidrige Tat verletzte Person der öffentlichen Klage als Nebenkläger anschließen kann (§ 395 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe d StPO). Dies ist sachgerecht; strafprozessualer Folgeregelungen bedarf es nicht.

In Absatz 1 wird die Nötigung zur Eingehung der Ehe als Qualifikation der Nötigung ( § 240 StGB) ausgestaltet. Durch den erhöhten Strafrahmen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird das gegenüber dem Grundfall der Nötigung erhöhte Unrecht zum Ausdruck gebracht, das sich aus dem Zwang zu einer dauerhaften rechtlichen und persönlichen Verbindung ergibt. Der Strafrahmen orientiert sich - wegen des in allen Tatalternativen des § 234b StGB-E vergleichbaren Gewichts des Unrechts - am Strafrahmen des Menschenhandels (§ 232 Abs. 1, § 233 Abs. 1 StGB). Die Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB wird in § 234b Abs. 1 Satz 2 StGB-E übernommen, weil insbesondere bei der Drohungsalternative Fallgestaltungen nicht ausgeschlossen sind, in denen die Androhung eines empfindlichen Übels zu dem angestrebten Zweck nicht als verwerflich anzusehen ist, beispielsweise bei der Ankündigung eines Partners einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, den anderen zu verlassen, wenn er nicht zur Eingehung der Ehe bereit ist.

Absatz 2 regelt mit derselben Strafdrohung in Anlehnung an den Tatbestand des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung ( § 232 Abs. 1 StGB) eine besondere Form der Zwangsheirat, die sich als Heiratshandel kennzeichnen lässt. Dabei reicht die bloße Kenntnis der Zwangslage oder speziellen Hilflosigkeit nicht aus; für die Strafbarkeit erforderlich ist deren Ausnutzung. Wie die durch das 37. StrÄndG neu formulierten Tatbestände des Menschenhandels (§ 232 Abs. 1, § 233 Abs. 1 StGB) ist der hier vorgeschlagene Tatbestand als Erfolgsdelikt ausgestaltet, um die Strafbarkeit nicht zu weit in die Vorbereitung der angestrebten Eheschließung zu verlagern. Einen gewissen Ausgleich schafft die in Absatz 4 vorgesehene Versuchsstrafbarkeit.

Absatz 3 stellt mit derselben Strafdrohung in Anlehnung an den Tatbestand der Verschleppung ( § 234a StGB) Fallkonstellationen unter Strafe, in denen das Opfer dem tatsächlichen und rechtlichen Schutz, der mit seinem Aufenthalt im Inland verbunden ist, durch besondere Einwirkung entzogen wird, um es zur Eingehung der Ehe zu bringen. Zur Eingrenzung des Tatbestands auf strafwürdige Fälle wird vorausgesetzt, dass eine mit dem Aufenthalt im Ausland verbundene Zwangslage oder Hilflosigkeit ausgenutzt werden sol1. Anders als in den Absätzen 1 und 2 der vorgeschlagenen neuen Strafnorm wird hier für die Strafbarkeit die Eheschließung nicht als tatbestandlicher Erfolg vorausgesetzt. Es reicht ein darauf gerichtetes Handeln, wenn dieses einen tatsächlichen, im Regelfall schutzmindernden Aufenthalt im Ausland bewirkt hat; insoweit handelt es sich auch hier um ein Erfolgsdelikt.

Im Interesse eines umfassenden Rechtsgüterschutzes ist in Absatz 4 für alle Tatalternativen Versuchsstrafbarkeit bestimmt.

Absatz 5 sieht - in Anlehnung an die Regelung beim Menschenhandel (§ 232 Abs. 5, § 233 Abs. 3 i.V.m. § 232 Abs. 5 StGB) - einen reduzierten Strafrahmen für minder schwere Fälle vor.

Zu Nummer 4 ( § 240 Abs. 4 StGB)

Das durch das 37. StrÄndG vom 11. Februar 2005 eingefügte Regelbeispiel für den besonders schweren Fall der Nötigung "zur Eingehung der Ehe" in § 240 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StGB wird durch den neuen Qualifikationstatbestand des § 234b Abs. 1 StGB überflüssig und ist deshalb zu streichen.

Zu Artikel 2 (Änderung des BGB)

Zu Nummer 1 (§ 1317 Abs. 1 Satz l, 2 BGB)

Nach § 1317 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Antrag auf Aufhebung der Ehe in den Fällen des § 1314 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 BGB und damit auch in dem Fall, dass ein Ehegatte zur Eheschließung widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, nur binnen eines Jahres gestellt werden, wobei die Frist nach Absatz 1 Satz 2 Halbsatz 1 grundsätzlich mit dem Aufhören der Zwangslage beginnt. Es handelt sich dabei um eine von Amts wegen zu prüfende materiellrechtliche nicht abdingbare Ausschlussfrist, bei deren Versäumung die Aufhebung der Ehe nicht mehr begehrt werden kann.

Zwar beginnt die Ausschlussfrist erst mit dem Ende der Zwangslage und bei einer weiteren Drohung während der Zwangslage erst dann, wenn die durch die weitere Drohung begründete Zwangslage aufhört (vgl. Staudinger-Klippel, 13. Bearbeitung 2000, § 1317 Rnr. 10), so dass in der Regel ein Aufhebungsantrag nicht an der Versäumung der Antragsfrist scheitern wird.

Der Antragsgegner ist zudem für die Fristversäumung beweispflichtig und trägt damit auch die Beweislast für die Behauptung, die Zwangslage habe schon früher aufgehört als vom Antragsteller angegeben (vgl. Staudinger-Klippel, a.a.O., Rnr. 20; Münchener Kommentar zum BGB-Müller-Gindullis, 4. Aufl., § 1317 Rnr. 9).

Eine kurze Ausschlussfrist von lediglich einem Jahr ist bei durch Zwangsheirat zu Stande gekommenen Ehen dennoch nicht gerechtfertigt. Durch die Änderung von Absatz 1 Satz 1 wird die Antragsfrist von einem auf drei Jahre verlängert. Damit wird der besonderen emotionalen Situation des genötigten Ehegatten Rechnung getragen, der oft erst nach gewissem Zeitablauf in der Lage sein wird, eine Aufhebung der Ehe aktiv zu betreiben. Ausgeschlossen ist eine Aufhebung dann aber nach wie vor nach § 1315 Abs. 1 Nr. 4 BGB bei einer Bestätigung der Ehe durch den genötigten Ehegatten. Dies ist angemessen, weil nur der Bestand einer solchermaßen bestätigten Ehe den Schutz der Rechtsordnung verdient und dadurch den Besonderheiten des Einzelfalls ausreichend Rechnung getragen werden kann.

Zu Nummer 2 (§ 1318 Abs. 2 Satz 1 Nr. l, Abs. 5 BGB)

Nach § 1318 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB besteht in Anwendung der §§ 1569 bis 1586b BGB ein Unterhaltsanspruch des genötigten Ehegatten bei Aufhebung der Ehe nur, wenn die Drohung durch den anderen Ehegatten oder mit dessen Wissen erfolgt ist.

Durch die Änderung von Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 wird diese Tatbestandsvoraussetzung ersatzlos gestrichen und dadurch bewirkt, dass der genötigte Ehegatte nicht mehr nachweisen muss, dass der andere von der Drohung zumindest gewusst hat. Hierfür besteht ein praktisches Bedürfnis, da in Fällen von Zwangsheirat häufig die Drohung nicht vom anderen Ehegatten, sondern von Familienangehörigen des genötigten Ehegatten ausgehen wird und der Nachweis, dass dem anderen Ehegatten dies bekannt war, nicht geführt werden kann.

Damit wird auch die Schlechterstellung des genötigten Ehegatten beseitigt, die der durch das Eheschließungsrechtsgesetz vom 4. Mai 1998 (BGBl. I S. 833) geschaffene Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 gegenüber der bis zum 1. Juli 1998 geltenden Rechtslage bewirkt hat. Nach dem bis dahin geltenden Ehegesetz vom 20. Februar 1946 (ABlKR S. 77) bestimmten sich nämlich die Folgen der Aufhebung einer Ehe grundsätzlich nach den Vorschriften über die Folgen der Scheidung (§ 37 Abs. 1 EheG). Danach hatte der genötigte Ehegatte bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen einen Unterhaltsanspruch, allerdings umgekehrt auch der andere Ehegatte. Doch konnte der genötigte Ehegatte den Unterhaltsanspruch des anderen Ehegatten ausschließen, wenn die Drohung von diesem oder mit dessen Wissen verübt worden war (§ 37 Abs. 2 Satz 1 EheG).

In Übereinstimmung mit der schon vor Inkrafttreten des Eheschließungsrechtsgesetzes geltenden Rechtslage entfällt auch nach geltendem Recht das bei einer fehlerhaften und deswegen aufhebbaren Ehe bestehende gesetzliche Ehegattenerbrecht vor Rechtskraft des Aufhebungsurteils, wenn der verstorbene Ehegatte das gerichtliche Aufhebungsverfahren eingeleitet hat und sein Antrag Erfolg gehabt hätte (§ 1933 Satz 2 i.V.m. Satz 1 BGB).

Darüber hinaus sieht § 1318 Abs. 5 BGB-E aber nunmehr vor, dass das gesetzliche Erbrecht des überlebenden Ehegatten auch ohne Einleitung des gerichtlichen Aufhebungsverfahrens dann ausgeschlossen ist, wenn der Überlebende von Anfang an um die Aufhebbarkeit seiner Ehe aus einem von fünf genannten Aufhebungsgründen wusste. Zu diesen zählt bislang nicht das Zustandekommen der Eheschließung mittels widerrechtlicher Drohung. Angesichts des Unrechtsgehalts einer Zwangsheirat ist aber deren Einbeziehung in den Anwendungsbereich des Absatzes 5 geboten.

Durch die Änderung wird deshalb der Anwendungsbereich des Absatzes 5 auf den Fall des § 1314 Abs. 2 Nr. 4 BGB erweitert. Damit werden sowohl der Fall, dass die Drohung vom Ehegatten verübt wurde als auch der Fall, dass er von dieser lediglich wusste, erfasst und führen zum Ausschluss des Ehegattenerbrechts.

Durch den neu anzufügenden Satzteil wird gleichzeitig erreicht, dass in allen Anwendungsfällen des Absatzes 5 der Verlust des Ehegattenerbrechts dann nicht eintritt, wenn zum Zeitpunkt des Erbfalls eine Aufhebung der Ehe nicht mehr erfolgen könnte. An der gegenwärtigen Fassung der Vorschrift wird zu Recht kritisiert, dass sie die weitere Entwicklung der Ehe und dabei insbesondere eine nach § 1315 BGB eingetretene Heilung des Aufhebungsgrundes ausblendet (vgl. Staudinger-Strätz, 13. Bearbeitung, 2000, § 1318 Rnr. 38 und 40). Darin liegt ein Wertungswiderspruch zur gesamten Systematik des Eheaufhebungsrechts.

Zu Artikel 3 (Änderung des EGBGB)

Die Vorschrift regelt die Überleitung des neuen Rechts auf die vor seinem Inkrafttreten geschlossenen Ehen. Zur Erleichterung ihrer Auffindbarkeit und aus systematischen Gründen wird die Überleitungsvorschrift als neuer § 15 in Artikel 229 EGBGB eingestellt.

Nach § 15 Abs. 1 EGBGB-E gilt das neue Recht grundsätzlich auch für bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes geschlossene Ehen. Allerdings kann aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit eine nach bisherigem Recht nicht mehr aufhebbare Ehe nicht nachträglich aufhebbar gestellt werden. Absatz 1 schreibt deshalb vor, dass eine "Altehe" nur dann aufgehoben werden kann, wenn sie schon nach dem bisherigen Recht aufhebbar war. Damit wird ausgeschlossen, dass eine Ehe nunmehr aufgehoben werden kann, obwohl die nach bisherigem Recht vorgesehene Aufhebungsfrist von einem Jahr bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bereits abgelaufen war.

Im Unterschied zu der Übergangsregelung zum Eheschließungsrechtsgesetz in Artikel 226 (dort Absatz 2) wird nicht bestimmt, dass bereits laufende Eheaufhebungsverfahren nach bisherigem Recht weitergeführt und entschieden werden. Dies würde dazu führen, dass genötigten Ehegatten, die bereits einen Aufhebungsantrag gestellt haben, unter Umständen Nachteile erleiden würden, weil für ihre Ehe die bisherige Aufhebungsfrist von einem Jahr gelten würde und womöglich abgelaufen wäre.

Zu Artikel 4 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.