Empfehlungen der Ausschüsse - 825. Sitzung des Bundesrates am 22. September 2006
Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz
(2. Justizmodernisierungsgesetz)

A.


Der federführende Rechtsausschuss (R) und
der Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In)
empfehlen dem Bundesrat,
zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zu Artikel 4 (§§ 43a, 48e - neu - DRiG)

In Artikel 4 ist die Angabe "§ 43" durch die Angabe "§ 48d" und jeweils die Angabe "§ 43a" durch die Angabe "§ 48e" zu ersetzen.

Begründung:

Im Hinblick auf die mit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) vom 28. August 2006 (BGBl. I S. 2034) verbundene Beschränkung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich des Richterrechts auf die Statusrechte und -pflichten der Richter in den Ländern (Artikel 74 Abs. 1 Nr. 2 GG - neu ) entfällt eine etwaige Bundeskompetenz für die Fortbildungspflicht der Landesrichter. Eine derartige Regelung ist daher auf Bundesrichter zu beschränken. Zu diesem Zweck ist sie vom ersten Teil des Deutschen Richtergesetzes, der sich auch auf Richter im Landesdienst bezieht, in den zweiten Teil zu übernehmen, der ausschließlich die Rechtsverhältnisse der Richter im Bundesdienst regelt.

2. Zu Artikel 10 Nr. 3a - neu - ( § 116 Satz 2 ZPO)

In Artikel 10 ist nach Nummer 3 folgende Nummer 3a einzufügen:

Begründung:

Es handelt sich um die Behebung eines gesetzgeberischen Versehens. Durch das Gesetz zur Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten (EG-Prozesskostenhilfegesetz) vom 15. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3392) wurde § 114 ZPO ein Satz 2 angefügt. § 116 Satz 2 ZPO wurde nicht entsprechend angepasst, verweist vielmehr auf § 114 in der alten Fassung. Die Verweisung ist an die neue Gesetzeslage anzupassen, die wegen der Einführung des Satzes 2 in § 114 notwendige Folgeänderung nachzuholen.

3. Zu Artikel 10 Nr. 3a - neu - (§ 349 Abs. 2 Nr. 3a - neu - ZPO)

In Artikel 10 ist nach Nummer 3 folgende Nummer 3a einzufügen:

Begründung:

Gemäß § 349 ZPO kann der Vorsitzende nur in den in Absatz 2 genannten Fällen ohne Handelsrichter entscheiden. Die Entscheidung über die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen zählt bislang nicht dazu (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht, MDR 1980, 273; Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 26. Juni 2003 - 4 W 28/2003 -). Über Ablehnungsgesuche muss die Kammer daher in voller Besetzung unter Einschluss der ehrenamtlichen Handelsrichter entscheiden. Verbunden mit dem durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) geschaffenen Abhilfeerfordernis des § 572 Abs. 1 ZPO hat dies zu einer erheblichen Komplizierung und Verlängerung des Ablehnungs- und Beschwerdeverfahrens geführt, da die Hinzuziehung der zuständigen Handelsrichter häufig nicht kurzfristig möglich ist.

Zur Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens soll deshalb künftig auf die Mitwirkung der Handelsrichter an der Entscheidung über die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen verzichtet werden. Im Fall der Ablehnung der Handelsrichter entscheidet damit der Vorsitzende allein. Wird der Vorsitzende selbst abgelehnt, entscheidet nach der allgemeinen Regelung des § 45 Abs. 1 ZPO i.V.m. mit § 349 Abs. 2 Nr. 3a ZPO-E der geschäftsplanmäßige Vertreter des Vorsitzenden.

Der besonderen Sachkunde der Handelsrichter bedarf es bei der Entscheidung über die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen nicht. Die Verfahrensrechte der Parteien werden deshalb nicht in unzulässiger Weise verkürzt.

Auch § 31 Abs. 2 Satz 1, 2 StPO sieht die Entscheidung über die Ablehnung von Schöffen von den richterlichen Mitgliedern des Spruchkörpers ohne Mitwirkung der Schöffen vor. Gleiches gilt gemäß § 27 Abs. 2 StPO i.V.m. § 76 Abs. 1 Satz 2 GVG sowie § 27 Abs. 3 Satz 1 StPO für die Ablehnung eines Berufsrichters. Eine der hier vorgeschlagenen Regelung entsprechende Bestimmung findet sich in § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen.

4. Zu Artikel 10 Nr. 8 ( § 690 Abs. 3 ZPO)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob die in § 690 Abs. 3 ZPO-E für Rechtsanwälte vorgesehene Pflicht zur Einreichung von Anträgen auf Erlass eines Mahnbescheids in maschinell lesbarer Form auch für Anträge auf Erlass eines Vollstreckungsbescheids gelten soll.

Begründung:

Gemäß § 690 Abs. 3 Satz 2 ZPO-E sollen Rechtsanwälte verpflichtet werden, die das Mahnverfahren einleitenden Anträge auf Erlass eines Mahnbescheids nur in maschinell lesbarer Form einzureichen. Über die Verweisung in § 699 Abs. 1 Satz 2 auf § 690 Abs. 3 ZPO würde diese Pflicht auch für Anträge auf Erlass eines Vollstreckungsbescheids gelten. Die Entwurfsbegründung geht nicht darauf ein, ob und gegebenenfalls warum dies beabsichtigt ist.

Es besteht Anlass zur Prüfung, ob die Pflicht zur Einreichung in maschinell lesbarer Form tatsächlich auf Anträge auf Erlass eines Vollstreckungsbescheids ausgedehnt werden soll: Der Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids ist der mit Abstand informationsreichste Verfahrensantrag, bei dem die vorgesehene Regelung den Bearbeitungsaufwand und die Sachkosten für die Gerichte in erheblichem Maße verringert. Für die im Verlauf eines Mahnverfahrens möglichen weiteren Anträge besteht jedoch auf Grund des erheblich geringeren Informationsgehalts kein zwingendes Bedürfnis, Rechtsanwälte zur Antragstellung in maschinell lesbarer Form zu verpflichten. Im Übrigen zeigt die Praxis, dass die Antragstellung in maschinell lesbarer Form regelmäßig auch für die Folgeanträge des Verfahrens genutzt wird, so dass in diesen Fällen für eine Nutzungsverpflichtung keine zwingende Notwendigkeit gesehen wird.

5. Zu Artikel 11 Nr. 7 Buchstabe b ( § 69 Abs. 2 ZVG)

Artikel 11 Nr. 7 Buchstabe b ist folgender Satz anzufügen:

Begründung:

Um den Bietinteressenten als Ausgleich zur Abschaffung der Barzahlungsmöglichkeit (§ 69 Abs. 1 ZVG-E) auch Erleichterungen zu verschaffen, sind die Regelungen zur Schecksicherheit im bisherigen § 69 Abs. 1 ZVG, die sich in der Praxis nicht bewährt haben, zu vereinfachen. Zum einen sollen im neuen § 69 Abs. 2 Satz 1 ZVG als Sicherheitsleistung - an Stelle von bestätigten Bundesbankschecks - auch nicht bestätigte Bundesbankschecks zugelassen werden. Das Bestätigungserfordernis kann entfallen, weil ausschließlich zugelassene Kreditinstitute bei der Bundesbank ein Konto unterhalten können. Zum anderen ist es sinnvoll, im neuen § 69 Abs. 2 Satz 1 ZVG nicht mehr auf die Vorlegungsfrist abzustellen, sondern darauf, dass der vorgelegte Scheck frühestens drei Werktage vor dem Versteigerungstermin ausgestellt sein darf. Die Berechnung der Vorlegungsfrist nach den Vorschriften des Scheckgesetzes (vgl. Artikel 55 Abs. 2, Artikel 56, 29 Abs. 4 ScheckG) ist den in der Regel rechtsunkundigen Bietinteressenten kaum zu erklären. Mit der vorgeschlagenen Vereinfachung verbleibt der Gerichtskasse die erforderliche Zeit für die Einlösung. Die Regelung ist für jeden Bietinteressenten nachvollziehbar und macht die im Einzelfall nach der geltenden Rechtslage komplizierte Berechnung der Vorlegungsfrist entbehrlich.

6. Zu Artikel 16 Nr. 12 Buchstabe w Doppelbuchstabe aa (Nr. 9000 Nr. 1 KV-GKG)

Artikel 16 Nr. 12 Buchstabe w Doppelbuchstabe aa ist wie folgt zu fassen:

Begründung:

Der Änderungsvorschlag dient der Klarstellung des Gewollten. Nach der Begründung zu Artikel 16 Nr. 12 Buchstabe w Doppelbuchstabe aa soll mit der Änderung erreicht werden, dass die Dokumentenpauschale auch dann erhoben wird, wenn die Partei die Mehrfertigungen für die Zustellung an den Gegner ( § 133 Abs. 1 ZPO) in der Weise "beifügt", dass die Schriftsätze mehrfach gefaxt werden. Im Hinblick auf die der Justiz in diesen Fällen entstehenden zusätzlichen Kosten für Papier und Drucker soll bereits die Entgegennahme eines Telefax zum Anfall der Dokumentenpauschale führen, unabhängig davon, ob hiervon noch Ablichtungen gefertigt werden oder nicht. Nach dem Wortlaut der Entwurfsfassung könnte die Dokumentenpauschale jedoch erst dann erhoben werden, wenn Ablichtungen angefertigt worden sind, weil die Partei oder ein Beteiligter die erforderliche Zahl von Mehrfertigungen per Telefax übermittelt hat.

7. Zu Artikel 17 Nr. 6 (§ 92 Abs. 1 Satz 1 KostO)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob die in § 92 Abs. 1 Satz 1 KostO bezifferte Höhe des Vermögens, ab der von dem Fürsorgebedürftigen Kosten erhoben werden dürfen, gesenkt werden kann.

Begründung:

Bislang bestimmt § 92 Abs. 1 Satz 1 KostO, dass u.a. in Betreuungsverfahren nur dann Kosten erhoben werden dürfen, wenn das Vermögen des Fürsorgebedürftigen nach Abzug der Verbindlichkeiten mehr als 25 000 Euro beträgt. Eine bei dem Amtsgericht Bautzen exemplarisch durchgeführte Erhebung, in welchem Umfang bei den Gerichten angefallene Kosten durch Kosten- und Gebührenerhebungen wieder eingebracht werden, hat ergeben, dass dort nur knapp 4 Prozent der Sachverständigenkosten, die in Betreuungsverfahren anfallen, der Staatskasse wieder zufließen. Ursache ist, dass der Freibetrag von 25 000 Euro so hoch ist, dass in den meisten Verfahren keinerlei Kosten bei den Betroffenen erhoben werden können.

Auch wenn ein Bedürfnis anzuerkennen ist, die Betroffenen finanziell nicht noch härter zu treffen, als dies infolge der Betreuungsbedürftigkeit ohnehin der Fall ist, so ist es doch im Interesse der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte geboten zu prüfen, ob der in § 92 Abs. 1 Satz 1 KostO genannte Betrag so gesenkt werden kann, dass zumindest in den meisten Verfahren ein Beitrag der Betroffenen zu den entstehenden Kosten geleistet wird. Angesichts der verhältnismäßig geringen Gebühr des § 92 Abs. 1 Satz 2 KostO erscheint ein solcher Beitrag auch für Betroffene mit niedrigerem Vermögen als 25 000 Euro zumutbar.

8. Zu Artikel 19 Nr. 2 Buchstabe a (§ 13 Abs. 3 Satz 2 JVEG)

In Artikel 19 Nr. 2 Buchstabe a ist § 13 Abs. 3 Satz 2 wie folgt zu fassen:

Begründung:

Der Änderungsvorschlag dient der Klarstellung des Gewollten. Der Entwurf soll den Besonderheiten Rechnung tragen, die sich durch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Verfahren ergeben. § 13 Abs. 1 JVEG-E ermöglicht es grundsätzlich auch der bedürftigen Partei, die Erklärung über eine besondere Vergütung des Sachverständigen, Dolmetschers oder Übersetzers abzugeben. Jedoch soll auch zu Gunsten der bedürftigen Partei grundsätzlich nicht von dem Gebot der Refinanzierung durch Vorausleistung der zusätzlichen Kosten (vgl. § 13 Abs. 1 JVEG-E) abgewichen werden. Ist die bedürftige Partei selbst vorschusspflichtig, soll sie nach § 13 Abs. 3 Satz 2 JVEG-E nur den Mehrbetrag gegenüber der gesetzlichen oder der vereinbarten Vergütung ( § 14 JVEG) vorauszuzahlen haben.

Das Ziel des Entwurfs, dass auch die bedürftige Partei in den Fällen, in denen das Gesetz die Zahlung eines Auslagenvorschusses vorsieht, die durch ihre Erklärung nach § 13 Abs. 1 JVEG-E entstehenden Mehrkosten vorschussweise zu entrichten haben soll, wird mit der Fassung von § 13 Abs. 3 Satz 2 JVEG-E allerdings nicht erreicht. Denn die Partei, der PKH bewilligt wurde, ist im Hinblick auf § 122 Abs. 1 Nr. 1 ZPO regelmäßig von der Zahlung eines Vorschusses auf die Gerichtskosten befreit und kann deshalb nicht vom Gericht zur Zahlung verpflichtet werden. Erforderlich ist eine Regelung, wonach eine Partei, der PKH bewilligt wurde, die aus eigenem Antrieb einer höheren Vergütung zustimmt, die anfallenden Mehrkosten an die Staatskasse zu entrichten hat.

9. Zu Artikel 20 Nr. 7 Buchstabe o (Anmerkung zu Nr. 7000 VV-RVG)

In Artikel 20 Nr. 7 ist Buchstabe o wie folgt zu fassen:

Begründung:

Für den im Entwurf enthaltenen Regelungsvorschlag besteht kein Bedürfnis. Nummer 7000 VV-RVG regelt den Vergütungsanspruch in den Fällen, in denen der Rechtsanwalt aus bestimmten Gründen Ablichtungen herstellen muss. Übermittelt er einen eigenen Schriftsatz per Telefax an die Gegenpartei, seinen eigenen Mandanten bzw. das Gericht, so stellt er gerade keine Ablichtungen her. Die Übermittlung per Telefax ist auch keine andere Art der Herstellung einer Ablichtung, für die dem Rechtsanwalt - über die nach den Nummern 7001 und 7002 VV-RVG zu erstattenden Post- und Telekommunikationsentgelte hinaus - Kosten entstehen, die gesondert vergütet werden müssten. Abgesehen davon kann die im Entwurf vorgesehene Regelung in Fällen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu nicht hinnehmbaren Mehrausgaben für die Staatskasse führen. Übersendet der beigeordnete Rechtsanwalt seinen Schriftsatz samt Mehrfertigungen ausschließlich per Telefax an das Gericht, so entstehen dem Gericht zunächst Kosten für Papier und Drucker, die der bedürftigen Partei nur dann in Rechnung gestellt werden können, wenn sie zu Zahlungen aus dem Vermögen oder Einkommen verpflichtet ist. Darüber hinaus hätte das Gericht aber auch dem beigeordneten Rechtsanwalt Auslagen nach Maßgabe von Nummer 7000 Nr. 1 Buchstabe b VV-RVG zu erstatten. Im Ergebnis entstünden der Staatskasse somit für die per Telefax übermittelten Mehrfertigungen eines vom Rechtsanwalt lediglich im Original hergestellten Dokuments doppelte Kosten.

Richtigerweise ist dem Rechtsanwalt ein Vergütungsanspruch für empfangene Telefaxe zuzubilligen (entsprechend der mit Nummer 9000 Nr. 1 KV-GKG-E bezweckten Regelung). In diesem Fall entstehen ihm ebenso wie dem Gericht zusätzliche Kosten für Papier und Drucker. Mit der Änderung soll deshalb erreicht werden, dass die Dokumentenpauschale auch dann erhoben werden kann, wenn ein Schriftsatz dem Rechtsanwalt per Telefax übermittelt wird.

10. Zu Artikel 22 Nr. 5 ( § 59 StGB)

Artikel 22 Nr. 5 ist zu streichen.

Begründung:

Gegen den Ausbau der Verwarnung mit Strafvorbehalt bestehen durchgreifende Bedenken. Er birgt für das strafrechtliche Sanktionensystem beträchtliche Gefahren sowohl in spezial - als auch generalpräventiver Hinsicht in sich, ist geeignet, gravierenden Mehraufwand in der Praxis zu verursachen, und würde zu nicht kompensierbaren Einnahmeausfällen bei den Ländern im zweistelligen, zumindest auf längere Sicht aber wohl sogar im dreistelligen Millionenbereich führen.

Der Entwurf legt nicht ansatzweise dar, aus welchen Gründen es eines Tätigwerdens des Gesetzgebers bedarf. Er weist lediglich auf rechtstaatliche Vorzüge der Verwarnung mit Strafvorbehalt gegenüber der Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO hin, gibt aber nicht zu erkennen, welche Konstellationen künftig von der Sanktion erfasst werden sollen, die nicht in dem wesentlich ökonomischeren Diversionsverfahren erledigt werden können. Da der Entwurf eine Einschränkung des § 153a StPO nicht vorschlägt, muss eine ausgebaute Verwarnung bei Fällen ansetzen, in denen auch die Erfüllung von Auflagen und Weisungen nicht geeignet ist, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und/oder die Schwere der Schuld einer Verfahrenseinstellung entgegensteht (§ 153a Abs. 1 Satz 1 StPO). Es besteht keinerlei Anlass, für solche Konstellationen einen weiteren Filter der Straflosigkeit einzuführen. Für die Verwarnung mit Strafvorbehalt über den heutigen, sehr beschränkten Anwendungsbereich hinaus ist daher im geltenden Sanktionensystem kein Platz, will man nicht schwerwiegende Nachteile in spezial- und generalpräventiver Hinsicht in Kauf nehmen und unüberwindliche Wertungswidersprüche produzieren.

Kernstück ist die Auflockerung der sogenannten "Würdigkeitsklausel" nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Übernommen werden soll die Formulierung des § 56 Abs. 2 StGB. ("nach der Gesamtwürdigung ... besondere Umstände vorliegen, ..."). Es ist daher zu erwarten, dass sich die Rechtsprechung mangels irgendwelcher Anhaltspunkte für eine andere Interpretation an der Auslegung jener Vorschrift orientieren würde. Auf dieser Linie wäre nicht etwa erforderlich, dass Tat und Täter den "Stempel des Außergewöhnlichen" tragen (so die frühere Rechtsprechung zu § 56 Abs. 2 StGB; zur Entwicklung Gribbohm, LK, § 56, Rnr. 29 ff.). Vielmehr genügt es, wenn die Gesamtheit der Milderungsgründe von besonderem Gewicht ist (Gribbohm, LK, § 56, Rnr. 33 ff.). Besondere Umstände werden sich aber in vielen Geldstrafenfällen finden lassen (z.B. Augenblicksversagen, straffreies Vorleben, § 21 StGB, wirtschaftliche Not, Täter-Opfer-Ausgleich und Schadenswiedergutmachung usw.). Auch dies wird durch die Entwicklung bei § 56 Abs. 2 StGB eindrucksvoll bestätigt, wo die Gerichte - bei schweren Taten - in rund zwei Dritteln der betroffenen Fälle gewichtige Besonderheiten annehmen. Nimmt man die weiteren durch den Entwurf vorgeschlagenen Maßnahmen hinzu (Streichung des Absatzes 2), so können die Änderungen durch die Praxis nur dahin verstanden werden, dass die Verwarnung aus ihrem derzeitigen Schattendasein herausgeholt und zu einer umfänglich eingesetzten Sanktion ausgebaut werden soll. Die Folge wäre ein "konturenloses Nebeneinander von Geldstrafe und Verwarnung mit Strafvorbehalt" (vgl. Schöch, Gutachten c zum 59. Deutschen Juristentag, C 90), das nach dem Grundsatz des geringst möglichen Eingriffs wohl alsbald in einen Vorrang der Verwarnung einmünden würde.

Konsequenz wäre, dass die Geldstrafe in breitem Maße durch die Verwarnung verdrängt würde. Demnach gingen dem Sanktionensystem die weithin anerkannten spezial- und generalpräventiven Wirkungen der Geldstrafe zu einem guten Teil verloren. Ungewiss wäre, ob nicht sogar das gesamte Sanktionensystem "ins Rutschen käme".

Erfahrungsgemäß entfaltet die Geldstrafe die ihr vom Gesetzgeber zugedachte Warnwirkung auf die meisten Verurteilten. Die Geldstrafe ist auch durch die Öffentlichkeit akzeptiert. Hingegen kann beim lediglich Verwarnten und bei der Rechtsgemeinschaft der Eindruck entstehen, die Straftat sei letztlich folgenlos geblieben. Der Mehrfachtäter, den der Entwurf durch Streichung des § 59 Abs. 2 StGB gerade begünstigen will, würde einen weiteren Filter der Straflosigkeit durchlaufen können. Am Anfang stünde das (u.U. mehrfache) Absehen von Strafe nach den §§ 153, 153a StPO (§§ 45, 47 JGG), dann die (u.U. mehrfach verhängte) Verwarnung mit Strafvorbehalt. Erst nachdem bereits viele Stationen einer kriminellen Karriere durchlaufen wären, würde das erste Mal ein Strafübel verhängt.

Dem Gedanken der positiven Generalprävention wären ferner die erheblichen Spannungen zum Ordnungswidrigkeitenrecht abträglich. Während der "Verkehrssünder" sofort mit einer spürbaren Sanktion zu rechnen hat, bliebe der Straftäter u.U. ohne fühlbare Einbuße. Besonders krass können solche Wertungswidersprüche im Verkehrsstraf- und -ordnungswidrigkeitenrecht auftreten.

Auf der anderen Seite sind auch Akzeptanzprobleme beim Verurteilten zu erwarten. Es kann nämlich für manchen die "schon fast groteske" (vgl. Dreher, Maurach-Festschrift, S. 275 <290>) Situation eintreten, dass sich an eine Tat, die sonst mit wenigen Tagessätzen Geldstrafe geahndet würde, eine bis zu zweijährige Bewährungszeit anschließt.

Die Verwarnung mit Strafvorbehalt ist sowohl im Vergleich zur Diversion als auch zur Geldstrafe ein außerordentlich unökonomisches Institut. Sie erfordert in jedem Fall ein Urteil (oder einen Strafbefehl), es schließt sich eine ein- bis dreijährige (nach dem Entwurf zweijährige) Bewährungsfrist an. Zumindest ein weiterer (anfechtbarer) Beschluss ist erforderlich. Außerdem muss die Bewährung überwacht werden. Der Richter bekommt also die Akte jahrelang "nicht vom Tisch". Das Verfahren kann dabei erheblich verkompliziert werden, wenn sich der Verurteilte nicht "wohl" verhält, also etwa Auflagen/Weisungen nicht erfüllt oder neue Straftaten begeht und mögliche Rechtsmittel ausschöpft. Bei einer breit ausgebauten Sanktion würden zwingend auch solche problematischen Fälle in breitem Umfang zunehmen.

Beträchtliche Auswirkungen hat die Änderung darüber hinaus auf die Urteilsfindung. Derzeit muss das Unterbleiben einer Verwarnung mit Strafvorbehalt entgegen einem diesbezüglichen Antrag zwar begründet werden (§ 267 Abs. 3 Satz 4 StPO). Die Anwaltschaft (und der Angeklagte) macht aber von dem gewährten Antragsrecht kaum je Gebrauch, weil entsprechende Anträge im Hinblick auf den absoluten Ausnahmecharakter der Verwarnung mit Strafvorbehalt wenig sinnvoll erscheinen. Ohne diesbezüglichen Antrag besteht nach der Rechtsprechung wegen dieses Ausnahmecharakters keine Begründungspflicht.

Dies würde sich ändern, wenn die Sanktion entsprechend dem Willen des Entwurfs von ihrem Schattendasein befreit würde. Dann würde sie praktisch in deren gesamten Bereich mit der Geldstrafe konkurrieren. Demnach müssten künftig in breitem Umfang (bei mehreren hunderttausend Geldstrafen pro Jahr bundesweit) prognostische Überlegungen angestellt werden. Auf den Tatrichter käme eine "Begründungslast zu, die im rechtsschutzversicherten Verkehrsrecht, wo kleine Geldstrafen die Regel sind, schnell zur Lawine" werden könnte (vgl. Horn, NStZ 1985, 364). Gerade im Bereich der Massendelinquenz wäre der damit verbundene Aufwand mit den vorhandenen Ressourcen kaum zu bewältigen (vgl. Dreher, a.a.O., S. 291 f.; s. auch die Stellungnahme der Bundesregierung in BT-Drs. 013/9612, S. 8). Dies gilt umso mehr, als der Entwurf der Praxis keinerlei Kriterien an die Hand gibt, wie das Merkmal der "besonderen Umstände" auszulegen sein könnte.

11. Zu Artikel 23 Nr. 01 - neu - (§ 41 Abs. 1 Nr. 2, 3, 4 - neu - JGG)

In Artikel 23 ist vor Nummer 1 folgende Nummer 01 einzufügen:

"01. § 41 Abs. 1 wird wie folgt geändert:

Begründung:

Durch die Ergänzung des § 41 Abs. 1 JGG, die der Vorschrift des § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG nachgebildet ist, wird die sachliche Zuständigkeit der Jugendkammer erweitert. Danach kann die Staatsanwaltschaft wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit von Opferzeugen Anklage zur Jugendkammer erheben.

Die Regelung ermöglicht es, die besondere Schutzbedürftigkeit von Opferzeugen auch in Strafverfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende zu berücksichtigen. Insbesondere wenn durch eine weitere Vernehmung gravierende psychische Auswirkungen auf den Opferzeugen zu befürchten sind, soll es künftig möglich sein, ihm eine weitere Tatsacheninstanz zu ersparen. Das wird im Einzelfall insbesondere bei kindlichen Opfern von Sexualstraftaten der Fall sein, kann aber bei allen Straftaten in Betracht kommen, die sich gegen höchstpersönliche Rechtsgüter richten. Dabei kommt es auf die individuelle Schutzbedürftigkeit des Zeugen in dem konkreten Strafverfahren an.

Es wird davon abgesehen, die Zuständigkeit der Jugendkammer wie in § 41 Abs. 1 Nr. 2 JGG von der Vorlage durch das Jugendschöffengericht und der Übernahmeentscheidung der Jugendkammer abhängig zu machen. Vielmehr folgt deren Zuständigkeit der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft zur Jugendkammer. Schon der Grundsatz größtmöglicher Verfahrensbeschleunigung gebietet es, die Frage der sachlichen Zuständigkeit nicht dem zweistufigen Verfahren nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 JGG - Vorlageentscheidung des Jugendschöffengerichts einerseits und Übernahmeentscheidung der Jugendkammer andererseits - zu unterwerfen, zumal eine gegenüber der Staatsanwaltschaft erhöhte Kompetenz der betroffenen Gerichte für die Beurteilung der besonderen Schutzbedürftigkeit nicht ersichtlich ist. Zudem handelt es sich bei der Frage der Vorlage und der Übernahme nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 40 Abs. 2 JGG jeweils um gerichtliche Ermessensentscheidungen.

Der Opferschutz gebietet es jedoch, die Frage, ob der Opferzeuge eine zweite Tatsacheninstanz durchleiden muss, nicht in das Ermessen der Gerichte zu stellen, sondern eine zwingende Regelung vorzusehen. Bei der im Entwurf verwandten Umschreibung "besondere Schutzbedürftigkeit von Verletzten der Straftat, die als Zeugen in Betracht kommen" handelt es sich deshalb um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der von der Staatsanwaltschaft auszulegen ist. Bejaht diese die Voraussetzungen des vorgeschlagenen § 41 Abs. 1 Nr. 4 JGG, muss Anklage zur Jugendkammer erhoben werden.

Die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs unterliegt der gerichtlichen Überprüfung. Die Staatsanwaltschaft hat in der Anklage die Umstände anzugeben, aus denen sich die "besondere Schutzbedürftigkeit" ergibt, um der Jugendkammer die eigenständige Prüfung ihrer sachlichen Zuständigkeit zu ermöglichen. Kommt die Jugendkammer zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine Eröffnung des Hauptverfahrens vor ihr nicht vorliegen, so eröffnet sie das Hauptverfahren nach § 209 Abs. 1 StPO vor dem zuständigen Gericht der niedrigeren Ordnung. Den Anforderungen des Artikels 101 Abs. 1 Satz 2 und des Artikels 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 9, 223; 22, 254) ist damit Genüge getan.

Der vorgeschlagene § 41 Abs. 1 Nr. 4 JGG war bereits Gegenstand eines Referentenentwurfs für ein Zweites Gesetz zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes, der den Landesjustizverwaltungen vom Bundesministerium der Justiz mit Schreiben vom 29. April 2004 zur Stellungnahme übermittelt worden war. Die vorgeschlagene Ergänzung des § 41 Abs. 1 JGG wurde von den Justizministerien der Länder überwiegend positiv bewertet.

12. Zu Artikel 23 Nr. 3a - neu - (§ 78 Abs. 3 Satz 3 - neu - JGG)

In Artikel 23 ist nach Nummer 3 folgende Nummer 3a einzufügen:

Begründung:

Der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz greift mit Artikel 23 den (Referenten-)"Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes" (Referentenentwurf; Stand: 8. April 2004) wieder auf, wobei die seitens der Länder geäußerte Kritik an dessen Artikel 1 Nr. 4 bis 6 und 8 bis 10 in erfreulichem Umfang berücksichtigt worden ist.

Bedauerlicherweise bleibt der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz in einem zentralen Punkt hinter dem Referentenentwurf zurück.

Der Referentenentwurf sah in Artikel 1 Nr. 8 für § 78 Abs. 3 JGG als neuen Satz 3 vor, dass in den Fällen, in denen "(...) der Beschuldigte in der mündlichen Verhandlung aus(bleibt) und (...) sein Ausbleiben nicht genügend entschuldigt (ist), (...) die Vorführung angeordnet werden (kann), wenn dies mit der Ladung angedroht worden ist."

Der Verzicht auf die Eröffnung der partiellen Anwendbarkeit der Zwangsmittel im Sinne von § 230 Abs. 2 StPO bleibt weit hinter den Bedürfnissen einer modernisierten Justizpraxis zurück, die sowohl aus erzieherischen als auch aus verfahrensökonomischen Gründen auf die - zurzeit nicht bestehende (vgl. Eisenberg, JGG, 11. Auflage, München 2006, §§ 76-78 Rnr. 21 m. w. N.) Möglichkeit zur Vorführung auch im vereinfachten Verfahren der §§ 76 ff. JGG angewiesen ist.

Der Gesetzentwurf ist daher um eine Artikel 1 Nr. 8 des Referentenentwurfs entsprechende Regelung dringend zu ergänzen.

13. Zu Artikel 23 Nr. 4 ( § 80 Abs. 3 JGG)

In Artikel 23 ist Nummer 4 wie folgt zu fassen:

Begründung:

Das Bestreben des Entwurfs, den Opferschutz in Jugendstrafverfahren zu verbessern, verdient ausdrückliche Zustimmung.

Allerdings ist der Weg, den der Entwurf in Artikel 23 Nr. 4 einschlägt, nicht überzeugend. Danach wird im Ergebnis eine weitere Kategorie von Verletzten eingeführt, die zwar nicht zur Nebenklage befugt sind, aber über Rechte verfügen, die über die allgemeinen Verletztenrechte hinausgehen. Diese Lösung erscheint nicht nur rechtssystematisch fragwürdig, sie ist auch unübersichtlich, inkonsequent und unflexibel.

Deutliche Vorzüge weist demgegenüber die im Gesetzentwurf des Bundesrates zur Stärkung des Jugendstrafrechts und zur Verbesserung und Beschleunigung des Jugendstrafverfahrens - BR-Drs. 238/04(B) HTML PDF - vorgeschlagene Neufassung des § 80 Abs. 3 JGG auf. Diese sieht konform mit dem System des allgemeinen Strafverfahrensrechts vor, in eingeschränktem Umfang die Nebenklage auch in Verfahren gegen Jugendliche zuzulassen. Dabei soll der Katalog der Nebenklagedelikte jedoch enger sein als im allgemeinen Strafverfahrensrecht, indem er Wettbewerbs- und Ehrdelikte sowie die "einfache" Körperverletzung nach § 223 StGB nicht umfasst. Den besonderen Leitprinzipien des Jugendstrafrechts soll außerdem dadurch Rechnung getragen werden, dass der Jugendrichter von der Zulassung der Nebenklage absehen kann, wenn dies aus erzieherischen Gründen geboten erscheint.

Die genannte Konzeption des Bundesratsentwurfs ist konsequenter, weil sie mit der grundsätzlichen Zulassung der Nebenklage den Opfern nicht nur Informations- und Anwesenheitsrechte einräumt, sondern die aktive Beteiligung an dem Strafverfahren gegen den jugendlichen Beschuldigten ermöglicht. Nur dies trägt der Bedeutung, die dem Opferschutz heute auch im Jugendstrafverfahren zukommt, ausreichend Rechnung und entspricht dem zentralen Anliegen der Opferschutzverbände sowie einer Forderung des 64. Deutschen Juristentages 2002 in Berlin.

Zugleich ist die Lösung des früheren Bundesratsentwurfs deutlich flexibler, weil der Jugendrichter aus erzieherischen Gesichtspunkten von der Zulassung der Nebenklage absehen kann. Dies lässt anders als der allein auf formale und deliktsbezogene Kriterien abstellende vorliegende Entwurf die Berücksichtigung erzieherischer Belange und der Besonderheiten des Einzelfalls zu und wird daher den Anforderungen des Jugendstrafverfahrens deutlich besser gerecht. Schließlich ist der im früheren Bundesratsentwurf enthaltene Vorschlag auch deshalb vorzuziehen, weil er in Fällen der "einfachen" vorsätzlichen Körperverletzung im Interesse der "jugendgemäßen" Ausgestaltung und der Beschleunigung des Jugendstrafverfahrens von der verfahrensrechtlichen Absicherung der Opferinteressen absieht.

B.