Empfehlungen der Ausschüsse 826. Sitzung des Bundesrates am 13. Oktober 2006
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes - Antrag der Länder Hamburg und Niedersachsen -

Grunddrucksache 034/05 (PDF)

A.

Der federführende Rechtsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 1 des Grundgesetzes nach Maßgabe folgender Änderungen beim Deutschen Bundestag einzubringen:

1. Zu Artikel 1 Nr. 1a -neu- ( § 10 Abs. 2 SGG), Nr. 1b -neu- (§ 12 Abs. 1 Satz 3 - neu - SGG), Nr. 1c -neu- (§ 14 Abs. 6 - neu - SGG)

In Artikel 1 sind nach Nummer 1 folgende Nummern 1a bis 1c einzufügen:

Folgeänderung:

Nach der Einzelbegründung zu Artikel 1 Nr. 1 sind folgende Einzelbegründungen zu Artikel 1 Nr. 1a bis 1c einzufügen:

Zu Nummer 1a (§ 10 Abs. 2)

Die Änderung dient der Klarstellung, dass auch Angelegenheiten der Vertragsärzte, Vertragszahnärzte und Psychotherapeuten, die keine Streitigkeit auf Grund der Beziehungen zwischen Krankenkassen und Vertragsärzten, Vertragszahnärzten und Psychotherapeuten einschließlich ihrer Vereinigungen und Verbände zum Gegenstand haben, den Kammern für Angelegenheiten des Vertragsarztrechts zuzuordnen sind. Für die Änderung besteht Anlass, weil das Vertragsarztrecht bislang lediglich mit Blick auf die letztgenannten Streitigkeiten legaldefiniert wird (vgl. § 10 Abs. 2 SGG), während in § 12 Abs. 3 Satz 2 SGG auch die erstgenannten Angelegenheiten angesprochen werden. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob die Bestimmung in § 14 Abs. 2 SGG betreffend die Zuständigkeit für die Erstellung von Vorschlagslisten für die ehrenamtlichen Richter, die in den Kammern für Angelegenheiten des Vertragsarztrechts mitwirken, auch für Kammern gilt, die in Angelegenheiten nach § 12 Abs. 3 Satz 2 SGG tätig werden. Diese Frage wird mit der vorgesehenen Änderung von § 10 Abs. 2 SGG eindeutig beantwortet.

Zu Nummer 1b (§ 12 Abs. 1 Satz 3 -neu-)

Mit der Ergänzung von § 12 Abs. 1 SGG wird es dem Vorsitzenden ermöglicht, ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden, wenn sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben. Entsprechende Grundlagen für Entscheidungen des somit konsentierten Einzelrichters finden sich im Verwaltungsprozessrecht in § 87a Abs. 2 VwGO und im Finanzprozessrecht in § 79a Abs. 3 FGO. Diese Rechtsgrundlagen haben sich in der Praxis bewährt. Sie ermöglichen es den Beteiligten, auf die Gestaltung des Verfahrens Einfluss zu nehmen und ihr Interesse, möglichst zeitnah eine Entscheidung zu erhalten, zu fördern. Dieses Interesse wird häufig dann von Gewicht sein, wenn der Rechtsstreit keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten aufweist und wenn sich die Verfahrensbeteiligten (oder ihre Bevollmächtigten) der Sachkunde und Erfahrung des zur Entscheidung berufenen Vorsitzenden gewiss sind. Triftige Gründe, die es - anders als im Verwaltungs- und Finanzprozess - ausschließen würden, den Beteiligten des Verfahrens vor den Sozialgerichten eine solche Mitwirkungsmöglichkeit zu eröffnen, sind nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als im Verfahren vor dem Landessozialgericht bereits die Möglichkeit besteht, dass der Vorsitzende oder der bestellte Berichterstatter als konsentierter Einzelrichter anstelle des Senats entscheidet (§ 155 Abs. 3 und 4 SGG). In diesem Zusammenhang ist ferner zu berücksichtigen, dass den Vorsitzenden der Kammern des Sozialgerichts bereits nach geltendem Recht die Möglichkeit eröffnet ist, wichtige Sachentscheidungen ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter zu treffen. Dies gilt etwa für Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz, über die regelmäßig ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden ist, aber auch für den Erlass von Gerichtsbescheiden (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Nachteile für die Akzeptanz oder Qualität der vom konsentierten Einzelrichter zu treffenden Entscheidungen sind nicht zu befürchten. Denn die von der Entscheidung unmittelbar Betroffenen haben sich mit der Einzelrichterentscheidung ausdrücklich einverstanden erklärt. Hinzu kommt, dass es der Entscheidung des Vorsitzenden obliegt, ob er von der Ermächtigung, ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden, tatsächlich Gebrauch macht. Dies wird er regelmäßig nicht tun, wenn er es für angezeigt hält, dass die Sachkunde der ehrenamtlichen Richter in das Verfahren einfließt.

Zu Nummer 1c (§ 14 Abs. 6 -neu-)

Mit dem Gesetz zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der Verfahrensvorschriften zur Wahl und Berufung ehrenamtlicher Richter vom 21. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3599) ist eine Grundentscheidung getroffen worden, der für die Berufung der ehrenamtlichen Richter zuständigen Stelle eine Auswahl unter der doppelten Anzahl der Personen zu ermöglichen, die letztlich in das Ehrenamt zu berufen sind. Die vorgesehene Ergänzung von § 14 SGG zielt darauf ab, diese Entscheidung auch für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit zu treffen und somit zur Vereinheitlichung der Prozessordnungen beizutragen. Das zunehmende Interesse an der Vereinheitlichung der Prozessordnungen gibt Anlass, die mit dem Sechsten Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 17. August 2001 (BGBl. I S. 2144) getroffene Entscheidung zu revidieren, den vorschlagenden Stellen keine zahlenmäßigen Vorgaben für die Ausgestaltung der Vorschlagslisten zu machen."

Begründung (nur für das Plenum):

Die Vorschläge gehen auf Anregungen aus der rechtsberatenden und sozialgerichtlichen Praxis zurück.

2. Zu Artikel 1 Nr. 3 ( § 73 SGG)

Artikel 1 Nr. 3 wird wie folgt gefasst:

"3. § 73 wird wie folgt geändert:

Folgeänderungen:

Zu Nummer 16a (§ 166)

Es handelt sich um eine redaktionelle Folgeänderung."

Begründung (nur für das Plenum):

Die vorgeschlagenen Änderungen dienen vornehmlich der weiteren Vereinheitlichung der Vorschriften des Sozial- und Verwaltungsprozessrechts. Sie betreffen die systematische Einordnung der Regelungen über den Vertretungszwang im Verfahren vor dem Bundessozialgericht, die Befugnis des Gerichts, die Bestellung eines Bevollmächtigten und die Hinzuziehung eines Beistandes durch Beschluss anzuordnen. Darüber hinaus wird die Privilegierung der privaten Pflegeversicherungsunternehmen nach § 166 Abs. 1 SGG aufgegriffen, in die neue Vorschrift des § 73 Abs. 3 SGG eingebunden und somit auch für das Verfahren vor dem Landessozialgericht fortgeschrieben.

3. Zu Artikel 1 Nr. 4a -neu- ( § 102 SGG)

In Artikel 1 ist nach Nummer 4 folgende Nummer 4a einzufügen:

Folgeänderung:

Nach der Einzelbegründung zu Artikel 1 Nr. 4 ist folgende Einzelbegründung zu Artikel 1 Nr. 4a einzufügen:

Zu Nummer 4a (§ 102)

Die Änderung dient der Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit und der Vereinheitlichung der Prozessordnungen. Sie zielt darauf ab, den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit die Möglichkeit zu eröffnen, durch eine Betreibensaufforderung die Fiktion der Klagerücknahme herbeizuführen, wenn der Kläger ungeachtet dieser Aufforderung nicht innerhalb einer gesetzten Frist Anstalten unternimmt, vom Gericht als geboten angesehene Mitwirkungshandlungen zu erbringen. Inhaltlich entspricht § 102 SGG in seiner neuen Fassung im Wesentlichen der Parallelvorschrift des § 92 VwGO. Die guten Erfahrungen, die im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit dem Instrument der Klagerücknahmefiktion nach § 92 Abs. 2 VwGO gesammelt worden sind, geben Anlass, eine entsprechende Regelung in das Sozialgerichtsgesetz einzufügen. Abweichend von § 102 Satz 3 SGG in der geltenden Fassung ist in § 102 SGG-E nicht mehr vorgesehen, dass das Gericht auf Antrag über die Kosten zu entscheiden hat. Eine solche Regelung ist entbehrlich (vgl. § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG)."

Begründung (nur für das Plenum):

Der Vorschlag geht auf eine Anregung aus der sozialgerichtlichen Praxis zurück.

4. Zu Artikel 1 Nr. 5 (§ 105 Abs. 2 Nr. 4 SGG)

In Artikel 1 Nr. 5 § 105 Abs. 2 ist Nummer 4 zu streichen.

Begründung (nur für das Plenum):

Die an § 84 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angelehnte Regelung des § 105 Abs. 2 Nr. 4 SGG-E berücksichtigt nicht den Unterschied zwischen dem sozial- und dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Anders als im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gibt es im sozialgerichtlichen Verfahren keinen denkbaren Fall, in dem die Revision gegen erstinstanzliche Urteile auf eine entsprechende Beschwerde hin zugelassen werden kann; eine dem § 135 VwGO entsprechende Vorschrift existiert im SGG nicht. § 105 Abs. 2 Nr. 4 SGG-E sollte daher gestrichen werden.

5. Zu Artikel 1 Nr. 6 ( § 106 Abs. 2 SGG), Nr. 7 (§ 106a Abs. 1, 2 SGG)

Artikel 1 ist wie folgt zu ändern:

Folgeänderung:

Die Einzelbegründung zu Artikel 1 Nr. 6 ist zu streichen.

Begründung (nur für das Plenum):

Für die Regelung in Artikel 1 Nr. 6 des Entwurfs, die auch dem Berichterstatter im vorbereitenden Verfahren bisher dem Vorsitzenden vorbehaltene Kompetenzen überträgt, gibt es in erster Instanz keinen Bedarf, solange die Kammern der Sozialgerichte nach § 12 Abs. 1, § 6 Nr. 2 SGG nur mit einem Berufsrichter als Vorsitzendem und zwei ehrenamtlichen Richtern besetzt sind. Der Vorsitzende ist dann als einziger Berufsrichter zugleich Berichterstatter. Für die zweite Instanz findet sich in § 155 SGG bereits eine Regelung. Entsprechendes gilt für die Änderung von Artikel 1 Nr. 7 des Entwurfs.

6. Zu Artikel 1 Nr. 9a -neu- (§ 136 Abs. 4 - neu - SGG), Artikel 3 (Änderung des GKG)

Folgeänderungen:

Begründung (nur für das Plenum):

Der Vorschlag geht auf Anregungen aus der sozialgerichtlichen Praxis zurück.

B.

C.

Begründung (nur für das Plenum):

Der Zeitpunkt für die Einbringung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes erklärt sich aus dem Umstand, dass die in Nummer 1 der Entschließung angesprochenen Zuständigkeitsverschiebungen bereits zum 1. Januar 2005 wirksam geworden sind. Der "Einstieg in die Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit" ist damit bereits erfolgt. Rasches Handeln ist daher geboten. Dies gilt umso mehr, als sich nicht abzeichnet, dass die Bundesregierung tätig werden wird, um das Problem anzugehen.

Allerdings muss berücksichtigt werden, dass derzeit intensive Beratungen um die auf der Herbstkonferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 25. November 2004 beschlossenen Eckpunkte einer Großen Justizreform stattfinden.

In Folge dieser Beschlüsse sind mehrere Arbeitsgruppen eingerichtet worden, deren Aufgabe es ist, bis zur kommenden Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister detaillierte Konzepte für die konkrete Gestalt der Großen Justizreform zu entwickeln. Besonders hinzuweisen ist hier auf die unter Federführung Sachsens beratende Arbeitsgruppe "Vereinheitlichung der Gerichtsverfassungen/Prozessordnungen" und die unter badenwürttembergischer Federführung beratende Arbeitsgruppe "Funktionale Zweigliedrigkeit".

In beiden Arbeitsgruppen wird derzeit nach sinnvollen Lösungen gesucht, das Sozialprozessrecht mit den Prozessordnungen der anderen Gerichtsbarkeiten (insbesondere der Verwaltungs- und der Finanzgerichtsbarkeit) zu vereinheitlichen und das Rechtsmittelsystem der Sozialgerichtsbarkeit im Sinne einer funktionalen Zweigliedrigkeit umzugestalten. Daher befassen sich beide Arbeitsgruppen mit Themen, die Gegenstand des nun von der Freien und Hansestadt Hamburg vorgelegten Gesetzentwurfs sind.

Ein dergestalt zweigleisiges Vorgehen ist in der gegebenen Situation jedoch gerechtfertigt. Denn die prekäre Lage der Sozialgerichtsbarkeit erfordert ein vorläufiges Handeln des Gesetzgebers im Sinne der hamburgischen Initiative, während die Große Justizreform auf eine grundsätzliche Umgestaltung des deutschen Rechtsschutzsystems abzielt, die mit weiterem Zeithorizont zu betreiben ist.

Dieses Zusammenspiel zwischen der aktuellen Gesetzgebungsinitiative und den Bemühungen um eine Große Justizreform sollte mit der vorgeschlagenen Entschließung zum Ausdruck gebracht werden. Insbesondere sollte verdeutlicht werden, dass der hamburgische Gesetzentwurf auf die dringend erforderliche zeitnahe Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit abzielt, jedoch nicht in das Konzept der Großen Justizreform eingebunden ist und daher auch nur für den Zeitraum Geltung beansprucht, bis die Große Justizreform im Bereich der Sozialgerichtsbarkeit umgesetzt werden kann.

Ferner sollte mit der Entschließung die Entscheidung des Deutschen Bundestages über folgende vom Bundesrat im Jahr 2004 eingebrachten Gesetzentwürfe angemahnt werden: ... Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (BR-Drs. 663/03(B) HTML PDF : "Aufhebung der Kostenfreiheit des sozialgerichtlichen Verfahrens"); Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 92 und 108 GG) (BR-Drs. 543/04(B) HTML PDF : "Zusammenführung der öffentlichrechtlichen Fachgerichtsbarkeiten"); Zusammenführungsgesetz (BR-Drs. 544/04(B) HTML PDF ).

D.

Im Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik und im Gesundheitsausschuss ist eine Empfehlung an das Plenum nicht zu Stande gekommen.