Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren

A. Problem und Ziel

Mit der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren und der Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren liegen nunmehr die ersten beiden Rechtsakte auf dem Weg zu einheitlichen EU-weiten Mindestverfahrensrechten vor, wie sie der Rat in seiner Entschließung vom 30. November 2009 über einen Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen oder Beschuldigten im Strafverfahren als Maßnahmen A und B vorgesehen hat. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich stets für die Schaffung dieser gemeinsamen Mindeststandards innerhalb der Europäischen Union eingesetzt und gewährt einer beschuldigten Person in den von den beiden Richtlinien betroffenen Bereichen, nämlich dem Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen einerseits und dem Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren andererseits, schon jetzt eine große Zahl von Informations- und Teilhaberechten. Handlungsbedarf besteht daher nur in wenigen Teilbereichen, in denen durch die europäischen Vorgaben einzelne, dem geltenden Strafverfahrens- und Gerichtsverfassungsrecht bereits bekannte Gewährleistungen noch weiter ausgebaut werden.

B. Lösung

Die zur Umsetzung der Richtlinie 2010/64/EU notwendigen Anpassungen hinsichtlich Übersetzungs- und Dolmetschleistungen während des Strafverfahrens konzentriert der Gesetzentwurf in einer Neufassung des § 187 des Gerichtsverfassungsgesetzes, der für die Fälle nichtrichterlicher Vernehmung durch entsprechende Verweise in der Strafprozessordnung in Bezug genommen werden soll.

Soweit die Richtlinie 2010/64/EU eine Verpflichtung zur vollständigen Übersetzung der schriftlichen Urteilsgründe vorsieht, soll von dieser Verpflichtung in Übereinstimmung mit den Bestimmungen der Richtlinie im Einzelfall insbesondere dann abgewichen werden können, wenn die Entscheidung rechtskräftig ist oder die beschuldigte Person einen Verteidiger hat.

Zur Umsetzung der durch die Richtlinie 2012/13/EU vorgegebenen Belehrungspflichten sowie der Pflicht, Belehrungen aktenkundig zu machen, sieht der Gesetzentwurf vor, die in diesem Bereich bereits geltenden Vorschriften der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes punktuell zu erweitern.

C. Alternativen

Keine.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Keine.

E. Erfüllungsaufwand

E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger

Keiner.

E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft

Keiner.

Davon Bürokratiekosten aus Informationspflichten

Keine.

E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung

Den Ländern können durch die einzuführende Pflicht zur Übersetzung nicht rechtskräftiger Entscheidungen gewisse, jedoch derzeit noch nicht quantifizierbare Mehrausgaben entstehen.

Dem Bund entsteht Erfüllungsaufwand in sehr geringer Höhe. Für die Zollverwaltung ist im Fall der Einführung und Verwendung der nach der Gesetzesänderung entsprechend anzupassenden Vordrucke des Bundesministeriums der Justiz mit Kosten in Höhe von ca. 750 bis 1 000 Euro zu rechnen.

F. Weitere Kosten

Kosten für die Wirtschaft und für soziale Sicherungssysteme werden nicht erwartet, ebenso wenig Auswirkungen auf das Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau.

Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren

Bundesrepublik Deutschland
Berlin, den 21. Dezember 2012
Die Bundeskanzlerin

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Winfried Kretschmann

Sehr geehrter Herr Präsident,
hiermit übersende ich gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes den von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren mit Begründung und Vorblatt.

Federführend ist das Bundesministerium der Justiz.

Die Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gemäß § 6 Absatz 1 NKRG ist als Anlage beigefügt.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Angela Merkel
Fristablauf: 01.02.13

Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren1)

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes

Das Gerichtsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 19. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2182) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. § 187 wird wie folgt gefasst:

" § 187

2. Dem § 189 wird folgender Absatz 4 angefügt:

(4) Der Dolmetscher oder Übersetzer soll über Umstände, die ihm bei seiner Tätigkeit zur Kenntnis gelangen, Verschwiegenheit wahren, soweit er nicht bereits aufgrund einer anderen Rechtsvorschrift zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Hierauf weist ihn das Gericht hin."

Artikel 2
Änderung der Strafprozessordnung

Die Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 21. Juli 2012 (BGBl. I S. 1566) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. Dem § 37 wird folgender Absatz 3 angefügt:

(3) Ist einem Prozessbeteiligten gemäß § 187 Absatz 1 und 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes eine Übersetzung des Urteils zur Verfügung zu stellen, so ist das Urteil zusammen mit der Übersetzung zuzustellen. Die Zustellung an die übrigen Prozessbeteiligten erfolgt in diesen Fällen gleichzeitig mit der Zustellung nach Satz 1."

2. § 114b Absatz 2 wird wie folgt geändert:

3. In § 136 Absatz 1 Satz 3 werden nach dem Wort "beantragen" die Wörter "und unter den Voraussetzungen des § 140 Absatz 1 und 2 die Bestellung eines Verteidigers beanspruchen" eingefügt.

4. Dem § 163a wird folgender Absatz 5 angefügt:

(5) § 187 Absatz 1 bis 3 und § 189 Absatz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes gelten entsprechend."

5. § 168b wird wie folgt geändert:

Artikel 3
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Begründung

A. Allgemeiner Teil

I. Anlass und Zielsetzung des Gesetzentwurfs

Der Gesetzentwurf dient dazu, europarechtliche Mindestvorgaben hinsichtlich der Verfahrensrechte verdächtiger oder beschuldigter Personen auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen sowie auf Belehrung und Unterrichtung im Strafverfahren in nationales Recht umzusetzen. Die jetzt umzusetzenden Richtlinienvorgaben sind Teil des Fahrplans zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren, den der Rat der Europäischen Union am 30. November 2009 (ABl. C 295 vom 4.12.2009, S. 1) verabschiedet hat.

Die Umsetzungen der ersten beiden Maßnahmen dieses Fahrplans finden sich in der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (ABl. L 280 vom 26.10.2010, S. 1) sowie in der Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren (ABl. L 142 vom 1.6.2012, S. 1). Der Gesetzentwurf trägt den Vorgaben der beiden Richtlinien durch Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) und der Strafprozessordnung (StPO) Rechnung. Erforderlich sind hierfür nur punktuelle Ergänzungen der gerichtsverfassungsrechtlichen und strafprozessualen Vorschriften, da die Rechtsstellung von Verdächtigen und Beschuldigten, für die das deutsche Recht den einheitlichen Begriff des Beschuldigten verwendet, bereits de lege lata im Wesentlichen den Richtlinienvorgaben entspricht.

1. Umsetzung der Richtlinie 2010/64/EU über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren

Die Richtlinie 2010/64/EU dient der Schaffung von Mindeststandards im Bereich der Dolmetschung und Übersetzung in Strafverfahren, wobei ihr Anwendungsbereich ausweislich des Artikels 1 Absatz 2 bereits mit der förmlichen Inkenntnissetzung der beschuldigten Person von dem Tatverdacht beginnt und bis zum Abschluss eines etwaigen Rechtsmittelverfahrens reicht. Während Artikel 2 der Richtlinie 2010/64/EU das Recht auf Dolmetschleistungen regelt, stellt Artikel 3 konkrete Verpflichtungen hinsichtlich der Übersetzung wesentlicher Unterlagen auf. Artikel 5 der Richtlinie 2010/64/EU dient der Sicherung der Qualität der Dolmetschleistungen und Übersetzungen. In ihrem Artikel 7 werden Dokumentationspflichten festgelegt.

Das geltende Recht gewährt beschuldigten oder verurteilten Personen in § 187 Absatz 1 GVG bereits einen umfassenden Anspruch auf unentgeltliche Übersetzungs- und Dolmetschleistungen in dem von der Richtlinie 2010/64/EU in Bezug genommenen Bereich des Strafverfahrens. Die vorgeschlagene Neufassung des § 187 Absatz 1 Satz 1 GVG-E beschränkt sich daher in diesem Punkt auf eine sprachliche Anpassung.

Soweit die Richtlinie 2010/64/EU in Artikel 3 den Anspruch auf die Übersetzung inhaltlich näher konkretisiert und insbesondere die Übersetzung von Urteilen vorsieht, fehlt bis auf eine Teilregelung im Fall der Festnahme ( § 114a StPO) eine ausdrückliche Normierung im geltenden Recht. Eine generelle Verpflichtung zur vollständigen Übersetzung des Urteils ist der deutschen Gerichtspraxis fremd, gleichwohl schließt die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung unter Verweis auf die Gewährleistung eines fairen Verfahrens nicht aus, dass ein der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtiger Angeklagter, der nicht verteidigt ist und ein Rechtsmittel einlegen möchte, einen Anspruch auf Übersetzung in diesem Umfang haben kann. Die vorgeschlagene Neuregelung in § 187 Absatz 2 GVG-E greift diese Rechtsgedanken auf und stellt - in Einklang mit den Ausnahmetatbeständen des Artikels 3 Absatz 7 der Richtlinie 2010/64/EU - eine Einschränkung der generellen Übersetzungspflicht vor allem in Fällen des verteidigten Angeklagten in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts.

Nicht geregelt sind nach derzeitiger Rechtslage die Voraussetzungen, unter denen die berechtigte Person auf entsprechende Übersetzungsleistungen verzichten kann, wie sie Artikel 3 Absatz 8 der Richtlinie 2010/64/EU im Blick hat. Die zur Umsetzung vorgeschlagene Neufassung des § 187 Absatz 3 GVG-E stützt sich auf den Wortlaut der Richtlinie und setzt für einen wirksamen Verzicht voraus, dass die beschuldigte Person in Kenntnis ihrer Rechte und der Folgen ihrer Erklärung freiwillig und unmissverständlich handelt.

Zur Sicherung der inhaltlichen Qualität der Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen hält die Richtlinie 2010/64/EU in Artikel 5 Absatz 2 die Mitgliedstaaten dazu an, Register mit unabhängigen und angemessen qualifizierten Übersetzern und Dolmetschern einzurichten. Dem haben in der Bundesrepublik Deutschland die Länder durch die Einrichtung entsprechender Dolmetscher- und Übersetzerdatenbanken bereits in vollem Umfang Rechnung getragen. Geringfügiger gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht jedoch hinsichtlich der Verpflichtung aller von Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten herangezogener Dolmetscher und Übersetzer zur Verschwiegenheit. Zur Umsetzung von Artikel 5 Absatz 3 der Richtlinie 2010/64/EU soll daher eine entsprechende Ordnungsvorschrift in § 189 Absatz 4 GVG-E geschaffen werden, wonach alle als Dolmetscher und Übersetzer hinzugezogenen Personen, die nicht bereits - etwa aufgrund der landesgesetzlichen Bestimmungen und des geleisteten Eides - zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, Verschwiegenheit bewahren sollen und hierauf auch vom Gericht hingewiesen werden.

Soweit die Richtlinie 2010/64/EU in Artikel 7 die Dokumentation einer vorgenommenen Dolmetschung oder Übersetzung vorsehen, entspricht dies im Bereich richterlicher Vernehmungen bereits geltendem Recht. Denn die Protokollierungspflichten nach den §§ 168, 168a StPO betreffen die Heranziehung eines Dolmetschers zu einer Verhandlung in Anwesenheit einer beschuldigten Person oder zu ihrer sonstigen richterlichen Vernehmung. Auch eine nach der vorgeschlagenen Neuregelung in § 187 Absatz 2 GVG-E vorgenommene mündliche Übersetzung oder Zusammenfassung von Unterlagen im Sinne des § 187 Absatz 2 GVG-E im Rahmen einer solchen Vernehmung würde aufgrund der bestehenden Gesetzeslage im Protokoll vermerkt. Eine im Rahmen des Gesprächs des Verteidigers mit dem Beschuldigten erfolgende mündliche Übersetzung durch einen Dolmetscher ist von der Pflicht, Dolmetschleistungen aktenkundig zu machen, nach der Richtlinie nicht erfasst.

Mit Blick auf die einzelnen Gewährleistungen der Richtlinie 2010/64/EU sieht der Gesetzentwurf auch punktuelle Änderungen der Strafprozessordnung vor, die sich aber unter Berücksichtigung des geltenden Rechts auf wenige Tatbestände beschränken können. Zur Klarstellung des grundlegenden Anspruchs auf Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen auch bei staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Vernehmungen, wie er bereits de lege lata aus Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe e der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) folgt, sollen die für das gerichtliche Handeln maßgeblichen Vorschriften des § 187 Absatz 1 bis 3 GVG-E in die Verweisungsnorm des § 163a StPO-E aufgenommen werden. Die in § 189 Absatz 4 GVG-E vorgeschlagene Regelung zur Verschwiegenheit des Dolmetschers oder Übersetzers gilt - soweit nicht aufgrund anderer bereits geltender Rechtsvorschriften schon eine Verschwiegenheitspflicht besteht - durch eine Bezugnahme in § 163a Absatz 5 StPO-E auch bei Vernehmungen durch Staatsanwaltschaft und Polizei. Die von der Richtlinie 2010/64/EU geforderten Dokumentationspflichten werden in der staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Praxis bereits befolgt, ausdrückliche Regelungen dazu finden sich jedoch lediglich für die Staatanwaltschaft in § 168b Absatz 1 und 2 StPO sowie im Bereich der Verwaltungsanweisungen in Nummer 181 Absatz 2 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV). Durch die Aufnahme der Untersuchungshandlungen sämtlicher Ermittlungsbehörden in den Kreis dokumentationspflichtiger Vorgänge nach § 168b StPO-E soll diese ohnehin in der Praxis übliche Vorgehensweise für Staatsanwaltschaft, Polizei und sonstige Ermittlungsbehörden einheitlich geregelt werden.

Schließlich soll in dem neu angefügten § 37 Absatz 3 StPO-E die in § 187 Absatz 1 und 2 GVG-E entworfene Neuregelung zur Urteilsübersetzung in die bestehende Systematik von Urteilszustellung und Rechtsmittellauf eingepasst werden. Nach geltendem Recht hängt der Beginn der Frist zur Begründung des Rechtsmittels von der Zustellung des Urteils ab. Daran anknüpfend und zur Sicherstellung eines zeitgleichen Beginns der Begründungsfrist für alle Verfahrensbeteiligten sollen nach der vorgeschlagenen Neuregelung die Urteilsausfertigungen allen Verfahrensbeteiligten gleichzeitig mit der schriftlichen Übersetzung zugestellt werden.

2. Umsetzung der Richtlinie 2012/13/EU über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren

Die Richtlinie 2012/13/EU legt, ebenfalls für den Zeitraum ab förmlicher Mitteilung der Beschuldigung bis zum Abschluss des Rechtsmittelverfahrens (Artikel 2), umfangreiche Belehrungspflichten im Umgang mit beschuldigten Personen fest. Sie regelt in Artikel 3 das Recht auf Rechtsbelehrung, in Artikel 4 das Recht auf schriftliche Belehrung bei Festnahme und in Artikel 6 das Recht auf Unterrichtung über den Tatvorwurf. Artikel 7 der Richtlinie 2012/13/EU befasst sich mit dem Recht auf Akteneinsicht, während Artikel 8 die Dokumentation der erfolgten Belehrungen sicherstellt.

Das geltende deutsche Strafverfahrensrecht sieht bereits eine Vielzahl der auch in der Richtlinie 2012/13/EU enthaltenen Belehrungspflichten vor. So ist der Beschuldigte insbesondere vor jeder polizeilichen, staatsanwaltschaftlichen oder richterlichen Vernehmung gemäß § 136 StPO, gegebenenfalls in Verbindung mit § 163a Absatz 3 und 4 StPO, über den Tatvorwurf, sein Schweigerecht und das Recht auf Zuziehung eines Verteidigers zu belehren. Bei Festnahme bestehen aufgrund der Regelung in § 114b StPO bereits umfassende schriftliche Belehrungspflichten. Demgemäß sollen sich die Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozessordnung auch bei der Umsetzung dieser Richtlinie auf punktuelle Änderungen beschränken.

Im Bereich des gerichtlichen Verfahrens ist die in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie 2012/13/EU vorgesehene Belehrung über das Recht auf Dolmetschleistungen bislang nicht ausdrücklich normiert. Daher soll in § 187 Absatz 1 Satz 2 GVG-E nunmehr die Pflicht des Gerichts aufgenommen werden, die beschuldigte oder verurteilte Person, die der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist oder hör- oder sprachbehindert ist, auch auf dieses Recht hinzuweisen. Auf eine Vorschrift zur Dokumentation dieser Belehrung, wie sie in Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie vorgeschrieben ist, soll mit Blick auf die bereits geltenden Protokollierungsvorschriften für das Gericht nach den §§ 168 ff. StPO verzichtet werden.

Um eine entsprechende Belehrung über das Recht auf Dolmetschleistungen auch im Falle der Festnahme zu gewährleisten, soll in § 114b Absatz 2 Satz 3 StPO-E eine inhaltsgleiche Belehrungspflicht unter Bezugnahme auf § 187 Absatz 1 bis 3 GVG-E aufgenommen werden.

Der Gesetzentwurf sieht zur Umsetzung der Richtlinie noch weitere Änderungen in § 114b StPO vor: Die bereits nach geltendem Recht erfolgende schriftliche Belehrung ("Letter of Rights") nach § 114b Absatz 2 StPO enthält bislang noch keine Belehrungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers und über die Möglichkeit der Auskunft und Akteneinsicht. Diese sollen daher durch die Neuregelung in § 114b Absatz 2 Satz 1 Nummer 4a und 7 sowie Absatz 2 Satz 2 StPO-E ergänzend aufgenommen werden. Die in Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 2012/13/EU enthaltene Belehrung über die möglichen Rechtsbehelfe erfolgt nach derzeitigem Rechtsstand gemäß § 115 Absatz 4 StPO erst bei Vorführung des Beschuldigten vor den zuständigen Haftrichter; die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Neuregelung in § 114b Absatz 2 Satz 1 Nummer 8 StPO-E soll sicherstellen, dass diese Belehrung - den Vorgaben der Richtlinie entsprechend - auch schon im Zeitpunkt der Festnahme erfolgt.

Im Bereich der schriftlichen Belehrungen nach § 114b StPO-E soll eine ausdrückliche Normierung der Dokumentationspflicht, wie sie in Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie vorgeschrieben ist, mit Blick auf die bereits nach geltendem Recht schriftliche Niederlegung der Belehrungen entfallen.

Die in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 2012/13/EU vorgesehene Belehrung über einen Anspruch auf unentgeltliche Rechtsberatung erfolgt im geltenden Recht auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 114b StPO bislang nicht. Daher sieht der Entwurf die Verankerung einer solchen Belehrungspflicht auch in § 136 Absatz 1 Satz 3 StPO-E vor. Ein Hinweis auf die Notwendigkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers soll damit bei allen Vernehmungen durch Gericht, Staatsanwaltschaft oder Polizei erfolgen.

Nach geltendem Recht ist bei der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Vernehmung auch ein verpflichtender Hinweis auf Dolmetschleistungen (Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie 2012/13/EU) nicht vorgeschrieben; eine solche Hinweispflicht wird künftig durch den Verweis in § 163a Absatz 5 StPO-E, der auch § 187 Absatz 1 Satz 2 GVG-E mit einbezieht, ausdrücklich normiert.

Im Zusammenhang mit diesen Vernehmungen trägt das geltende Recht auch den in Artikel 8 der Richtlinie 2012/13/EU vorgeschriebenen Dokumentationspflichten nicht vollumfänglich Rechnung, wenn auch in § 168b StPO für die Staatsanwaltschaft sowie in Nummer 45 Absatz 1 RiStBV Teilregelungen bestehen und in der Praxis des Ermittlungsverfahrens bereits eine umfangreiche Dokumentation erfolgt. Nach § 168b Absatz 3 StPO-E sollen künftig einheitlich für alle Ermittlungsbehörden sämtliche vor Vernehmungen nach § 136 Absatz 1 oder § 163a StPO vorzunehmenden Belehrungen dokumentiert werden.

II. Gesetzgebungskompetenz

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgt für die hier vorgesehenen Änderungen aus dem Kompetenztitel des Artikels 74 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes (Gerichtsverfassung, gerichtliches Verfahren).

III. Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen

Der Gesetzentwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat, vereinbar und dient der Umsetzung der Vorgaben der Richtlinien 2010/64/EU sowie 2012/13/EU.

IV. Gesetzesfolgen

1. Nachhaltigkeitsaspekte

Der Gesetzentwurf steht im Einklang mit den Leitgedanken der Bundesregierung zur nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Er sieht Regelungen vor, die den Rechtsschutz des Einzelnen durch Einführung von Belehrungs-, Übersetzungs- und Dolmetschpflichten verbessern.

2. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand sind nicht ersichtlich.

3. Erfüllungsaufwand

Für die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft entsteht kein Erfüllungsaufwand.

Durch die Einführung einer Pflicht zur Übersetzung eines nicht rechtskräftig gewordenen Urteils, von der insbesondere bei verteidigten Personen abgesehen werden kann, könnten in gewissem Umfang tatsächliche Mehrkosten für die Länderhaushalte entstehen. Allerdings schließt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), abgeleitet aus dem Recht auf ein faires Verfahren, bereits nach der geltenden Rechtslage eine Pflicht des Gerichts zur Übersetzung des Strafurteils nicht aus, wenn eine der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtige Person, die keinen Verteidiger hat, für die Geltendmachung eines Rechtsmittels auf die Übersetzung angewiesen ist (BVerfG, Beschluss vom 17. Mai 1983, 2 BvR 731/80 = BVerfGE 64, 135, Rn. 60). Materiellrechtlich ergibt sich eine Pflicht, dem sprachunkundigen Beschuldigten die schriftlichen Urteilsgründe in Übersetzung zur Verfügung zu stellen, sofern dieser für eine effektive Verteidigung darauf angewiesen ist, bereits de lege lata aus Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe e EMRK (vgl. Esser in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage 2012, Artikel 6 EMRK Rn. 849).

Bei den Kosten für Urteilsübersetzungen, die aufgrund der Neuregelung künftig gesetzlich erforderlich sind, handelt es sich deshalb weitestgehend um Sowieso-Kosten. Soweit die ausdrückliche gesetzliche Normierung der Übersetzungspflicht in gewissem Umfang eine Zunahme vollständiger Urteilsübersetzungen bewirken sollte, lässt sich der Umfang einer solchen faktischen Zunahme nicht konkret beziffern, weil statistische Zahlen zur tatsächlichen Anzahl der Urteilsübersetzungen nach geltendem Recht nicht vorliegen. Bei Zugrundelegung der im Jahr 2010 mit einem Rechtsmittel angefochtenen Urteile vor den Amtsgerichten (49 633) und den kleinen Strafkammern (6 458), bei denen die Hauptverhandlung ohne Anwesenheit eines Verteidigers stattgefunden hat (Amtsgerichte: rund 52 Prozent; kleine Strafkammern: rund 4 Prozent) und der Angeklagte ausländischer Staatsangehöriger war (ca. 20 Prozent der Verfahren), verbleiben allerdings ohnehin höchstens ca. 5 000 Urteile im Anwendungsbereich der neuen Übersetzungspflicht. Berücksichtigt man ferner, dass keineswegs in allen Fällen allein von der ausländischen Staatsangehörigkeit auf unzureichende und zur Urteilsübersetzung verpflichtende Sprachkenntnisse geschlossen werden kann, sowie außerdem, dass nach Maßgabe des § 187 Absatz 3 GVG-E ein Verzicht der verurteilten Person auf eine entsprechende Übersetzung möglich ist, so ist bei pauschaler Betrachtung von einer Pflicht zur vollständigen Übersetzung in etwa der Hälfte dieser Fälle auszugehen. Bei Zugrundelegung der Honorarsätze für Fachtextübersetzungen nach § 11 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) gelangt man unter der Annahme, dass die Übersetzungspflicht vor allem einfach gelagerte Fälle vor dem Amtsgericht mit einem im Durchschnitt fünf- bis achtseitigen Urteil betrifft, zu Kosten von rund 400 Euro brutto pro Urteil, so dass sich die Gesamtbelastung der Länderhaushalte nach dieser Schätzung im Bereich von rund 1 Million Euro bewegt. Da davon auszugehen ist, dass die Länder ihrer sich aus Grundgesetz und Menschenrechtskonvention ergebenden Pflicht zur Urteilsübersetzung bereits heute regelmäßig nachkommen, dürfte sich die konkrete Mehrbelastung allenfalls auf einen Bruchteil dieser Summe belaufen und insgesamt kaum ins Gewicht fallen.

Der Erfüllungsaufwand ist für den Bund als gering einzuschätzen. Für die Zollverwaltung ist im Fall der Einführung und Verwendung der - nach der Gesetzesänderung entsprechend anzupassenden - Vordrucke des Bundesministeriums der Justiz mit Kosten in Höhe von ca. 750 bis 1 000 Euro zu rechnen.

4. Weitere Kosten

Auswirkungen auf die Wirtschaft, auf Einzelpreise und auf das Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.

5. Weitere Gesetzesfolgen

Auswirkungen von gleichstellungspolitischer Bedeutung sind nicht ersichtlich.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG)

Zu Nummer 1 (§ 187)

Die Änderung des § 187 GVG dient der Umsetzung der Artikel 2, 3 und 7 der Richtlinie 2010/64/EU und Artikel 3 der Richtlinie 2012/13/EU.

Zu § 187 Absatz 1

Der grundlegende Anspruch einer beschuldigten oder verurteilten Person auf unentgeltliche Übersetzungs- oder Dolmetschleistungen während des gesamten Strafverfahrens folgt bereits nach geltender Rechtslage aus Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe e EMRK. Schon die bisherige Fassung des § 187 Absatz 1 GVG dient folglich dazu, ein den Vorgaben der EMRK entsprechendes Verfahren zu gewährleisten, wie die Gesetzesbegründung des Opferrechtsreformgesetzes vom 24. Juni 2004 (BGBl. I S. 1354, zur Begründung siehe Bundestagsdrucksache 15/1976, S. 19) klarstellt.

Die Heranziehung eines Dolmetschers bei der Vernehmung sprachunkundiger Personen entspricht auch der ständigen Praxis der Polizeidienststellen und Staatsanwaltschaften, wie sie in Nummer 181 Absatz 1 und 2 RiStBV ihren Niederschlag gefunden hat. Der Gesetzentwurf schlägt daher in § 187 Absatz 1 Satz 1 GVG-E lediglich eine geringfügige sprachliche Anpassung der derzeit geltenden Regelung vor. Auch die Neufassung soll § 185 GVG, der die Hinzuziehung eines Dolmetschers in Verhandlungen regelt, für Ermittlungshandlungen außerhalb des eigentlichen Prozesses ergänzen. Das Verhältnis zur allgemeinen Norm des § 186 GVG soll ebenfalls unverändert bleiben.

Die Feststellung der Sprachunkundigkeit soll ebenfalls nach den bestehenden Grundsätzen erfolgen. Bei der Prüfung, ob die Heranziehung eines Dolmetschers oder Übersetzers nach § 187 Absatz 1 Satz 1 GVG-E bzw. Nummer 181 RiStBV erforderlich ist, wird das Gericht bzw. die jeweilige Ermittlungsbehörde erforderlichenfalls auch den Beschuldigten einbeziehen und dessen Sprachkenntnisse ermitteln.

§ 187 Absatz 1 Satz 2 GVG-E greift die in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie 2012/13/EU vorgesehene Belehrungspflicht hinsichtlich des Rechts auf Dolmetschleistung auf. Eine solche Belehrungspflicht des Gerichts ist im geltenden Recht bislang nicht normiert. Auch in der gerichtlichen Praxis ist ein entsprechender Hinweis derzeit nicht üblich. Die Richtlinie 2012/13/EU nimmt in ihrem Erwägungsgrund 25 ausdrücklich Bezug auf die Dolmetschrichtlinie 2010/64/EU und leitet die Belehrungspflicht über Dolmetschleistungen aus dem Recht auf ein faires Verfahren ab. Ähnlich begründet auch der Bundesgerichtshof (Urteil vom 12. Januar 1996, 5 StR 756/94 = BGHSt 42, 15) die erweiterte Hilfestellung gegenüber sprachunkundigen Personen im Rahmen der Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation, der ein "ernsthaftes Bemühen" der Vernehmungspersonen fordert, dem Beschuldigten bei der Kontaktherstellung "in effektiver Weise" zu helfen. Daran anknüpfend soll in § 187 Absatz 1 Satz 2 GVG-E nunmehr ausdrücklich die Pflicht des Gerichts statuiert werden, die beschuldigte oder verurteilte Person, die der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig oder hör- oder sprachbehindert ist, auf ihr Recht hinzuweisen, Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen unentgeltlich für das gesamte Strafverfahren in Anspruch zu nehmen. Die Formulierung "beanspruchen" soll dabei verdeutlichen, dass ein förmlicher Antrag des Beschuldigten wegen der von Amts wegen zu beachtenden Vorschrift des § 187 Absatz 1 Satz 1 GVG-E gerade nicht notwendig ist. Der Beschuldigte soll jedoch - den Vorgaben der Richtlinie 2012/13/EU entsprechend - über das Bestehen der gerichtlichen Pflicht zur Hinzuziehung des Dolmetschers unterrichtet werden.

Die Regelung kann zu einer mehrfachen Belehrung des Beschuldigten im Laufe des Verfahrens führen. Dies soll - vergleichbar dem bei jeder Vernehmung zu wiederholenden Hinweis auf das Aussageverweigerungsrecht in § 136 Absatz 1 Satz 2, § 243 Absatz 5 Satz 1 StPO - sicherstellen, dass dem sprachunkundigen Beschuldigten vor jeder Vernehmung sein Recht auf Dolmetschleistung oder Übersetzung ins Bewusstsein gerufen wird, das letztlich der Wahrung seiner Rechte durch effektiven Einfluss auf Gang und Ergebnis des Strafverfahrens dient.

Die in Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie 2012/13/EU verankerte umfassende Dokumentationspflicht erfasst ihrem Anwendungsbereich nach auch die vorgeschlagene Belehrung über das Recht auf Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen. Eine ausdrückliche Umsetzung dieser Regelung ist aber mit Blick auf die geltende Rechtslage nicht erforderlich. Denn nach § 168 Satz 1 StPO ist über jede richterliche Untersuchungshandlung ein Protokoll anzufertigen, das die in § 168a StPO näher spezifizierten wesentlichen Förmlichkeiten aufzuführen hat. Davon wäre auch die neu vorgeschlagene Belehrung nach § 187 Absatz 1 Satz 2 GVG-E erfasst.

In Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls findet der Anspruch auf Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen über § 77 des Gesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) Anwendung. Nach Artikel 3 Absatz 6 der Richtlinie 2010/64/EU beschränkt sich der Anspruch auf Übersetzungen indes auf die im geltenden Recht bereits verankerte schriftliche Übersetzung des Europäischen Haftbefehls. Die nach § 77 IRG entsprechend anwendbare Neuregelung des § 187 Absatz 1 GVG-E kann im Einzelfall auch zu einer Übersetzungspflicht hinsichtlich weiterer schriftlicher Verfahrensakte im Auslieferungsverfahren auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls führen, etwa der Vorabbewilligung in Bezug auf die Nichtgeltendmachung von Bewilligungshindernissen nach § 83b IRG, der Anhörung der verfolgten Person hierzu und der Ermessensprüfung durch das Oberlandesgericht (OLG) gemäß § 79 IRG.

Zu § 187 Absatz 2

§ 187 Absatz 2 GVG-E dient der Umsetzung von Artikel 3 der Richtlinie 2010/64/EU, der den Anspruch auf Übersetzung inhaltlich konkretisiert. Die Richtlinie sieht in Artikel 3 Absatz 1 insbesondere vor, dass von der förmlichen Mitteilung der Beschuldigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Erkenntnisverfahrens alle Unterlagen zu übersetzen sind, die mit Blick auf die Wahrnehmung der Verteidigung und die Wahrung des Rechts auf ein faires Verfahren notwendig sind.

Solche inhaltlichen Regelungen bestehen nach derzeitiger Rechtslage nur in Teilbereichen: So muss gemäß § 114a Absatz 1 Satz 1 StPO dem nicht (hinreichend) der deutschen Sprache mächtigen Beschuldigten grundsätzlich eine (schriftliche) Übersetzung des Haftbefehls ausgehändigt werden. Gemäß § 114b StPO ist der verhaftete Beschuldigte über seine Rechte unverzüglich und schriftlich in einer für ihn verständlichen Sprache zu belehren. Diese Regelungen gelten entsprechend auch für andere freiheitsentziehende Maßnahmen wie die einstweilige Unterbringung, die vorläufige Festnahme, die Hauptverhandlungshaft, die Freiheitsentziehung zur Feststellung der Identität und die Sicherungshaft (§ 126a Absatz 2, § 127 Absatz 4, § 127b Absatz 1 Satz 2, § 163c Absatz 1 Satz 3 und § 453c Absatz 2 StPO). Ferner sieht Nummer 181 Absatz 2 RiStBV vor, dass Ladungen, Haftbefehle, Strafbefehle, Anklageschriften und sonstige gerichtlichen Sachentscheidungen dem Ausländer, der die deutsche Sprache nicht hinreichend beherrscht, mit einer Übersetzung in eine ihm verständliche Sprache bekannt zu geben sind.

Maßgeblich für die aktuelle Praxis der Gerichte und Strafverfolgungsbehörden ist daneben die in Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe e EMRK geregelte Gewährleistung, die nach der Leitentscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (Urteil vom 23. Oktober 1978 = NJW 1979, 1091; Absatz-Nummer 48) dem sprachunkundigen Beschuldigten einen Anspruch auf Übersetzung sämtlicher Schriftstücke und mündlichen Erklärungen gibt, auf deren Verständnis er angewiesen ist, um ein faires Verfahren zu haben. Daran anknüpfend sieht die obergerichtliche Rechtsprechung bei Entscheidungen in Abwesenheit des Beschuldigten, etwa einem Strafbefehl, grundsätzlich eine Verpflichtung zur Beifügung einer vollständigen schriftlichen Übersetzung vor (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27. Juni 2005, 1 Ss 184/04 (PDF) = StV 2005, 655; LG Aachen, Beschluss vom 18. November 1983, 86 Qs 031/83 = NStZ 1984, 283), während bei Verfahrenshandlungen in Anwesenheit des Beschuldigten, dem ein Dolmetscher zur Seite steht, nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 17. Mai 1983, 2 BvR 731/80 = BVerfGE 64, 135) eine gesonderte schriftliche Übersetzung nicht grundsätzlich notwendig ist: Insbesondere bei der Verlesung der Urteilsformel und der Eröffnung der Urteilsgründe genügt danach - zumindest in Fällen eines verteidigten Angeklagten - die Simultandolmetschung der Ausführungen des Gerichts. Eine generelle Verpflichtung zur vollständigen Übersetzung des Urteils, wie sie Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie durch die Formulierung "jegliches Urteil" eindeutig fordert, ist daher dem geltenden Recht ebenso wie der deutschen Gerichtspraxis fremd. Gleichwohl schließt die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung unter Verweis auf die Gewährleistung eines fairen Verfahrens nicht aus, dass ein der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtiger Angeklagter einen Anspruch auf Übersetzung in diesem Umfang haben kann, namentlich dann, wenn er nicht verteidigt ist und ein Rechtsmittel einlegen möchte (so ausdrücklich das Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 17. Mai 1983, 2 BvR 731/80 = BVerfGE 64, 135, Absatz-Nummer 60).

Die vorgeschlagene Neuregelung in § 187 Absatz 2 GVG-E bringt die dargestellte Rechtspraxis unter Berücksichtigung der obergerichtlichen Rechtsprechung mit den Verpflichtungen der Richtlinie 2010/64/EU in Einklang, welche in ihrem Artikel 3 Absatz 4 und 7 die hierfür notwendigen Ausnahmetatbestände bereithält.

Der Gesetzentwurf enthält in § 187 Absatz 2 Satz 1 GVG-E zunächst eine beispielhafte Aufzählung von Anordnungen und Entscheidungen, die schon derzeit - sei es aufgrund bestehender Einzelregelung wie im Falle des Haftbefehls (§ 114a StPO), sei es aufgrund der RiStBV - im Regelfall vollständig übersetzt werden. Die einleitende Bezugnahme auf § 187 Absatz 1 Satz 1 GVG-E und die dortige Formulierung "soweit dies zur Ausübung ihrer strafprozessualen Rechte erforderlich ist" sollen der Klarstellung dienen, dass im Einklang mit der anerkannten Auslegung des Artikels 6 Absatz 3 Buchstabe e EMRK die Entscheidung über Art und Umfang der Übersetzung im Einzelfall dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts unter Berücksichtigung des Rechts auf ein faires Verfahren unterliegt.

Für den wohl praktisch wichtigsten Anwendungsfall der Urteilsübersetzung soll bereits im Wortlaut des § 187 Absatz 2 Satz 1 GVG-E durch die Formulierung "nicht rechtskräftige Urteile" eine erste wichtige Weichenstellung getroffen werden: Gestützt auf den Anwendungsbereich der Richtlinie 2010/64/EU, die in Artikel 1 Absatz 2 auf den rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens abstellt, soll eine Pflicht zur Übersetzung des Urteils dann nicht bestehen, wenn ein Rechtsmittel dagegen nicht eingelegt wurde. Umgekehrt ist hinsichtlich des Anwendungsbereichs der Vorschrift zu beachten, dass sie mit der Bezeichnung "Urteil" das schriftliche Urteil einschließlich der Urteilsgründe im Sinne des § 275 Absatz 1 StPO erfassen soll, nicht aber die bereits im Rahmen der Verkündung des Urteils gemäß § 268 Absatz 2 StPO dargelegten Ausführungen des Gerichts oder gar lediglich die Urteilsformel, die zum Verständnis der Verurteilung und zur Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels nicht ausreichend wären. Gerade die Praxis der Amtsgerichte dürfte in den meisten Fällen dahin gehen, die Eröffnung der Urteilsgründe bei der Urteilsverkündung nach § 268 Absatz 2 StPO durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts in freier Rede - gegebenenfalls unter Verwendung von Aufzeichnungen - durchzuführen. Werden im Rahmen der Urteilsverkündung die bereits vorher abgefassten Urteilsgründe verlesen, so liegt zwar die nach der Richtlinie zu übersetzende "wesentliche Unterlage" bereits vor, dennoch soll ihre Übergabe in übersetzter Fassung an den Angeklagten am Ende der Hauptverhandlung nach dem Sinn der vorgeschlagenen Neufassung noch nicht erfolgen; denn dies würde gegenüber dem der deutschen Sprache mächtigen Angeklagten, der die Urteilsgründe erst zu einem späteren Zeitpunkt erhält, eine Besserstellung darstellen.

Der Gesetzentwurf sieht sodann in § 187 Absatz 2 Satz 2 bis 5 GVG-E ein abgestuftes System vor, nach dem die generelle Pflicht des vorangegangenen Satzes 1 zur vollständigen Übersetzung eingeschränkt werden kann:

In einem ersten Schritt soll nach § 187 Absatz 2 Satz 2 GVG-E eine lediglich auszugsweise Übersetzung ausreichen, wenn schon dadurch die Verteidigungsrechte der beschuldigten Person ausreichend gewahrt werden. Der Gesetzentwurf nimmt an dieser Stelle den Ausnahmetatbestand des Artikels 3 Absatz 4 der Richtlinie 2010/64/EU in Anspruch, der das Absehen von der Übersetzung von Passagen gestattet, die nicht für die Verteidigung wichtig sind. Denkbar wäre etwa die Übersetzung lediglich des Teils eines Urteils, der mit einem Rechtsmittel angegriffen wurde.

§ 187 Absatz 2 Satz 3 GVG-E soll dabei in Umsetzung des Artikels 3 Absatz 1 der Richtlinie 2010/64/EU sicherstellen, dass dem Beschuldigten die - vollständige oder auszugsweise - schriftliche Übersetzung ohne unnötige Verzögerung zugeht. Ein vergleichbarer Rechtsgedanke liegt im geltenden Recht der Regelung über die Zuleitung einer Haftbefehlsübersetzung nach § 114a Satz 2 und 3 StPO zugrunde: Kann der verhafteten Person eine übersetzte Abschrift des Haftbefehls nicht sofort ausgehändigt werden - etwa weil sie Gegenwehr leistet oder kein Übersetzer am Ort der Ergreifung verfügbar ist - so ist die Aushändigung unverzüglich nachzuholen. Eine ausdrückliche Normierung hat dieser allgemeine Gedanke de lege lata noch nicht erfahren, jedoch sind schon bislang unter Geltung des Beschleunigungsgrundsatzes unangemessene Verzögerungen bei der Zuleitung von Schriftstücken an die beschuldigte Person unzulässig. Die Neuregelung dient insoweit lediglich der Klarstellung.

Ein vollständiges Absehen von der schriftlichen Übersetzung soll schließlich nach Maßgabe der Sätze 4 und 5 möglich sein. Der Gesetzentwurf greift hier, gestützt auf die Ausnahmeregelung in Artikel 3 Absatz 7 der Richtlinie 2010/64/EU, die dargestellten Grundsätze der bisherigen Rechtspraxis auf, wonach dem Beschuldigten anstelle der schriftlichen Übersetzung lediglich eine mündliche Übersetzung oder eine mündliche Zusammenfassung der wesentlichen Unterlagen zur Verfügung gestellt werden kann, soweit das Recht auf ein faires Verfahren nach Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe e EMRK gewährleistet ist.

In § 187 Absatz 2 Satz 5 GVG-E nennt der Gesetzentwurf als Regelbeispiel für die fehlende Notwendigkeit einer schriftlichen Übersetzung den Fall des verteidigten Angeklagten. Damit soll - der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entsprechend - die Verpflichtung zur schriftlichen Urteilsübersetzung in der Regel dann nicht greifen, wenn eine effektive Verteidigung des nicht ausreichend sprachkundigen Angeklagten dadurch ausreichend gewährleistet wird, "dass der von Gesetzes wegen für die Revisionsbegründung verantwortliche Rechtsanwalt das schriftliche Urteil kennt" (Beschluss vom 17. Mai 1983, 2 BvR 731/80 = BVerfGE 64, 135, Absatz-Nummer 56). Es soll in diesem Zusammenhang nicht darauf ankommen, ob ein Fall der notwendigen Verteidigung im Sinne des § 140 StPO vorliegt oder ob der Angeklagte auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 140 StPO einen Wahlverteidiger beauftragt hat. Entscheidend soll allein das bestehende Mandatsverhältnis zu einem Verteidiger in dem betreffenden Strafverfahren sein.

Für das Gespräch mit dem Verteidiger hat der nicht ausreichend sprachkundige Beschuldigte bereits nach geltendem Recht Anspruch auf einen kostenlosen Dolmetscher aus Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe e EMRK sowie Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 und Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes (so der Beschluss des Bundesverfassungsgericht vom 27. August 2003, 2 BvR 2032/01 = NJW 2004, 50). Die Beratung mit dem Verteidiger ermöglicht damit auch dem der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtigen Beschuldigten die Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte und gewährleistet ein faires Verfahren. Der Anspruch des Beschuldigten auf umfassende Verdolmetschung umfasst auch die Gespräche mit seinem Verteidiger etwa zur Vorbereitung der Begründung eines Rechtsmittels - also in einem Zeitpunkt, in dem die schriftliche Urteilsbegründung im Sinne des § 275 StPO bereits vorliegt. Der Dolmetscher steht mithin zur Verfügung, um dem Beschuldigten im Rahmen dieses Gespräches das Urteil mündlich ganz oder teilweise zu übersetzen.

Die Formulierung des § 187 Absatz 2 Satz 5 GVG-E als Regelbeispiel soll dem Umstand Rechnung tragen, dass auch der verteidigte Beschuldigte - etwa aufgrund eigener Fachkundigkeit - durchaus ein berechtigtes Interesse haben kann, das Urteil in einer ihm verständlichen Sprache selbst zu lesen. Indiz für ein solches Interesse und eine daraus resultierende Pflicht zur vollständigen oder teilweisen schriftlichen Übersetzung kann dabei das begründete Verlangen des Beschuldigten nach einer entsprechenden Übertragung der Entscheidung sein.

Die vorgeschlagene Ausnahmeregelung der Sätze 4 und 5 dient einer praxisgerechten Ausgestaltung der Übersetzungsvorgabe, die nicht mit einer starren und mit erheblichen Kosten verbundenen umfassenden Übersetzungspflicht belastet werden soll. Umgekehrt soll aber auch dem in der Richtlinie vorgegebenen Regel-Ausnahme-Verhältnis dadurch Rechnung getragen werden, dass es auch im amtsgerichtlichen Verfahren, das in der Praxis noch deutlich häufiger ohne Mitwirkung eines Verteidigers stattfindet als der Prozess vor dem Landgericht, im Falle der Rechtsmitteleinlegung bei dem grundsätzlichen Erfordernis einer Urteilsübersetzung bleibt, von dem nur im begründeten Einzelfall abgewichen werden kann.

Ferner soll mit der Ausnahmeregelung auch der Bedeutung des Beschleunigungsgrundsatzes Rechnung getragen werden. Diesem aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Staates, aus Artikel 6 EMRK sowie für Haftsachen aus Artikel 5 Absatz 3 Satz 3 EMRK und Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 GG hergeleiteten und unter anderem in den §§ 121, 122 StPO verankerten Grundsatz kommt im Rahmen des Strafverfahrens besondere Bedeutung zu. Der Gesetzentwurf soll daher die unvermeidliche Verzögerung des Verfahrens durch eine schriftliche Übersetzung des Urteils - die erst nach Urteilsniederschrift im Sinne des § 275 Absatz 1 StPO in Auftrag gegeben werden kann - im Einklang mit den Vorgaben der Richtlinie auf die Verfahren beschränken, in denen eine vollständige Übersetzung zur Wahrung der Verteidigungsrechte erforderlich ist.

Für die Übersetzung freiheitsentziehender Anordnungen sieht das geltende Recht in § 114a StPO bereits eine konkrete Ausformung des abgestuften Systems in § 187 Absatz 2 GVG-E für den Zeitpunkt der unmittelbaren Verhaftung bzw. vorläufigen Festnahme vor: Danach ist der betroffenen Person grundsätzlich sofort eine schriftliche Übersetzung auszuhändigen. Hilfsweise ist sie zunächst in einer ihr verständliche Sprache über die erhobene Beschuldigung zu informieren, anschließend ist die schriftliche Übersetzung des Dokuments unverzüglich nachzuholen und auszuhändigen. Diese spezielle Regelung dient der Wahrung der Verteidigungsrechte in der besonderen Situation der Verhaftung und konkretisiert damit die als allgemeine Regelung vorgeschlagene Neufassung des § 187 Absatz 2 GVG.

In ihrem Anwendungsbereich erfassen die Neuregelungen zur Urteilsübersetzung auch die ein Bußgeldverfahren ohne Hauptverhandlung beendenden Beschlüsse nach § 72 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG). In der Sache ist damit aber keine Änderung der gerichtlichen Praxis verbunden, denn nach den dargestellten Grundsätzen der Rechtsprechung ist bereits nach der geltenden Rechtslage mit Blick auf Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe e EMRK die in Abwesenheit des Beschuldigten ergangene Entscheidung in der Regel vollständig zu übersetzen.

Zu § 187 Absatz 3

Die Richtlinie 2010/64/EU regelt in Artikel 3 Absatz 8 die Voraussetzungen, unter denen die beschuldigte Person auf eine Übersetzung verzichten kann. Eine entsprechende Bestimmung ist im geltenden Recht nicht vorhanden. Der Gesetzentwurf orientiert sich bei der Umsetzung in § 187 Absatz 3 GVG-E am Wortlaut der Richtlinie, die es in Artikel 3 Absatz 8 in Verbindung mit Artikel 7 genügen lässt, wenn der Beschuldigte "in anderer Weise" als durch eine rechtliche Beratung Kenntnis von den Folgen eines Verzichts auf sein Rechts auf Übersetzung erhält. Gleichzeitig beschränkt der Gesetzentwurf die Möglichkeit eines Verzichts auf die schriftliche Übersetzung von Dokumenten. Das Absehen auch von der mündlichen Übertragung verfahrenswichtiger Schriftstücke nach Verzicht des Beschuldigten wäre zwar ebenfalls vom Wortlaut des Artikels 3 Absatz 8 der Richtlinie 2010/64/EU gedeckt. Jedoch soll es entsprechend der bisherigen Rechtspraxis dabei bleiben, dass einem sprachunkundigen Beschuldigten - soweit dies zur Ausübung seiner Rechte erforderlich ist - die hierfür relevanten Dokumente in jedem Fall im notwendigen Umfang mündlich übersetzt werden. Ein Verzicht auf die im konkreten Fall notwendige mündliche Übersetzung der Anklageschrift soll also beispielsweise nicht möglich sein.

Voraussetzung eines wirksamen Verzichts auf eine schriftliche Übersetzung ist damit allein, dass die beschuldigte Person in Kenntnis ihrer Rechte und der Folgen ihrer Erklärung freiwillig und unmissverständlich handelt. Dies wird durch die vorhergehende Belehrung durch das Gericht sichergestellt. Die Belehrung ist - während der Hauptverhandlung durch Aufnahme in das Protokoll gemäß § 273 Absatz 1 StPO - ebenso zu dokumentieren wie die Erklärung des Verzichts. Ungeachtet einer eventuellen Verzichtserklärung soll das Gericht nach § 187 Absatz 1 Satz 1 GVG-E dabei stets von Amts wegen zur Heranziehung eines Dolmetschers oder Übersetzers verpflichtet bleiben, wenn Verständigungsprobleme dies zur ordnungsgemäßen Durchführung des Verfahrens unter Wahrung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten erfordern.

Zu § 187 Absatz 4

§ 187 Absatz 4 GVG-E entspricht dem geltenden § 187 Absatz 2 GVG. Der Verweis auf Absatz 1 Satz 1 stellt zunächst sicher, dass - wie schon nach geltender Rechtslage - auch für nebenklageberechtigte Personen ein Anspruch auf einen Dolmetscher während des gesamten Strafverfahrens bestehen soll. Dies trägt dem Anliegen des Opferrechtsreformgesetzes Rechnung, das Opfer im Strafverfahren gegenüber dem Beschuldigten nicht schlechter zu stellen. (vgl. Bundestagsdrucksache 15/1976, S. 19).

Mit der Verweisung auf den neu gefassten § 187 Absatz 1 Satz 2 GVG-E geht eine Erweiterung des Opferschutzes insoweit einher, als nunmehr eine ausdrückliche Hinweispflicht des Gerichts auch gegenüber dem nebenklageberechtigten Verletzten eingeführt werden soll. Ebenso wie der Beschuldigte soll auch der Nebenklageberechtigte - der keineswegs stets über alle seine Rechte informiert ist - im Rahmen des Hauptverfahrens auf die Möglichkeit hingewiesen werden, einen Dolmetscher oder Übersetzer zur Wahrnehmung seiner prozessualen Einflussmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen.

Die Neuregelung entspricht dabei der Verpflichtung aus Artikel 4 Buchstabe f der Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI, die nach Annahme durch das Europäische Parlament in erster Lesung nunmehr auch durch den Rat in seiner Sitzung vom 4. Oktober 2012 angenommen wurde. Danach hat der Verletzte ein Recht auf Informationen, wie und unter welchen Voraussetzungen er Anspruch auf Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen hat. Die mit Blick auf die Umsetzung dieser Richtlinie ohnehin einzuführende Hinweispflicht gegenüber Nebenklageberechtigten soll daher bereits jetzt im Sachzusammenhang mit den Dolmetschungs- und Übersetzungsregelungen geregelt werden.

Soweit die Übersetzung schriftlicher Unterlagen zur Wahrung der Verfahrensrechte des Nebenklägers erforderlich ist, gelten die in § 187 Absatz 2 GVG-E für den Beschuldigten niedergelegten Regeln für diesen zwar nicht unmittelbar. Jedoch kann das Gericht die dort beschriebenen Grundsätze auch für die Bestimmung des zur Ausübung der Rechte als Nebenkläger erforderlichen Übersetzungsumfangs heranziehen. So kann insbesondere die anwaltliche Vertretung eines Nebenklägers zu einer deutlichen Einschränkung des Übersetzungsbedarfs führen. In jedem Fall können die Besonderheiten in der Rolle dieses Verfahrensbeteiligten im Gegensatz zur Stellung des Beschuldigten - etwa hinsichtlich einer noch ausstehenden Zeugenvernehmung - Berücksichtigung finden.

Zu Nummer 2 (§ 189)

Die Änderung des § 189 GVG dient der Umsetzung des Artikels 5 der Richtlinie 2010/64/EU.

Die Richtlinie 2010/64/EU enthält in Artikel 5 Regelungen zur Sicherung der inhaltlichen Qualität der Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen. Während das geltende Recht den Anforderungen in Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie, welcher die Einrichtung von Registern mit unabhängigen und angemessen qualifizierten Übersetzern und Dolmetschern verlangt, mit Blick auf die Dolmetscher- und Übersetzerdatenbanken der Länder bereits in vollem Umfang Rechnung trägt, ist die in Artikel 5 Absatz 3 der Richtlinie vorgesehene Verpflichtung aller herangezogenen Dolmetscher zur Verschwiegenheit nach aktueller Rechtslage nicht einheitlich normiert. Zwar findet sich eine entsprechende Verpflichtung in den meisten Dolmetschergesetzen der Länder und - in der Form einer berufsrechtlichen Regel der Dolmetscher und Übersetzer - auch in § 5 der Berufs- und Ehrenordnung vom 12. Mai 1973.

Um der Bestimmung in Artikel 5 Absatz 3 der Richtlinie 2010/64/EU, welche die Mitgliedstaaten zur Sicherstellung eines vertraulichen Umgangs der zur Dolmetschung und Übersetzung herangezogenen Personen mit den hierbei erlangten Informationen anhält, jedoch vollständig - insbesondere auch in den Fällen der Heranziehung nicht berufsmäßig tätiger Dolmetscher - Rechnung zu tragen, bestimmt § 189 Absatz 4 GVG-E, dass eine als Dolmetscher oder Übersetzer hinzugezogene Person auch dann Verschwiegenheit wahren soll, wenn sie nicht bereits aufgrund einer anderen Rechtsvorschrift zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Neben den bereits erwähnten landesrechtlichen Vorschriften kommen als Grundlage für solche Verschwiegenheitspflichten auch bundesrechtliche Regelungen oder europäische Rechtsakte in Betracht. Mit der Regelung in Absatz 4 ist weder die Einräumung einer Rechtsstellung als Berufsgeheimnisträger noch eines Zeugnisverweigerungsrechts verbunden. Ebenso wenig zielt diese Vorschrift auf eine förmliche Verpflichtung nach dem Verpflichtungsgesetz ab. Es handelt sich vielmehr um eine reine Ordnungsvorschrift, auf deren Einhaltung das Gericht den Dolmetscher oder Übersetzer hinzuweisen hat.

Die Sicherung der inhaltlichen Qualität der Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen ist kein auf das Strafverfahren beschränktes Anliegen. Daher soll durch Ergänzung der bestehenden Regelung in § 189 GVG ein einheitliches Vorgehen in allen Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit sichergestellt werden.

Zu Artikel 2 (Änderung der Strafprozessordnung - StPO)

Zu Nummer 1 (§ 37)

Die Änderung des § 37 StPO dient der Umsetzung des Artikels 3 der Richtlinie 2010/64/EU.

Der neu angefügte § 37 Absatz 3 StPO-E soll die in § 187 Absatz 1 und 2 GVG-E vorgesehene Neuregelung zur Urteilsübersetzung in die bestehende Systematik von Urteilszustellung und Rechtsmittellauf einpassen. Das schriftliche Urteil ist in den Fällen der Rechtsmitteleinlegung förmlich zuzustellen, weil der Beginn der Frist zur Begründung des Rechtsmittels (§ 317 StPO für die Berufung und § 345 StPO für die Revision) von der Zustellung des Urteils abhängt. In allen anderen Fällen bedarf es einer förmlichen Urteilszustellung - von den seltenen Fällen der Urteilsverkündung in Abwesenheit abgesehen - nicht. Hieran soll die Neuregelung nichts ändern. Insbesondere soll keine zusätzliche Zustellungspflicht in Fällen geschaffen werden, in denen mangels Anfechtung binnen Wochenfrist (§§ 314 Absatz 1, 341 Absatz 1 StPO) eine formlose Übersendung des Urteils ausreichend wäre.

Der neue § 37 Absatz 3 StPO-E bezieht sich zudem seinem Wortlaut nach nur auf Fälle, in denen eine Urteilsübersetzung nach § 187 Absatz 1 und 2 GVG-E zur Wahrung der Verteidigungsrechte unerlässlich ist. Nicht erfasst sind also Konstellationen, in denen nach den Grundsätzen der bisherigen Praxis - insbesondere aufgrund der Mitwirkung eines Verteidigers - dem Recht auf ein faires Verfahren bereits durch Simultandolmetschung der mündlich eröffneten Urteilsgründe und die Zustellung des schriftlichen Urteils an den Verteidiger Genüge getan werden kann. Auf die Begründung zu § 187 Absatz 2 GVG-E wird insoweit Bezug genommen.

Da es aber in den verbleibenden Fällen dem zu erreichenden Ziel eines fairen Verfahrens zuwiderliefe, diese Frist vor Zustellung der schriftlichen Übersetzung des Urteils in Gang zu setzen, soll nach dem Sinn der Neuregelung eine Übersetzung des Urteils zwangsläufig zu einem späteren Beginn der Rechtsmittelbegründungsfrist des nicht (hinreichend) der deutschen Sprache mächtigen Angeklagten führen. Die Zustellung ohne die Übersetzung soll daher unwirksam sein, die jeweils davon abhängige Frist soll nicht zu laufen beginnen. Die Übersetzung eines Urteils kann ohnehin erst dann in Auftrag gegeben werden, wenn das Urteil mit den Gründen innerhalb der Frist des § 275 StPO zu den Akten gebracht worden ist.

Um eine Schlechterstellung der übrigen Prozessbeteiligten durch eine faktisch kürzere Begründungsfrist zu vermeiden und einen zeitgleichen Beginn der Begründungsfrist für alle Verfahrensbeteiligten sicherzustellen, sieht die Neuregelung vor, die Urteilsausfertigungen allen Verfahrensbeteiligten gleichzeitig mit der schriftlichen Übersetzung zuzustellen. Die Zustellung an sämtliche Verfahrensbeteiligten soll daher nach den allgemeinen Vorschriften (§ 36 Absatz 1 StPO) gleichzeitig angeordnet werden, sobald die Übersetzung des Urteils beim Gericht vorliegt. Dadurch soll vermieden werden, dass der nicht (hinreichend) der deutschen Sprache mächtige Angeklagte durch den späteren Beginn seiner Rechtsmittelbegründungsfrist Vorteile gegenüber den anderen Verfahrensbeteiligten erhält, die etwa in der Kenntnis von den Rechtsmittelbegründungen anderer Verfahrensbeteiligter liegen könnten.

Zu Nummer 2 (§ 114b Absatz 2)

Die Änderungen des § 114b Absatz 2 StPO dienen der Umsetzung der Artikel 3 und 4 der Richtlinie 2012/13/EU.

Zu Buchstabe a
Zu Doppelbuchstabe aa (§ 114b Absatz 2 Satz 1 Nummer 4a)

Die Richtlinie 2012/13/EU sieht in ihrem Artikel 4 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b eine verpflichtende schriftliche Belehrung des festgenommenen Beschuldigten über den im Rahmen des nationalen Rechts bestehenden Anspruch auf unentgeltliche Rechtsberatung und deren Voraussetzungen vor. Die Richtlinie fordert dabei ihrem Wortlaut nach keine weitergehenden Ansprüche auf eine unentgeltliche Rechtsberatung als die bisher im deutschen Strafverfahrensrecht vorgesehenen ein.

Die bereits nach geltendem Recht erfolgende schriftlichen Belehrung ("Letter of Rights") nach § 114b Absatz 2 StPO enthält bislang zwar in Satz 1 Nummer 4 eine Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation, ein Hinweis auf die Voraussetzungen und Möglichkeiten unentgeltlicher Rechtsberatung erfolgt jedoch derzeit noch nicht. Der Bundesgerichtshof (Beschluss vom 18. Oktober 2005, 1 StR 114/05 = NStZ 2006, 236) hat aber schon zur bisherigen Rechtslage entschieden, dass im Einzelfall eine Pflicht der Strafverfolgungsbehörden bestehen kann, den Beschuldigten dahingehend zu belehren, dass fehlende finanzielle Mittel einen ersten Kontakt zu einem Rechtsanwalt - mit Blick auf die Möglichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung - nicht ausschließen, wenn der Beschuldigte erkennbar über eine solche Möglichkeit irrt. Der Gesetzentwurf knüpft bei der Umsetzung der Richtlinie in § 114 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4a StPO-E an diese Rechtsprechung an, wobei sich die Beschränkung auf das Institut der Pflichtverteidigung auf die ausdrückliche Eingrenzung der Richtlinienvorschrift auf bereits nach nationalem Recht bestehende Ansprüche rechtfertigt. Demnach soll ein Beschuldigter nach der Neufassung lediglich schriftlich darauf hingewiesen werden, dass ihm unter den Voraussetzungen des § 140 StPO ein Verteidiger zu bestellen ist. Durch die Formulierung "beanspruchen" soll klargestellt werden, dass sowohl die Fälle der notwendigen Verteidigerbestellung von Amts wegen nach § 140 Absatz 1 StPO als auch die sonstige Pflichtverteidigerbestellung von Amts wegen oder auf Antrag gemäß § 140 Absatz 2 StPO erfasst werden soll. Unverändert gilt dabei für das Vorverfahren bis zum Abschluss der Ermittlungen (§ 169a StPO) die Regelung in § 141 Absatz 3 StPO, wonach in diesem Verfahrensstadium die Bestellung eines Pflichtverteidigers nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft erfolgt. Der Beschuldigte kann jedoch schon während des Vorverfahrens eine entsprechende Anregung an die Staatsanwaltschaft richten und sollte daher auch über diese Möglichkeit informiert werden.

Losgelöst von der Frage der Bestellung soll dabei die nach der späteren Kostentragungspflicht im Falle der Verurteilung sein. § 465 StPO, wonach der Verurteilte grundsätzlich die Kosten des Verfahrens, also auch die seiner Verteidigung zu tragen hat, bliebe mithin unberührt. Um das Ziel der Richtlinie zu erreichen, ein faires Verfahren zu gewährleisten, ist es nicht erforderlich, den Beschuldigten von den durch die Pflichtverteidigung entstehenden Kosten und Auslagen grundsätzlich freizuhalten.

Die umfassenden Dokumentationspflichten in Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie 2012/13/EU erfassen sämtliche Belehrungen nach § 114b Absatz 2 StPO und damit auch die im Gesetzentwurf im Einzelnen neu vorgesehenen Belehrungen. Da jedoch bereits nach geltendem Recht die Belehrungen im Fall der Festnahme schriftlich erfolgen und damit aktenkundig werden, bedarf es einer gesonderten gesetzlichen Normierung der Dokumentationspflicht im gesamten Anwendungsbereich des § 114b Absatz 2 StPO nicht.

Zu den Doppelbuchstaben bb und cc (§ 114b Absatz 2 Satz 1 Nummer 5 und 6)

Es handelt sich um redaktionelle Änderungen.

Zu Doppelbuchstabe dd (§ 114b Absatz 2 Satz 1 Nummer 7 und 8)

Das geltende Recht sieht die in Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie 2012/13/EU vorgesehene Belehrung über das Bestehen eines Akteneinsichtsrechts nicht vor. Die Neuregelung soll den Katalog von Hinweisen des § 114b Absatz 2 Satz 1 in Nummer 7 des Entwurfs deshalb um eine entsprechende Hinweispflicht für den unverteidigten Beschuldigten erweitern: Der Beschuldigte soll in schriftlicher Form über das Recht, ohne Verteidiger Auskünfte und Abschriften aus den Akten zu erhalten (§ 147 Absatz 7 StPO), informiert werden. Zur Belehrung über das eigentliche Akteneinsichtsrecht, das nach der Systematik des deutschen Strafverfahrensrechts nur dem Verteidiger selbst zusteht, wird auf die Begründung zu Nummer 2 Buchstabe b verwiesen.

Die in Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 2012/13/EU angeordnete Belehrung des Beschuldigten über seine späteren Rechtsbehelfe im Rahmen des Vollzugs der Untersuchungshaft ist im geltenden Recht bereits in § 115 Absatz 4 StPO vorgesehen. Jedoch erfolgt die Belehrung de lege lata erst im Rahmen der Vorführung des Beschuldigten vor den zuständigen Richter. Um den Gewährleistungen der Richtlinie in vollem Umfang gerecht zu werden, soll der Zeitpunkt dieser Belehrung durch die Ergänzung in § 114b Absatz 2 Satz 1 Nummer 8 StPO-E auf den Zeitpunkt der Festnahme vorverlegt werden. Der Beschuldigte soll also künftig bereits bei seiner Festnahme unverzüglich über sein Recht auf Beschwerde bzw. Haftprüfung (§ 117 Absatz 1, Absatz 2 StPO), das Recht auf mündliche Verhandlung (§ 118 Absatz 1, Absatz 2 StPO), den Antrag nach § 119 Absatz 5 StPO bei Unstatthaftigkeit der Beschwerde und den Antrag nach § 119a Absatz 1 StPO gegen behördliche Entscheidungen und Maßnahmen im Untersuchungshaftvollzug belehrt werden. Die Belehrungspflicht bei Festnahme besteht dabei unabhängig davon, ob der Beschuldigte einen Antrag auf Vorführung vor den zuständigen Richter nach § 115a Absatz 3 StPO stellt.

Zu Buchstabe b (§ 114b Absatz 2 Satz 2)

Der neu eingefügte § 114b Absatz 2 Satz 2 StPO-E dient der vollständigen Umsetzung der in Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie 2012/13/EU vorgesehenen Belehrung über das Bestehen eines Akteneinsichtsrechts. Entsprechend der geltenden Rechtslage soll der Beschuldigte - neben der Möglichkeit, Auskünfte und Abschriften aus den Akten zu erhalten (vgl. die Begründung zu Nummer 2 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa) - auch über das nach § 147 Absatz 1 StPO bestehende Akteneinsichtsrecht des Verteidigers belehrt werden. Dabei soll gerade auch der noch nicht verteidigte Beschuldigte darüber in Kenntnis gesetzt werden, dass ein von ihm zu wählender Verteidiger ein Recht auf Akteneinsicht geltend machen kann.

Zu Buchstabe c (§ 114b Absatz 2 Satz 3)

Die in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie 2012/13/EU vorgesehene Belehrungspflicht hinsichtlich des Rechts auf Dolmetschleistungen erfasst auch die Fälle des festgenommenen Beschuldigten, dem nach Artikel4 der Richtlinie eine entsprechende schriftliche Belehrung auszuhändigen ist. Eine solche Belehrungspflicht ist im geltenden Recht nicht vorgesehen. Der Gesetzentwurf sieht in § 114b Absatz 2 Satz 3 StPO-E daher eine neue Belehrungspflicht vor, die sich dem Wortlaut nach auf die vorgeschlagene Neufassung des § 187 Absatz 1 Satz 2 GVG-E stützt, welche auch ausdrücklich in Bezug genommen wird. Zur näheren Begründung wird auf die Begründung zu Artikel 1 verwiesen. Nach der Neufassung soll der Beschuldigte, welcher der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist oder hör- oder sprachbehindert ist, schriftlich auf sein Recht hingewiesen werden, Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen unentgeltlich für das gesamte Strafverfahren zu erhalten.

Die Belehrungspflicht nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie 2012/13/EU gilt ihrem Anwendungsbereich entsprechend auch für das Verfahren nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl. Dementsprechend kommt auch die in § 114b Absatz 2 Satz 3 StPO-E getroffene Neuregelung über die Verweisungsvorschrift des § 77 IRG im jeweiligen Auslieferungsverfahren entsprechend zur Anwendung. Auch dort soll also eine konkrete Verpflichtung bestehen, die verfolgte Person auf ihr Recht hinzuweisen, Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen unentgeltlich in Anspruch zu nehmen.

Über die vorliegende Umsetzung der Richtlinie 2012/13/EU hinaus werden derzeit weitere Änderungen des Auslieferungsverfahrens nach dem IRG diskutiert (zur Kritik an den bestehenden Verfahrensvorschriften vgl. Hackner in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner [Hrsg.], IRG, 5. Auflage 2012, vor §§ 21, 22 IRG). Eine entsprechende Anpassung der Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt) soll geprüft werden.

Zu Nummer 3 (§ 136 Absatz 1)

Die Änderung des § 136 Absatz 1 StPO dient der Umsetzung des Artikels 3 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 2012/13/EU.

Soweit Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 2012/13/EU eine Belehrung des Beschuldigten über einen möglichen Anspruch auf unentgeltliche Rechtsberatung vorschreibt, erfolgt ein solcher Hinweis nach geltender Rechtslage auch bei Vernehmungen außerhalb des Festnahmerechts grundsätzlich nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht eine erweiterte Belehrungspflicht über die Möglichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung, wie oben bei der vorgeschlagenen Neufassung des § 114b Absatz 2 Satz 2 Nummer 8 StPO-E näher dargelegt (vgl. Begründung zu Nummer 2), nur bei einem erkennbaren Irrtum der beschuldigten Person über die Voraussetzungen der Verteidigerbeiordnung. Der Gesetzentwurf schlägt daher zur vollständigen Umsetzung der Richtlinie 2012/13/EU vor, eine Belehrungspflicht über die unter den Voraussetzungen des § 140 Absatz 1 und 2 notwendige Bestellung eines Pflichtverteidigers in § 136 Absatz 1 Satz 3 StPO zu verankern. Die Ergänzung soll eine entsprechende Belehrung sowohl bei richterlichen Vernehmungen als auch über die bereits nach geltendem Recht bestehenden Verweisungen in § 163a Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 Satz 2 StPO bei Vernehmungen durch Staatsanwaltschaft und Polizei sicherstellen. Durch die Formulierung "beanspruchen" soll auch hier klargestellt werden, dass sowohl die Fälle der notwendigen Verteidigerbestellung von Amts wegen nach § 140 Absatz 1 StPO als auch die sonstige Pflichtverteidigerbestellung von Amts wegen oder auf Antrag gemäß § 140 Absatz 2 StPO erfasst werden soll. Auch diese Belehrungspflicht berührt nicht die Vorschrift des § 141 Absatz 3 StPO, wonach im Vorverfahren bis zum Abschluss der Ermittlungen (§ 169a StPO) die Bestellung eines Pflichtverteidigers nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft erfolgt.

Zu Nummer 4 (§ 163a)

Die Änderungen des § 163a StPO dienen der Umsetzung von Artikel 2, 3 und 5 Absatz 3 der Richtlinie 2010/64/EU sowie der Umsetzung von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie 2012/13/EU.

Der Beschuldigte hat auch bei staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Vernehmungen, wie sie § 163a Absatz 1 StPO spätestens bei Abschluss der Ermittlungen vorsieht, einen Anspruch auf Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen. Dies folgt bereits nach geltender Rechtslage aus Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe e EMRK. Der vorgeschlagene Verweis in § 163a Absatz 5 StPO-E auf die für das Gericht maßgebliche Vorschrift des § 187 Absatz 1 Satz 1 GVG-E dient insoweit lediglich der Klarstellung. Dem sprachunkundigen bzw. hör- oder sprachbehinderten Beschuldigten soll daher insbesondere bei sämtlichen nichtrichterlichen Vernehmungen die Unterstützung durch einen Dolmetscher bzw. Übersetzer, wie in § 187 Absatz 1 Satz 1 GVG-E vorgesehen, zur Verfügung stehen.

Nach geltendem Recht ist bei der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Vernehmung ein verpflichtender Hinweis auf Dolmetschleistungen, wie ihn Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie 2012/13/EU auch für diese Fälle vorschreibt, nicht vorgesehen. Um die Richtlinie vollständig umzusetzen, sieht die vorgeschlagene Ergänzung des § 163a Absatz 5 StPO-E daher auch einen Verweis auf die vorgeschlagene Neufassung des § 187 Absatz 1 Satz 2 GVG-E vor. Die entsprechende Anwendung des § 187 Absatz 1 Satz 2 GVG-E soll klarstellen, dass im Rahmen einer staatsanwaltlichen oder polizeilichen Vernehmung die beschuldigte Person neben den in § 136 Absatz 1 vorgesehenen Belehrungen auch über ihr Recht informiert werden muss, für das gesamte Strafverfahren, mithin auch während des Ermittlungsverfahrens, einen Dolmetscher oder Übersetzer zu beanspruchen. Dies gilt gemäß § 404 der Abgabenordnung (allgemei/steuerao_ges.htm ) auch für Vernehmungen durch die Zollfahndungsämter und die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden im Strafverfahren wegen Steuerstraftaten. Auf die Begründung zu Artikel 1 hinsichtlich der Belehrung über das Recht auf Dolmetschung im Rahmen des § 187 Absatz 1 GVG-E wird verwiesen.

Zur Sicherung der inhaltlichen Qualität der Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen sieht die Richtlinie 2010/64/EU in Artikel 5 Absatz 3 vor, dass die Mitgliedstaaten die Wahrung der Verschwiegenheit der damit befassten Personen sicherstellen. Die oben bei der Erläuterung des § 189 Absatz 4 GVG-E beschriebene uneinheitliche Rechtslage hierzu besteht derzeit auch im Bereich staatsanwaltschaftlicher und polizeilicher Vernehmungen. Der Gesetzentwurf sieht mit dem Ziel vollständiger Richtlinienumsetzung in der Neufassung des § 163a Absatz 5 StPO-E einen Verweis auf die in § 189 Absatz 4 GVG-E vorgeschlagene Neuregelung vor. Damit soll sichergestellt werden, dass auch bei Vernehmungen durch Polizei oder Staatsanwaltschaft jede als Dolmetscher oder Übersetzer eingesetzte Person die Verschwiegenheit wahren soll und hierauf auch hingewiesen wird, soweit nicht schon aufgrund einer anderen gesetzlichen Bestimmung eine Verpflichtung zur Verschwiegenheit besteht.

Zu weiteren Einzelheiten wird auf die Begründung zu Artikel 1 hinsichtlich § 189 Absatz 4 GVG-E verwiesen.

Die Bezugnahme des neuen § 163a Absatz 5 StPO-E auf die den Umfang einer notwendigen Übersetzung konkretisierende Vorschrift in § 187 Absatz 2 GVG-E trägt dem Umstand Rechnung, dass es auch bei der Vernehmung durch Staatsanwaltschaft oder Polizei zur Wahrung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten erforderlich sein kann, bestimmte Unterlagen zu übersetzen, etwa wenn ihm der Inhalt bestimmter Schriftstücke oder Urkunden vorgehalten werden soll. Auch bei diesen Vernehmungen kann eine auszugsweise mündliche Übertragung ausreichend sein, wenn der Beschuldigte einen Verteidiger hat.

Schließlich nimmt die Neuregelung in § 163a Absatz 5 StPO-E auch die Verzichtsregelung in § 187 Absatz 3 GVG-E in Bezug.

Zu den Einzelheiten eines danach auch bei polizeilichen oder staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen möglichen Verzichts des Beschuldigten auf eine schriftliche Übersetzung kann auf die Begründung zu § 187 Absatz 3 GVG-E verwiesen werden.

Beantragt der Beschuldigte anlässlich der staatsanwaltschaftlichen oder polizeilichen Vernehmung nach § 163a Absatz 2 StPO die Aufnahme von Beweisen zu seiner Entlastung, so stellt die in der Neufassung des § 163a Absatz 5 StPO-E angeordnete entsprechende Anwendbarkeit der §§ 187 Absatz 1 bis 3, 189 Absatz 4 GVG-E klar, dass ihm auch dabei nötigenfalls ein Dolmetscher oder Übersetzer nach den oben dargestellten Grundsätzen zur Wahrung seiner Rechte zur Verfügung zu stehen hat. Auch dies folgt bereits de lege lata aus Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe e EMRK.

Zu Nummer 5 (§ 168b)

Die Änderungen des § 168b StPO dienen der Umsetzung des Artikels 7 der Richtlinie 2010/64/EU sowie des Artikels 8 Absatz 1 der Richtlinie 2012/13/EU.

Die in Artikel 7 der Richtlinie 2010/64/EU geforderte Dokumentation einer Dolmetsch- und Übersetzungsleistung betrifft auch Untersuchungshandlungen der Staatsanwaltschaft, der Polizei und weiterer Ermittlungsbehörden. In der Praxis werden entsprechende Vorgänge bereits jetzt - schon mit Blick auf die spätere Beweisaufnahme - ausführlich dokumentiert. Ausdrückliche Regelungen dazu finden sich jedoch lediglich für die Staatanwaltschaft in § 168b Absatz 1 und 2 StPO sowie im Bereich der Verwaltungsanweisungen in Nummer 181 Absatz 2 RiStBV. Durch die Aufnahme der Untersuchungshandlungen sämtlicher mit strafrechtlichen Ermittlungen befasster Behörden in den Kreis dokumentationspflichtiger Vorgänge nach § 168b Absatz 1 StPO-E soll diese ohnehin in der Praxis übliche Vorgehensweise für alle Ermittlungsbehörden einheitlich geregelt werden. Der neue Wortlaut zielt dabei insbesondere auch auf die Zollverwaltung ab, der bei Eigenverfahren im Sinne von § 386 Absatz 2 AO die Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren (§ 399 Absatz 1 AO) zustehen. Die Zollfahndungs- und Hauptzollämter haben insoweit dieselben Rechte und Pflichten wie die Behörden und Beamten des Polizeidienstes nach den Vorschriften der StPO (§ 404 AO, § 37 Absatz 3 des Außenwirtschaftsgesetzes, §§ 16 und 26 des Gesetzes über das Zollkriminalamt und die Zollfahndungsämter).

Auch den in Artikel 8 der Richtlinie 2012/13/EU festgeschriebenen Dokumentationspflichten trägt das geltende Recht nicht vollumfänglich Rechnung, wenngleich in § 168b StPO für die Staatsanwaltschaft sowie im Bereich der Verwaltungsanordnung in Nummer 45 Absatz 1 RiStBV Teilregelungen bestehen und in der Praxis des Ermittlungsverfahrens - dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit entsprechend - die betroffenen Untersuchungshandlungen bereits regelmäßig umfassend dokumentiert werden. Der Gesetzentwurf sieht zur vollständigen Umsetzung der Richtlinie in § 168b Absatz 3 StPO-E vor, dass künftig einheitlich für Polizei und Staatsanwaltschaft sämtliche vor Vernehmungen nach § 136 Absatz 1 oder § 163a StPO vorzunehmenden Belehrungen zu dokumentieren, also aktenkundig zu machen sind. Diese Dokumentationspflicht umfasst neben den in den §§ 136, 163a StPO normierten Belehrungen auch die neuen Belehrungspflichten aus § 187 GVG-E.

Zu Artikel 3 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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Anlage
Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gem. § 6 Abs. 1 NKR-Gesetz NKR-Nr. 2325:
Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren

Der Nationale Normenkontrollrat hat den oben genannten Entwurf geprüft.

Zusammenfassung

Bürgerinnen und Bürger

Keine Auswirkungen auf den Erfüllungsaufwand

Wirtschaft

Keine Auswirkungen auf den Erfüllungsaufwand

Verwaltung

Durch die Einführung der Pflicht zur Übersetzung nicht rechtskräftiger Entscheidungen entstehen bei den Ländern Mehrausgaben. Diese sind derzeit nicht quantifizierbar. Die Länderanhörung blieb insoweit ergebnislos.

Das Regelungsvorhaben dient der Umsetzung europarechtlicher Vorgaben. Der damit verbundene Anstieg der Vollzugskosten ist insoweit unvermeidbar. Der Nationale Normenkontrollrat hat vor diesem Hintergrund keine Bedenken gegen das Regelungsvorhaben.

Im Einzelnen

Mit dem Gesetz sollen die europarechtlichen Vorgaben über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafsachen und über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafsachen in nationales Recht umgesetzt werden.

Da es in Deutschland in diesen Bereichen bereits heute schon eine Vielzahl von Informations- und Teilhaberechten gibt, besteht nur in wenigen Teilbereichen Anpassungsbedarf. Zusätzlicher Vollzugsaufwand bei den Ländern entsteht im Wesentlichen durch die Einführung der Pflicht zur Übersetzung nicht rechtskräftiger Entscheidungen.

Das zuständige Ressort hat versucht, die hierfür anfallenden Kosten zu quantifizieren. Die Länderanhörung blieb jedoch insoweit ergebnislos, da es keine geeignete Datenbasis gibt, um eine belastbare Schätzung vornehmen zu können.

Der Nationale Normenkontrollrat hat vor diesem Hintergrund keine Bedenken gegen das Regelungsvorhaben. Er hält es in diesem Fall ausnahmsweise für vertretbar, dass in diesem Fall keine konkrete Kostenschätzung vorgenommen wurde.

Dr. Ludewig Schleyer
Vorsitzender Berichterstatter